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Viertes Kapitel

Es war ein kleines niedriges Haus, das in einem wunderlichen Mißverhältnis stand mit dem breitschultrigen, hochgewachsenen Mann, den das wütende Gebell des Hofhundes aufmerksam gemacht hatte und der jetzt, einen kläffenden Teckel mit dem Fuß zurückschleudernd, in der Tür, die er beinahe ausfüllte, die späten Gäste empfing. Und klein und niedrig war auch das Stübchen linker Hand, in das er sie hineinführte, und dürftig genug die Ausstattung. – Es sei auf der andern Seite noch ein Zimmer, sagte Herr Pölitz; – er wisse freilich nicht, ob es für den Augenblick praktikabel. Auch möchten die Herrschaften seine Frau entschuldigen; sie könne wohl nicht gleich abkommen, werde sich aber dann die Ehre geben.

Der Mann sagte das, während er mit schwerfälliger Höflichkeit Stühle um den großen runden Tisch rückte, der vor dem kleinen harten Sofa stand, und die Herrschaften einlud, Platz zu nehmen. Seine gastfreundlichen Bemühungen waren augenscheinlich ehrlich genug; aber es war ein gedrückter Ton in seiner Stimme, der Elsen nicht entging. Sie bat, die Frau vom Hause aufsuchen zu dürfen; wartete auch die Erlaubnis nicht ab, sondern verließ das Zimmer, kam aber nach wenigen Minuten wieder und sagte, nachdem sie den Pächter unter dem Vorwande, daß die Frau ihn zu sprechen wünsche, hinausgeschickt: Wir können nicht hier bleiben, meine Herren! Die guten Leute, denen es so nicht sonderlich zu gehen scheint, haben zwei kranke Kinder; die arme Frau weiß nicht, wo ihr der Kopf steht; es wäre grausam, ihr zu der Sorge um die Kinder noch die schwere Last der Bewirtung so vieler Gäste aufzuladen.

Da bleibt in der Tat nichts anderes übrig, als die Gastfreundschaft des Grafen anzusprechen; sagte der Präsident, sich zum General wendend; – der Graf und ich sind die besten Freunde von der Welt; unsere kleinen Differenzen sind in diesem Falle völlig irrelevant. Übrigens ist er vielleicht nicht einmal auf dem Jagdschloß, und wir werden nur mit dem Kastellan zu tun haben. Ich bin unbedingt dafür, daß wir nach Golmberg übersiedeln; die Frage ist nur, wie wir hinaufkommen?

Der Pächter, der unterdessen das Zimmer wieder betreten, wollte von dem Vorschlage nichts wissen. – Es sei grausames Wetter; und wenn auch der Regen bald nachlassen sollte, die Wege seien schlimm; seine Frau werde schon Rat schaffen; die Herrschaften müßten eben vorlieb nehmen.

Die Herren blickten einander verlegen an; aber Else blieb fest.

Herren verstehen von dergleichen nichts, sagte sie; – das ist Frauensache; und ich habe mit Ihrer Frau alles verabredet, Herr Pölitz. Sie kocht mir eben eine Tasse Kaffee; die Herren sollen einen Grog haben. Und während wir uns so erquicken, schickt Herr Pölitz einen reitenden Boten nach Golmberg, der uns anmeldet, damit wir nicht ganz unerwartet kommen. Ist der Graf auf dem Schloß, so sind wir ihm diese Rücksicht schuldig; ist er nicht da – desto besser – so haben wir es nur mit dem Kastellan zu tun. Dann läßt, wenn der Regen nachgelassen, Herr Pölitz anspannen –

Ich könnte den Herrschaften nur einen Leiterwagen offerieren, sagte der Pächter.

Und der reicht auch vollkommen aus, rief Else; eine Kutsche würde sich für Schiffbrüchige gar nicht schicken. Und nun, Herr Pölitz, seien Sie so gut und vernünftig, wie Ihre kleine gute vernünftige Frau!

Sie reichte dem Pächter beide Hände. In dem braunen Gesicht des Mannes zuckte es seltsam.

Sie sind ein braves Fräulein, murmelte er, indem er die kleinen Hände, die in den seinen lagen, kräftig drückte.

Der Präsident hatte bereits ein Blatt aus seinem Portefeuille genommen und sich an das kleine offene Pult des Pächters gesetzt, die Anmeldung zu schreiben.

Wie war doch noch der Name, Herr Kapitän? sagte er, über die Schulter gewandt.

Reinhold war nicht mehr im Zimmer; er konnte es eben erst verlassen haben. Die Magd, die mit den Kaffeesachen hereintrat, berichtete, der Herr habe sich auf dem Flur den Regenmantel angezogen und gesagt, er müsse sehen, was aus dem Dampfer geworden.

Ein echter Seemann! sagte der General; läßt ihm keine Ruhe; – würde mir ebenso gehen.

Müssen wir ihn überhaupt mit anmelden? was meinen Sie? fragte der Präsident Elsen leise.

Auf jeden Fall! sagte Else mit Entschiedenheit.

Vielleicht wünscht er es nicht einmal?

Möglich; aber wir müssen ihm die Entscheidung überlassen. Sein Name ist Schmidt.

Klassischer Name, murmelte der Präsident, sich über sein Blatt beugend.

Der Bote war abgeschickt; der Pächter leistete den Herren Gesellschaft, während Else sich wieder in die kleine rußige Küche zu der Frau begeben hatte, ihr mitzuteilen, was sie ausgerichtet.

Ich muß Ihnen ja Wohl danken, sagte die Frau, obgleich es mir schwer fällt, recht schwer –

Sie drückte den Zipfel der Schürze gegen die Augen und wandte sich nach dem Herdfeuer.

Ich meine nicht das Danken, fuhr sie fort; aber mein Mann tut mir leid; es ist wohl das erste Mal, daß er so Gäste von seinem Haus gehen lassen muß.

Es ist ja nur der Kinder wegen, sagte Else.

Ja, ja, sagte die Frau; aber wir haben auch sonst wohl die Kinder krank gehabt, ohne daß wir gleich jedem damit unter die Augen treten mußten – als wir noch in Swantow wohnten – das ist eine Stunde von hier – auch gräflich. Da haben wir geheiratet vor sechs Jahren; aber die Zeiten waren zu schlecht, und die Pacht zu hoch, –

Konnte der Graf nicht helfen?

Der Graf?

Die Frau schaute auf; ein schmerzliches Lächeln irrte über das abgehärmte Gesicht. Sie schien etwas aus den Lippen zu haben; aber sie sagte es nicht, sondern schaffte schweigend an ihren Töpfen.

Er ist nicht gut, der Graf? fragte Else.

Er ist nicht verheiratet, erwiderte die Frau; er weiß nicht, wie einem Vater und einer Mutter zu Mute ist, wenn sie von Haus und Hof müssen, wo die ersten Kinder geboren sind und wo man sie alle groß zu ziehen dachte. Und es wäre ja auch hier gegangen, obgleich die Pacht wieder zu hoch ist, wäre der Krieg nicht gewesen. Mein Mann mußte als Landwehrmann mit, und unsere beiden besten Knechte auch. Ich hab' geschafft, über meine Kräfte; aber was kann so eine arme Frau! Ach, liebes Fräulein, von solcher Not wissen Sie nichts, und Gott mag Sie behüten, daß Sie je was davon erfahren!

Else hatte sich auf einen Schemel gesetzt und starrte in die Flammen. – Wenn sie das vorher gewußt hätte! Sie hatte geglaubt, der Graf sei verheiratet; seltsam, seltsam, daß sie nicht danach gefragt! daß die Herren nicht davon gesprochen! wenn er nun doch auf dem Schlosse war! – in Begleitung des Vaters und des würdigen Präsidenten – freilich! aber Tante Sidonie, wenn sie es erführe, würde es sehr unpassend finden. Und wäre er nur noch ein gütiger Herr, so daß man ihm bei der ersten Begrüßung hätte sagen können: ich habe von Ihren Pächtersleuten so viel Gutes über Sie gehört, Herr Graf – es war recht ärgerlich! – Konnte man es denn nicht noch rückgängig machen?

Eines der kranken Kinder in der Stube neben der Küche fing an laut zu weinen; die Pächterin eilte davon – es ist recht ärgerlich, wiederholte Else.

Ein Topf am Feuer drohte überzukochen; sie rückte ihn beiseite, nicht ohne ihre Hände mit Ruß zu schwärzen. Der Wind, der den Schlot herunterpolterte, trieb ihr den Rauch ins Gesicht. Die schlecht schließenden Fenster klapperten; das Kind nebenan weinte kläglicher. – Arme Frau, seufzte Else; es ist etwas Schreckliches darum, arm zu sein. Ob er auch wohl arm ist? er scheint nicht reich. Wie mag so ein Schiffskapitän leben, wenn er nicht auf der See ist? Wäre er am Ende gar verheiratet, wie der Graf unverheiratet? oder hat er anderswo in fernen Landen ein Liebchen, an das er dachte, während er so rastlos auf dem Verdeck patrouillierte? Das muß ich doch noch erfahren, bevor wir auseinandergehen; es wird sich schon eine Gelegenheit dazu finden. Und dann bitte ich ihn, sie von mir zu grüßen und ihr zu sagen, daß sie einen Mann bekommen wird, auf den sie stolz sein kann, auf den jedes Mädchen stolz sein würde. Ich meine: ein Mädchen aus feinem Stande. Ich zum Beispiel – lieber Gott! man heiratet doch nicht ein Paar treuherziger Augen, besonders, wenn auf Mesalliance Enterbung in der Familie steht! Eine wunderliche Einrichtung ist es; aber Schmidt ist auch kein schöner Name: Frau Schmidt!

Die junge Dame mußte lachen, und dann wurde ihr plötzlich ganz seltsam weich ums Herz, und die Tränen traten ihr in die Augen. Sie griff nach dem Tuche und fühlte einen harten Gegenstand in der Tasche. Es war der kleine Kompaß, den er ihr vorhin auf dem Boote gegeben, als sie, neben ihm sitzend, die Richtung, in der das Boot steuere, wissen wollte. Sie öffnete die Kapsel und schaute hinein. In dem Deckel war mit zierlichen goldnen Lettern der Name eingelegt: Reinhold Schmidt, und die Nadel zitterte und zeigte von ihr fort, und immer zitternd fort in dieselbe Richtung nach dem Namen, so oft sie die Kapsel auch in der Hand drehte und wandte. – Als ob sie Herrn Reinhold Schmidt sucht! sagte Else: die ist treu! Ich würde auch treu sein, wenn ich einmal liebte, und zu meinem Mann stehen und die Kinder hegen und Pflegen – und in sechs Jahren so welk und blaß und abgehärmt aussehen, wie die arme Frau nebenan, die gewiß ein recht hübsches Mädchen gewesen ist. Gott sei Dank, daß ich nicht liebe!

Sie schloß die Kapsel, ließ sie wieder in die Tasche gleiten und sagte in das Zimmerchen hinein, in dem es nun still geworden: das Wasser kocht; aber bleiben Sie nur drinnen, liebe Frau Pölitz; ich werde es selbst den Herren bringen! – und bei sich sprach sie: er wird nun wohl wieder zurück sein.

Reinhold hatte vorhin das Zimmer und das Haus verlassen, nach dem Dampfer zu sehen, dessen Schicksal ihn nun doch besorgt machte. Der Sturm war schneller und heftiger hereingebrochen, als er erwartet. Wenn das Schiff mittlerweile nicht flott geworden, stand Schlimmes, vielleicht das Schlimmste zu befürchten. Er machte sich Vorwürfe, nicht an Bord geblieben zu sein, wo seine Anwesenheit in diesem Augenblicke vielleicht so dringend nötig war! Freilich war nur dadurch, daß er selbst für das Fortgehen stimmte, der Eigensinn des Generals gebrochen worden, der ohne das sicher geblieben wäre, und mit ihm die Tochter. Aber welche Verpflichtungen hatte er gegen beide? er hatte auch keine gegen das Schiff – gewiß nicht! und der alte eigensinnige Kapitän hatte seine Ratschläge schroff und plump zurückgewiesen; dennoch – der Soldat marschiert auf den Donner der Kanonen los! – er wußte es vom Kriege her; hatte es mehr als einmal selbst getan mit den atemlosen, keuchenden Kameraden, die nur der eine Gedanke beseelte: werden wir noch zur rechten Zeit kommen? Und da vor ihm donnerte es näher und näher, während er die Dünen hinaufstürmte; aber was konnte er jetzt helfen?

Gott sei Dank! das Schiff war außer Gefahr! Da – eine halbe Meile weiter nach Süden – trotz der großen Entfernung durch Nacht und Regen dem scharfen Auge wohl erkennbar – flimmerte ein lichter Punkt. Und jetzt verschwand der lichte Punkt; es konnte nur hinter dem Wissower Haken sein, und dort – auf bestem Ankergrund – mochte der Dampfer in aller Ruhe den Sturm durchwettern – Gott sei Dank!

Er hatte es vorausgesehen und vorausgesagt; und doch schien es ihm jetzt als ein Gnadengeschenk des Himmels. Und dafür mochte er denn auch den Schmerz, das schöne Mädchen zum letzten Male gesehen zu haben, demütig auf sich nehmen. Ja, zum letztenmal! In dem Augenblick, als sie das sichere Haus erreichten, wohin er sie zu führen versprochen, war sein Dienst beendet. Was nun noch kam, ging ihn nichts an: das war Sache des Herrn Generals. Wollten sie nach dem Grafenschlosse übersiedeln – für ihn würde wohl noch ein Platz in dem Pächterhause sein. Er hatte jetzt nur noch zurückzukehren und lebe wohl zu sagen: lebe wohl! lebe wohl!

Er sagte es zwei – dreimal; er sagte es immer wieder, als wär's das Wort, das jede Welle rauschte, die sich da unter ihm donnernd auf dem Strande brach; das Wort, das die harten Gräser unter seinen Füßen zischelten; das Wort, das der Wind in langen bangen Tönen durch die öden Dünen klagte und stöhnte; das Wort, das jeder Schlag seines Herzens schlug, auf dem ihr Handschuh ruhte, und auf den er jetzt immerfort die Hand preßte, als könnte ihm der Sturm das Kleinod entreißen, das einzige Zeichen, das ihm später sagen sollte: es ist doch mehr gewesen, als ein wirrer, köstlicher Traum!

Wie lange er so in der schwarzen heulenden Nacht geträumt – er wußte es nicht, als er sich endlich aufraffte, um zurückzukehren. Der Sturm und der Regen hatten nachgelassen; hier und da blickte ein Stern durch die jagenden Wolken. Es mochte wohl eine Stunde vergangen sein; er würde sie ohne Zweifel nicht mehr finden.

Dennoch ging er schneller und schneller den schmalen sandigen Pfad, der durch die Felder nach dem Gehöft führte. In kürzester Frist hatte er es erreicht, und da stand er nun an dem Eingang zwischen den beiden Scheunen. Auf dem kleinen Hof schwankten Laternenlichter hin und her; vor dem Hause erglänzten hellere Lichter, in deren Schein er die Umrisse von Wagen und Pferden unterschied und ein paar dunkle Gestalten, die um die Wagen beschäftigt waren. – So waren sie doch noch nicht fort!

Ein jäher Schreck durchzuckte ihn. Sollte er wieder zurücktauchen in das Dunkel? sollte er hervortreten? – Vielleicht hatten sie nur auf ihn gewartet, warteten noch? – Nun denn! so mochte es sein! Eine Pflicht der Höflichkeit! Sie kostete ja niemand etwas, als ihn allein!


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