Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Der Venus Rundgang.

Gemälde.

             

Zwölf Stunden hatte schon des Aethers duftige Hand
Den Himmel über den lazurnen See gespannt,
Und ohne Unterlaß die goldnen Pfeile schoß
In die krystallnen Wasserhöhlen Helios,
Ob ihm vielleicht ein freundliches Geschick erlaubt
Zu schaun der jungen Liebesgöttin Lockenhaupt,
Des mädchenhaften Wuchses süße Harmonie,
Der Glieder Ebenmaß, das mutbeseelte Knie,
Der stolzen Lippen Zwillingspaar, von Geist verschönt,
Und das herzinnige Auge, das die Schöpfung krönt –

Da schwoll in einer waldesdüstern Inselbucht,
Die selten nur ein Morgensonnenstrahl besucht,
Die Woge, übergoß den Strand mit Perlenschaum.
Ein Silberschimmer quirlte nach dem Küstensaum.
Der Sprudel teilte sich und aus dem Quellenthor
Taucht' Aphrodite hoch auf schwarzem Hengst empor.

Schon hat, von ihrem linden Schenkeldruck geklemmt,
Der Rappe seinen starken Huf an's Bord gestemmt,
Da glitt sie auf den Rasen, klatscht' ihm auf's Genick,
Erhaschte seinen Stirnbusch und, mit Wort und Blick
Zum Sprung ihn reizend, zog mit leichter Kinderhand
Sie den gewaltigen Renner polternd an den Strand.
Kaum faßt' er Boden, gab sie seine Stirne frei
Und durch die Steppe stob sein wieherndes Geschrei.
Sie selbst, in leichtem Schwebegang, der Flügel spürt,
Auf weichen Sohlen, die der Blumen Kuß berührt,
Die Faust ins rote Lockenwogenhaar gepreßt,
Das, noch vom Bade feucht, ihr Hals und Lenden näßt,
Schritt aufrecht jetzt hinüber nach dem Buchenrain,
Nackt wie der Demant, wie der Himmel hehr und rein.

Und wo, von Laub bekränzt, von Veilchenblust bedeckt,
Die grüne Rasenwelle längs dem Wald sich streckt,
Dort dehnte sie, umspühlt vom heißen Mittagshauch,
Die kühlen Glieder unter einen Eibenstrauch,
Genoß der Ruhe Frieden, sog des Lebens Lust,
Der Jugend froh und ihrer Göttlichkeit bewußt.
Ob ihrem Haupte leuchtete der Sommertag,
Der Tauben Flug, die Herde weidend überm Hag,
Der Rappe schweifend durch das Uferklippenfeld
Und fern am See die Stadt und die geschäftige Welt.
Darüber wölbte sich der Himmel weit und groß
Und aus dem Walde wuchs ein Wetterwolkenstoß.

Geblendet starrt ihr Aug, das matt und matter blickt.
Die trägen Lider suchen sich, die Wimper nickt.
Ziellos lustwandelt der Gedanke und verirrt
In einem Purpurchaos, das die Welt verwirrt.
Jetzt sinkt ihr Haupt und ihres Mundes Odem streift
Liebkosend ihren Arm, der in die Blumen greift.
Die unbewachte Seele stiehlt sich durch den Raum
Und die entschlafnen Sinne täuscht ein wonniger Traum.

*           *
*

Da kreischt vom Seegestade Möven-Zank und Streit.
Flink auf die Füße springt die Göttin fluchtbereit,
Fliegt tanzend hinter ihrem flüchtigen Rappen her,
Schwingt sich aufs Roß und sprengt landein ins Ungefähr.
Durch schattige Nußbaumhalden, durch Gebüsch und Wald
Kam sie auf eine freie Hügelschanze bald,
Von wo die Völkerstraße, sonnenscheindurchblinkt,
Durch Gartengründe sanft zur Stadt hinunter sinkt.
Hier hemmte sie mit Wohlgefallen ihren Lauf,
Ordnet' ihr Haar und schlug die schönen Augen auf.

Zu ihren Häupten führte aufwärts nach dem Grat
Des seligen Isthmus ein gestufter Weinbergpfad.
Ein klotzig Gletscherstockgebirg, mit Schnee betaut,
Mit Wolken übertürmt, von Finsternis umblaut,
Schaute von drüben wetterleuchtend auf den Paß.
Den Gletscher wählte sie zum Führer und Kompaß.
Brach eine Blütenknospengerte, jung belaubt,
Die spannte sie als Blumenbogen um ihr Haupt.
Und während sie der unheilschweren Nebelwand
Entgegenklomm, das Angesicht zurückgewandt,
Die Blicke sendend nach dem häuserreichen Thal,
Das, rotentflammt vom sturmesschwülen Abendstrahl,
Zu ihren Füßen mehr und mehr im Dunst verschied,
Erschloß sie ihren seinen Mund und sang ein Lied.

»Wenn Ihr es wüßtet, was der Zufall Euch gewährt!
Wenn Ihr es ahntet, wie so nah, was Ihr begehrt!
Wenn Ihr erführet, daß den Traum, den jeder denkt,
Im derben Tageslicht die Wirklichkeit Euch schenkt!
Ihr klugen Thoren, stets vorsichtig, stets zu spät.
Man kann das Glück nicht züchten, packt es, wann's gerät.
Klagt nicht den Himmel an, daß er die Hoffnung neckt.
Seid immer wach, so braucht Ihr keinen, der Euch weckt.
Des Segens Fülle, durch Aeonen aufgespart,
Auf einmal zu verschwenden, das ist Götterart.
Unangemeldet kommt die gute Stunde nur,
Mein Fuß ist flüchtig und unjagbar meine Spur.«

So sang sie, kletternd auf dem steilen Weinbergsteg.
Da kreuzt' ein blinder Schäfer tastend ihren Weg.
Der Schönheit Sonne schien ihm strahlend ins Gesicht,
Ihn traf ihr gnadenvoller Blick, er sah es nicht.
Mitleidig lächelnd bot sie ihm die Hand zum Gruß,
Und seine struppigen Locken streiften ihren Fuß.
Dann stieg sie weiter bis zum luftigen Inselkamm,
Der zwischen diesem See und jenem ragt als Damm.
Daselbst, von heftigen Sturmeswirbeln jäh erfaßt,
Genüber Fluh an Fluh in fahlem Wetterglast,
Unten der finstere See, gepeitscht von zornigem Gischt,
Der, auf den Wellen reitend, nach den Wänden zischt,
Da warf sie lachend ihre keusche Knospenbrust
Dem Wirbelsturm entgegen mit Mänadenlust,
Schwang ihre Alabasterarme hoch empor
Und stieß aus Herz und Mund den Jubelschrei hervor:

»Hephaistos, mein Geliebter, Du mein Bräutigam!
Du Sproß von Uranos, Du Reis vom Heldenstamm!
Von dessen Riesenhammerschlag die Erde bebt,
Von dessen Hand das Eisen blüht, der Marmor lebt,
Aus dessen Flüstern donnert Antwort der Porphyr:
Sperr' auf die Felsenriegel, öffne Thor und Thür!
Sie schelten mich, sie spotten Deiner Mißgestalt.
Ihr Thoren, lernet Eros' heil'ge Urgewalt.
Ungläub'ge, wißt ihr nicht, daß Liebe Wunder zeugt?
Und daß vor Geistesheldenkraft sich Schönheit beugt?
Vernehmet, daß das Weib von süßen Rätseln strotzt,
Daß Feindeswiderrede stählt, daß Treue trotzt.
Was gilt es mir, daß Ihr mit glatten Wangen gleißt?
's Ist Einer nur auf Erden, der mein Buhle heißt.«

Sie ruft's und lauscht, ob Antwort ihr entgegentönt.
Da bebt die Erde. Aus des Berges Kellern dröhnt
Ein Hammerschlag. Ein Feuerodem, blutigrot,
Jagt Dampf- und Aschensäulen aus dem Gletscherschlot.
Der Hengst begrüßt trompetend seines Herren Ruf,
Bäumt sich empor und stampft die Erde mit dem Huf.
Dann klimmen sie auf glatten Stufen Tritt um Tritt
Jenseits die Schlucht hinab in schwindelhaftem Ritt.
In Bälde hatten sie erreicht den wilden Strand,
Wo giftig nach den Felsen spie der Wogenbrand.
Von einer Platte, überdachend das Gestad,
Sprangen sie mutig in das aufgeregte Bad.
Tief in die Fluten tauchte sie der schwere Fall
Und über ihre Häupter schlug der Wogenschwall.
Dann ruderte, vom Wellenhügelwald bedeckt,
Von tausend Wasserzungen ungestüm beleckt,
Umringt, umbrüllt, von der Tritonen plumper Schar,
Hephaistos' Haus entgegen das einmütige Paar.
Ein Klippenturm von Erz begegnet ihrem Lauf.
Der Hengst erhob den Huf, der Felsen that sich auf.
Aus seinem Innern sprühte Hochzeitsfackelschein,
Da tanzten sie mit hellem Siegesruf hinein.
Verjauchzt, verglänzt, verschwunden war die Huldgestalt
Und höhnisch schloß sich zu der neidische Felsenspalt.

Doch Zeus, von Schmerz und Wut entbrannt und Eifersucht,
Wog in der grimmen Faust der Donnerkeile Wucht.
Stemmte die Ferse, hob sich zielend aus dem Sitz
Und schleuderte dem Fels entgegen Blitz auf Blitz.
Die Donner krachten Schuß auf Schuß und Knall um Knall,
Da rauschten durchs Gebirg die Regenschauer all,
Die Hagel platzten und vom höchsten Himmelsthron
Fegte das Thal herab der rasende Cyklon.
Ihm stürzte heulend sich entgegen der Orkan,
Geschmolzne Felsen warf zum Himmel der Vulkan.
Die Berge standen zitternd ob der grausen Schlacht
Und um die Feuerschlünde flatterte die Nacht.

Was eilt, was schreit, was wimmelt aus der Stadt daher?
Siehe, von hastigem Volk ein unermeßlich Heer.
Sie rennen längs dem Ufer suchend auf und ab:
»Hier war's, von dieser Platte schwang sie sich hinab.«
Sie starren in den See nach dem entsprung'nen Glück,
Dann ziehen trüb und mutlos sie den Blick zurück.
Vom Berge schleppen Schergen einen blinden Greis,
Umringt, umdrängt von einem heftigen Fragerkreis:
»Sag' an, sie grüßte Dich? Sie redete mit Dir?
Dich streift' ihr Götterodem; auf, erzähle mir!«
Und immer neue Haufen drängten sich heran,
Zu schauen, zu betasten den beglückten Mann.
Da plötzlich jauchzt' ein froher Ueberraschungsschrei.
In wildem Knäuel wälzte sich das Volk herbei.
Sieh, mit dem Winde wirbelte ein Lockenhaar,
Das ihr im kühnen Ritt vom Sturm entrissen war.
Und wie nun jeder es zu haschen war bereit,
Erwuchs aus Neid und Mißgunst grimmiger Waffenstreit.
Das Ungewitter donnerte den Schlachtakkord
Und das Gestade rötete mit Blut der Mord.

Doch drüben in dem weltentrückten Waldverließ
Der blumigen Bucht, wo sie zuerst den See verließ,
Im seligen Wasser, das den keuschen Leib benetzt,
Geschah ein wundersamer Hochzeitstaumel jetzt.
Hoch überschlugen in dem weichen Wasserpfühl
Die brünstigen Wellen sich in buhlendem Gewühl.
Linde Medusen, Quallen, Fische allerhand
Vermischten wimmelnd sich in üppigem Liebestand.
Die Luft durchblitzt mit kühnem Flossensprung der Salm
Und in der Ferne orgelt der Gewitterpsalm.


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