Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Zehn Jahre später.

Ei, seht die Lindenhütte! Was für ein schmuckes Häuslein daraus geworden ist! In schneeiger Weiße schimmern die Kalkwände durch die Lindenbaumzweige. Der Rauch schwalcht nicht mehr über die Hecketür an den Wänden entlang und hinauf, sondern muß seinen Ausgang hübsch säuberlich durch den Schornstein nehmen, der, aus roten Backsteinen gemauert, stolz über den Dachfirst sich erhebt.

Unsre Friedesinchenpate zählt jetzt 60 Jahre; die Lorepate ist ein Jahr jünger. Wer die beiden Weiblein aber früher gesehen hat, der muß sagen, die zehn Jahre haben sie eher jünger als älter gemacht, so wohl sehen sie aus. 's ist doch ein gewaltiger Unterschied, ob einer ein gram- und sorgenvolles, oder ob er ein freudvolles Dasein hat! Ach, lieber Gott, das wollt' ich meinen!

Ganz ungetrübt ist die Daseinsfreude der Lindenhüttenfrauen aber dennoch nicht: Sie klagen, 403 daß die kleinen Lindenhüttennester allgemach gar so leer geworden seien, daß nun all' so viel freier, stiller Raum um sie her wäre.

Von den neun Lindenhüttenkindern – die Bonderschen Kleinen eingerechnet – sind nämlich nur noch die beiden Jüngsten daheim.

Ganz ohne Gram geht's auf Erden nun einmal nicht.

Oft hört man die Friedesinchenpate zwischen Lachen und Weinen sagen, daß es ihr nie wohler gewesen sei, als da sie bei jedem Schritt und Tritt über ein Kindlein hätte hinweghopsen müssen. – »Wenn's doch nur erst wieder Kinder gäbe!« seufzt sie dann auch wohl und bricht dabei wieder in ihr lustiges Gekicher aus.

»Warte nur, Friedesinchen,« entgegnet darauf unter hellem Lachen die Lore, »es wird dir schon noch früh genug über die Körbe gehen!«

So scherzen sie sich das kleine Herzeleid hinweg, so schauen sie aus einer freudvollen Gegenwart in eine noch freudvollere Zukunft hinein.

Wollte ich nun die Schicksale der Ausgeflogenen ausführlich beschreiben, so würde das leicht noch ein Buch geben; ich denke aber, es ist einstweilen genug. Der getreue Leser kennt jetzt die Leute und Kinder aus der Lindenhütte und weiß, daß es denen nicht anders als wohl ergehen kann. 404 Es ist schon so: Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser, und die Treue erhält die Krone.

Indes will ich doch geschwind noch soviel verraten: Christinchen lebt nach wie vor im schönen Grafenschlosse und gilt jetzt als die schönste, holdeste Jungfrau von ganz Hilgenthal. Schier gespaßig ist's, daß sie schon manch stolzem Bauernburschen einen Korb gegeben hat. Selbst des frommen Kellermeyers einziger Sohn hat mit einem großen Korbe abziehen müssen. Ja, so gewaltig hat sich das Blatt gedreht! –

Hannchen und Lorchen, die sich auch wohl sehen lassen können, dienen unter Christinchens Leitung im Schloß, und der Graf und die Gräfinnen sagen's mit unverhohlener Freude, daß alles, was aus der Lindenhütte komme, lauteres Gold sei. Es sind bis jetzt drei ganz junge Grafen da und zwei junge Gräfinnen, die sich das Leben ohne die Lindenhüttenmädchen gar nicht denken können.

Fritz Bonder aber befindet sich schon seit vier Jahren als Forstverwalter auf dem ungarischen Gute. Seine älteste Schwester ist mit ihm gezogen und führt ihm den Haushalt.

Und Christel? Der schaltet und waltet auf dem Gute zu Volkerswalde, und der wackere alte 405 Baron hat seine helle Freude an ihm. »Ich habe den echten Lindenhüttenmann wieder – ich habe mir eine Goldseele erworben,« pflegt er oft zu sagen. Und nicht selten pflegt er mit einer urbehaglichen Miene hinzuzusetzen: »Ich kann es mir jetzt gemütlich machen!« Er hat so wie so noch genug zu tun, denn die kleinen Hilgenthaler Grafen und Gräfinnen wollen doch auch fast jeden Tag geherzt und gehätschelt sein.

Christel ist in der Tat ein vorzüglicher Hofmeister. Aber er ist auch ein Prachtjunge und steht bei jung und alt hoch angeschrieben. Dazu ein sehr hübscher Bursche, – und das empfindet wohl niemand so sehr wie das reizende Töchterlein des . . . doch ich will's lieber nicht ausplaudern, der Christel möchte mir böse werden, denn er denkt noch nicht aus Freien.

Nun wieder zurück zur Lindenhütte! Den Vater Lindemann wollen wir aufsuchen; er war vorhin nicht daheim.

Was, wieder verfehlt? Im Hilgenholze wäre er, sagt die Friedesinchenpate und kichert durchs Fenster.

Auf zum Hilgenholze!

Es ist ein Wintertag wie ehedem. Der Schnee wirbelt in der Luft, knistert unter den Füßen, und hell erschallen im Walde die Schläge 406 der Äxte. Wir stellen uns hinter eine Buche, lauschen und lugen.

Ein Freudenruf geht durch die Holzhauerreihen: »O seht, unser Herr Graf!« Eine große Bewegung entsteht; eine freudige Überraschung malt sich auf den Gesichtern. Da sehen wir nun unsern lieben Vater Lindemann wieder: Der ist's, der schnell die Axt aus der Hand fallen läßt und dem Grafen einige Schritte entgegen tritt.

Und der Graf, eine schlanke, stattliche Gestalt mit blondem Vollbart, nickt den respektvoll grüßenden Holzhauern freundlich zu, schüttelt seinem Waldwärter die Rechte und sagt: »Aber, Vater Lindemann, können Sie denn die Art nimmer ruhen lassen?«

Lindemann, dessen Haupthaar sich inzwischen silbergrau gefärbt hat, nimmt die Axt auf, drückt sie fest an sich und erwidert: »Herr Graf, die Axt ist doch mein Alles, meine Geliebte fürwahr. Von Kindesbeinen an bin ich mit ihr verbunden. Und – alte Liebe rostet nicht. Wenn ich in den Wald komme und den alten lieben Ruf meiner Axt höre, dann zieht's mich zu ihr mit Gewalt. – Können Sie's nicht billigen, Herr, nehmen Sie das Amt von mir, aber lassen Sie mich Holzhauer bleiben.«

Der Graf lacht herzlich und fragt mit 407 eigentümlich zwinkerndem Blick: »Vater Lindemann, weiß denn niemand etwas von unserm – Fritz Bonder?«

»Ei der Tausend, Fritz Bonder? Wenn der gute Junge in den finstern Wäldern Ungarns nur nicht umgekommen ist. Schon in zwei Wochen hat er nicht geschrieben. Oder sollte dem Fritz in der letzten Zeit gar in den Sinn gekommen sein, daß es doch wohl nicht schicklich sei, als ein vornehmer Jägersmann mit einem alten schlichten Holzhauer noch fürderhin Briefe zu wechseln?«

»Aber Alter!« mahnt der Graf.

»Behüte Gott! – Es ist auch mein Ernst nicht,« hören wir Lindemann kopfschüttelnd sagen. »Ließe der Racker doch nur endlich 'mal wieder was von sich hören! Es verlangt mich doch gar sehr darnach. Noch lieber freilich möchte ich den guten Jungen 'mal in seinem Jägerzeug sehen. – Wie prächtig er aussehen mag in seiner grünen Uniform? Ein hübscher Bursch war er ja selbst in seinem blauen löcherigen Hedekittel.«

Jetzt lacht der Graf laut auf und ruft in sprudelnder Jugendlust: »Seht 'mal, seht 'mal, Vater Lindemann! Ich glaube, die struppige, wohlbeleibte Madame Buche dort hat mit jemand 408 ein Stelldichein! Heda, alte, dicke Waldfrau, geht 'mal ein wenig zur Seite!«

Herrgott im Himmel! Da tritt ein kräftig schlanker Jägersmann, die blitzende Büchse an der Seite, hinter dem Baume hervor und läuft dem jäh zurückprallenden Vater Lindemann gerade in die Arme.

»Junge . . . Junge . . .! Fritz . . .! Bist's denn wirklich? Ist's möglich? . . . Ach, Herr Graf, ist er's denn wirklich?«

»Ei, Alter, schaut ihn Euch doch ordentlich an!« ruft tief gerührt der Graf.

»Ja, Hanfriederpate, ich bin's wirklich! Derselbe, der vor Jahren einmal in diesem Walde über Stock und Stein nach Euren heute noch unvergessenen Milchklümpen lief!« jauchzt der schöne Jäger und wirft sich, überwältigt von seinen Gefühlen, dem Alten, dessen Augen voll Tränen stehen, an die Brust. 409

»Ja, ja, nun glaub' ich's! Du bist's, Fritz Bonder, der bravste Holzhauerjunge aus vergangenen schweren Zeiten! . . . Junge . . . und dieser großartige Bart . . . . Ist's denn auch wirklich wahr, daß du es bist? Junge, was werden unsre beiden Mütter und unsre Kinder sagen?«

So schluchzt und jauchzt Vater Lindemann in einem fort und schiebt den so plötzlich Erschienenen zwischen seinen Armen hin und her.

Nun kommen alle die andern daran.

Die Äxte verstummen, und die von der Arbeit zerschundenen Hände werden geschüttelt und gedrückt, daß sie knacken. Die hohen Buchen rings herum geben darüber in mächtigem Rauschen ihre Freude kund, obwohl sie mit den Begrüßten keineswegs auf freundschaftlichem Fuße stehen.

Der Graf sieht der seltsamen Begrüßung sinnend zu, ruft dann seinen Jäger zu sich und sagt: »Gehen Sie, Bonder, schießen Sie den feistesten Rehbock, den Sie im Hilgenholze finden und lassen Sie ihn hier in der Holzhauerköte zubereiten, damit die Wiedersehensfreude auch einen gehörigen Untergrund bekommt. Als Köchin empfehle ich Christinchen Lindemann, wohl akkreditiert im Schlosse zu Hilgenthal und versehen 410 mit allem, was so ein absonderliches Festmahl im Hilgenholze würzen und verschönern kann.«

Dies Jauchzen durch die Wälder! Fast hätte Fritz vor diesem Jauchzen keinen Rehbock zu Schuß bekommen.

* * *

Ja, und am andern Tag ist dann wirklich in der Holzhauerhütte das Freudenmahl gehalten worden und Christinchen Lindemann wirklich diejenige gewesen, die alles machte und alles herrlich machte.

Fritz Bonder war ganz verblüfft und verwirrt, als er sie zum erstenmale wiedersah; konnte er's im ersten Augenblick doch gar nicht glauben, daß diese blühend schöne Jungfrau Lindemanns Christinchen sei.

Alle Tausend! dachte er, sagte aber nichts. Er kam sich ihr gegenüber so gar unbedeutend vor und starrte sie immer wieder an wie ein fremder blöder Knabe. Wundersam warm ging's ihm allemal durchs Herz, wenn sie ihn so vertraut anredete und so innig glücklich ansah.

Wie das herzige Mädchen nun vor dem flammenden Herdfeuer in der Holzhauerhütte kniete und so anmutig behende mit den Töpfen und Pfannen hantierte, hingen seine Blicke schon 411 ganz wie festgezaubert an der liebholden Gestalt. Ordentlich erschrocken war er, als sie ihm plötzlich ihre munteren blauen Augen zukehrte und mit schwesterlicher Zutraulichkeit ihn bat: »Fritz, komm, schür mir 'mal das Feuer, mir sind die Hände gebunden!«

In schnellem Gehorsam kniete er neben dem lachenden Mädchen nieder und tat, wie ihm geboten wurde. Sie plauderten leise miteinander während der Arbeit; daß sich ihre Wangen dabei fast streiften, bemerkten sie im Eifer der Arbeit und der Rede nicht. Aber die Holzhauer, die in der Hütte herum auf Baumstümpfen saßen und mit sehnsüchtigen Blicken und wässrigem Munde 412 des Mahles harrten, bemerkten es um so besser. Der eine zupfte den andern am Kittel. Fritz hörte das Gekicher, wandte sich rasch um und sah in lauter lachende Gesichter. »Verzeih, Fritz,« hob der noch lebende und noch hustende alte Jopau mit einem bedeutsamen Lächeln an, »aber ein prächtigeres Paar könnte nicht – vor dem Altare knien!«

Fritz sprang verlegen auf, und Christinchen senkte ihre brennenden Wangen tief herab. Keines von beiden sagte ein Wort.

Vater Lindemann warf flugs ein Scherzwort hin, unter dessen Wirkung die Geneckten ihre peinliche Verlegenheit bemeistern konnten.

Indes duftete der Rehbraten immer bestrickender, und das seltene Festmahl nahm seinen Anfang. Solch heiterer Gläserklang und fröhlicher Rundgesang hatte den alten Sorgenraum der Holzhauerhütte noch nie erfüllt. – Und es ist bloß schade, sage ich, daß wir nicht dabei sein konnten! 413


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