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Zehntes Kapitel

Ich fürchte nun doch, ihr werdet mich so gründlich verwöhnen, daß ich mich nur schwer in mein einfaches Leben zurückfinde, sagte Reinhold, als er in des Onkels Equipage an Ferdinandes Seite durch die Tiergartenstraße dem Brandenburger Tor zu rollte.

Weshalb hat man Wagen und Pferde, wenn man sie nicht benutzen soll, erwiderte Ferdinande.

Sie hatte sich in die Kissen zurückgelegt, mit der Spitze eines ihrer Füße nur eben den Vordersitz berührend. Reinholds Blick glitt fast scheu an der prachtvollen Gestalt hin, deren herrliche Formen ein elegantes Herbstkostüm auf das Vorteilhafteste hervorhob. Er glaubte erst jetzt zu entdecken, wie schön seine Cousine sei, und er fand es sehr erklärlich, daß sie offenbar die Aufmerksamkeit der bunten Menge erregte, von der die Promenade wimmelte, und mancher Kavalier, der an ihnen vorübersprengte, sich im Sattel wandte. Ferdinande schien nichts davon zu bemerken; die großen Augen blickten vor sich nieder, oder hoben sich mit einem träumerisch-müden Ausdruck zu den Wipfeln der Bäume, die, ebenso träumerisch-müde, regungslos die milde Wärme der herbstlichen Sonne zu trinken schienen. Vielleicht war es diese Ideenverbindung, daß Reinhold sich fragte, wie alt denn eigentlich das schöne Mädchen sei? und ein wenig erstaunt war, als er bald herausgerechnet, daß sie nicht mehr weit von vierundzwanzig sein konnte. Sie hatte in seiner Erinnerung immer als das hochaufgeschossene, etwas magere junge Ding gelebt, das sich eben zur Blume entfalten wollte; aber freilich – es waren ja zehn Jahre seitdem vergangen. Vetter Philipp – damals ebenfalls ein langer, hagerer, junger Mensch – mußte ja bereits in dem Anfange der Dreißiger stehen.

Ein zweirädriges Kabriolett, das hinter ihnen kam, überholte sie. Auf dem hohen Bock saß ein großer, stattlicher, breitschultriger, mit höchster, wie es Reinhold schien, etwas studierter Eleganz gekleideter Herr, der den wundervollen, mächtig ausgreifenden Rappen selbst mit den in hellen Glacés steckenden Händen lenkte, während der kleine Groom mit übereinandergeschlagenen Ärmchen in dem niedrigen Hintersitze schaukelte. Der Herr hatte einem begegnenden Wagen eben ausweichen müssen, und seine Aufmerksamkeit war nach der andern Seite gerichtet gewesen; jetzt – bereits einige Wagenlängen entfernt – wandte er sich auf seinem Sitze und grüßte lebhaft mit Hand und Peitsche, während Ferdinande in ihrer lässigen Weise durch ein Kopfnicken antwortete.

Wer war der Herr? fragte Reinhold.

Mein Bruder Philipp.

Wie seltsam!

Weshalb?

Ich dachte nur eben an ihn.

Das kommt ja so oft vor – und besonders in einer großen Stadt, und um die Stunde, wo alle Welt unterwegs ist. Es soll mich nicht wundern, wenn wir ihn in der Ausstellung wiederfinden. Philipp ist ein großer Bilderfreund und zeichnet und malt selbst gar nicht übel. Da hält er still – ich dachte es mir – Philipp weiß zu leben.

Im nächsten Augenblick waren sie Seite an Seite mit dem Kabriolett.

Guten Morgen, Ferdinande! guten Morgen, Reinhold! Horrender Treffer, daß ich dich gleich am ersten Tage treffe! Schlechtes Wortspiel, Ferdinande? He? sieht stattlich aus, der Herr Vetter, mit dem braunen Gesicht und dem Bart – braucht sich aber auch der Dame an seiner Seite nicht zu schämen – he? – wohin wollt ihr? – in die Ausstellung? Das ist ja prächtig – sehen uns da – der Gaul ist heut wie toll – au revoir!

Er berührte den Rappen, der bereits in dem Geschirr zu steigen begann, mit der Peitschenspitze und jagte davon, noch einmal über die breiten Schultern zurücknickend.

Ich würde Philipp nicht wieder erkannt haben, sagte Reinhold, – er sieht euch – ich meine: dem Onkel und dir, gar nicht ähnlich.

In der Tat war kaum ein größerer Gegensatz denkbar, als zwischen dem breiten, roten, bartlosen, glatten Gesicht des jungen Mannes mit dem kurzgeschorenen Haar und dem tiefgefurchten, von grauem Haar und Bart umwogten und umwallten prächtigen Antlitz von Onkel Ernst, oder der edelblassen, vornehmen Schönheit Ferdinandes.

Ein Glück für ihn, sagte Ferdinande.

Ein Glück?

Er ist, als was er erscheint, der Mann seiner Zeit; wir sind mittelalterliche Gespenster. Dafür geht er unter uns als Gespenst um – es ist nicht seine Schuld.

Du stehst also in dem unseligen Zwiespalt zwischen ihm und dem Onkel auf seiner Seite?

Wir andern werden bei uns zu Hause um unsere Meinung nicht gefragt; du wirst dir das für die Zukunft merken müssen.

Auch für die Gegenwart, dachte Reinhold, als Ferdinande jetzt wieder in die Kissen zurücksank. – Gespenster sind ja überhaupt nicht dein Lieblingsumgang, noch dazu an einem so sonnig-schönen Tage. Es gibt ja so viele freundlich-liebe Menschen – die süße Cilli zum Beispiel und – an wen man denkt, dem soll man ja begegnen!

Als wollte er das heute morgen so freventlich Versäumte in aller Eile nachholen, suchte er jetzt seine Gedanken auf sie zu richten, deren Bild er für immer in seiner Seele zu haben glaubte, und das ihm doch jetzt nicht vor das innere Auge treten wollte. – Die Menge ist daran schuld, sagte er ärgerlich.

Sie waren freilich eben im ärgsten Gewühl. Ein Regiment marschierte mit klingendem Spiele die Friedrichsstraße hinab, die Linden quer durchschneidend. Die Flut der Passanten staute sich zu beiden Seiten, besonders auf der, woher sie kamen; zwischendurch Schutzleute zu Fuß und zu Pferde, bemüht, mit Güte und Gewalt die Ordnung aufrecht zu erhalten und die Menge zurückzudrängen, die ihren Unmut zum Teil laut genug zu erkennen gab.

Auch Ferdinande schien der lästige Aufenthalt ungeduldig zu machen; sie sah nach der Uhr. Bereits halb eins, murmelte sie, – wir verlieren die schönste Zeit.

Endlich kam die Queue des Bataillons, während von links her aus der Friedrichsstraße bereits wieder die Tete des folgenden mit klingendem Spiel erschien und durch den kleinen Zwischenraum von beiden Seiten zugleich die entfesselten Menschenwogen in sinnverwirrendem Durcheinander stürzten und drängten. – Zu! zu! Johann! rief Ferdinande mit einer Heftigkeit, die Reinhold sich nur durch die Angst erklären konnte, die sie empfunden haben mochte.

Sie sollten aus einem Gedränge in das andere kommen.

In dem ersten großen, viereckigen Saale der Ausstellung – dem sogenannten Uhrsaale – stand die schaulustige Menge so dicht geschart, daß Reinhold, der Ferdinanden am Arm führte, kaum eine Möglichkeit des Weiterkommens sah. – In den Nebensälen ist es weniger voll, sagte Ferdinande, aber wir müssen doch ein wenig aushalten; es pflegen hier immer gute Bilder zu hangen; wir wollen uns loslassen – man bewegt sich dann freier. Wie findest du diesen prachtvollen Andreas Achenbach? – ist das nicht zum Entzücken? wunderbar! in seinem besten, edelsten Stil! Himmel und Meer – alles grau in grau, und doch – wie scharf sich die einzelnen Partien voneinander abheben! und wie er dann durch die rote Flagge da hinten am Mast des Dampfers, und hier vorn durch die zitternden Lichter auf den überströmten Planken der Brücke wieder so viel Leben in die scheinbare Einförmigkeit zu bringen weiß – meisterhaft – ganz meisterhaft!

Reinhold hatte mit großem Vergnügen Ferdinandes begeisterter Schilderung zugehört. – Hier kann sie sprechen, dachte er; – nun, sie ist eben eine Künstlerin! Du siehst das alles auch, aber nicht im Zusammenhang, und wüßtest nicht zu erklären, warum es so schön ist.

Er stand da, in Betrachtung des Bildes verloren. Welches Manöver würde der Kapitän im nächsten Augenblick machen? er mußte unzweifelhaft noch einmal umlegen, um vor den Wind zu kommen – dazu war er aber schon eine Schiffslänge oder so zu nahe an der Brücke – ein verteufeltes Manöver! dachte Reinhold.

Er wandte sich, Ferdinanden seine Bemerkung mitzuteilen, und hätte beinahe eine kleine, dicke, alte Dame angeredet, die Ferdinandes Platz eingenommen und, die Lorgnette vor den Augen, eifrig zu dem Bilde aufschaute, zusammen mit mehreren Dutzend anderer Herren und Damen, die in einem dichten Halbkreis herumstanden. Reinhold machte einige vergebliche Versuche, aus dieser Gefangenschaft zu entrinnen und zu Ferdinande zu gelangen, die er in einiger Entfernung mit ein paar Damen sprechen sah, so eifrig, daß sie sich nicht ein einziges Mal umwandte und ihn für den Moment offenbar vergessen hatte. – Auch ein Vorteil der freien Bewegung, dachte Reinhold, den du dir ebenfalls zu Nutze machen kannst. – Ein Bild in nächster Nähe hatte seine Aufmerksamkeit erregt – wieder ein Seestück, – von Hans Gude, wie der Katalog sagte – das ihm fast noch besser gefiel, als das erste. Links, wo das Meer offen war, lag ein großer Dampfer vor Anker; auf der Küste, die sich in einem großen Bogen herumschwang, in der Ferne zwischen Dünen ein Paar Fischerhütten, aus deren Schornsteinen Rauch aufstieg; zwischen dem Dörfchen und dem Schiffe ruderte ein Boot, während ein anderes fast ganz im Vordergrunde nach dem Strande zu segelte. Der abendliche Himmel über den Dünen war mit so schwerem Gewölk überzogen, daß sich der Rauch kaum noch von dem grauen Himmel abhob; nur am äußersten westlichen Horizont über dem offenen Meer zeigte sich ein schmaler schmutzigroter Streifen. Die Nacht mußte stürmisch werden, und schon jetzt wehte eine steife Kühlte, die Flaggen des Dampfers flatterten horizontal, und auf dem ganz kahlen Strande im Vordergrund stand schon eine starke Brandung. Reinhold konnte sich nicht von dem Bilde trennen. So, fast genau so war es gewesen, als er an jenem Abend das Boot von dem Dampfer an den Strand steuerte. Da vorn hatten die beiden Diener gekauert; hier saß der Präsident, sich mit der einen Hand an den Bord, mit der andern an die Bank klammernd, nicht wagend, die Decke, die ihm von den Knien geglitten war, wieder emporzuziehen – hier der General, den Kragen seines Paletots in die Höhe geschlagen, die Mütze tief in das Gesicht gezogen, verdrießlich vor sich hin starrend – und hier, dicht neben dem Mann am Ruder, saß sie – so kühn blickend über die graue Wasserwüste und die vor ihnen aufschäumende Brandung, zu dem Manne am Ruder so frei, so fröhlich aufschauend mit den lieben braunen Augen! – Reinhold dachte nicht mehr des Gewühles um ihn her, er hatte Ferdinandes vergessen, er sah jetzt auch das Bild nicht mehr; er sah nur noch die lieben braunen Augen!

Werden die wohl ohne Kompaß ans Land kommen, Herr Kapitän? fragte eine Stimme neben ihm.

Die braunen Augen blickten zu ihm auf, wie er sie eben im Traum gesehen: frei und fröhlich; und fröhlich war das Lächeln, das um die lieblichen Wangen, um die feinen Lippen spielte, als sie ihm jetzt ohne alle Befangenheit die Hand reichte, wie einem alten Freunde.

Wann sind Sie gekommen?

Gestern abend, mein gnädiges Fräulein.

Da haben Sie freilich noch nicht Zeit gehabt, sich nach uns zu erkundigen und Ihren Kompaß in Empfang zu nehmen. Bin ich nicht die Ehrlichkeit selbst?

Was wollten Sie auch damit?

Wer kann das wissen? Sie meinten ja, ich hätte große nautische Talente; aber lassen Sie uns aus dem Gedränge gehen und meinen Bruder aufsuchen, den ich eben hier verloren habe. Sind Sie allein?

Mit meiner Cousine.

Der müssen Sie mich vorstellen. Ich habe unten ihren Hirtenknaben gesehen – entzückend! ich weiß ja jetzt erst von meinem Bruder, daß die Bildhauerin Ihre Cousine ist und daß wir Nachbarn sind und alles; – wo ist sie?

Ich sehe mich vergebens nach ihr um.

Nun, das ist lustig! Zwei verlassene Kinder in diesem Menschenwalde – ich fürchte mich ordentlich.

Sie fürchtete sich nicht – Reinhold sah es wohl: sie war hier zu Hause – es war ihre Welt, mit der sie vertraut war, wie er mit dem Meere. Wie gewandt und zierlich wußte sie zwischen ein paar Damen, die durchaus nicht Platz machen wollten, durchzuschlüpfen! Wie sorglos nickte sie dem turmlangen Offizier zu, der aus der fernsten Ecke des Saales über die Köpfe von ein paar hundert Menschen weg seine Verbeugung machte! Wie wußte sie über die Schulter mit ihm, der ihr nur mühsam folgen konnte, zu sprechen, wenn er wieder in ihrer Nähe war, bis sie den langen schmalen Gang erreicht hatten, wo die Kupferstiche und Aquarellen ausgestellt sind.

Ich habe meinen Bruder hier hineingehen sehen, sagte sie. – Da – nein, das war Herr von Saldern – lassen wir ihn! – ich finde ihn schon – und Ihre Cousine?

Ist ebenfalls nicht hier.

Schadet auch nichts; es wird ihr so wenig an Bekannten fehlen, wie mir. Bis wir sie finden, plaudern wir ein wenig; oder wollen Sie Bilder besehen? Es sind hier ein Paar köstliche Passinis.

Ich plaudere lieber.

Es plaudert sich auch nirgends besser, als auf der Ausstellung in den ersten Tagen. Man kommt eigens, um zu plaudern, seine Bekannten nach dem langen Sommer, wo alle Welt fort ist, wieder zu begrüßen, die neuesten Toiletten, die die Bankiersfrau und ihre Töchter – wir Offiziersdamen spielen keine Rolle – aus Paris mitgebracht haben, zu mustern – man hat furchtbar viel zu tun, und die Bilder laufen ja nicht fort. Sie wollen nun den Winter bei uns bleiben, sagte mein Bruder?

Ein Paar Wochen wenigstens.

Dann bleiben Sie auch länger. Sie glauben nicht, wie amüsant Berlin im Winter ist! Und nun gar für Sie, dem so viel Kreise offen stehen! Ihr Herr Onkel macht ein großes Haus, sagt mein Bruder, von dem ich alle meine Weisheit habe: Künstler gehen aus und ein – natürlich, wenn die Tochter vom Hause selbst Künstlerin und überdies so schön ist! Ist sie wirklich so schön? ich bin so neugierig! Bei uns geht es freilich stiller zu und ein wenig einförmig – immer dieselben Leute – Offiziere – aber es sind treffliche Männer darunter, die Ihnen sehr zusagen werden, und unter den Damen ein paar liebenswürdige, hübsche Frauen und Mädchen. – Und dann kommt Fräulein von Strummin! Mieting! Sie hat es mir unter tausend Schwüren in Golmberg versprochen und schon ein halbes Dutzend Briefe über das Thema geschrieben – sie schreibt nämlich jeden Tag, – manchmal zwei Briefe an einem Tage; der letzte handelte nur von Ihnen.

Da wäre ich neugierig.

Das glaube ich; aber ich werde mich hüten, es Ihnen zu sagen: Ihr Herren seid so schon eitel genug. Auch mein Papa hält große Stücke auf Sie – wissen Sie das?

Ich wußte es nicht; aber ich wüßte auch nichts, worauf ich stolzer sein würde.

Er meinte – noch gestern abend, als Ottomar uns sein Zusammentreffen mit Ihnen erzählte, und daß er sie schon in Orleans kennen gelernt habe – es wäre schade, daß Sie nicht in der Armee geblieben wären. Sie hätten das so leicht gehabt, könnten noch jeden Augenblick wieder eintreten.

Sehr gütig, mein gnädiges Fräulein, und während der Kampagne habe ich wohl selbst daran gedacht; und hätte sie länger gedauert – wer weiß! Aber im Frieden! Ein Sekondeleutnant von dreißig Jahren – das geht schon nicht.

Freilich, freilich! Aber, wie wäre es mit der Marine? Das ließe sich gewiß machen, und Sie blieben gleich in Ihrem eigentlichen Berufe.

In dem bliebe ich freilich gern, antwortete Reinhold, und so geht mir denn auch eine Proposition, die mir der Herr Präsident von Sanden in diesen Tagen gemacht hat und die mich gleich zum Kommandeur befördern würde, sehr im Kopfe herum.

Zum Kommandeur? rief Else mit verwunderten Augen.

Zum Lotsenkommandeur, mein gnädiges Fräulein.

Ah!

Es lag eine Enttäuschung in dem Ausrufe, die Reinhold nicht entging. Er fuhr lächelnd fort:

Das ist der Oberbefehlshaber von ein paar Dutzend rauher, wettergehärteter, seetüchtiger Männer und von einem Dutzend tüchtiger, sturmfester, schnellsegelnder Fahrzeuge, unter denen hoffentlich auch ein oder zwei Rettungsboote sich befinden – ein bescheidener Posten, mein gnädiges Fräulein, aber doch nicht ohne Verdienst und ganz gewiß voller Gefahren und, alles in allem, wert, daß jemand, der keine großen Ansprüche an das Leben machen kann, aber gern der Welt nach seinen Kräften und Fähigkeiten nützen möchte, seine Kräfte und Fähigkeiten und, was er sonst noch zu geben hat, freudig hingibt und daransetzt. Und ich – ich bliebe noch nebenbei in meinem ganz eigentlichen Berufe.

Sie standen in einer Fensternische, ein wenig abseits von dem Strom der Menschen, der sich gerade eben besonders lebhaft den langen Korridor hinauf und hinab drängte. Else hatte, sich leicht an die Fensterbrüstung lehnend, auf die Straße mit starren Augen hinabgeblickt; Reinhold zweifelte fast, ob sie gehört, was er gesagt, als sie, plötzlich den Kopf erhebend, mit der heiteren Miene von vorhin antwortete:

Sie haben recht – das ist Ihr ganz eigentlicher Beruf. Nehmen Sie ja den Antrag an, den Ihnen der liebe alte Herr gemacht hat! Sie sehen, Sie haben Freunde in allen Kreisen. Und handelt es sich schon um eine bestimmte Stelle, wenn man fragen darf?

Ja, ich würde in Wissow meine Station haben.

In Wissow?

Sie schlug die Hände zusammen und lachte.

In unserm Wissow? nein, das ist aber köstlich! Da wären wir ja halbe Nachbarn, von Warnow aus, und auch von Strummin, wenn ich Mieting den versprochenen Gegenbesuch mache. Dann kommen wir, und Sie segeln mit uns – aber weit, weit hinaus – wollen Sie?

So weit, wie Sie wollen!

Ein Mann, ein Wort! Und nun müssen wir vorläufig unsere Entdeckungsreise fortsetzen. – Ach! du lieber Himmel! die Prinzessin Heinrich August mit den Prinzessinnen! die unglücklichen Passinis! – sie hat mich jedenfalls schon gesehen – sie sieht alles mit einem Blick; ich darf nicht mehr fort; aber –

Ich gehe! rief Reinhold.

Tun Sie's, es ist besser! Hier – haben Sie noch eine Hand! Auf Wiedersehen!

Sie reichte ihm die Hand, die Reinhold nur eine Sekunde festhielt: ihre Blicke waren bereits wieder auf die Prinzessin gerichtet. Er ging den Korridor hinab. Als er sich am Ausgang noch einmal flüchtig umwandte, sah er, wie Else eben vor der Prinzessin eine tiefe Verbeugung machte, die hohe Dame stehen blieb und Elsen ansprach.

Wie wird sie sich herausreden? dachte Reinhold. – Sie kann doch nicht sagen, daß sie in der Fensternische mit einem Lotsenkommandeur in spe geplaudert hat!


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