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Fünfzehntes Kapitel

Philipp ging in seinem Arbeitskabinett ungeduldig auf und ab, setzte sich wieder an den Schreibtisch, drückte auf die Feder eines geheimen Schubfaches, nahm das Billett des Geheimrats heraus, eigentlich nur, um sich zu vergewissern, daß er sich in der Stunde nicht versehen; und da er das Blatt einmal in der Hand und sonst nichts zu tun hatte, las er es wiederum so sorgfältig durch, als ob er es zum ersten Male läse:

»Lieber Freund! der Graf ist für uns von einer Wichtigkeit, die Sie noch immer zu unterschätzen scheinen. Daß er bis über die Ohren verschuldet, ist in meinen Augen für uns einfach eine Chance mehr: wir werden ihn um so billiger haben. Und haben müssen wir ihn. Die Schlappe, daß Fürst Prora sich definitiv weigert, als Mitbegründer zu fungieren, und sich höchstens je nachdem als simpler Aktionär beteiligen will, kann nur durch den Beitritt des Grafen einigermaßen ausgewetzt werden. Wir brauchen absolut einen hochadligen Namen nach oben und nach unten. Sie kennen den insularen Patriotismus nicht: ein Leithammel muß erst vorangesprungen sein, freilich! aber dann folgt auch die ganze Herde. Also ein Königreich für den Leithammel! Das heißt in Zahlen ausgedrückt: erst einmal 50 000 Taler, die er, wie ich weiß, notwendig braucht, und die Sie oder Lübbener anschaffen müssen; sodann das Versprechen einer beliebig großen Anzahl goldener Berge, im Falle die Ostbahn zustande kommt, – ein Fall, der schwerlich jemals eintreten wird; drittens – à conto der 50 000 und der goldenen Berge – das Versprechen seinerseits, auch in das Komitee einer Nordbahn zu treten, Ich werde heut abend alle Minen springen lassen und bringe ihn, unter irgendeinem Vorwand, den ich im Hereintreten affichieren werde. Lübbener muß auch zugegen sein, oder besser: später kommen – natürlich zufällig! Sollte ich den Grafen wider Erwarten vollständig obstinat und durchaus abgeneigt finden, den ersten Schritt zu tun, werde ich die Unterredung um neun Uhr abbrechen und komme dann allein.«

» P.S. Halten Sie sich ja an den jungen Werben! er ist eine kostspielige Freundschaft – ich weiß es; aber wir dürfen jetzt die Kosten nicht scheuen und müssen das Verhältnis des Grafen zu den Werbens in jeder Weise begünstigen. Es wäre schön, wenn Sie uns ihn heute abend als Nachtisch servieren könnten; nur direkt einladen dürfen Sie ihn nicht! überhaupt bitte, im Auge zu behalten, daß das Ganze durchaus den Anstrich der Improvisation und des Zufälligen haben muß – Sie verstehen das ja!«

Philipp lachte in sich hinein, während er das Billett wieder einschloß: ich denke, daß ich das verstehe, sagte er; aber – er warf einen Blick auf die Pendüle – wenn sie nicht bald kommen, ist mein ganzes schönes Arrangement zum Teufel.

Er wollte sich ungeduldig erheben, als die Flurglocke ertönte. Sofort ergriff er einige Papiere, die er zu dem Zwecke schon zurecht gelegt hatte, tauchte sogar die Feder ein und war überaus eifrig im Schreiben, als der Diener den Herrn Grafen Golm und den Geheimrat Schieler meldete.

Bitte die Herren, eintreten zu wollen, sagte Philipp über die Schulter; beugte sich über die Papiere und kritzelte weiter. Der Diener hatte den Herren bereits die Tür geöffnet, Philipp warf die Feder hin, erhob sich eilends, strich mit der Hand über die Stirn und sagte:

Tausendmal Verzeihung! – hoffte, den Satz noch zu Ende zu bringen – die Relation, wissen Sie, Herr Geheimrat – Herr Graf Golm, ich schätze mich glücklich –

Wir stören Sie, lieber Freund, sagte der Geheimrat; – aber ich hatte dem Herrn Grafen so viel von Ihrer köstlichen Galerie vorgeschwärmt, und da der Herr Graf nur auf so kurze Zeit hier ist –

Aber doch immer lange genug, um zu einer gelegeneren Stunde wiederzukommen, sagte der Graf.

Unter keinen Umständen lasse ich Sie wieder fort! rief Philipp. Die Sache hat so große Eile nicht, –

Aber wir halten Sie von was anderm ab.

Von nichts, was mir interessanter und angenehmer wäre, Herr Graf; ich gebe Ihnen mein Wort, ich hatte heute abend zufällig nichts vor, gar nichts – ich glaube sogar, ich wäre zu Hause geblieben.

Der Geheimrat drohte mit dem Finger.

Auf Ehre, Herr Geheimrat!

Philipp berührte die Glocke: Zünden Sie die Lampen in dem Salon an! auch in dem Speisezimmer! und – Herr Graf, Herr Geheimrat – erweisen Sie mir die Ehre, mein frugales Junggesellenabendbrot mit mir zu teilen! – nun, das ist liebenswürdig! – also drei Kuverts, Johann!

Keine Umstände, wenn ich bitten darf! sagte der Graf.

Verbieten sich von selbst, Herr Graf – ganz von selbst – darf ich die Herren ersuchen?

Der Diener hatte die Flügeltüren zum Salon geöffnet.

Sie haben schon hier einige sehr hübsche Sachen, wie mir scheint, sagte der Graf, der stehen blieb und sich in dem prachtvollen Arbeitskabinett umblickte.

Ein paar Kleinigkeiten, Herr Graf – was man so gern um sich hat –

Aber das ist ein Vautier, sagte der Graf, an eines der Bilder herantretend; – das nennen Sie eine Kleinigkeit?

Dem Format nach; ich habe im andern Zimmer ein größeres Bild von ihm. Auch dieser kleine Scheurenberg dürfte dem Herrn Grafen gefallen; er wird wenigstens von Kennern sehr gelobt –

Reizend, ganz reizend! sagte der Graf – und dies köstliche Aquarell hier – natürlich von Passini!

Bei dem Herrn Grafen hat es der Cicerone leicht, sagte Philipp zum Geheimrat.

Es liegt ein wenig in der Familie, sagte der Graf; – mein Urgroßvater war ein bedeutender Sammler – auch mein Vater – Sie müssen sich gelegentlich einmal meine kleine Galerie auf Golm ansehen.

Ich wollte nur, daß der Herr Graf mir die Gelegenheit gäbe!

Ist Ihnen eine Einladung Gelegenheit genug?

Philipp verbeugte sich: Werde nicht verfehlen, Herr Graf.

Noch in diesem Herbst, wenn ich bitten darf. Sind Sie Jäger?

Aufzuwarten!

Dann soll es Ihnen an Unterhaltung auf Golm nicht fehlen.

Der ich in Gesellschaft des Besitzers von Golm, so wie so, sicher bin.

Der Graf verbeugte sich; Philipp hatte sich zu dem Bedienten gewandt, der eben in das Zimmer getreten war.

Das ist fatal. Da läßt sich eben ein Herr melden, der mich in einer dringenden Geschäftssache auf eine Minute zu sprechen wünscht –

Ich wiederhole meine Bitte – sagte der Graf.

Und ich protestiere noch einmal gegen jede gütige Rücksichtnahme, die in der Tat ganz unnötig – nur auf eine Minute –

Philipp komplimentierte die beiden Herren in den Salon, dessen Türen er hinter ihnen schloß.

Angenehmer Mann, dieser Herr Schmidt – sagte der Graf.

Nicht wahr? erwiderte der Geheimrat, – die Idiosynkrasie hatte diesmal nicht recht.

Es ist keine Idiosynkrasie, ich habe vor einigen Tagen einen Mann des Namens kennen gelernt, sogar an meinem Tische bewirten müssen, der mir äußerst fatal war.

Der Geheimrat hatte aus dem Munde seines Freundes, des Generals, eine Relation der Ereignisse auf Golmberg gehabt, bevor er noch mit dem Grafen zusammentraf, und wußte genau, wen der Graf mit seiner Abneigung beehrte, und wiederum, in welchem Verhältnisse Reinhold zu Philipp stand; aber weshalb dem Grafen das mitteilen und ihm die gute Laune verderben? – Der Graf ließ seine erstaunten Blicke durch das stattliche Gemach schweifen, dessen fast überreicher Bilderschmuck und sonstige prachtvolle Ausstattung in dem hellen Licht der Kronleuchter und Kandelaber sich freilich glänzend genug ausnahm.

Aber das ist fürstlich, sagte er.

Und doch nur ein blasser Schatten von der Pracht, die der Mann in seinem neuen Hause in der Wilhelmstraße entfalten wird. Es ist bis auf einige Details fertig, soll aber, glaube ich, erst im nächsten Frühjahr bezogen werden. Er muß es Ihnen zeigen – Sie werden Ihre Freude daran haben.

Ich weiß nicht, erwiderte der Graf; – dieser Luxus hat denn doch auch in den Augen von unsereinem etwas Deprimierendes.

Im Gegenteil, sollte ich meinen, etwas Encouragierendes, sagte der Geheimrat. – Wenn Leute ohne Namen – oder gar mit einem solchen Namen! – ohne Verbindung, ohne Vermögen von Haus aus – Herr Schmidt ist seines Zeichens einfacher Maurermeister – es in so kurzer Zeit zu solchen Resultaten bringen – was in der Welt ist euch Herren, die ihr so ungemessene Vorteile der Geburt, der Konnexionen und Protektionen, des ererbten Gutes vor ihnen voraushabt, unerreichbar, vorausgesetzt, daß ihr euch von gewissen, allerdings sehr ehrwürdigen Vorurteilen frei macht und frisch und fröhlich zugreift, wie es jene Leute tun.

Und was hat den Mann so herausgebracht?

In erster Linie seine Intelligenz, Findigkeit und Energie, in zweiter einige glückliche Terrain- und Häuserspekulationen, die Hauptsache war freilich die Entreprise unserer Eisenbahn.

Jetzt ist mir auch erklärlich, weshalb eure Aktionäre fortwährend darüber lamentieren, daß Ihr zu teuer gebaut, sagte der Graf mit einem ironischen Lächeln.

Was verstehen die armen Teufel davon? erwiderte der Geheimrat; – wenn's nach ihnen ginge, müßte man ihnen freilich die gebratenen Kastanien umsonst aus dem Feuer holen.

Also aus dem Feuer doch?

An dem man in alten Tagen ganz behaglich seine Knie wärmen kann.

Und der Geheimrat machte eine Handbewegung über die Herrlichkeiten ringsumher. Der Graf lachte, der Geheimrat selbst glaubte, sich ein Lächeln verstatten zu dürfen; Philipp kam aus dem Arbeitskabinett, dessen Tür er wieder hinter sich schloß.

Ich fürchte, indiskret zu sein, sagte er mit halblauter Stimme, sich zum Grafen wendend, – aber ich habe die Unvorsichtigkeit gehabt, Ihren Namen zu nennen, und mein Geschäftsfreund bittet so dringend –

Wer ist es? fragte der Graf.

Herr Hugo Lübbener –

Der Graf entfärbte sich ein wenig und warf dem Geheimrat einen schnellen, verstohlenen Blick zu, dem dieser unerschütterlich stand hielt.

Mein Bankier, sagte der Graf.

Das hat er mir nicht einmal mitgeteilt! rief Philipp – dann darf ich doch gewiß –

Es wird mir sehr angenehm sein, sagte der Graf, ein wenig verdrießlich.

Das trifft sich ja wundervoll! flüsterte der Geheimrat ihm zu, während Philipp durch die Tür, die er offen ließ, in das Kabinett rief:

Nur näher, Sie Geheimniskrämer, Sie! Sollte wohl glauben, daß die Firma allein schon bei dem Herrn Grafen so gut akkreditiert ist –

Wie der Herr Graf bei der Firma, sagte Herr Hugo Lübbener im Hereintreten. – Nehme mir die Freiheit, Herr Graf, da der Herr Graf mir nicht die Ehre erwiesen –

Hatte bei Gott noch keine Zeit, rief der Graf, die Hand, die ihm Herr Lübbener etwas zaghaft bot, an den Fingerspitzen ergreifend, – eine Welt von Geschäften –

Kennen wir, die wir beständig in der Geschäftswelt leben, sagte Herr Lübbener; – nicht wahr, Herr Geheimrat? – Aber nun will ich, nachdem ich die Freude und die Ehre gehabt, auch nicht einen Augenblick länger –

Und er machte eine rückschreitende Bewegung nach der Tür; der Graf warf einen Blick auf den Geheimrat, der die Augenbrauen in die Höhe zog.

Aber wenn Sie um meinetwillen – um unsertwillen gehen, Herr Lübbener – sagte der Graf; – wir sind hier, um die köstliche Sammlung unseres liebenswürdigen Wirtes zu bewundern –

Deren größter Bewunderer und Kenner Herr Lübbener selbst ist, fiel der Geheimrat ein.

Weil ich ein paar gute Sachen besitze? sagte Herr Lübbener; – du lieber Gott! man muß wohl heutzutage die Kunst, oder vielmehr die Herren Künstler protegieren. Das Beste fischt einem ja doch Freund Schmidt immer vor der Nase weg. Gestern stand dieser Riefstahl bei Lepke im Fenster, heute hängt er natürlich hier; was haben Sie nur gegeben, Schmidt?

Was glauben Sie?

In jedem Falle nur die Hälfte.

Philipp lachte, als ob er den alten Börsenwitz zum ersten Male hörte; der Geheimrat krähte, wie ein alter, sehr heiserer Hahn bei Regenwetter; der Graf schien höchlich amüsiert.

Was wollen die Herren? rief er – ein solches Bild ist einfach unschätzbar.

Philipp hatte das Licht des Reflektors auf das Bild fallen lassen, das freilich nun erst seine ganze Schönheit enthüllte.

Wirklich magnifique! sagte der Graf.

Er war noch etwas näher getreten, so daß er selbst in den Lichtkegel geriet. Der Anblick des so hell erleuchteten Grafen mußte für die drei anderen Herren, die etwas zurückstanden, etwas besonders Komisches haben. Sie tauschten schnelle Blicke untereinander aus und verzogen sämtlich die Gesichter zu einem schadenfrohen Lächeln. Der Geheimrat legte die Finger an die lange Nase; Philipp biß sich auf die Lippen.

Ich habe hier einen Hildebrandt, sagte er, den ich die Krone meiner kleinen Sammlung nennen möchte.

Allerdings aus seiner besten Zeit, sagte der Graf.

Man ging von Bild zu Bild, kritisierend, große Künstlernamen und nicht minder große Summen nennend, bis Philipp, der sein Programm gefährdet sah, ungeduldig wurde.

Ich weiß nicht, sagte er, – ich finde die Sachen heute alle nicht so gut, als sonst wohl.

Genau so, wie ich als Junge meine Exerzitien immer für fehlerlos hielt, bis der Lehrer sie in die Hand bekam, sagte der Geheimrat.

Die Herren machen wirklich aus meinem bißchen Kennerschaft zuviel, sagte der Graf in der besten Laune. – Mein Gott, sind wir denn noch nicht zu Ende?

Sie waren an der Tür zum Speisezimmer angelangt, die der Diener unterdessen geöffnet.

Der Herr Graf finden auch hier noch einige Bilder, sagte Philipp; – aber falls Sie sie überall noch sehen wollen, bitte ich doch, jetzt erst einmal einen kleinen Imbis zu nehmen.

Oder die Austern werden kalt, sagte Herr Lübbener.

Ich hatte gebeten, keine Umstände – sagte der Graf vorwurfsvoll, mit den Herren am Tische Platz nehmend.

Nicht die mindesten, Herr Graf! die Austern holt der Diener aus dem nächsten Restaurant – ein Hühnerflügel findet sich immer in der Küche eines alten Junggesellen –

Es leben die Junggesellen! sagte der Geheimrat, sein Glas erhebend.

Aber wie! rief Philipp, eine Auster schlürfend.

Von der Hand in den Mund! sagte Herr Lübbener, in derselben Weise beschäftigt.

Um Gottes willen, Lübbener! rief Philipp, wenn Sie auch kein Mitleid mit uns haben, schonen Sie wenigstens den Herrn Grafen!

Ich glaube, einen guten Witz zu goutieren, wie nur einer von den Herren, sagte der Graf.

Hören Sie es nun? rief Herr Lübbener; – kommen Sie, Schmidt, vergessen Sie Ihren Groll! – Die Sache, meine Herren, ist: ich war gekommen, ihm zu sagen, daß ich ihn bei der jungen Kaiserin-Königin mit dem besten Willen nur noch für hunderttausend beteiligen kann –

Wenn Sie noch ein Wort von Geschäften reden, bekommen Sie keinen Tropfen Chablis mehr! rief Philipp.

Ich wollte auch eben höflichst um ein Glas Bordeaux gebeten haben, entgegnete Herr Lübbener.

Der Geheimrat lächelte zu dem Grafen hinüber und zuckte die Achseln, als ob er sagen wollte: Harmlose Jungen! – so neckt sich das nun alle Tage! Der Graf erwiderte das Lächeln auf das huldvollste.

Unter den Römern muß man Römer sein, sagte er; – ich gestehe, es wäre mir sehr interessant, über die Kaiserin-Königin-Hütte, die jetzt so viel von sich reden macht, einiges Authentische zu erfahren.

Der Graf hatte das Signal gegeben; er konnte sich nicht wundern, daß in der nächsten halben Stunde ausschließlich von Geschäften gesprochen wurde, von seiner Seite so eifrig und interessiert, daß ihm das Blut in die Stirn stieg und er ein Glas nach dem andern trank. Man war von der Kaiserin-Königin-Hütte auf die Niedersächsische Maschinenfabrik, von dieser auf die Berliner Nordbahn, von dieser auf die Berlin-Sundiner Bahn gekommen. Die Herren wußten die interessantesten Details über die Geschichte dieser Bahn mitzuteilen, die nach einem so gloriosen Anfang an der Grenze des Konkurses stand – in den Augen von Leuten, die nicht wußten, daß man die Kurse künstlich gedrückt hatte, um die Aktien zurückkaufen zu können – dieselben Aktien, die, sobald die Konzession für die Fortsetzung der Bahn da war, wie ein Phönix aus der Asche erstehen mußten. – Ob der Herr Graf sich beteiligen wolle? es sei jetzt der rechte Augenblick! Der Herr Graf habe kein bares Geld? Spaß! Das Geld spiele überhaupt in der ganzen Sache gar keine Rolle! wieviel der Herr Graf wolle? fünfzigtausend? hunderttausend? hundertfünfzigtausend? Der Herr Graf brauche nur eine Zahl zu nennen! Der Herr Graf solle ja nichts geschenkt haben! Die Erklärung des Herrn Grafen, daß er eventuell in die Direktion der Inselbahn eintreten würde, sei allein fünfzigtausend unter Brüdern wert.

Daß ich die Herren nur nicht beim Wort nehme, rief der Graf.

Daß nur wir nicht Sie beim Wort nehmen, Herr Graf! rief Philipp zurück.

Mein Gott! nehmen wir uns doch gegenseitig beim Wort! rief Herr Lübbener.

Wollen wir's nicht lieber gleich schriftlich machen? rief der Geheimrat.

Treiben wir den Scherz auch nicht zu weit? sagte der Graf mit einem unsicheren, ratsuchenden Blick zu dem letzteren, den dieser mit einem ermutigenden Lächeln beantwortete.

Aber der günstige Moment, schien es, war vorüber; es entstand zum ersten Male eine Pause; Philipp tat, als ob der Diener, der jetzt mit einem Teller, auf dem ein paar Visitenkarten lagen, neben ihm stand und ihm etwas zuflüsterte, an der Unterbrechung schuld sei: – daß Ihr mich nicht einen Augenblick in Ruhe lassen könnt? was gibt's denn?

Er nahm die Karten von dem Teller und brach in ein Gelächter aus: Nein, das ist aber zu gelungen!

Darf man fragen, was?

Ich wage es wirklich nicht zu sagen, Herr Graf, um den Ruf eines soliden Mannes in den Augen dieser meiner Freunde nicht zu schädigen; einem Kavalier kann ich die Karten schon sehen lassen.

Sagen wir: in die Karten sehen lassen! rief Herr Lübbener.

Der Geheimrat machte ein verwundertes Gesicht; – Herr von Werben konnte doch nicht zwei Karten hereinschicken!

Aber, mein Gott, sagte der Graf, – lassen Sie die Damen doch nicht so lange antichambrieren!

Oho, Damen! rief Herr Lübbener.

Zwei Freundinnen, die manchmal die Güte haben, mich nach der Oper, respektive nach dem Ballet zu einem kleinen Souper abzuholen, erklärte Philipp; – ich versichere Sie, Lübbener, nichts von Ihrer leichten Ware; also lassen Sie Ihre Grimassen und richten Sie sich in Ihrem Betragen nach dem unseres würdigen Herrn Geheimrats!

Famoser Kerl! raunte der Geheimrat Herrn Lübbener ins Ohr, während sich die Herren erhoben.

Übertrifft sich heute selbst! raunte Herr Lübbener zurück.

Philipp war den Mädchen entgegengegangen, die in der Tür mit gut gespieltem Schrecken stehen blieben.

Gefangen, gefangen! rief er; – hier hilft kein Widerstreben! seien Sie vernünftig!

Er hatte sie bei den Händen ergriffen und zog sie vollends in das Zimmer.

Erlauben Sie, Herr Graf, daß ich Sie mit Fräulein Viktorine bekannt mache, dem schönsten Mezzo-Sopran, der je einer weiblichen Kehle entquoll, – Fräulein Bertalde, genannt die Unbegreifliche, weil keiner begreift, wie sie so große Salti auf so kleinen Füßen wagen kann.

Sie sind unausstehlich! sagte Viktorine.

Schämen Sie sich! sagte Bertalde; – und geben Sie uns lieber zu essen, wenn Sie uns doch nicht wieder fortlassen wollen!

Ich werde an einer andern Tafel servieren lassen, rief Philipp; – Johann!

Wir rücken zusammen! sagte der Graf, mit eigenen Händen für Viktorine, deren üppige Schönheit ihn vom ersten Augenblick entzückt hatte, einen Stuhl herbeitragend. Bertalde hatte, ihm gegenüber, zwischen Philipp und Herrn Lübbener Platz genommen; zwei frische Kuverts waren im Nu gelegt, der Graf hatte jetzt nichts gegen Champagner, den er im Anfang verbeten. Er war bereits vorhin nicht ganz nüchtern gewesen und merkte jetzt um so weniger, daß ihm der Rausch zu Kopf stieg, als durch die lustigen Mädchen ein freierer Ton in die Gesellschaft gekommen war, der sich bald zur Ausgelassenheit steigerte. Es fiel nicht mehr auf, daß die beiden jüngern Herren sich fast nur noch bei ihren Taufnamen anredeten; auch vertraulichere Bezeichnungen, wie: alter Schlaukopf – gesunder Junge! und ähnliche mit unterliefen, der Geheimrat selbst zu einem Geheimrätchen wurde; und er fand es höchst ergötzlich, als Viktorine Bertalden ein volles Glas mit den Worten: Bertchen, ich komme dir ein Ganzes! zutrank, worauf diese mit: ist recht, Trinchen! replizierte. Schon blieb man nicht mehr auf den Plätzen, und der Graf benutzte eine Gelegenheit, sich zu Bertalden zu setzen, deren schöne und, wie er meinte, wiederholt verlangend auf ihn gerichtete Augen diese Auszeichnung entschieden verdienten. Viktorine tat sehr eifersüchtig und intonierte zum unendlichen Ergötzen der anderen Herren: Mich verläßt der Undankbare – der Undankbare! während Bertalde durch anmutiges Neigen und Beugen und sonstiges Geberdenspiel den gefangenen Ritter in ihren Netzen festhalten zu wollen schien. Der Graf glaubte, die Schöne in ihrer Rolle dadurch unterstützen zu müssen, daß er den Arm um ihren Nacken legte, – ein geistreicher Einfall, der durch ein allgemeines Bravo der Gesellschaft belohnt wurde – als Bertalde plötzlich mit einem leisen Schrei in die Höhe und von ihrem Stuhl aufsprang, einem Herrn entgegen zu eilen, der, von den übrigen unbemerkt, in den Saal getreten war.

Ist es möglich? nein, ist es möglich? Herr von Werben – Ot –

Bist du toll?

Das Mädchen ließ die erhobenen Arme sinken; schon hatten sich die andern erhoben, Ottomar zu begrüßen, dessen Entschuldigung wegen seines späten Kommens in dem Lärm der Stimmen, die von allen Seiten zugleich erschallten, kaum gehört wurde: ein Vortrag im militärischen Verein, dem er habe beiwohnen müssen – endlose Diskussion hinterher – seine Kehle sei trocken von dem gelehrten Staube – bitte nur um ein Glas Wein! – Er stürzte den Wein hinunter; es war sicher nicht der erste, den er an diesem Abend getrunken; in seinen schönen Augen loderte ein düsteres Feuer; er wollte sich Vergessenheit trinken, und, wenn es ihm auch nicht gelang, so war er sicher nach wenigen Augenblicken der Ausgelassenste der Ausgelassenen. Der Graf seinerseits fühlte sich um vieles freier in Gesellschaft eines andern Kavaliers, der ihm im Vorübergehen ein ironisches »le roi s'amuse« ins Ohr geflüstert und selbst mit so gutem Beispiel voranging. Es wurde gelacht, gesungen, getollt: der Übermut der Mädchen kannte kaum noch eine Grenze. Sie wollten in einer Gesellschaft von Gründern endlich einmal erfahren, was Gründen sei? wie man gründe? sie wollten einmal Gründer spielen!

So konstituieren sich die Damen doch gleich selbst als Gründungskomitee! rief Philipp.

Aber als offne Handelsgesellschaft, wenn ich mir den Rat erlauben darf! sagte Herr Lübbener.

Unter der Firma: Glück und Glas! sagte der Geheimrat.

Ich proponiere als Notar den Herrn Geheimrat, rief der Graf, der nicht hinter den andern zurückbleiben wollte.

Der Vorschlag wurde mit Beifall aufgenommen; der Geheimrat nahm die Ehre dankbar an und begann den Gesellschaftsvertrag zu formulieren, wobei die andern halfen und sich gegenseitig in Einfällen zu überbieten suchten. Der Gegenstand sollte eine Lustbahn nach dem Monde sein, wobei man sich die Fortsetzung der Bahn nach dem Großen Bären vorbehielt, in dem Augenblick, wo der Mann im Monde sein letztes goldenes Horn in dem Unternehmen versilbert haben sollte. Als Aktienkapital wurden von Philipp sieben Milliarden Fixsterne proponiert, worauf der Notar die Gesellschaft daran erinnern zu müssen glaubte, daß diese Münzsorte unangenehme Ideenverbindungen an der Börse wachrufen könne; ob »Kometen« nicht vertrauenerweckender klinge? Es müßten dann freilich zehn Milliarden sein, da zu viele falsche in Kurs wären, die man von Sternschnuppen selbst auf der Goldwage nicht mehr unterscheiden könne. Die zehn Milliarden waren im Nu gezeichnet; Ottomar und Bertalde, die am wenigsten gezeichnet, konnten der Ehre des Vorstandes nicht teilhaftig werden und mußten, während dieser sich um das eine Ende des Tisches gruppierte, als simple Aktionäre am andern Ende Platz nehmen. Der Graf sollte erster Direktor sein mit Viktorine als Stellvertreterin; der Graf protestierte: Viktorinen gebühre das Präsidium; man disputierte, stritt, zankte sich förmlich; Bertolde hatte den Moment benutzt, Ottomar von dem Tische nach einem Divan in der Nähe zu ziehen.

Warum habe ich Sie seit einem Jahre nicht gesehen, Ottomar?

Ich soll heiraten, liebes Kind.

Was hat das mit der Liebe zu tun? Haben Sie eine andere Liebste?

Ich habe keine andere Liebste.

Weshalb denn diese Wolken auf der schönen Stirn? Weshalb denn diese trüben Blicke, mein süßer Ottomar?

Gute Bertalde!

Bin ich das wirklich? liebst du mich noch ein ganz klein wenig?

Gewiß! gewiß!

Dann – sie hatte ihren Arm um seinen Nacken geschlungen, und ihren Mund seinem Ohr nähernd, flüsterte sie ihm ein paar Worte zu, in dem Augenblick, als von dem Tisch überlautes Gelächter erschallte.

Ottomar sprang auf: man ruft nach uns! das Mädchen sank, seiner Rückkehr und seiner Antwort harrend, in die Ecke zurück und schloß die Augen, während die üppigen Lippen sich wie zum Kusse wölbten.

Sie schaute auf und strich mit der Hand über die heißen Augen. Was war das? Ottomar war nicht mehr im Saale – im Vorsaale vielleicht? Sie schlich auf den Fußspitzen dorthin. Herr von Werben hatte sich seinen Paletot angezogen und das Haus verlassen.

Pah! sagte das Mädchen, – daraus muß man sich nichts machen; da muß man lachen!

Und sie lachte wie toll, als sie wieder an dem Tische saß, wo Ottomars Verschwinden kaum bemerkt wurde, und die andern lachten wie toll über eine Rede, in der der Geheimrat mit wundervoll trockner Komik die Mitglieder des Gründerkomitees, die ersten Zeichner, den Aufsichtsrat und Vorstand der Erde-Mond-Groß-Bären-Bahn, und falls sich eine und die andere Person zufällig in doppelter oder dreifacher Eigenschaft vorfinden sollte, doppelt und dreifach leben ließ.

Die nächsten Schritte solider Gründer werden erfahrungsmäßig hinter den Kulissen gemacht, sagte Philipp, mit zynischem Lächeln dem Grafen sein Glas hinhaltend.

Oder hinter die Kulissen! entgegnete der Graf, mit einem Seitenblick auf Viktorinen.

Es leben die Kulissen! rief Hugo Lübbener.

Und die Kulisse! sagte der Geheimrat.

Die Gläser klangen zusammen; höher und höher gingen die Wogen der Lust und schlugen über dem letzten Rest von Anstand und Sitte brausend zusammen.


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