Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Der Graf hatte die Begrüßung des Präsidenten nicht minder verbindlich erwidert.

Liebenswürdig? rief er, die Hände desselben festhaltend; – und liebenswürdig von mir? Nun ja! liebenswürdig – gewiß, unglaublich liebenswürdig, aber von Ihnen – von den Herrschaften, hier auf der Höhe von Golmberg Havarie zu haben, sich an das ungastlichste aller Ufer setzen zu lassen – ungastlich, weil nie ein Mensch uns zu besuchen von der Seite kommt und auch nicht wohl kommen kann. Und nun haben Sie die Güte, mein Herr Präsident, mich dem Herrn General vorzustellen!

Er hatte sich zu dem General gewandt; der General erwiderte die äußerst höfliche Verbeugung mit Zurückhaltung.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich das Vergnügen habe, sagte er; – ich hatte bereits in Versailles die Ehre –

Ich würde nimmermehr geglaubt haben, daß sich der Herr General eines so unbedeutenden Umstandes erinnern könnten, rief der Graf; – ein einfacher Johanniter –

Unsere Begegnung fand an einem sehr bedeutenden Tage statt, sagte der General; – am achtzehnten Januar –

Dem Tage der Proklamierung des Deutschen Reiches! fiel der Präsident ein, dem die letzte Bemerkung des Generals und der Ton, in dem er sie vorgebracht, denn doch von zweifelhafter Höflichkeit schien; – und da kommt ja auch unsere Heldin! Fräulein Else von Werben, dies ist unser Retter aus der Not: Herr Graf von Golm.

Ich schätze mich glücklich, sagte der Graf.

Else, die eben ins Zimmer getreten, erwiderte nur mit einer Verbeugung.

Nun wären wir ja alle beisammen, rief der Präsident, sich die Fingerspitzen reibend.

Es fehlt noch immer der Kapitän, sagte Else, an dem Grafen vorüber auf den Vater blickend.

Ich fürchte nur, wir werden die Geduld des Herrn Grafen zu sehr in Anspruch nehmen, erwiderte der General verdrießlich.

Ich bin ganz zur Disposition der Herrschaften, sagte der Graf; – aber darf ich fragen, um was es sich handelt?

Wir haben noch einen Herrn in unserer Gesellschaft, sagte der General, einen Schiffskapitän –

Den ich Ihnen ebenfalls angemeldet habe, fiel der Präsident ein. – Er hat sich nach unserer Ankunft hier aufgemacht, nach dem Dampfer zu sehen; ich möchte jetzt auch fast glauben, daß er sich zwischen den Dünen verirrte, oder daß ihm ein Unglück begegnet ist.

Man sollte ein Paar Leute mit Laternen nach ihm schicken, rief der Graf; ich werde sogleich den Befehl geben –

Und er bewegte sich nach der Tür.

Bemühen Sie sich nicht, Herr Graf, rief Else; es ist bereits auf meine Bitten geschehen.

Ah, sagte der Graf und lächelte, – in der Tat!

Elsen stieg das Blut in die Wangen. Als sie ins Zimmer getreten, war ihr der Graf, wie er sich lebhaft zu ihr wandte, mit den hellen kräftigen Farben des regelmäßigen Gesichts, dem der blonde Schnurrbart gar gut stand, als ein angenehmer, ja schöner Mann erschienen; das Lächeln machte ihn häßlich. Welchen Grund hatte er zu lächeln? Sie richtete sich hoch auf.

Der Herr Kapitän hat uns bei der Überfahrt die wesentlichsten Dienste geleistet; wir verdanken ihm, daß wir jetzt hier in Sicherheit sind. Ich meine, es ist einfache Pflicht, ihn nicht so ohne weiteres im Stiche zu lassen.

Aber, mein gnädiges Fräulein, ich bin ja völlig Ihrer Ansicht! sagte der Graf und lächelte wieder.

Die Adern in Elses Schläfen hämmerten. Sie warf einen vorwurfsvollen Blick auf ihren Vater. Weshalb ließ er sie die Sache ausfechten, die doch seine Sache war? – Sie wußte nicht, daß der Vater über die Wendung, die das Gespräch genommen, aufs tiefste verstimmt und nur noch nicht ganz mit sich im Reinen war, ob er die Abwesenheit des Kapitäns nicht vielleicht als einen Vorwand benutzen könne, um wenigstens für sich und seine Tochter auf die Gastfreundschaft des Grafen zu verzichten. Sie hörte nicht mehr, wie er die Notwendigkeit, noch einige Zeit zu warten, mit Nachdruck betonte; sie hatte nach ihren letzten Worten das Zimmer verlassen.

Vor der Tür auf dem kleinen Flur, in den jetzt durch die weitgeöffnete Tür das Licht aus den Wagenlaternen hell fiel, stand sie still und drückte die flachen Hände gegen die Stirn. – Wie war denn das so plötzlich über sie gekommen? weshalb hatte sie sich so ereifert? das Lächeln eines fremden Herrn durch ihren Übereifer provoziert? sich in den Verdacht gesetzt, ein lebhafteres Interesse an der Person zu nehmen, da es ihr doch nur um die Sache zu tun war? nur darum, daß eine Pflicht der Höflichkeit – von Dankbarkeit ganz zu schweigen – erfüllt wurde? Wenn die Leute, die dort auf dem Hof mit den Laternen aufzubrechen schienen, ihn nun nicht fanden? Wie lange durfte sie dann noch warten? wann sollte sie sagen: wir müssen aufbrechen? Oder wenn er zurückkam, nur, um zu sagen, daß er gar nicht daran denke, mitzufahren? und die kindische Szene ganz vergebens gespielt wäre? der Graf zum dritten Male – und dann mit Fug und Recht – lächeln durfte?

Das leid' ich nicht! sagte Else und stampfte mit dem Fuße.

Eine Gestalt stand in der Haustür; der regenüberströmte Wachstuchpaletot erglänzte in dem Licht der Laternen; und so glänzte die mit Wachstuch überzogene Mütze – und die Augen in dem braunen bärtigen Gesicht glänzten – und das sah komisch und so lustig aus, und Else lachte laut, und lachend rief sie:

Kommen Sie direkt aus dem Wasser, Herr Kapitän? Drinnen ängstigen sie sich schon um Sie. Machen Sie nur, daß Sie hineinkommen! Wir müssen sogleich fort.

Ich gedachte hier zu bleiben, mein gnädiges Fräulein, sagte Reinhold.

Elses Lachen verstummte. Sie trat einen Schritt an Reinhold heran: Ich wünsche, daß Sie mit uns fahren – ich will es!

Sie war in dem Gange, der weiter rechts nach der Küche und nach dem Kinderzimmer führte, verschwunden. – War das Scherz oder Ernst gewesen? Ihre Stimme hatte so seltsam bei den Worten gebebt, und ihre großen Augen hatten so eigen geleuchtet!

Die Türe wurde geöffnet; der General erschien auf der Schwelle, hinter ihm kamen die beiden anderen Herren.

Ach, Herr Kapitän! sagte der General.

Endlich! rief der Präsident. – Sie erzählen uns hernach, wo Sie gesteckt haben. Dies ist Herr Kapitän Schmidt, Herr Graf Golm – Sie sind doch bereit, mein gnädiges Fräulein? –

Ich bin bereit, sagte Else, die in Hut und Mantel, von der Pächterin begleitet, wieder auf den Flur kam. – Ich denke, wir alle sind es; nicht wahr, Herr Kapitän?

Wie Sie befehlen! erwiderte Reinhold.

Nun denn! adieu, liebe Frau Pölitz! haben Sie tausend, tausend Dank für Ihre Freundlichkeit! und was die Kinder betrifft, Sie müssen jedenfalls nach dem Arzt schicken; Sie ängstigen sich ja sonst zu Tode.

Else hatte die letzten Worte so laut gesprochen, daß der Graf sie nicht überhören konnte.

Sind Ihre Kinder krank, Frau Pölitz? fragte er.

Sehr krank, erwiderte Else. – Und Frau Pölitz behauptet, sie könne dem Arzt nicht zumuten, den weiten Weg –

Ich werde selbst von Golmberg nach Prora schicken, sagte der Graf mit großer Lebhaftigkeit; – das versteht sich! verlassen Sie sich darauf, Frau Pölitz! der Doktor soll noch heute nacht hier sein! noch heute nacht!

So wollen wir keinen Augenblick mehr verlieren, rief Else, den Herren voran nach dem Wagen eilend.


 << zurück weiter >>