Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Die Titanen.

                 

Eh' Zeus der Ordnungsspender ermaß Gesetz und Recht,
Da herrschte der Titanen unbändiges Geschlecht.
Sie spannten Erd' und Himmel in ihr gewaltig Joch,
Denn kein Hiatus trennte die Schöpfung damals noch.
Im tiefsten Hades fußend auf mächtigem Postament
Wuchs trotzig in die Wolken ein einzig Firmament,
Gestemmt durch wuchtige Pfeiler, von Säulen rings gestützt
Und mit granitnen Mauern vor Blitz und Sturm geschützt.
Doch die Titanen selber, geschart um Uranos,
Behaupteten auf Erden ein kühn Tyrannenschloß.

Mit jedem jungen Morgen, beim ersten Lerchenchor,
Sprengten auf hundert Wagen sie sämtlich durch das Thor,
Sausten zu Thal im Wettlauf, verwegen und gewandt,
Drauf goß die wilde Sippe sich stürmisch über Land.
Getümmel war die Losung und Ungestüm das Ziel,
Sie schufen wenig Gutes und schafften Unheil viel.
Was jedem sein Belieben eingab im Uebermut,
Das nahm er für Erlaubnis, das dünkt ihn recht und gut.
Für Klagen unempfindlich, für Scham und Sitte taub,
Nannten sie Totschlag Kurzweil und Scherz den Jungfernraub.
Endlich, nachdem sie sattsam gebuhlt, geschlemmt, getobt
Und mit cyklopischen Spielen die Heldenkraft erprobt,
Zogen am späten Abend einträchtig sie nach Haus
Und lagerten gesellig bei Becherklang und Schmaus,
Ergötzten mit Gesängen einander Herz und Ohr,
Und nahmen für den Morgen sich neuen Unfug vor.

Doch wenn vom Turm die Wächter meldeten Mitternacht,
Dröhnt' ein gedämpfter Donner warnend vom Höllenschacht
Und aus des Schlosses Keller im unterirdischen Gang
Nahte von Frauenstimmen ein murmelnder Gesang.
Viel feine Tritte rauschten, es that sich auf die Thür
Und dreißig Priesterinnen wallten langsam herfür.
Das Angesicht verschleiert, die Glieder spröd verhüllt,
Das weltentrückte Auge mit fremdem Glanz erfüllt.
Voran die Opferfürstin in keuscher Sittsamkeit,
Demeters edle Tochter: Vesta, die reine Maid.
Die Ampel mit dem heiligen Herdfeuer in der Hand,
Begann sie jetzt zu beten, den Blick emporgewandt:

»Zerknirschet Eure Herzen, entsagt dem wüsten Wahn,
Die große Weltenmutter Demeter betet an,
Himmel und Meer und Erde, so wohnlich und so traut,
Sie wurzeln in der Hölle, ein Fluch hat sie erbaut.
Viel tausend Feuer donnern im unterirdischen Schlot
Und zu Demeters Füßen schlummert der arge Tod.
Seht zu, daß Ihr die Drachen der Unterwelt nicht weckt
Und Eures Frevels Größe nicht die Vergeltung heckt.
Pocht nicht auf Eure Abkunft und Euer Regiment,
Des Gottes wie des Wurmes spottet das Element.«

Sie sprach's und alle stierten zu Boden schuldbewußt,
In Frost und Unbehagen siechte des Festes Lust.
Zum Flüstern starb die Rede, kein Sang gedieh noch Scherz,
Demeters heiligen Namen sprach zagend jedes Herz.

*           *
*

Doch längst schon hatte heimlich die freche Pandemos,
Die schönste Titanide, die Tochter Uranos',
Vesta's geweihtes Antlitz und ihres Wandels Zucht
Mit giftigem Haß belauert und bitterer Eifersucht.
Der strenge Blick der Unschuld that ihrer Geilheit leid
Und Vesta's keusche Anmut erfüllte sie mit Neid.
Und als nun eines Abends beim schwelgenden Gelag
Der Wein die Thorheit stärkte und die Vernunft erlag,
Schwang sie sich listigen Mutes empor von ihrem Pfühl
Und die Begierden stachelnd mit Blicken wollustschwül,
Entblößte sie die Schultern, schwenkte den Goldpokal
Und warf mit heftiger Stimme das Höhnen durch den Saal:

»Milch über Euch, Ihr Lämmlein! so sanft, so schlaff, so zahm!
Kinder an frommem Glauben, Jungfern an züchtiger Scham!
Sind das die Weltbeherrscher? Ist das Titanenblut?
Wenn ein vermummtes Mägdlein kasteit den Wagemut?
Ist niemand, der der Falschen, die eitel Unschuld gleißt,
Von ihrem Heuchlerbusen den Lügengürtel reißt?
Wohlan, krümmt Euren Rücken, kniet nieder, betet an!
Ich meint', ich schaue Männer, es war ein blöder Wahn.
Doch hoffe fortan keiner, daß er mich je berührt,
Eh' jener widerfahren der Schimpf, der ihr gebührt.«

Mit finsterm Murren straften die Zecher dieses Wort,
Denn in den rohen Seelen glomm noch Besinnung fort.
Nur Gyges, der Verruchte, bewährt in Missethat,
Erwog im stillen Herzen den schändlichen Verrat.
Von jedermann gemieden, von Pandemos verschmäht,
Hatt' ihre Gunst er oftmals, doch stets umsonst erfleht.
Und wie sie nun so lockend im duftigen Gewand,
Das keinen Reiz verhüllte, vor seinen Augen stand,
Die Wange huldreich lächelnd, der Blick von Zorn gereizt,
Ein Engel der Verführung, mit Grausamkeit gebeizt,
Das Auge Tod verheißend, die Lippe Liebeskuß,
Entsprang aus Gier und Bosheit ein teuflischer Entschluß.

Horch, Wächterruf vom Turme, verkündend Mitternacht,
Gesang schlägt an von ferne, viel Schritte schlurfen sacht.
Ueber die Schwelle wandelt ehrwürdig Vesta jetzt.
Was schauen ihre Augen so starr und so entsetzt?
Die Ampel klirrt zu Boden, sie flieht mit einem Schrei.
Umsonst. Es schnellt der Unhold mit tückischem Sprung herbei.
So überfällt die Wölfin, mißachtend die Gefahr,
Das Lamm, das sie erkoren, im Kreis der Hirtenschar.
Sie trauen nicht dem Auge, das solche That verbürgt.
Da hat sie schon das Opfer mit grimmem Zahn erwürgt.
– Eh einer sich's versehen und jemand ihm gewehrt,
Hing sie in seinen Armen, entgürtet und entehrt.

Schreck lähmte alle Zungen und jedes Herz gefror.
Indessen wankte Vesta zum Söllerturm empor,
Erklomm die Mauerzinne, hielt an, nahm einen Schwung
Und that zur grausen Tiefe den schauerlichen Sprung.

Jetzt platzen die Gemüter. Ein Aufruhr jach und wild
Scheucht männiglich vom Lager. Man greift zu Schwert und Schild.
Fürst Uranos fürs Erste, im Zorne schön und groß,
Durchbohrt den Missethäter mit einem Lanzenstoß.
Drauf heftige Widerrede, Verwünschung, Schimpf und Streit.
Vom Schelten kommt's zum Schlagen, das Mord und Wunden speit.

Während durch das Getümmel über den Kampfplatz hin
Trillert der Siegespäan der kecken Buhlerin,
Die mit Mänadenjauchzen zum Rand des Abgrunds hüpft,
Von wo ihr Falkenauge mit heißer Mordlust schlüpft
Durch des Geklüftes hohlen, gähnenden Klippenschlund
Nach dem unseligen Leichnam, zuckend im Tannengrund.

Plötzlich erscheint der Festsaal in Rauch und Qualm gehüllt.
Das ist nicht mehr der Hader, das ist der Schmerz, der brüllt.
Den Blick hemmt dickes Dunkel, den Atem Feuersglut,
Vom Keller braust und prasselt's wie Hagelsturmeswut.
Jetzt blitzt es aus den Fugen. Ein greller Schwefelschein
Sticht blendend von der Treppe tief in den Saal hinein.
Hell lodern rings die Wände: das Dach, den Boden leckt
Die rote Flammenzunge und keine Rettung kleckt.

Doch sieh, am Himmel drüben taucht durch das Strafgericht,
Die greisen Locken schüttelnd, Demeters Angesicht.
Ueber die Sterne reckt sie ihr Riesenhaupt empor
Und mit Posaunenstimme Stößt sie den Spruch hervor:
»Das Maß ist überlaufen, die Saat des Zorns ist reif.
War je wie Euer Nacken ein Stein so hart und steif?
Hatt' ich nicht jeden Frevel, langmütig, taub und blind,
Der Euch gefiel, geduldet? Was mordet ihr mein Kind?
Um ihrer Bitten willen hatt' Euer ich geschont,
Und also wird die Gnade und Langmut mir belohnt?
Hinunter in die Hölle, du Aftergötterbrut!
Satt bis zum Hals von Sünde, trunken von Schmutz und Blut.
Fluch über Dich, Du arge, du schamvergessene Welt!
Laß sehen, wer da stehe und was da hält und fällt.«

Und ihre Riesenarme schleudernd mit grimmem Ruck,
Griff sie zwei Weltensäulen, that einen Zuck und Druck.
Da taumelten die Berge, der Himmel drehte sich,
Sonne und Mond erloschen, die Erde wankt' und wich.
Von Schwindel schien die Schöpfung und Todesangst erfaßt.
Verdrängt war jede Stütze, verschoben jede Last.
Die Mauern stürzten einwärts, die Pfeiler nebenaus
Und polternd brach zusammen das schwere Weltenhaus.
Ein Schutt- und Aschenwirbel stob aus dem Riesenrumpf,
Verkrochen im Gebirge, heulte das Echo dumpf.
Und als aus der Ruine der Brodem sich verzog,
Und mit dem Winde schwankend die Wolke seitwärts bog,
Da zeigte sich verwandelt die Schöpfung rings umher.
Um neue Grenzen wogte erstaunt das blaue Meer.
Vom Erdengrund geschieden durch eine weite Kluft,
Schwebte das Dach des Himmels hoch oben in der Luft.
Versprengte Tiere suchten angstwinselnd ein Versteck
Und Berg' auf Berge türmte in blinder Flucht der Schreck.

Längst wieder war versunken Demeters Höllenhaupt,
Gestein und Asche keimten, von frischem Grün belaubt,
Und ein geschäftig Leben schwatzte von Busch und Baum,
Doch oftmals noch durchbebte den jungen Weltenraum
Ein plötzliches Erzittern, Nachschreck und Widerhall
Vom Frevel der Titanen und ihrem jähen Fall.


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