Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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VI.
Spruch und Lied.

Pan, der Richter.

       

Pan, der schöne Götterjüngling, steigt herab die Welt zu richten,
Nymphen küssen ihm die Lippen, ehe sie das Urteil dichten.

Brünstig beten Tier' und Menschen vor dem strengen Göttersohne,
Tod bedeutet seine Strafe, Hochzeit spendet er zum Lohne.

Sieh, da nah'n erhobnen Hauptes die Gerechten und die Weisen,
Bringen dar Verdienst und Werke, ihre Tugend zu beweisen.

Doch der heil'ge Knabe spottet: »Was ist Weisheit? Was ist Tugend?
Schönheit ist das Ziel der Erde und der Wert des Lebens Jugend.

Alle Sünden sind erläßlich im Gesetzbuch der Natur
Dem, der in Gestalt und Antlitz trägt der Gottheit edle Spur.

Aber wenn der Quell nicht flutet, der den Spruch des Lebens spricht,
Wenn der Mut nicht übermutet, diese Schuld vergeb' ich nicht.«

Sprach's und winkte seinem Schergen Thanatos, dem Weltenhenker,
Ueberliefert' ihm zum Tode das verwelkte Volk der Denker.

Führte dann zum Dorn die Knaben und die Mägdlein zu den Rosen,
Lehrte sie das süße Urteil: Liebeslust und Kuß und Kosen.


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