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Dreizehntes Kapitel

Für Ferdinande hatte die Nacht keine Schrecken, der Morgen keine Dunkelheit gehabt. In ihrer Seele war es hellichter Tag, seit vielen Monaten zum ersten Male, ja, wie sie meinte, zum ersten Male, seitdem sie wußte, welch ein leidenschaftliches, stolzes, anspruchsvolles Herz in ihrem Busen schlug. Sie hatten es ihr ja so oft gesagt: in früheren Jahren die Mutter, später die Tante, die Freundinnen – alle: es werde noch einmal ihr Unglück sein, und daß Hochmut vor dem Falle komme, und sie hatte stets trotzig geantwortet: so will ich unglücklich sein, so will ich fallen, wenn das Glück nur um den schnöden Preis der Demut zu haben ist, die sich immer vor dem Schicksal im Staube windet und Dankeshymnen singt, weil die Räder des grimmigen Neidharts sie nur gestreift und nicht zermalmt haben; ich bin keine Justus-, ich bin keine Cilli-Natur.

Und sie war unglücklich gewesen, selbst in den Stunden, wo enthusiastische Künstler, Justus' Freunde, der herrlich aufblühenden Schönheit des jungen Mädchens maßlos gehuldigt hatten; als diese Männer ihr Talent lobten, förderten, ihr sagten, daß sie auf dem rechten Wege, ein Künstler zu werden, endlich: daß sie ein Künstler, ein wahrhafter Künstler sei. Sie glaubte ihnen nicht; und wenn sie wirklich ein Künstler war: es gab so viel größere! selbst Justus' Hand reichte so viel höher und weiter, als die ihre; lachend und scheinbar mühelos pflückte er sich Früchte, nach denen sie mit den unerhörtesten Anstrengungen rang und die ihr doch, wie sie sich heimlich eingestand, stets unerreichbar bleiben würden.

Sie hatte jenem großen französischen Künstler, auf den ihre Schönheit einen so überwältigenden Eindruck machte, ihr Leid geklagt. Er war ihr lange mit höflich-lächelnden Worten ausgewichen; zuletzt hatte er ernsthaft gesagt: Mademoiselle, es gibt für die Frau nur ein höchstes Glück – das ist die Liebe; und sie hat nur ein Genie, in dem es ihr kein Mann gleich tun kann, – das ist wiederum die Liebe. – Das Wort hatte sie zermalmt: ihr Künstlertum war also ein kindischer Traum, und die Liebe! – ja, sie wußte, daß sie würde lieben können, unaussprechlich, grenzenlos! Aber ihr Auge sollte noch den Mann entdecken, der diese Liebe entflammen könnte zu der himmelanstrebenden Glut, und wehe ihr, wenn sie ihn fand! er würde ihre Liebe nicht begreifen, nicht fassen und ganz gewiß nicht erwidern können, vielleicht zurückschaudern vor der Glut, und sie würde unglücklicher sein, als je zuvor.

War die düstre Ahnung denn nicht schon in traurigste Erfüllung gegangen? hatte sie sich in ihrer Liebe zu ihm, der ihr entgegengetreten war, als hätten die Himmlischen ihn gesandt, als wäre er einer der Himmlischen selbst, nicht schon unsäglich unglücklich gefühlt? hatte sie nicht unzählige Male schon mit heißen Tränen, mit bittrem Hohne, in windender Verzweiflung geklagt, gesagt, geschrien, daß er ihre Liebe nicht begreife, nicht fasse, nie fassen, nie begreifen werde? hatte sie es nicht deutlich gesehen, daß er zurückbebte, zurückschauderte – nicht vor den Gefahren, die auf ihrem dunklen Liebeswege drohten, – er war so kühn wie einer, und so gewandt wie keiner – aber vor der Liebe selbst, vor ihrer allmächtigen, aber auch alles verlangenden, unersättlichen Liebe?

So hatte sie noch gestern empfunden – in dem Augenblick selbst, der dem seligen Augenblick folgte, als sie seinen ersten Kuß empfangen und erwidert! Und heute! heute lächelte sie über ihren Kleinmut unter Tränen des Glückes, heute bat sie den Geliebten unter tausend glühenden Küssen, die sie in Gedanken auf seine schöne Stirn, seine holden Augen, seinen lieben Mund drückte, alles ab, was sie je gegen ihn Herbes und Bittres gedacht, gesagt und nun niemals, niemals wieder denken, wieder sagen würde!

Sie hatte arbeiten, die letzte Hand an die Schnitterin legen wollen. Ihre Hand war hilflos-ungeschickt gewesen, wie in der ersten Schülerzeit, und dabei war ihr nicht ohne einen Schauder eingefallen, daß sie ja geschworen, das Bild nicht fertig zu machen. Es war, ohne daß sie es ahnte, ein glückverheißender Schwur gewesen. Was sollte ihr dies trostlose Bild eifersüchtiger Rache? wie töricht erschien ihr dieser ganze weitschichtige Apparat zu ihrer Arbeit: dieser hohe Saal, diese Gestelle, diese Schlägel, Raspeln, Modellierhölzer, diese Abgüsse von Armen, Händen, Füßen, diese Köpfe, diese Büsten nach den Originalen der Meister – ihre eigenen Skizzen, Entwürfe, fertigen Arbeiten – kindisches Tasten mit verbundenen Augen nach einem Glück, das hier nicht zu finden war – nur in der Liebe zu finden war – dem einzigen wahrhaften Genie des Weibes – ihrem Genie, von dem sie fühlte, daß es einzig sei, daß es alles überstrahle, was die Menschen bis dahin als Liebe empfunden und Liebe genannt!

Es hatte sie heute morgen in ihrem Zimmer nicht geduldet; jetzt war ihr auch das Atelier zu eng. Sie trat in den Garten hinaus und wandelte in den Gängen zwischen den Büschen, unter den Bäumen, aus deren rauschendem Gezweig Tropfen von dem Regen der Nacht auf sie herabwehten. Wie oft hatte sie der helle Sonnenschein, der blaue Himmel beleidigt, die ihren Schmerz zu verhöhnen schienen! Zu dem grauen Gewölk, das trüb und schwer über ihrem Haupte hinzog, schaute sie triumphierend empor: was bedurfte sie der Sonne und des Lichtes, sie, in deren Herzen alles eitel Licht und Glanz war! Das Nebelgeriesel, das jetzt zu fallen begann, wollte doch nur die innere Glut, die sie zu versengen drohte, ein wenig kühlen! Ziehende Wolken, Nebelgeriesel, rauschende Bäume, zischelnde Büsche, die feuchte, schwarze Erde selbst – es war alles wunderbar schön in dem Abglanz ihrer Liebe!

Sie ging wieder hinein und setzte sich an der Stelle, wo er sie geküßt, in einen Sessel und träumte ihn weiter, den seligen Traum, während sie nebenan hämmerten und klopften und zwischendurch schwatzten und pfiffen, und der Regen gegen das hohe Fenster klapperte; – träumte, daß ihr Traum die Macht hatte, ihn herbeizuzwingen, der jetzt die Tür langsam und leise öffnete und – es war ja nur ein Traum! – auf sie zukam mit dem holden Lächeln auf den lieben Lippen und dem köstlichen Leuchten seiner dunklen Augen, bis plötzlich das Lächeln auf seinen Lippen erstarb und nur die Augen noch leuchteten, aber nicht mehr in dem holden Feuer, sondern in der düstern, schwermutsvollen Tiefe von ihres Vaters Augen. Und jetzt waren es nicht nur ihres Vaters Augen; es wurde immer mehr er selbst – der Vater! heiliger Gott!

Sie war aus ihrem Schlummer emporgefahren; ihre Glieder schlugen: sie sank wieder in den Sessel zurück und raffte sich alsbald wieder empor. Sie hatte an dem Blick seiner Augen, an dem Brief, den er da in der Hand trug, mit dem ersten halbwachen Blick gesehen, weshalb er gekommen war; sie sagte es ihm in halbwachen, wirren, leidenschaftlichen Worten. Er hatte das Haupt gesenkt, aber widersprach ihr nicht; er erwiderte nichts, als: mein armes Kind!

Ich bin dein Kind nicht mehr, wenn du mir das antust!

Ich fürchte, du bist es in deinem Herzen nie gewesen.

Und wenn ich es nicht gewesen bin, wer ist daran schuld, als du? hast du mir je die Liebe gezeigt, die ein Kind von seinem Vater zu fordern berechtigt ist? Hast du je etwas getan, mir das Leben, das du mir gegeben, wert zu machen? hat dir mein Fleiß je ein Wort des Lobes abgerungen? was ich leistete, je ein Wort der Anerkennung entlockt? hast du nicht vielmehr alles getan, mich vor mir selbst zu demütigen? mich kleiner zu machen, als ich in Wirklichkeit war? mir meine Kunst zu verleiden? mich fühlen zu lassen, daß ich in deinen Augen keine Künstlerin sei und nie sein würde? daß du alles dies hier für nichts Besseres hieltest, als eine große Puppenstube, die du mir gekauft, damit ich in ihr die nutzlose Zeit vertändle und verspiele? Und jetzt, jetzt kommst du, mir meine Liebe zu entreißen, bloß, weil es dein Stolz so will, bloß, weil es dich beleidigt, daß ein so nutzlos niedriges Geschöpf auch einen Willen haben kann, etwas andres wollen kann, als du? Aber du irrst dich, Vater! ich bin trotz alledem deine Tochter. Du kannst mich verstoßen, du kannst mich ins Elend treiben, wie du mich mit dem Hammer da zerschmettern kannst, weil du der Stärkere bist; meine Liebe kannst du mir nicht entreißen!

Ich kann es, und ich werde es.

Versuche es!

Der Versuch und das Gelingen ist eines: Willst du die Maitresse des Herrn Leutnant von Werben werden?

Was hat die Frage mit meiner Liebe zu tun?

So will ich sie in eine andre Form bringen: hast du die Stirn, den elenden, törichten Geschöpfen gleichen zu wollen, die sich einem Manne hingeben – außer der Ehe, oder in der Ehe, denn die Ehe ändert daran nichts – für irgend einen andern Preis, als den der Liebe, den sie für ihre Liebe eintauschen? Herr von Werben hat nichts in den Tausch zu geben; Herr von Werben liebt dich nicht. Ferdinande lachte höhnisch auf: Und er ist gekommen, zu dir gekommen, von dem er wußte, daß du ihn und sein Geschlecht mit einem blinden Hasse verfolgst, um dir das zu sagen?

Er ist nicht gekommen; sein Vater mußte den schweren Gang für ihn tun, zu dem er selbst nicht den Mut hatte, zu dem sich der Vater die Ermächtigung des Sohnes erst erpressen mußte.

Das ist –

Keine Lüge! bei meinem Eid! Noch mehr: Nicht einmal aus freien Stücken ist er zu seinem Vater gegangen; er würde es heute nicht, er würde es vielleicht nie getan haben, wenn ihn der Vater nicht hätte rufen lassen, um ihn zu fragen, ob es wahr sei, was sich die Spatzen auf dem Dache erzählten und freche Gauner den ahnungslosen Vätern in anonymen Briefen schrieben, daß der Herr Leutnant von Werben eine Liebste habe so über die Gartenwand herüber, oder – was weiß ich!

Zeig' mir die Briefe!

Hier ist der eine; den andern wird dir der Herr General gewiß gern überlassen; ich bezweifle, daß sein Herr Sohn darauf Anspruch erhebt.

Ferdinande las den Brief.

Sie hatte für sicher genommen, daß nur Antonio der Verräter gewesen sein könne; aber dieser Brief war nicht von Antonio, konnte nicht von Antonio sein. So hatten noch andere Augen, als die liebeglühenden, eifersuchtsprühenden Feueraugen des Italieners in ihr Geheimnis gesehen! Ihre eben noch bleichen Wangen flammten auf in zorniger Scham. – Wer hat den Brief geschrieben?

Roller; in dem Briefe an den General hatte er nicht einmal seine Hand verstellt.

Sie gab den Brief hastig dem Vater zurück und strich sich über die Hände, als wollte sie die Spur der Berührung entfeimen: O der Schmach! der Schmach! murmelte sie; o des Ekels! des Ekels!

Der entlassene Inspektor war anfänglich in die Familie gezogen worden, bis Ferdinande sah, daß er die Augen zu ihr zu erheben wagte; sie hatte den Vorwand eines Streites, den jener mit dem Vater gehabt, benutzt, die gesellschaftlichen Beziehungen erst zu lockern, dann fallen zu lassen. Und die frechen, widerwärtigen Augen dieses Menschen – o der Schmach! der Schmach! o des Ekels! des Ekels! murmelte sie immerfort.

Sie ging mit großen Schritten auf und nieder, eilte dann an den Schreibtisch, der in der Tiefe des weiten Raumes stand, schrieb mit fliegender Feder ein paar Zeilen und trat dann mit dem Blatte an den Vater heran, der regungslos auf derselben Stelle stehen geblieben war: lies!

Und er las:

»Mein Vater will mir das Opfer seiner Überzeugungen bringen und willigt in meine Verbindung mit dem Herrn Leutnant von Werben. Ich aber, aus Gründen, die mein Stolz niederzuschreiben sich sträubt, weise diese Verbindung für jetzt und immer als eine moralische Unmöglichkeit zurück und spreche den Herrn Leutnant von Werben los und ledig von jeder Verpflichtung, die er etwa gegen mich zu haben glaubt und hat. Dieser Entschluß, den ich in voller Freiheit gefaßt, ist unwiderruflich; jeden Versuch des Herrn Leutnant von Werben, ihn umzustoßen, würde ich als eine Beleidigung ansehen. Ferdinande Schmidt.«

Ist es so richtig?

Er nickte: Dies soll ich ihm schicken?

In meinem Namen.

Sie hatte sich von ihm abgewandt und war, ein Modellierholz ergreifend, vor ihre Arbeit getreten. Der Vater faltete das Blatt zusammen und ging nach der Tür. Dort blieb er stehen. Sie blickte nicht auf, scheinbar ganz in ihre Arbeit vertieft. Seine Augen ruhten auf ihr mit einem tiefschmerzlichen Ausdruck. – Und dennoch! murmelte er, dennoch!

Er hatte die Tür hinter sich geschlossen und schritt langsam über den Hof, durch dessen weite, öde Räume der Regensturm heulte.

Wüst und leer! murmelte er; – alles wüst und leer. – Das ist das Ende vom Liede für mich und sie.

Onkel!

Er schrak aus seinem dumpfen Brüten empor; Reinhold kam eilends vom Hause her auf ihn zu – barhaupt, aufgeregt.

Onkel, um Gottes willen! – der General geht eben von mir; ich weiß alles – was habt ihr beschlossen?

Was wir mußten.

Es wird Ferdinandes Tod sein!

Besser den Tod, als ein ehrloses Leben.

Er schritt an Reinhold vorüber in das Haus; Reinhold wagte nicht, ihm zu folgen; er wußte, daß es vergeblich sein würde.


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