Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Die Prophetenwahl.

       

Einen Propheten für sein Volk zu wählen,
Trat vor die Burg der ungeborenen Seelen
Jehova. Oeffnete das Geisterhaus
Und gierig schwärmten die Gespenster aus.

»Folgt mir,« versetzt' er, und mit festem Schritt
Führt er sie sämtlich vor ein Alpthal mit.
»Seht zu, daß Ihr den Gipfel nicht verfehlt,
Dort unten gähnt die Hölle. Also wählt!«

Die Mehrzahl taumelte den Todespfad,
Ein Häuflein stieg zum Himmel schnurgerad,
Ein andres tappte blindlings hin und her
Und fand den rechten Weg von ungefähr.

Doch einer strich, von Satanas versucht,
Hart an der Grenze längs der Lasterschlucht,
Beroch den Pfuhl, sog die verdorb'ne Luft,
Trank lüstern jeden giftigen Moderduft.
Kein Teufelsbrünnlein war so wenig rein,
Er tauchte jedenfalls den Daumen drein.
Bis endlich ihn sein kluger Witz bewog,
Daß er im Winkel plötzlich aufwärts bog.

»Der ist's,« sprach Gott zum Engel Raphael,
»Die stärksten Seelen gehn am längsten fehl.«


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