Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Die Jurakönigin.

Roman.

                 

»Stille! Weck' nicht die Jurakönigin;
Hier starrt ihr Zackenschloß. Von dieser Rotfluh,
Erzählt man, wirft sie sich in schwüler Herbstnacht,
Wenn Stürme fegen durch den lockern Neuschnee,
Auf ihrem Schlitten jauchzend in den Wildbach
Und fährt zu Thal auf den entsetzten Wogen.
Ein Fels dient ihr zum Boot, ein Stamm zum Steuer;
An welchem Dorf sie rüttelt, das zerschellt;
Wo Friede träumt und Unschuld betet, würgt sie. –
Ja, diese Schlucht ist schlimm! – Siehst Du die Otter
Dort schleichen unterm Schierling? Und überm Thymian
Die falsche Kupferwolke? – Still! mir graut.
Komm, laß uns leise fliehn; hier schläft ein Schrecknis.«

Sie sprach's. – Er aber schlang um ihre Hüfte
Hemmend den Arm. – Da zuckte sie und stand,
Vor Wonne schauernd, schwach und schutzlos, gleich
Als wie von einem süßen Gift versehrt.
Das Antlitz sank, die Kniee wankten. – Horch!
Vom Bach das Rauschen, wie es braust und tobt!
Das Ohr betäubend und den Geist verwirrend.
Nun schwillt's zum Heulen, nun zum zornigen Brüllen;
Als ob, von schwarzer Riesenfaust gestaut,
Die Wasser, rückwärts brandend, hinterm Wald
Sich sammelten, den Klippenwall zu stürmen.
Doch über all dem Tosen schmetterte
Ein Siegtrompetenton, ein Jubelschrei:
»Was zauderst Du? Triumph! Ich bin erlegen.«
Schon streiften ihre Locken seine Stirn,
Kosend wie Kindeskuß und lind wie Sünde –
Da sieh: auf einem Rasenband am Sims
Der Rotfluh lag im Grase langgestreckt
Die Jurakönigin. Die Schilleraugen,
Im Glimmerglanze spielend, lauerten;
Und kriechend durch die halbgeschloss'nen Lider
Kamen und gingen böse Schlangenblicke.
Verstohlen dehnte sie das Kreuz und schob
Heimlich den Fuß hinüber in den Abgrund,
An einem Quarzblock fingernd mit den Zehen.
Der Block bewegte sich. Aufstäubend stürzt' er,
Mit ungeschlachter Wucht die Luft durchsausend,
Hart auf die Straßenmauer, Feuer schmetternd;
Von dort in prallen Bogen in die Bachkluft.
Ein kurzer Aufruhr: schütterndes Geschiefer –
Insektenschnurren – einer Elster Schrei –
Und durch den hohlen Wald der Wiederhall
Im dumpfen Donner – dann Ruh und Schweigen.

Sie starrten in den Schachen; ernst, ergriffen.
Dann löst' er widerstrebend seinen Arm
Zögernd von ihrer Hüfte; ehrerbietig.
»Ja, diese Schlucht ist schlimm. – Und Du bist heilig.«
In stummem Wandel schritten sie, den Kopf
Gesenkt, durch die verwunschne Höllenhochburg.
Bis daß mit einem Freudensprung die Angeln
Sich öffneten und durch das blaue Thor
Das gastliche Gelände tauchte: Triften
Und Weiler, obenher die klaren Gletscher.
Jetzt hielt sie plötzlich an, zu ihm gekehrt.
Aus ihren Augen strahlt' in Himmelsschöne
Der Unschuld Sieg. Und einen Dankesblick
Aus ihrem wärmsten Herzen schöpfend, hauchte
Ihr reiner Mund: »Ja, Du bist groß und gut.«


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