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Zehntes Kapitel

Der letzte Wagen war davongerollt; die Diener räumten unter Sidoniens Aufsicht in den Gesellschaftszimmern; Else, die sonst der Tante jede häusliche Mühe abnahm, hatte sich unter dem Vorwand, daß sie sich ein wenig angegriffen fühle, zurückgezogen, um in ihrem stillen Zimmerchen, nicht gestört durch das Klappern der Stühle und Tische, den holden Nachklang des köstlichen Abends in ihrem Herzen austönen zu lassen. Es wäre ja gar nicht nötig gewesen, daß er den Rheinländer so wundervoll tanzte; sie hätte ihm doch im Walzer den großen, flammenden Orden gebracht, den sie ganz zu unterst in den Korb gelegt und den sie, als die Reihe an sie kam, mit kühnem Griff glücklich herausgeholt, um ihn dann mit zitternden Händen neben dem eisernen Kreuz auf seiner Brust zu befestigen. Ja, ihre Hände hatten gezittert, und ihr Herz hatte gebebt, als sie das große Werk zustande gebracht und nun zu ihm aufschaute in seine Augen; aber es war vor Glück gewesen, vor eitel Glück und Wonne. Und Glück und Wonne waren es auch wohl, die sie jetzt nicht einschlafen ließen, nachdem sie ihre größten Kostbarkeiten: das Album mit seinem Bilde und den kleinen Kompaß, auf ihr Nachttischchen gelegt und das Licht verlöscht hatte, und das Licht wieder anzündete, um in das Kompaßkästchen einen Blick zu werfen und sich zu überzeugen, daß »sie noch immer treu war« – und »ihren Herrn suchte«, und dann das Album aufzuschlagen an der Stelle, die immer von selbst aufschlug, und sein Bild noch einmal zu sehen – nein, nicht das Bild – es war abscheulich! – aber auf die Unterschrift: Mit Liebe! heimlich, ganz heimlich einen Kuß zu hauchen und dann das Licht schnell, ganz schnell wieder auszulöschen und den Kopf in das Kissen zu drücken und ihn im Traum zu suchen, dem sie treu war im Traume und im Wachen; von dem sie wußte, daß er ihr treu sein würde im Wachen und im Traum.

Auch Ottomar hatte sich, als die letzten fort waren, mit einem flüchtigen: Gute Nacht! Ich bin zum Stürzen müde! wo ist denn der Vater? von den Damen verabschiedet und war, ohne die Antwort auf die letzte Frage abzuwarten, die Treppe hinabgegangen. Auf dem Korridor, der zu seinem Zimmer führte, mußte er an dem des Vaters vorüber. Er hatte einen Augenblick still gestanden. Der Vater, der wenige Minuten vorher hinabgegangen, war sicher noch auf, und Ottomar hatte noch jedesmal bei einer solchen Gelegenheit angeklopft und ihm wenigstens durch die geöffnete Tür gute Nacht geboten. Heute tat er es nicht. – »Ich bin zum Stürzen müde!« wiederholte er, als ob er die Verletzung der häuslichen Sitte vor sich selbst entschuldigen wollte.

Aber, auf seinem Zimmer angelangt, dachte er nicht daran, zu Bett zu gehen. Es hätte ja auch nichts geholfen, solange ihm das Blut durch die Adern jagte, »als ob es toll wäre«, sagte Ottomar, während er die mit Kotillonorden bedeckte Uniform aufriß und von sich schleuderte und Weste und Binde abriß, und in das erste beste Kleidungsstück, das ihm in die Hand kam – seine Jagdjoppe – hineinfuhr, und sich mit der Zigarre in das offene Fenster stellte. Die Nacht war empfindlich kühl, aber die Kälte tat ihm wohl; es sprühte aus den schwarzen Wolken, aber er achtete es nicht; und so stand er, in die schwarze Herbstnacht hineinstarrend und seine Zigarre dampfend – wirre Gedanken in seiner verstörten Seele wälzend – vor dem Hämmern der Adern in seinen Schläfen und dem Sausen des Windes in dem raschelnden Laub der Bäume nicht hörend, daß bereits zweimal an seine Tür gepocht war; zusammenfahrend wie ein Verbrecher, als jetzt eine Stimme dicht an seinem Ohre ertönte. Es war August.

Ich bitte um Entschuldigung, Herr Leutnant! ich habe schon ein paarmal angeklopft.

Was wollen Sie?

Der Herr General läßt den Herrn Leutnant ersuchen, doch sogleich zu ihm zu kommen.

Ist mein Vater krank?

August schüttelte den Kopf: der Herr General sind noch in Uniform und sehen auch nicht weiter krank aus, nur ein bißchen –

Nur ein bißchen was?

Der Mann kraute sich im Haar: Ein bißchen wunderlich, Herr Leutnant – ich glaube, Herr Leutnant, der Herr General –

Zum Teufel, wirst du den Mund auftun!

August kam einen Schritt näher und sagte im Flüsterton: ich glaube, der Herr General haben einen bösen Brief bekommen, vorhin – es mochte wohl schon halb zwölf sein. Ich habe den Menschen nicht gesehen, der ihn gebracht hat, und Friedrich hat ihn auch nicht weiter gekannt, und er wird ja denn wohl auch gleich wieder weggegangen sein. Aber ich werde den Brief ja denn dem Herrn General selber bringen müssen, und der Herr General wird ein ganz kurioses Gesicht machen, als er den Brief liest –

Von einer Dame?

August konnte trotz der aufrichtigen Sorge, die er für seinen jungen Herrn empfand, ein Lächeln nicht unterdrücken: I, ne, sagte er, – die sehen anders aus – das wird man ja mit der Zeit auch weggekriegt haben: ein großmächtiger Brief –

Diese verdammten Manichäer! murmelte Ottomar. – Er begriff den Zusammenhang nicht; der nächste Wechsel war erst in acht Tagen fällig; aber was auf der Welt konnte es anders sein? Der Vater würde ihm wieder eine allerliebste Szene machen – ah bah! er würde sich dann einige Tage früher verloben, wenn denn doch nun schon einmal verlobt sein mußte, und wäre es auch nur, damit diese schändlichen Scherereien endlich einmal aufhörten, vor denen man selbst in der Nacht auf seinem Zimmer keine Ruhe hatte und seine Zigarre nicht in Frieden rauchen konnte!

Er schleuderte die Zigarre aus dem Fenster; August hatte seine Uniform genommen und steckte die Kotillonorden ab. – Was soll denn das?

Wollen der Herr Leutnant nicht doch lieber die Uniform anziehen? fragte August.

Unsinn! sagte Ottomar; das fehlte noch gerade, um –

Er brach ab; er konnte doch August nicht sagen: die langweilige Geschichte noch langweiliger und feierlicher zu machen. – Ich werde dem Papa ganz einfach erklären, daß ich ihn künftig mit dergleichen nicht weiter zu behelligen denke und vorziehe, meine Angelegenheiten von Wallbach endgültig arrangieren zu lassen, sprach er bei sich, während August mit dem Lichte vor ihm her – die Gaslampen auf den Fluren waren schon ausgelöscht – den Korridor hinaufschritt und jetzt an des Vaters Tür still stand.

Sie können das Licht da auf den Tisch stellen und meinetwegen zu Bett gehen und Friedrich sagen, daß er mich morgen um sechs Uhr wecken soll.

Er hatte die Worte lauter gesprochen, als nötig war, und dabei fiel ihm auf, daß seine Stimme seltsam fremd klang, – als ob es gar nicht seine eigne Stimme wäre. Es war gewiß nur, weil schon alles still im Hause war, so still, daß er jetzt wieder das Blut in seinen Schläfen rieseln und sein Herz schlagen hörte.

Die verfluchten Manichäer! murmelte er noch einmal durch die Zähne, als er an die Tür Pochte.

Herein!

Der Vater stand an seinem Arbeitstisch, über dem die Hängelampe brannte. Auch auf der Konsole vor dem Spiegel brannten die Lampen noch, es war unheimlich hell in dem Zimmer, und unheimlich aufgeräumt, obgleich es heute genau so war, wie es Ottomar gesehen, solang er denken konnte. Er hätte am Ende doch die Uniform anziehen sollen.

Ich bitte um Entschuldigung, Papa, daß ich im Negligé komme, ich war im Begriff, zu Bett zu gehen, und August machte es so eilig –

Der Vater stand noch immer an dem Tisch, die eine Hand aufgestützt, ihm den Rücken zukehrend, ohne zu antworten. Das Schweigen des Vaters legte sich wie ein Alp auf Ottomars Seele; er schüttelte mit einer gewaltsamen Anstrengung die dumpfe Verzagtheit ab: Was wolltest du, Papa?

Zuerst dich bitten, diesen Brief zu lesen, sagte der General, sich langsam umwendend und auf ein Blatt, das vor ihm auf dem Tische ausgebreitet war, mit dem Finger deutend.

Ein Brief? an mich?

Dann würde ich ihn nicht gelesen haben; ich habe ihn gelesen.

Er war von dem Tisch zurückgetreten und ging, die Hände auf dem Rücken, langsam-gleichmäßigen Schrittes in dem Zimmer auf und nieder, während Ottomar auf derselben Stelle, wo eben der Vater gestanden, ohne das Blatt zur Hand zu nehmen – die Handschrift war deutlich genug – las:

»Hochwohlgeborner, hochzuverehrender Herr General!

Ew. Hochwohlgeboren wollen gütigst entschuldigen, daß der ergebenste Endesunterzeichnete es wagt, Ew. Hochwohlgeboren Aufmerksamkeit auf eine Angelegenheit zu lenken, die das Wohl Ihrer werten Familie auf das ernstlichste zu gefährden droht. Es handelt sich aber um ein Verhältnis, das Ihr Herr Sohn, der Herr Leutnant von Werben, seit längerer Zeit mit der Tochter Ihres Nachbars, des Herrn Marmorwaren-Fabrikanten Schmidt, unterhält. Ew. Hochwohlgeboren wollen dem Unterzeichneten erlassen – obgleich er sehr wohl dazu imstande wäre –, auf Einzelheiten einzugehen, die besser in der Verschwiegenheit bleiben, in der sie die Beteiligten – allerdings vergeblich – zu halten suchten; und wenn der Unterzeichnete sie bittet, den Herrn Sohn zu fragen, wo er heute abend von 8–9 Uhr und mit wem er eine Zusammenkunft gehabt, so ist es nur, um Ew. Hochwohlgeboren anzudeuten, wie weit das erwähnte Verhältnis bereits gediehen ist.

Es würde so töricht wie unerlaubt sein, anzunehmen, daß Ew. Hochwohlgeboren von dem allen unterrichtet wären und gleichsam nur ein Auge zugedrückt hätten, wenn Ihr Herr Sohn auf dem Punkte steht, sich mit der Tochter eines ultra-radikalen Demokraten zu verloben; im Gegenteil, der Unterzeichnete kann sich im voraus die schmerzliche Überraschung ausmalen, die Ew. Hochwohlgeboren bei Lesung dieser Zeilen empfinden dürften; aber, Ew. Hochwohlgeboren, der Unterzeichnete ist auch Soldat gewesen und weiß, was soldatische Ehre ist – wie er denn seinerseits Zeit seines Lebens auf Ehre gehalten – und er hat es nicht länger mit ansehen können, daß mit der Ehre eines so braven, hochverdienten Offiziers hinter seinem Rücken ein freventliches Spiel getrieben wird von demjenigen, der mehr als jeder andere zum Wächter eben dieser Ehre berufen scheint.

Der Unterzeichnete glaubt, daß es nach dem Obigen keiner besonderen Versicherung der ungemeinen Hochschätzung bedarf, mit welcher er ist Ew. Hochwohlgeboren und Ew. Hochwohlgeboren ganzer Familie

treuester Verehrer.«

Der General hatte seinem Sohn mehrere Minuten Zeit gelassen; jetzt, als Ottomar immer noch regungslos vor sich hinstarrte – nur die Zähne nagten geschäftig an der blassen Unterlippe – blieb er, durch die Länge des Zimmers von ihm getrennt, stehen und fragte:

Hast du eine Ahnung, wer diesen Brief geschrieben hat?

Nein.

Hast du den leisesten Verdacht, die Dame, um die es sich handelt –

Um Gottes willen! rief Ottomar heftig.

Ich bitte um Verzeihung; aber ich bin in der peinlichen Lage, fragen zu müssen, da du mir die Erklärungen, die ich erwartete, schuldig bleiben zu wollen scheinst.

Was soll ich hier erklären? fragte Ottomar mit verbissenem Trotz; – es ist, wie es ist.

Kurz und bündig, erwiderte der General, – nur nicht ebenso klar. Mir wenigstens bleiben noch verschiedene dunkle Punkte. Hast du der Dame – ich darf mich doch so ausdrücken?

Ich würde dich sonst darum ersuchen müssen –

Also, hast du der Dame irgend etwas, und wäre es das Geringste, vorzuwerfen, was – abgesehen von den äußeren Verhältnissen, wovon später – dich verhindern könnte, sie in Elses Gesellschaft zu bringen? – bei deiner Ehre!

Bei meiner Ehre, nein!

Weißt du von ihrer Familie – abermals abgesehen von den äußeren Verhältnissen – irgend etwas, auch nur das Geringste, was einen andern Offizier, der nicht in deiner exzeptionellen Lage wäre, verhindern würde und müßte, sich mit der Familie zu verbinden? – bei deiner Ehre!

Ottomar zögerte einen Moment mit der Antwort; er wußte von Philipp absolut nichts Ehrenrühriges; er hatte gegen ihn nur den eingeborenen Instinkt des Gentleman gegen einen Menschen, der in seinen Augen kein Gentleman ist; aber es dünkte ihm Feigheit, sich hinter dies dunkle Gefühl verkriechen zu wollen.

Nein! sagte er grollend.

Du hast die Dame mit deinen Verhältnissen bekannt gemacht?

Im allgemeinen: ja.

Unter anderem damit, daß du enterbt bist, sobald du eine Dame, die nicht von Adel ist, heiratest?

Nein.

Das war ein wenig unvorsichtig; indessen: ich begreife es. Aber im allgemeinen, sagst du, kennt sie die Schwierigkeiten, die auch im günstigsten Falle eine Verbindung zwischen ihr und dir haben würde?

Ja.

Hast du sie je fühlen lassen, daß du weder willens, noch imstande seiest, die Schwierigkeiten zu beseitigen?

Nein.

Sondern sie vielmehr glauben lassen, sie vielleicht versichert, daß du sie beseitigen könntest und würdest?

Ja.

So wirst du die Dame heiraten?

Ottomar zuckte zusammen, wie ein Roß, dem der Reiter die Sporen in die Flanken schlägt. Er hatte gewußt, daß das das Ende sein würde, sein mußte; trotzdem, wie es jetzt ausgesprochen war, bäumte sich sein Stolz gegen den Zwang auf, den irgend jemand, und wäre es auch der eigne Vater, seinem Herzen antun wollte. Und im Hintergrunde lauerte wieder gespensterhaft die fürchterliche Empfindung, die er im Park gehabt: daß er schwächer sei, als sie, die sich so vertrauensvoll in seine Arme schmiegte. Sollte er überall der Schwächere sein? überall folgen, wohin er nicht wollte? sich überall seinen Weg von andern vorschreiben lassen?

Nun und nimmermehr! stieß er hervor.

Wie? nun und nimmermehr? sagte der General. – Ich habe hier doch mit keinem eigenwilligen Knaben zu tun, der das Spielzeug zerbricht, das ihm nicht mehr gefällt, sondern mit einem Manne von Ehre, einem Offizier, der die Gewohnheit hat, sein Wort pünktlich einzulösen?

Ottomar fühlte, daß er einen Grund, den Schatten eines Grundes – irgend etwas vorbringen müsse.

Ich meine, sagte er, daß ich mich nicht entschließen kann, nach einer Seite einen Schritt zu tun, der mich in die Lage brächte, notwendig nach der andern Seite ein Unrecht zu begehen.

Ich glaube, deine Lage zu verstehen, erwiderte der General, – sie ist nicht angenehm; aber, wer so vielseitig ist, sollte doch auf dergleichen gefaßt sein. Übrigens bin ich dir die Gerechtigkeit schuldig, zu erklären, daß ich mich in deinem Betragen gegen Fräulein von Wallbach jetzt wenigstens zu orientieren beginne und darin nur die Konsequenz vermisse, an die du mich freilich leider niemals und in keinem Punkte gewöhnt hast. Nach meiner Auffassung war es deine Pflicht, ein für allemal zurückzutreten in dem Augenblicke, wo dein Herz ernstlich nach einer andern Seite engagiert war. Es wäre das immerhin, bei unsern engen Relationen mit Wallbachs, sehr unbequem und unangenehm gewesen, aber schließlich: man kann sich in seinen Gefühlen täuschen, und die Gesellschaft akzeptiert auch dergleichen Wandlungen des Herzens und die praktischen Konsequenzen, wenn alles zur rechten Zeit und mit guter Manier geschieht. Wie du diesen Rückzug jetzt ausführen wirst, ohne dir und uns die ernsthaftesten Verlegenheiten zuzuziehen, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß es geschehen muß. Oder hättest du dein Unrecht auf die Spitze getrieben und dich hier gebunden, wie du dich dort gebunden hast?

Ich bin gegen Fräulein von Wallbach durch nichts gebunden, als was alle Welt gesehen hat; durch kein Wort, das nicht alle Welt gehört hat, oder wenigstens hätte hören dürfen, und mein Gefühl für sie ist vom ersten Augenblicke an so schwankend gewesen –

Wie dein Betragen. Sprechen wir also nicht mehr davon; fassen wir lieber die Situation ins Auge, die du dir selbst bereitet hast, und ziehen wir die Konsequenzen. Die erste ist, daß du dir deine diplomatische Karriere verscherzt hast – du kannst nicht mit einer bürgerlichen Gemahlin an dem Petersburger Hofe, oder irgend einem Hofe erscheinen; – die zweite, daß du dich zu einem andern Regiment versetzen lassen mußt, da du, mit einem geborenen Fräulein Schmidt zur Gattin, in deinem Regiment aus den widerwärtigsten Konflikten und Kollisionen nicht herauskommen würdest; – die dritte, daß, wenn die Dame dir nicht ein Vermögen oder zum mindesten einen sehr erheblichen Zuschuß mitbringt, daß Arrangement deines äußeren Lebens für die Zukunft ein wesentlich anderes sein muß, als es bisher war, und ich fürchte, eines, das deinem Geschmacke wenig zusagen dürfte; der vierten Konsequenz, daß du durch diese Verbindung – und wäre sie in bürgerlich-moralischem Sinne so ehrenwert, wie ich wünsche und hoffe – nach dem einfachen Buchstaben des Testamentes des Anrechtes auf die Erbschaft verlustig gehst, tue ich nur noch einmal Erwähnung, um alles gesagt zu haben.

Ottomar wußte, daß der Vater nicht alles gesagt, daß er großmutig die fünfundzwanzigtausend Taler verschwiegen hatte, die er im Laufe der letzten Jahre für ihn an Schulden bezahlt – das heißt, bis auf einen winzigen Rest das ganze eigene Vermögen – und daß er dem Vater dies Geld in nächster Zeit nicht wieder zurückgeben konnte, wie es doch gewiß seine Absicht gewesen; vielleicht nie wieder würde zurückgeben können. Der Vater war dann auf sein Gehalt angewiesen, schließlich auf seine Pension; und er hatte in der letzten Zeit wiederholt davon gesprochen, seinen Abschied nehmen zu wollen!

Sein Blick, der verwirrt den Boden gesucht hatte, irrte scheu zum Vater hinüber, der langsam, wie vorhin, im Zimmer auf und niederschritt. War es die Beleuchtung? war es, daß er ihn heute anders sah, als sonst: der Vater erschien ihm um zehn Jahre gealtert, zum ersten Male als ein alter Mann. In das Gefühl ehrfürchtiger Liebe, das er stets für ihn gehegt, mischte sich eine Empfindung des Mitleids fast; er hätte ihm am liebsten zu Füßen stürzen und, seine Knie umklammernd, rufen mögen: vergib mir, was ich vor dir gesündigt habe! aber er war wie an die Stelle gebannt, die Glieder wollten sich nicht fügen, nicht folgen; die Zunge war wie an den Gaumen geklebt; er brachte nichts heraus, als: es bleibt dir dann noch immer Else.

Der General war vor den lebensgroßen Bildern seiner Eltern, welche die eine Wand schmückten, stehen geblieben – einem höheren Offizier in der Uniform der Freiheitskriege und einer noch jungen Dame in der Tracht jener Zeit, der Else um Stirn und Augen auffallend ähnelte.

Wer weiß? sagte er.

Er strich sich mit der Hand über die Stirn.

Es ist tief in der Nacht – zwei Uhr – und der nächste Tag wird auch seine Plage haben. Willst du so gut sein, die Gasflammen über dir auszulöschen? Hast du Licht draußen?

Ja, Papa.

Nun dann, gute Nacht!

Er hatte selbst eine der Lampen vor dem Spiegel ausgelöscht und die andere genommen. – Willst du die Tür suchen?

Ottomar wollte rufen: deine Hand! aber er wagte es nicht und ging mit einem: gute Nacht! das trotzig klang, weil er fast in Weinen ausgebrochen wäre, nach der Tür. Der Vater stand an der zu seiner Schlafstube: Noch eins! Ich habe vergessen, zu sagen, daß ich mir vorbehalte, die nächsten Schritte selbst zu tun. Da du so lange gezögert, die Initiative zu ergreifen, wirst du mir diese Gunst wohl gewähren müssen. Ich werde dich natürlich au courant erhalten. Ich bitte, daß du bis dahin keinen Schritt ohne mein Wissen tust. Wir müssen doch jetzt im Einvernehmen handeln, nachdem wir uns verständigt haben.

Er hatte die letzten Worte mit einer Art melancholischem Lächeln gesagt, das Ottomar durchs Herz schnitt. Er konnte es nicht länger ertragen und stürzte aus dem Zimmer.

Auch der General hatte bereits die Hand auf dem Drücker gehabt; aber, als Ottomar jetzt verschwunden war, zog er sie wieder zurück, trug die Lampe auf den Schreibtisch, von dem er ein Kästchen aufschloß und herauszog, worin er zwischen einigen, wenig wertvollen Schmucksachen seiner verstorbenen Gemahlin und seiner Mutter auch die eisernen Ringe der Eltern aus den Freiheitskriegen aufbewahrte.

Er nahm die Ringe.

Es ist eine andere Zeit gekommen, murmelte er, – keine bessere. Wohin, ach, wohin sind sie geschwunden: Eure Frömmigkeit, eure Pflichttreue? eure keusche Einfachheit, eure heilige Entsagung? Ich habe mich redlich bemüht, euch nachzueifern, der würdige Sohn eines Geschlechts zu sein, das keinen andern Ruhm kannte, als die Tapferkeit seiner Männer und die Keuschheit seiner Frauen. Was habe ich gesündigt, daß es so an mir heimgesucht wird?

Er küßte die Ringe und legte sie in den Kasten, und nahm von mehreren Miniaturbildern auf Elfenbein das eines bildschönen, braunäugigen, braunlockigen Knaben von vielleicht sechs Jahren.

Lange betrachtete er es unverwandt.

Der Mannesstamm der Werben würde mit ihm aussterben, und – er war mein Liebling. Vielleicht soll ich dafür bestraft werden, daß ich so unsäglich stolz auf ihn war.


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