Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Wila.

         

Kam zum Abt von Bjelovar die Kunde:
»Ueber Nishnygrad im Föhrenwalde
Liegt die Wila schlafend unterm Felsen.
Mit dem Kopfe ruht sie auf dem Bergklee,
Mit den Füßen zwischen Purpurnelken,
Lacht im Traum und murmelt böse Worte.«

Seine Mönche sammelte der Abt jetzt,
Daß sie holten vom Altar das Weihfaß
Und des heiligen Condratius Asche
Aus der Silbertruhe in der Krypta.
Alsdann zogen sie zum Föhrenwalde,
Gruben einen Graben um die Wila,
Sprengten in das Grab geweihtes Wasser,
Auf des Grabens Bord die heilige Asche.
Durch den Balkan lief die frohe Botschaft
Und in Nishnygrad geschah ein Jubel:
»Glück und Heil! Gefangen liegt die Wila,
In den Föhrenwald gebannt auf immer.
Künftig wird nicht Sturm und Ungewitter
Uns die Saat zerstören, und die Herden
Länger nicht der grimme Wolf zerfleischen.«
Rüsteten darauf ein Festgelage
Auf dem grünen Hügel vor dem Stadtthor.

*           *
*

Aber blinzelnd mit dem linken Auge
Hatte alles wohl bemerkt die Wila.
Als sie jetzt vom Hügel vor dem Stadtthor
Hörte das Getös und Festgelage,
Lachte sie und rief die höhnischen Worte:
»Ei, Ihr Thoren! Daß Euch Gott behüte!
Daß Ihr meint, die freigeborne Wila
Zu bewältigen mit Zauberkünsten!«
Winkte dann gebieterisch zum Himmel,
Dreimal hebend ihre weißen Arme.
Und von Wrana fuhr daher der Sturmwind
Und von Karabazarlik der Hagel
Und von Serajewo Blitz und Donner.
Blies der Sturmwind fort die heilige Asche
Und der Hagel schwemmte weg den Segen.
Aber aus dem Bergwald stieg der Donner
Thalwärts nieder auf die Festversammlung,
Blitze schmetternd in das Trinkgelage,
Daß sie schreiend auseinanderstoben,
Und zum Heulen wurde das Frohlocken.

Doch auf Bjelovar mit seinen Mönchen
Betete der Abt und sprach mit Grauen:
»Gott sei Preis und Dank, Ihr lieben Mönche!
Losgekommen ist die böse Wila
Ueber Nishnygrad, daß Gott es schütze,
Und bewahr' uns vor dem schwarzen Unhold.«
Sieh, da kam ein Bär vom Klosterwalde,
Trug ein feurig Lamm im roten Maule.
Von dem Feuer ward vertilgt das Kloster
Und der Abt zerrissen von dem Bären.


 << zurück weiter >>