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Zweites Kapitel

Reinhold hatte sich gestern vergeblich bemüht, den Onkel zu überreden, in die von den Arbeitern geforderte Lohnerhöhung wenigstens diesmal zu willigen: der Schaden liege zu augenscheinlich auf seiner Seite, wenn er durch den von den Arbeitern angedrohten Streik verhindert würde, die kontraktlich übernommenen Lieferungen rechtzeitig auszuführen. Onkel Ernst war unerbittlich gewesen. Die Arbeiter andererseits, die ihre günstige Lage sehr wohl erkannten und vielleicht überschätzten, hatten nicht minder hartnäckig an ihrer Forderung festgehalten; so war es denn – nach stundenlangen Verhandlungen hinüber und herüber – endlich, da sich die Gemüter immer mehr erhitzten, zum Äußersten gekommen, und Reinhold, der diesen Ausgang geahnt und sich in der Stille darauf vorbereitet, hatte die von Wut und Branntwein Trunkenen mit der Pistole in der Hand von des Onkels Schwelle zurückscheuchen müssen. In demselben Augenblick war auch die Polizei erschienen, hatte die Rädelsführer nicht ohne Mühe verhaftet und den Krawall erstickt. Aber die Bewegung hatte sich mit Blitzesschnelle auf die Höfe der anderen Marmorfabriken fortgepflanzt; überall war es mehr oder weniger tumultuarisch hergegangen; die Arbeiter auf den Sandstein- und Back- und Bausteinhöfen wollten nicht zurückbleiben; seit heute morgen standen alle diese Werke, feierte man auf allen diesen Höfen. Die Fabrikherren hatten schleunigst eine Versammlung arrangiert; sie sollte in einer Stunde stattfinden. Onkel Ernst hatte sich bereits zu dem Gange zurecht gemacht, Reinhold war bei ihm auf dem Zimmer, noch einmal versuchend, den halsstarrigen Mann zur Milde umzustimmen, oder doch wenigstens einer ruhigeren Auffassung der Sachlage bei ihm das Wort zu reden.

Sieh, Onkel, sagte er, – ich meine, es ist hier gerade wie bei einer Meuterei auf offener See. Wenn man nicht die Macht hat, die Kerle zu Paaren zu treiben, und Schiff und Ladung nicht zugrunde gehen lassen will – von dem eigenen Leben, das in Gefahr ist, ganz abgesehen – so muß man wohl Frieden mit ihnen zu machen suchen. Das kommt einem stolzen Manne schwer an – ich weiß es aus eigener Erfahrung; aber es ist doch schließlich das Vernünftige. Die Leute wissen, daß ihr Herren große Lieferungen übernommen habt, daß ihr Tausende und aber Tausende verliert, wenn ihr eure Fabriken stehen laßt und eure Termine infolgedessen nicht einhalten könnt – sie wissen das, und auch, daß ihr werdet nachgeben müssen. Ich hätte es an deiner Stelle schon gestern getan, bevor es so weit kam, daß du auf deinem Grund und Boden allerdings nicht wohl anders konntest und dein Hausrecht brauchen mußtest. Heute liegt die Sache anders; heute handelt es sich nicht um einen einzelnen Fall, sondern um eine allgemeine Kalamität, die nach allgemeinen Grundsätzen beurteilt sein will. Und sind diese Gesichtspunkte nicht ganz die deinen, nun wohl! lasse einmal die andern gewähren, lasse dich majorisieren, wenn es sein muß; lege nicht das Gewicht deines Namens und deines Ansehens in die Wagschale der Widerstrebenden –

Onkel Ernst lachte bitter:

Das Gewicht meines Namens, meines Ansehens! ei, lieber Reinhold, du irrst dich in der Person! – heiße ich Bismarck? bin ich Reichskanzler oder Ministerpräsident? versinken sie in atemloses Schweigen, so ich mich von meinem Sitz erhebe? zittern, sie, wenn ich die Augenbrauen zusammenziehe? ducken sie sich, wenn ich um einen Ton lauter spreche? kriechen sie zu Kreuz, wenn ich drohe, den Karren stecken zu lassen? steht eine Armee hinter mir, wenn ich mit dem Fuße stampfe? Pah, unsereiner heißt Schmidt, und damit ist alles gesagt.

Nicht doch, Onkel! rief Reinhold; – damit ist nur gesagt, daß wir im Kleinen tun müssen, was der Mann im Großen tut. Und auch der große Bismarck weiß die Segel zu stellen und zu lavieren, wenn es sein muß – und sogar sehr geschickt, soviel ich von der Sache verstehe. Man muß auch von seinen Feinden lernen. Das mundet nicht gut, ich weiß es wohl, und liegt bitter auf der Zunge; aber wenn du dann ärgerlich und grimmig, wie sehr wahrscheinlich und sehr begreiflich, nach Hause kommst, so setzen wir uns zu Tisch, und da will ich dir redlich helfen, den Ärger und den Ingrimm mit einer oder zwei Flaschen extra hinunterzuspülen.

Onkel Ernst antwortete nicht sogleich; er ging, gesenkten Hauptes, die Hände auf dem Rücken, in dem Gemache auf und nieder, sich den grauen Bart streichend oder durch die buschigen Haare fahrend, in tiefstes Nachdenken versunken. Endlich schüttelte er wiederholt den Kopf, blieb stehen und sagte:

Ich kann es nicht; ich kann nicht nachgeben, ohne mich selber aufzugeben, ohne aufzuhören, der zu sein, der ich bin. Aber weshalb muß ich es sein? ich passe eben nicht mehr in diese Welt, so wenig wie sie zu mir paßt. Ich verliere nichts an ihr, sie verliert nichts an mir – im Gegenteil! der andere, der an meine Stelle tritt, wird besser wissen, was man zu tun und zu lassen hat, um mit ihr in Frieden zu leben. Sei du dieser andere, Reinhold!

Ich? rief Reinhold erstaunt.

Du! – Du bist eine echte Schmidtsche Natur und hast dich so viel von den Wellen durchschütteln und durchrütteln lassen, daß der Stoß schon verzweifelt hart kommen müßte, den du nicht aushalten könntest. Du hast in deiner Jugend was gelernt, bist dann so lange draußen gewesen und siehst die Dinge vielleicht richtiger als unsereiner, der immer darin gesteckt und am Ende den klaren Blick verloren hat. Du bist durch keine Vergangenheit gebunden, durch kein Programm, mit dem du stehen und fallen mußt, kannst dir im Gegenteil ein ganz neues nach deiner Einsicht und nach den Verhältnissen schaffen, wie du sie siehst. Und dann, warum ich dich und dich vor allem zum Nachfolger haben möchte, – ich –

Onkel Ernst stockte, wie jemand, der das Schwerste, Wichtigste noch zu sagen hat und sich erst durch einen tiefen Atemzug dazu Kraft schöpfen muß –

– ich habe dich lieb, Reinhold, und – und – ich glaube, daß du mich auch ein wenig lieb hast, und das ist mehr, als ich von irgend einem Menschen auf der Welt außer dir zu sagen wüßte. Er hatte sich zum Fenster gewandt, an dem er stehen blieb.

Reinhold trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Lieber Onkel –

Onkel Ernst blieb abgewendet.

Lieber Onkel! ich danke dir von ganzem Herzen für deine Liebe, die du mir wahrlich aus freien Stücken schenkst – denn womit hätte ich sie groß verdient? Das gestern hätte ich für den ersten besten Kapitän getan, dessen Steuermann ich seit vierundzwanzig Stunden war. Wenn freilich Liebe Liebe verdient, dann verdiene ich die deine: ich liebe und verehre dich, wie nur ein Sohn seinen Vater lieben und verehren kann. Aber daß ich der einzige wäre, der dich liebt, sagst du jetzt wohl nur in deiner trüben Stimmung und denkst es hoffentlich nicht; und wenn du es wirklich denken solltest, so weiß ich es besser als du.

So? sagte Onkel Ernst, – weißt es besser? nichts weißt du davon. Hast du dir schon in hilfloser Angst und Verzweiflung Haar und Bart gerauft, wenn die Natur ihr Werk zu langsam zu tun schien? und bist du in die Knie gesunken, wie ein Begnadigter, als der erste Schrei deines Kindes dir ins Ohr tönte? Hast du Kinder auf den Knien gewiegt und heimlich und verstohlen in ihren lachenden Augen all dein Glück gefunden? und dann gesehen, wie diese Augen dich nicht mehr anlachten, wie sie scheu über dich hinglitten und sich abwandten – die Augen und die Herzen! Dergleichen muß man erlebt haben!

Du kannst im schlimmsten Falle doch nur von Philipp sprechen, sagte Reinhold; – und auch hier siehst du gewiß zu schwarz; aber Ferdinande! Und wenn nicht alles ist, wie es sein sollte: bist du nicht auch ein wenig daran schuld, lieber Onkel? So ein Mädchenherz will Sonnenschein, viel Sonnenschein! ich habe während dieser Tage nicht gehört, daß du ein einziges Mal nur halb so gütig zu ihr gesprochen hättest, wie du doch stets mit mir sprichst –

Weil du mich verstehst, – rief Onkel Ernst; Ferdinande versteht mich nicht; ich verlange das auch freilich nicht – von ihr, wie von keinem Frauenzimmer. Sie sind nicht dazu auf der Welt; sie sind da, um zu kochen und zu stricken, wie Rike; oder, weil sie doch nicht alle kochen und stricken können, sich die Zeit mit Klavierspielen, Bildhauerin-Spielen und so weiter zu vertreiben. Ich halte es für eine der hauptsächlichsten Ursachen der Jämmerlichkeiten und Nichtsnutzigkeiten unserer Zeit, daß man den Frauenzimmern einen so großen Spielraum gibt und sie in tausend Dinge hineinreden läßt, die ein für allemal über ihrem Horizonte liegen. Übrigens, wenn du so große Stücke auf das Mädchen hältst – und ich gebe zu, sie ist ein bißchen mehr wert als sonst die Schnattergänse – heirate sie doch! Du hättest dann gleich einen Rechtstitel, mir den Kram da draußen abzunehmen.

War das einer von des Onkels grimmigen Scherzen? war es sein Ernst? Reinhold wußte es nicht. Glücklicherweise wurde er der Antwort durch ein Klopfen an der Tür überhoben.

Es war Cillis Vater, der alte Herr Kreisel, der auf des Onkels: Herein! in das Zimmer kam.

Was gibt's, Kreisel? sagte Onkel Ernst; – aber, Mensch, wie wunderlich habt Ihr Euch ausstaffiert? wollt Ihr zu einem Begräbnis?

Die Toilette des alten Herrn schien Onkel Ernsts Frage zu rechtfertigen: aus dem steilen Kragen des altertümlichen schwarzen Fracks mit den langen, spitzen Schößen ragte das kahle Köpfchen nur eben noch hervor, während die Stiefel unter den kurzen, verschabten, schwarzen Beinkleidern desto freieren Spielraum hatten. Dazu trug er in den Händen einen hohen Zylinder mit sehr schmaler Krempe von einer längst verschollenen Mode, und ein paar Handschuhe, deren einstiger Glanz mit der Zeit ebenso verblichen war, wie die Farbe auf seinem kleinen Gesicht, dessen ängstlicher, vergrämter Ausdruck nur zu gut zu seinem Anzug paßte.

In der Tat, ich will zu einem Begräbnis, antwortete er mit seiner leisen, zitternden Stimme.

Nun, so macht, daß Ihr fortkommt, sagte Onkel Ernst. – Wer ist es denn?

Ich selbst.

Onkel Ernst tat seine großen Augen weit auf: Seid Ihr toll geworden, alter Freund?

Ich glaube, nein, erwiderte Herr Kreisel; – aber ich will zu einer gelegeneren Zeit noch einmal vorsprechen.

Zu Eurem Begräbnis? wiederholte Onkel Ernst; – ich bin jetzt nicht zu Scherzen aufgelegt, – ach was, Reinhold, bleib! und nun heraus mit der Sprache, Kreisel! was gibt's? was wollt Ihr?

Meinen Abschied! sagte der alte Herr, aus der Seitentasche des Fracks ein weißes Tuch nehmend und sich den kahlen Schädel wischend, auf dem große Tropfen standen; – und das darf ich wohl meinem Begräbnis gleich erachten.

Nun, dann laßt Euch begraben! donnerte Onkel Ernst.

Der alte Herr zuckte zusammen, als wenn er wirklich tödlich getroffen wäre; Reinhold stand verlegen und bekümmert; Onkel Ernst durchmaß mit großen Schritten das Zimmer, blieb dann mit scharfer Wendung vor dem kleinen Manne stehen und grollte aus seiner Höhe auf ihn herab:

So! das ist ja denn recht schön von Euch! vierzehn Jahre haben wir nun zusammen gearbeitet in Freud und Leid; nie habt Ihr ein unebenes Wort aus meinem Munde gehört, das ich Euch nicht hinterher wieder abgebeten hätte, denn Ihr mit Euren schwachen Nerven könnt dergleichen nicht vertragen, und ich könnte Euch so wenig was zuleide tun, wie Eurer armen Cilli. Und wenn ich nicht genug für Euch getan, so ist's nicht meine Schuld – ich habe aus freien Stücken Euer Gehalt verdoppelt und hätt's verdreifacht, wenn Ihr mir gesagt: ich brauch' es! nur, daß Ihr nie den Mund aufgetan habt und ich von jeher Euch alles aufzwingen mußte – und jetzt, wo – das verstehe der Teufel! ich verstehe es nicht!

Sie können es auch nicht verstehen, Herr Schmidt, wenn Sie mir nicht verstatten, meine Gründe zu sagen, erwiderte der Buchhalter, seinen Hut verzweiflungsvoll in den Händen drehend.

Nun, so sagt sie in – in meines Neffen Gegenwart; ich habe keine Geschäftsgeheimnisse vor ihm.

Es ist auch so eigentlich kein Geschäftsgeheimnis, sagte der Buchhalter; – es ist mein Geheimnis, das mir nur schon zu lange auf der Seele brennt und das endlich zu gestehen mir in Gegenwart des Herrn Kapitän, der gegen mich und meine Tochter so überaus freundlich gewesen, sogar verhältnismäßig leicht wird. Ich muß Sie verlassen, Herr Schmidt, bevor Sie mich wegschicken, wie Sie am Donnerstag die Dreißig weggeschickt haben; auch ich –

Er hielt den Hut jetzt fest, und das zitternde Stimmchen wurde fest; und er richtete die kleinen, zwinkernden Augen fest auf Onkel Ernst:

Auch ich bin Sozialist!

Es war gewiß ein heroischer Entschluß für den alten Herrn und eine tragische Situation, in der er sich befand; dennoch hätte Reinhold beinahe laut aufgelacht, als Onkel Ernst, anstatt in seiner Weise aufzuflammen und loszudonnern, nur die Augen weit aufriß und dann in einem bei ihm ganz ungewöhnlich ruhigen, fast milden Ton sagte: Seid Ihr nicht auch Kommunist?

Ich halte auch den Kommunismus unter Umständen für berechtigt, erwiderte der alte Herr, die Augen wieder senkend, mit tonloser Stimme.

Dann geht nach Haus, sagte Onkel Ernst, und schlaft eine Stunde, Euch von Eurer Aufregung zu erholen, und wenn Ihr wieder erwacht, denkt, daß Ihr die ganze Geschichte geträumt habt; und nun kein Wort mehr, oder ich werde ernstlich böse.

Der alte Herr wagte nicht zu widersprechen; er verbeugte sich zur Tür hinaus mit einem Blick auf Reinhold, der sagen zu wollen schien: Sie sind mein Zeuge: ich habe meine Schuldigkeit getan.

Reinhold ergriff des Onkels Hand: ich danke dir!

Wofür? daß ich den armen alten Narren nicht ernsthaft nehme? Pah! er versteht von diesen Dingen gerade so viel, wie ein neugeborenes Kind, und hat sich das so aus seinen Büchern zusammengelesen, über denen er die halbe Nacht verbringt, weil er nicht schlafen kann, und seine Cilli, das gute, arme Geschöpf, leistet ihm dabei Gesellschaft. Die Sorte Sozialismus kann man sich schon gefallen lassen. – Nun?

Grollmann, der alte Diener, war eingetreten mit einem verlegenen Gesicht und einer Visitenkarte, die er aus der einen Hand in die andere nahm, als ob sie ein Stück heißes Eisen wäre. Und als hätte er sich an dem glühenden Eisen verbrannt, warf Onkel Ernst, nachdem er einen Blick darauf geworfen, die Karte auf den Tisch. – Bist du verrückt?

Der junge Herr war so dringend, sagte Grollmann.

Ich bin für ihn nicht zu sprechen – ein für allemal.

Es wäre nur auf ein paar Augenblicke; der Herr Kapitän hätten ihn ja auch bereits angemeldet.

Was heißt das, Reinhold?

Reinhold hatte den Namen auf der Karte gelesen – Philipp hat mich in der Tat gebeten, erwiderte er, gleich das erste Mal, als ich ihn traf, und vorgestern, als ich ihm meinen Besuch machte –

Du hast ihm einen Besuch gemacht?

Ich hielt es für meine Schuldigkeit – ihm die Erlaubnis einer Unterredung mit dir auszumitteln; ich –

Er mochte in Gegenwart des Dieners, wie genau auch das alte Faktotum die Familienangelegenheiten kennen mußte, das Thema nicht fortsetzen; auch Onkel Ernst schien verlegen:

Ich muß in die Versammlung, sagte er.

Du hast noch eine Viertelstunde, Onkel, sagte Reinhold.

Es wäre nur für ein paar Augenblicke, wiederholte Grollmann.

Onkel Ernst ließ seine zürnenden Blicke von dem einen zum anderen schweifen, als wollte er sie für die Folgen im voraus verantwortlich machen: er mag hereinkommen!

Wünschest du, daß ich hier bleibe, Onkel?

Es ist besser, wenn du uns allein läßt.

Reinhold war der Ansicht nicht; er kannte Onkel Ernsts Gesicht jetzt schon genau, um nicht zu wissen, daß ein Sturm in bedrohlicher Nähe stand. Seinem ausgesprochenen Willen mußte freilich Folge geleistet werden.

Er begegnete Philipp in der Tür. Philipp war untröstlich, daß er Reinhold verdränge; der Papa und er seien gewiß in einer wichtigen Verhandlung begriffen gewesen; er könne ja ein andermal wiederkommen.

Ich weiß nicht, ob ich ein anderes Mal für dich zu Hause bin, murrte Onkel Ernst.

Reinhold tat, als ob er das verletzende Wort nicht gehört, und eilte, sich entschuldigend, davon.

Die Tür hatte sich hinter ihm geschlossen; Vater und Sohn standen sich gegenüber.

Was wünschest du von mir? fragte Onkel Ernst, als ob er mit einem Dritten spräche, der einige Schritte rechts von Philipp auf dem Boden kauerte.

Ich komme in Geschäften, antwortete Philipp, als ob der Angeredete einige Fuß rechts über dem Vater in der Luft schwebte.

Ich mache keine Geschäfte mit dir.

Dann vielleicht mit der Direktion der Berlin-Sundiner Eisenbahn-Gesellschaft.

Ich mache keine Geschäfte mit der Direktion der Berlin-Sundiner Eisenbahn-Gesellschaft.

Du stehst dir damit sehr im Licht. Das Geschäft würde für dich eminent vorteilhaft sein. Wir haben jetzt die Konzession für die Inselbahn, die Fortsetzung unserer Bahn, in der Tasche. Unser hiesiger Bahnhof muß erweitert werden. Als ich noch das Vergnügen hatte, mit dir zusammen zu arbeiten, haben wir gemeinschaftlich das Terrain gekauft, auf dem der Bahnhof steht –

Auf deinem Anteil, wenn du erlaubst.

Auf meinem Anteil, weil du den deinigen nicht veräußern wolltest –

Zum Ankauf des deinigen hatte ich dir das Geld vorgeschossen, – soviel ich weiß, hattest du damals keines.

Ich bin dir noch nachträglich sehr dafür verbunden – du hast damit den Grund zu meinem jetzigen Wohlstand gelegt, als ich, die Konjunktur erkennend und benutzend, einen Teil an die Gesellschaft verkaufte –

Den du nicht verkaufen durftest.

Ich hatte dir bereits vorher dein Geld bei Heller und Pfennig mit den landesüblichen Zinsen zurückbezahlt.

Und nur einen kleinen Umstand vergessen, daß ich dir das Geld zu dem alleinigen Zwecke gegeben, mit mir billige Arbeiterwohnungen auf dem Terrain zu errichten. Freilich – das hatten wir nicht schriftlich gemacht.

Zum Glück für mich, und, ich sollte meinen, auch für dich! Nachdem, was gestern bei dir vorgefallen, wirst auch du wohl die Lust verloren haben, den Herren Stricke- und Krawallmachern den Brotkorb noch tiefer zu hängen, wie du es bisher auf deine Kosten getan. Aber du kannst jetzt wieder auf die Kosten kommen. Deine Arbeiterkolonie hat ja, sowieso, nie gedeihen wollen und liegt längst in den letzten Zügen. Mache der Geschichte ein Ende! Der Quartalswechsel steht vor der Tür; wir brauchen das Terrain erst zu Neujahr; ein Teil der Wohnungen wird auch jedenfalls jetzt schon frei, besonders, wenn du gehörig exmittieren läßt, und wir wollen zahlen, als ob deine Cottages ebenso viele vierstöckige Mietskasernen wären.

Woher nehmt ihr das Geld, wenn ich fragen darf?

Woher? wo wir es immer hergenommen haben.

Wo ihr es immer hergenommen habt! erwiderte Onkel Ernst.

Es war das erste Mal, daß er den Blick streng und fest auf seinen Sohn wandte.

Das heißt also, aus den Taschen des Publikums, dessen Leichtgläubigkeit ihr mit marktschreierischen und lügenhaften Prospekten auf das Schamloseste belogen und betrogen habt, dessen bange Hoffnung ihr mit Scheindividenden stiftet, die es selbst bezahlen muß, dessen laute Klage ihr in euern sogenannten Generalversammlungen frech erstickt, bis sich einmal ein Staatsanwalt darauf besinnt, daß Macht nicht immer vor Recht geht. Ich habe nicht gern mit dem Staatsanwalt zu tun – und mein Wagen hält vor der Tür.

Der meinige auch, sagte Philipp, sich auf den Hacken umdrehend und das Zimmer verlassend.

Onkel Ernst ging zu einem Seitentischchen und schenkte sich ein großes Glas voll; die Flasche klirrte an das Glas; er brachte das Einschenken nur mühsam zustande und goß den Wein in einem Zuge hinunter.

Er stand da, auf der Stirn eine rote Zorneswolke, die eine Hand auf den Tisch gestemmt, vor sich hinbrütend.

Ich wollte es nicht, murmelte er, – ich wollte ruhig bleiben. Als er hereintrat, erinnerte er mich an seine Mutter – auch ein leeres Gesicht; sie hat mich nie verstanden; aber er war doch nur die Karrikatur – die Leere ausgefüllt mit Brutalität! – Und dann die Stimme – auch ihre Stimme – ihre blecherne Stimme, wenn sie mir ihre hausbackene Weisheit auftischte – nur mit Frechheit verquickt – der freche, elende Bube!

Er goß ein zweites Glas hinunter.

Die rote Wolke auf der Stirn war nur noch dunkler geworden.


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