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Vierzehntes Kapitel

An demselben Abend saßen in einem eleganten Salon des Hotel Royal unter den Linden an einem mit Karten und Plänen bedeckten Tische Graf Golm und der Geheimrat Schieler. Die Herren hatten über einer Flasche Wein lange und eifrig diskutiert; die lebhaften Farben in dem Gesicht des Grafen waren besonders intensiv, auch sprach sich ein gewisser Unmut in seinen Zügen aus, als er sich jetzt in den Schaukelstuhl zurücklehnte und sich schweigend hin und her zu wiegen begann; der Geheimrat blätterte noch ein wenig in den Plänen, nippte an seinem Wein, lehnte sich dann ebenfalls zurück und sagte:

Ich finde Sie doch, alles in allem, weniger geneigt, Herr Graf, auf unsere Projekte einzugehen, als ich nach unseren schriftlichen Verhandlungen vermuten durfte.

Aber ist denn das noch unser Projekt! rief der Graf, aus seiner Lage emporschnellend; – was geht mich denn eigentlich die ganze Geschichte noch an, wenn ihr einen Nordhafen wollt, anstatt eines Osthafens? die Bahn wird dann eines meiner Güter durchschneiden und ein zweites berühren – voilà tout! ich wüßte nicht, weshalb ich mich deshalb echauffieren sollte!

Wir wollen den Nordhafen doch nur, weil wir den Osthafen nicht bekommen können, erwiderte der Geheimrat gelassen; – zu einem Nordhafen wird sich die Regierung zur Not verstehen, zu einem Osthafen – nun, Herr Graf, mir deucht, nach den so überaus interessanten Äußerungen, die Sie aus dem Munde des Generals und des Präsidenten an Ihrem eigenen Tische gehört haben, müßten wir doch die Hoffnung endlich draußen lassen. Verschaffen Sie uns die Konzession des Osthafens, und die Sundin-Wissower Eisenbahn-Gesellschaft ist morgen fertig.

Wie kann ich das, wenn Sie das nicht können, der Sie an der Quelle sitzen!

Der Geheimrat zuckte die Achseln: Ich habe, wie Sie wissen, Herr Graf, kein Amt mehr, nur hier und da eine Meinung zu äußern. Daß ich es nach der Seite nicht habe fehlen lassen, werden Sie mir ohne Versicherung glauben.

Und Sie haben ihn nicht herumkriegen können?

Den kriegt man nicht so leicht; und überdies darf man ihm in diesem Augenblicke, wo er die saubere Kreisordnung durchzudrücken hat, am wenigsten mit Fragen kommen, die das famose Prinzip der Selbstverwaltung, das die Order des Tages ist, zu alterieren scheinen. Indessen – ich sage das im tiefsten Vertrauen, Herr Graf – wird er, sobald die Kreisordnung, die ihm, wie Sie wissen, sehr gegen den Strich geht, mittels eines kleinen Pairschubs durch das Herrenhaus gebracht und damit nach meiner und, ich glaube, aller Patrioten Empfindung das Grab Preußens gegraben ist – von dem so unbehaglich gewordenen Vorsitz im Ministerium grollend zurücktreten, und wir haben – im nächsten Jahre – bessere Chancen.

Aber so lange möchte ich nicht warten, sagte der Graf.

Er war aufgesprungen und durchmaß einige Male mit hastigen Schritten das Gemach; jetzt trat er wieder an den Tisch, an dem der Geheimrat – sicher, daß damit die Unterredung nicht zu Ende sein werde, ruhig sitzen blieb.

Und gesetzt, daß ich so lange warten wollte, so fragt sich noch sehr, ob ich es werde können. Dies ist eine vertrauliche Unterredung, Herr Geheimrat. Nun denn: ich bin in einer schlimmen Lage. Die Zinsen meiner Schulden verschlingen bereits jetzt beinahe meine Revenuen – dazu sind mir, schändlicherweise, zum ersten Oktober fünfzigtausend Taler gekündigt.

Haben Sie nicht mit Hugo Lübbener gesprochen? ich sollte meinen, ein so kulanter Mann und Ihr langjähriger Bankier –

Er ist es erst seit drei Jahren, nachdem Sie ihn mir so dringend empfohlen, indessen mein Konto bei ihm steht sehr schlecht – die Abrechnung vom Juli ist noch bis auf den heutigen Tag nicht reguliert: ich kann Lübbeners Gefälligkeit nicht weiter in Anspruch nehmen; ich habe noch gar nicht einmal gewagt, mich bei ihm sehen zu lassen.

Hm, hm! sagte der Geheimrat mit der Miene eines Mannes, dem eine Sache, die er genau zu kennen glaubte, von einem durchaus neuen Gesichtspunkte gezeigt wird; – ich meinte, Ihre Angelegenheiten seien – abgesehen von vorübergehenden Verlegenheiten – doch im ganzen geordnet. Was Sie mir da – ich hoffe mit einiger hypochondrischen Übertreibung, mitteilen, überrascht mich sehr – sehr –

Ich übertreibe nicht, entgegnete der Graf, – ich habe im Gegenteil eher zu wenig, als zu viel gesagt.

Dann aber begreife ich um so weniger, weshalb Sie auf unser Projekt nicht eingehen. Der Wert der beiden Güter steigt um das Doppelte, und eine Stelle im Verwaltungsrat ist Ihnen auch sicher. Das ist doch immer etwas.

Nichts ist es, gar nichts! rief der Graf mit Heftigkeit; – ein Tropfen auf einen heißen Stein! Was soll ich mit den armseligen paar Tausend, die ich an einem Abend im Ecarté gewinnen kann! Nein, wenn ich schon einmal unter die Gründer gehe, so darf es um keine Bagatelle sein; so will ich auch, daß der Coup ein Hauptcoup ist, der mich für die Gewissensbisse, den Traditionen meiner Familie schnurstracks entgegen zu handeln, tun zu müssen, was Fürst Proro weit von sich weist, entschädigt und mich in alle Zukunft sicher stellt.

Der Geheimrat rieb sich mit dem Bleistift die lange Nase, um ein Lächeln zu unterdrücken und die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte: wie kann man einen Spieler für alle Zukunft sicher stellen! Er sagte dafür: Sie sollten heiraten, Herr Graf!

Die drei Mohrenköpfe in meinem Wappen bedeuten eine runde Million Mitgift. Nennen Sie mir die betreffende jüdische junge Dame!

Ich könnte Ihnen mehr als eine nennen; indessen ich hatte keine der schönen Töchter Israels im Sinn, vielmehr die Tochter eines Geschlechts, das, wenn auch etwas Wendenblut in seinen Adern fließt, beinahe ebenso alt ist, wie das Ihre: Fräulein Else von Werben.

Scherzen Sie?

Ich bin nie ernsthafter gewesen; die Sache geht mir schon seit drei Tagen durch den Kopf, das heißt: seitdem der glücklichste aller Zufälle zwischen Ihnen und den Werbens eine persönliche Begegnung arrangiert hat unter Umständen, die Ihnen – hinüber und herüber – den Austausch weiterer geselliger Höflichkeiten zur einfachen Pflicht machen. Bedenken Sie doch, Herr Graf: der Hauptgegner der östlichen Richtung unserer Bahn ist der General – aus strategischen Gründen – mag sein! aber – ich kenne den Mann genau – ganz gewiß auch aus persönlichen Rücksichten. Der Hafen kann nur auf Warnowschen Grund und Boden zu liegen kommen; das heißt, die Warnowschen Güter müssen an unsere Gesellschaft verkauft werden; sie können aber nicht verkauft werden – wenigstens vorläufig nicht – ohne seinen Konsens, als Mitkurator über das Warnowsche Vermögen. Nun gut: heiraten Sie die Tochter, die das Vermögen dermaleinst zur Hälfte erben wird, und wir wollen doch sehen, ob er dem Schwiegersohn vorenthält, was er dem Direktor der Sundin-Wissower Eisenbahn- und Hafenbaugesellschaft verweigert. Es steht nicht umsonst geschrieben: führe uns nicht in Versuchung.

Ich glaube den General auch ein wenig kennen gelernt zu haben, rief der Graf – und ich wette hundert gegen eins: er würde der Versuchung widerstehen!

Ich wette nie, entgegnete der Geheimrat; ich kalkuliere immer nur; und ich habe den Kalkül, daß Tropfen den Stein höhlen, zwar etwas unbestimmt, aber im ganzen doch immer richtig befunden. Hören Sie weiter! Der Legationsrat von Wallbach ist, als mein Kollege im Aufsichtsrat der Berlin-Sundiner Bahn, mit mir aufs äußerste interessiert, daß die Sundin-Wissower Bahn, die uns wieder flott machen soll – Sie sehen, Herr Graf, ich bin die Aufrichtigkeit selbst – zustande kommt. Der Legationsrat ist aber nach seines Vaters, des Ministers, Tode ebenfalls einer der Kuratoren des Warnowschen Vermögens, und Ottomar von Werben – der zweite Erbe – ist mit Wallbachs geistreicher Schwester verlobt, so gut wie verlobt. Wallbach rechnet viel zu gut, um nicht zu wissen, daß die Hälfte der Güter, wenn sie verkauft und an uns verkauft wird, doppelt – was sage ich: dreimal, viermal soviel wert ist, als jetzt der ganze Komplex; scheut sich aber – aus einem Rest adligen Vorurteils – verzeihen Sie mir das Wort! – energisch in den General zu dringen. Machen Sie mit ihm gemeinschaftliche Sache! – ich meine, heiraten Sie die Tochter, wie seine Schwester den Sohn – und – sehen Sie, da hätte ich Ihnen nun beinahe selbst eine Wette proponiert.

Der Graf, der, während der Geheimrat sprach, leise auf den Teppich tretend und manchmal stehen bleibend, um kein Wort zu verlieren, hin und her gegangen war, machte eine scharfe Wendung Gut, sagte er, sehr schön! aber ich müßte auf alle Fälle der Verkäufer sein.

Wie meinen Sie, Herr Graf? sagte der Geheimrat.

Nun, das ist doch einfach genug, entgegnete der Graf; ich, als Nachbar und Schwiegersohn, bekomme die Güter entschieden billiger, als die Gesellschaft, die überdies den ganzen Komplex nicht einmal brauchen kann. So will ich doch lieber, was sie braucht, an die Gesellschaft verkaufen, als von der Gesellschaft, was ich zur Arrondierung meines Komplexes brauche, kaufen. Ich dächte, das wäre klar.

Dem Geheimrat war es sehr klar, ausnehmend klar, vom ersten Augenblick an gewesen, und er hatte nur Zeit gewinnen wollen, sich von seiner Überraschung zu erholen. Der Zug des Grafen war ein Meisterzug, den er dem fahrigen jungen Manne niemals zugetraut hätte. Er war in der seltsamen Lage, den Übereifer, den er so künstlich entfacht, wieder zügeln zu müssen.

Bravo! sagte er; wir werden einen gewiegten Aufsichtsrat an Ihnen haben; ich gratuliere uns und Ihnen im voraus. Indessen teilen wir das Fell auch nicht, bevor wir den Bären erlegten! Wir rechnen bisher noch immer ohne einen Faktor, der denn doch sehr wichtig ist: ohne die Baronin Warnow selbst.

Aber, wenn sie unter Kuratel steht und Sie mit Wallbach in dem Kuratorium den General majorisieren können –

Nur bis zum ersten Oktober! Von dem Tage an, der zugleich ihr fünfzigster Geburtstag ist, hat die Baronin, laut testamentarischer Verfügung, Sitz und Stimme im Kuratorium, das dann also, wenn Sie wollen, eigentlich nur noch ein ihr zugeordneter Aufsichtsrat ist.

Und Sie glauben, die Baronin werde unzugänglich für unsere Pläne sein?

Ich glaube, daß die Ansichten der Baronin in dieser und jeder andern Beziehung zu kennen, viel weniger wichtig ist, als die des Signor Giraldi.

Ihres Haushofmeisters?

Haushofmeisters, Vorlesers, Gesellschafters – was weiß ich!

Man sagt, sie sei mit ihm verheiratet?

Sie wird sich hüten!

Weshalb?

Weil sie mit diesem Schritt jedes Anrecht auf das Vermögen verlöre, das dann direkt an Fräulein von Werben und ihren Bruder fiele, vorausgesetzt, daß sie der Baronin, ihrer Tante, nicht die Torheit nachmachten und sich auch unstandesgemäß verheirateten. Dann hätte freilich niemand etwas davon, als diverse milde Stiftungen.

Ich habe, wie Sie sich denken können, von dem wunderlichen Testamente alles Mögliche und Unmögliche gehört, sagte der Graf; – könnten und möchten Sie wohl meine Neugier, die jetzt noch kaum so zu nennen ist, befriedigen?

Sehr gern, sagte der Geheimrat; – die kleine Indiskretion, die ich allerdings damit begehe, schreibe ich in unserm Kontokorrent auf meinen Kredit; aber wo soll ich anfangen?

Beim Anfang, sagte der Graf; – ich weiß viel, ich weiß wenig, ich weiß gar nichts. – Sie sehen: ich bewege mich schon mit einiger Leichtigkeit in dem Jargon. Soll ich eine zweite Flasche –

Danke, danke – ich habe noch einen Besuch vor – indessen – Sie haben recht: Sie müssen das jetzt wissen, und ich werde mich möglichst kurz fassen.

Er steckte die Uhr, die er herausgezogen, wieder in die Tasche; der Graf lehnte sich in seinen Stuhl zurück und begann sich zu schaukeln, während der Geheimrat, gelegentliche Striche auf das Papier zeichnend, ein paar Augenblicke schweigend, seine Erinnerungen zurückzurufen schien.

Erwarten Sie von mir keine intime Geschichte zu hören; ich könnte keine erzählen, auch wenn ich wollte, denn in Beziehung auf die innern Verhältnisse, die Seelenzustände der Beteiligten, bin ich nicht besser unterrichtet, als andere Leute auch; und auf die gefährliche Brücke der Vermutungen und Konjekturen begebe ich mich höchstens in Generalversammlungen, wenn die Herren Aktionäre sich ganz besonders ungebärdig stellen. Ich werde mich darauf beschränken müssen, die Fakta in chronologischer Folge herzuzählen, also: Sie wissen, daß die regierende Herzogin von ... eine Seitenverwandte unseres Hofes ist. Fräulein Valerie von Werben, ebenso wie ihre ältere Schwester Sidonie, waren hier in Berlin mit der Prinzessin aufgewachsen; die Prinzessin hatte, als sie sich vermählte, zuerst Valerie mit sich an den neuen Hof genommen, hernach, als diese heiratete, ließ sie – ich glaube aus Pietät – die allerdings sehr viel weniger interessante und pikante Sidonie nachkommen. Doch das en passant.

Der Baron Warnow lernte Fräulein Valerie in ... kennen, wo er – wir hatten damals noch die Courtoisie, Gesandte auch an kleineren Höfen zu unterhalten – in dieser Eigenschaft fungierte. Das schöne und geistreiche Mädchen sehen, lieben, heiraten, aus dem Staatsdienst treten, um ihr ganz leben zu können, war so ziemlich eins. Das war im Jahre 1840.

Von 40-43 lebten die jungen Gatten in Warnow – wie? bescheide ich mich zu sagen; nach meiner Kenntnis von den Menschen: im Anfang glücklich, dann weniger glücklich, und – ich muß aus den Andeutungen, die mir der Baron im Jahre 43 machte, schließen – zuletzt bereits passabel unglücklich. Der Baron und ich waren Studienfreunde gewesen; er beehrte mich von jeher mit seinem besonderen Vertrauen, hatte bereits wiederholt meinen juristischen Rat in Anspruch genommen, und so war ich denn zur Entgegennahme jener Konfidenzen, die sich übrigens auch nur in Allgemeinheiten hielten, einigermaßen autorisiert. Der Baron wollte eine andere matrimoniale Diät versuchen: mit seiner jungen Frau reisen, die Welt sehen. Ich riet dringend dazu. Sie gingen nach London, Paris, zuletzt nach Italien, wo sie indessen nur sehr kurze Zeit blieben. Als sie zurückkamen, besuchte mich der Baron wieder: er sah erbärmlich aus; der ewige Ortswechsel hatte ihm die Nerven derangiert, er hatte das Klima nicht vertragen können und so weiter. Das Wahre von der Sache: er war wirklich krank, nur, daß die Krankheit weniger im Magen und in den Nerven, als im Herzen seinen Sitz hatte, enfin, daß er eifersüchtig war, und, wir dürfen getrost annehmen: nicht ohne Grund. Es schien sich anfänglich um mehrere Gründe gehandelt zu haben, die sich aber zuletzt auf einen konzentrierten, dessen Name auch allein genannt wurde: ein gewisser Gregorio Giraldi, den die Baronin noch als Mädchen kennen gelernt, während er sich – in einer untergeordneten Stellung, als Sekretär oder dergleichen der päpstlichen Gesandtschaft – kurze Zeit an dem ... Hofe aufgehalten. Wie dem auch sei: sie hatten Signor Giraldi in Rom getroffen oder wieder getroffen; ein alter Eindruck wurde aufgefrischt, oder eine neue Liaison geknüpft, die unzweifelhaft zur Kategorie der dangereuses gehörte, obgleich mindestens der Schein gewahrt und dem unglücklichen Gatten ein Rest von Hoffnung blieb, sonst wäre es unmöglich gewesen, daß er ein Jahr später seine Zustimmung zu einer zweiten Reise nach Italien gegeben hätte. Von dieser kam er nicht ganz so schnell zurück, als von der ersten, dafür aber – allein! Das Klima hatte sich für seine Nerven noch verderblicher gezeigt, so, daß er sich von dem Chok nicht wieder erholen konnte, in der Tat auch nie wieder erholt hat, sondern sechs oder sieben Monate noch so hinsiechte, und 1845 starb – an gebrochenem Herzen, sagen sie in den Romanen – nach längerem Leiden an einem Herzschlage, wie es in der Todesanzeige hieß.

Glücklicherweise hatte der Tod ihm Zeit gelassen, sein Testament zu machen, und wir hatten unverhältnismäßig viel Zeit zur Abfassung gebraucht, infolge der Hartnäckigkeit des Generals, der damals noch Major, seit einigen Jahren verheiratet und Vater zweier Kinder war, die unterdessen gestorben sind – von den jetzt lebenden wurde Ottomar, wenn ich nicht irre, 1847, die Tochter mehrere Jahre später geboren. Der Baron hatte von dem Augenblicke, als er seinen Schwager kennen lernte – was nebenbei, soviel ich mich erinnere, bei Gelegenheit seiner Verlobung mit der Schwester geschah – die zärtlichste Freundschaft für ihn gefaßt – eine Freundschaft, die durch die späteren ehelichen Zerwürfnisse um so weniger beeinträchtigt wurde, als Werben, der von vornherein die Partei seines Schwagers genommen, mit der Zähigkeit seines Charakters an diesem Programm festhielt und darum wiederholt die heftigsten Szenen mit der leichtsinnigen, übrigens auch von ihm sehr geliebten Schwester gehabt hatte. So sollte denn auch er, respektive seine Kinder, nach dem ersten Testamentsentwurf die alleinigen Erben sein, während der Baronin nur der verhältnismäßig geringe Pflichtteil zufiel. Werben lehnte die Erbschaft für sich definitiv ab, akzeptierte sie aber nach langen Verhandlungen für seine Kinder, freilich nur unter den seltsamsten Verklausulierungen. Er hatte von Anfang an befürwortet und zuletzt durchgesetzt, daß der Schwester die Möglichkeit einer Wiederverheiratung nicht abgeschnitten werden dürfe, weil dieser Schritt die Rückkehr zu einem geordneten Leben verbürge, vorausgesetzt, daß die Heirat eine standesgemäße und sonst zukömmliche. Über die Standesgemäßheit und sonstige Zukömmlichkeit dieser hypothetischen zweiten Ehe hatte das Kuratorium, nebenbei aus Werben selbst, dem Minister von Wallbach, dem Vater des Legationsrates und mir bestehend, zu entscheiden, ebenso wie über alle übrigen Ausführungen des Testamentes. Ging die Baronin eine unstandesgemäße zweite Ehe gegen den Willen des Kuratoriums ein, so war sie eben auf den Pflichtteil reduziert. Blieb sie dagegen unvermählt, so sollte ihr der Genuß der halben Revenue des Vermögens nicht gestört und nicht geschmälert werden. Die andere Hälfte wurde zum Kapital geschlagen mit Abzug sehr bescheidener Erziehungsgelder für die Kinder des Generals, die ihrerseits in den Genuß des aliquoten Teils der Revenuen der zweiten Hälfte sukzessive treten sollten mit erlangter Volljährigkeit, respektive die Töchter bereits vor erlangter Volljährigkeit bei Eingehung einer Ehe, über deren Standesgemäßheit und sonstige Zukömmlichkeit wiederum das Kuratorium zu entscheiden hatte, wie im ersten Falle. Wollten sie – die Kinder – gleichviel ob Töchter oder Söhne – eine andere Ehe eingehen, so verlieren sie für ihr Teil jeden Anspruch auf die Erbschaft. Der aliquote Teil fällt an das Ganze zurück und wird dem, respektive den noch Erbfähigen zugeschlagen, ebenso, als ob der oder die Betreffende aus dem Leben geschieden wäre.

Um es zusammenzufassen: die Baronin und die Kinder des Generals beerben sich hinüber und herüber wechselseitig, so daß also beispielsweise, stürben die Kinder des Generals, oder verscherzten sie ihr Anrecht in der angegebenen Weise, die Baronin alleinige Erbin des Vermögens sein und die freie Verfügung darüber haben würde, umgekehrt jene die alleinigen Erben mit freier Verfügung, stürbe die Baronin oder verscherzte sie ihrerseits ihr Anrecht.

Ein kurioses Testament, sagte der Graf, der mit so gespannter Aufmerksamkeit zuhörte, daß er selbst das Schaukeln darüber vergaß.

Ich bin nur für die Redaktion verantwortlich, erwiderte der Geheimrat; die materiellen Bestimmungen sind fast ausschließlich das Werk des Generals, – nebenbei eines der gewissenhaftesten, d. h. pedantischsten Menschen, die existieren, und mit ihrer Parole: Gerechtigkeit, Billigkeit nach allen Seiten! sich und andern das Leben sauer machen. Ich sage Ihnen: er hätte das Ganze haben können ohne alle und jede Mühe, und nun diese Hindernisse, diese Restriktionen! Ich erwähnte schon vorhin einer, die für uns speziell jetzt sehr wichtig ist.

Der Eintritt der Baronin in das Kuratorium?

Ganz richtig – welcher Eintritt nun in wenigen Wochen stattfinden wird. Sind wir dann imstande, die Baronin oder ihr Faktotum, was auf dasselbe hinauskommt, für uns zu gewinnen, so haben wir freilich die Oberhand, und der Widerspruch des Generals ist, nach dieser Seite wenigstens, gebrochen. Andernfalls – und wir müssen auch auf den andern Fall gefaßt sein – unterscheidet sich unser schönes Projekt, die Warnowschen Güter in die Hände zu bekommen, von einer Seifenblase nicht mehr, als ein Ei von dem andern.

Und Sie haben die Baronin nicht einmal zu sondieren gesucht? rief der Graf in vorwurfsvollem Tone.

Ich glaubte, es würde Zeit dazu sein, wenn die Baronin zu den bevorstehenden Verhandlungen, bei denen ihre persönliche Anwesenheit unabweislich ist, hier eintrifft. Sie ist bereits auf der Herreise, nach dem letzten Briefe in München, wo sie diesen Monat zuzubringen gedachte. Jetzt freilich will ich allerdings versuchen, sie zu bestimmen, entweder selbst früher zu kommen, oder uns wenigstens ihr Faktotum zu schicken.

Sie kennen den Herrn?

Nicht persönlich, nur aus seinen Briefen. Signor Giraldi ist unzweifelhaft eine merkwürdige Persönlichkeit: Gelehrter, Künstler, Diplomat, Geschäftsmann – letzteres in erster Linie: eine Partie mit ihm – à la bonne heure! zum Gegner möchte ich lieber den Gottseibeiuns selber haben. Aber ich verplaudere die Zeit – wenn auch in der angenehmsten Weise.

Der Geheimrat hatte sich erhoben; der Graf schaukelte sich wieder mit verdrießlicher Miene. – Sehr gütig, sagte er; – aber, verzeihen Sie mir die Bemerkung: ich bin jetzt noch ebenso klug wie vorher.

Dann verzeihen Sie auch mir die Bemerkung, Herr Graf, daß Sie ein wenig undankbar sind, erwiderte der Geheimrat, sich die Handschuhe anziehend. – Ich habe Ihnen gegenüber getan, was ich für unsere Aktionäre nicht tun würde, und wenn sie sämtlich auf den Knien vor mir lägen: ich habe Ihnen den wahren Stand der Berlin-Sundiner Eisenbahngesellschaft angegeben; ich habe eingestanden, daß unsere einzige Rettung eine Fortsetzung der Bahn von Sundin durch Ihre Insel zu einem beliebigen Kriegshafen ist, der gleichsam den Kopf der Schlange bildet; mit andern Worten: daß wir unsere erste Gründung nur durch eine zweite retten können, die wir auf die erste pfropfen. An und in diesem Punkte fallen unsere Interessen zusammen, um allerdings sofort wieder auseinanderzugehen. Unser Interesse ist es, die Fortsetzung zustande zu bringen, und wenn der Kopf der Schlange, der Kriegshafen – im Monde läge, geschweige denn irgendwo auf der Insel – unter anderem auch im Norden. Ihr Interesse erheischt, daß ein östlicher Ausgangspunkt, zu dem die Bahn durch Ihren sämtlichen Komplex geführt werden müßte, gewählt wird. Gut. Ich komme Ihnen entgegen, reiche Ihnen – um klassisch zu sprechen – die weitausgestreckte Hand zur Verbindung, deute Ihnen die Mittel und Wege an, wie etwa nach menschlicher Klugheit die Ihnen, nicht uns – bedenken Sie das wohl, Herr Graf! – entgegenstehenden Hindernisse beseitigt werden möchten, gebe zu diesem Zweck ein Familiengeheimnis preis, wie vorhin ein Geschäftsgeheimnis; offeriere Ihnen schließlich, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, die Hand einer jungen, schönen, liebenswürdigen Dame – und Sie sagen mir, daß ich – mit Domingo zu reden – vergebens hier gewesen bin!

Der Geheimrat hatte seinen Hut genommen, der Graf sich noch immer nicht aus seiner Stellung gerührt.

Es ist gewiß recht undankbar von mir, sagte er, – aber Sie wissen, man ist selbst für die angenehmsten Perspektiven nicht sehr empfänglich, wenn man sich in einer so unangenehmen Lage befindet wie ich.

Der Geheimrat machte mit dem Ärmel langsam rotierende Bewegungen über den Deckel seines Hutes.

Ich möchte mir einen Vorschlag erlauben, Herr Graf: wir haben uns beide warm gesprochen; ein Gang in der Abendkühle dürfte auch Ihnen wohl tun; nehmen Sie Ihren Hut und erweisen Sie mir die Ehre, mich auf meinem Besuche zu begleiten.

Zu wem wollen Sie?

Zu dem General-Entrepreneur unserer Bahn, Herrn Philipp Schmidt.

Der Graf richtete sich aus seinem Stuhle auf, ließ sich aber alsbald wieder sinken.

Ich hasse den Namen, sagte er mürrisch.

Was um alles in der Welt hat der Name mit der Sache zu tun, erwiderte der Geheimrat; – und die Sache ist, daß Herr Philipp Schmidt es sich einmal selbstverständlich zu einer hohen Ehre schätzen würde, die persönliche Bekanntschaft des Herrn Grafen Golm zu machen; weiter, daß Herr Schmidt nicht bloß ein sehr reicher, sondern auch ein sehr kulanter Mann ist, und – als unser General-Entrepreneur – sehr liiert mit unserem Finanzier, Herrn Hugo Lübbener, der wieder der Finanzier des Herrn Grafen – enfin: die geeignetste Persönlichkeit, eine augenblickliche Verlegenheit des Herrn Grafen entweder selbst zu beseitigen, oder – falls Ihnen, wie ich voraussehe, dieser Modus nicht konvenierte, – die betreffenden Transaktionen mit Lübbener am schicklichsten zu vermitteln.

Aber man kann doch nicht mit der Tür ins Haus fallen, rief der Graf; – nennen Sie mir wenigstens einen Vorwand!

Der ist leicht gefunden, sagte der Geheimrat; – Herr Schmidt ist glücklicher Besitzer einer unserer gewähltesten Privatgalerien, die Leidenschaft des Herrn Grafen für die Kunst ist bekannt – was ist natürlicher, als daß der Herr Graf sich zu dem Herrn Schmidt bemüht, da Herr Schmidt beim besten Willen seine Galerie nicht zu dem Herrn Grafen ins Hotel bringen kann.

Nur daß die neunte Abendstunde zu diesem Zweck nicht besonders glücklich gewählt scheint, sagte der Graf, auf die Uhr blickend.

Wozu hat man denn die Reflektoren erfunden? erwiderte der Geheimrat lächelnd.

Ich komme mit Ihnen! rief der Graf, aufspringend.

Der Geheimrat hüstelte in seinen Hut und verbarg so glücklich das Lächeln, das um seine breiten bartlosen Lippen zuckte.

Es geht doch nicht, sagte der Graf; ich habe Herrn von Werben versprochen –

Dem Leutnant?

Natürlich – zu Hause zu sein; er wollte mich um 10 Uhr abholen, um mich, ich weiß nicht wohin, zu führen.

Herr von Werben würde die Hindernisse in einem Hürderennen leichter nehmen, sagte der Geheimrat mit gut gespielter bescheidener Ungeduld. – Schreiben Sie ihm eine Karte, Sie seien da und da und bäten ihn, nachzukommen.

Aber er kennt den Herrn ja gar nicht!

Er kennt ihn – ich weiß es – zufällig – aus dem Munde des Herrn Schmidt selbst.

Der Graf hatte nach seinem Diener geklingelt und sich Hut und Handschuhe geben lassen. Die Herren schritten nach der Tür.

Wenn der Mann nur nicht Schmidt hieße, sagte der Graf stehen bleibend.

Seltsame Idiosynkrasie! – alle bedeutenden Menschen sind davon heimgesucht – nach Ihnen, Herr Graf!

Bitte, ich bin hier zu Hause!

Und die Herren verließen das Zimmer.


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