Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Fatime.

Kantate.Fatime Kayser von Zug, als sie während eines Gewittersturmes ihre Blumenstöcke bergen wollte, fiel in den Garten zu Tode. In acht Tagen sollte ihre Hochzeit sein.

                 

Es sprach der Tod zu seinen fahlen Pferden:
»Ich wittere Glück, es gibt noch Glück auf Erden!
Wieviel auch Haß und Hader herrscht hienieden,
Ich spüre Herzlichkeit, ich rieche Frieden.«

Ein Daumenschlag, ein Pfiff aus seinem Munde:
Und beutegierig gröhlten seine Hunde.
Unwirsch erklettert' er den Sichelwagen,
Packte die Zügel und mit tollem Sprung
Ließ er den ungestümen Sechsspann jagen
Vom Wildspitz nieder in die Dämmerung.
Der Sturm erschien auf seinen Geierruf,
Der Föhn erfaßte heulend seine Schürze.
Und wo den Boden schlug der Rosse Huf,
Rollten Lawinen, schäumten Wasserstürze.
In Goldau hemmt' er schnuppernd seine Fahrt,
Spähte gen Brunnen, horchte gegen Arth.
Dann plötzlich lenkt' er steifen Blicks den Flug
In weitem Bogen um den See nach Zug.

Ich weiß ein Haus in Lilien und Levkojen,
Wo Kummer Thränen, Scherz Verständnis findet,
Wo Geisteswert mit Güte sich verbindet,
Helvetische Kraft mit Wohllaut von Savoyen.
Ein Herd der Poesie, ein Heim der Kunst
Und alles Ungemeine steht in Gunst.
Kennst Du, von keinem Stachel auszumerzen,
Den Spruch am Thor?: »Hier wohnen große Herzen.«

Hier spannt' er aus, warf sich aufs Sattelroß,
Ritt durch den Garten um das Erdgeschoß:
»Mutter, wo ist die liebste Tochter Dein?«
Sie lallt' im Schlaf: »Oben im Kämmerlein.«
»Schwestern, wie thu' ich Euch am meisten weh?«
Sie stammelten: »Verschone Fatime!«
Jetzt klemmt' er seine Knie, verhielt die Zügel,
Stemmte die Fersen, bäumte sich im Bügel,
Und während unterm Kies im Gartenflur
Die Rüden kratzten eine blutige Spur
Und geifernd im Spalier mit giftigem Schnauben
Der Hengst die Nüstern wühlte durch die Trauben,
Schob er, sich türmend auf dem Sattelknopf,
Durchs Blumenfenster seinen Raubtierkopf.

Und siehe da, im Winkel der Kemnate
Das fromme Kind im bräutlichen Ornate;
Auf ihrer weißen Stirn der Jungfernkranz,
Das Angesicht beseelt von Hochzeitsglanz.
Sie sah den Unhold das Gemach verdüstern
Und betend hub sie an im Traum zu flüstern:
»Gott weiß, ich habe Pflicht und Recht geübt,
Mit Vorsatz keinen Menschen je betrübt.
Ein wenig Leben unterm Sonnenschein,
Soll das zu viel verlangt gewesen sein?
Doch murr' ich nicht, steht's anders mir geschrieben.
Gott spend' Euch Kraft und Trost! Lebt wohl, Ihr Lieben!«

Schnell malt' er auf den Sims mit schwarzem Stift
Grinsend ein Zeichen in verruchter Schrift;
Dann taucht' er unter. Und verschwunden kaum,
Krähte der Hahn. Es wisperte der Morgen.
Lichtnebel huschten leise durch den Raum
Auf bunten Socken. Hinterm Fries verborgen
Nickte das Tages goldner Lockenschmuck,
Und alles schien ein wesenloser Spuk.

Und so geschah es. Nie werd' ich vergessen
Den schauerlichen Chor der Totenmessen,
Das heiße Schluchzen, den Verzweiflungsschrei
Und höhnisch lachten Berg und See dabei.
Ich sah die Sonne der Natur sich schämen
Und Welt und Himmel schienen Trug und Schemen.


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