Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Sechstes Kapitel.

Die Holzhauer lassen dem Herrn Grafen ihre Glückwünsche darbringen.

Dichte Flocken schwebten zwischen Himmel und Erde – und eine Weile schien es, als ob's ein ruhiges, göttliches Weben wäre, ein Weben, um Himmel und Erde zu Fried' und Freude miteinander zu verbinden, oder doch einander näher zu bringen. Aber nur ein Weilchen schien es so. Brausend fuhr der Sturm darein, und in wildem Aufruhr wogten die Flockenmassen durcheinander.

Lindemanns Christel hüpfte aus der Tür der Lindenhütte, warf einen Schneeball gegen den 90 rauschenden Lindenbaum und jubelte: »Erster Dezember – dem Herrn Grafen sein Geburtstag! Fünfundzwanzigster Dezember – dem heil'gen Christ sein Geburtstag!«

Gleich nachher trat der Vater in Sonntagstracht aus der Lindenhütte, – obgleich es doch Alltag war.

Er nickte zur Linde hinauf, die gewaltig den Kopf schüttelte, knöpfte an seinem langschößigen Abendmahlsrocke, zog die Pelzmütze mit der Quaste fester über den Kopf und schritt den Lindenberg hinab, über den Bekesteg hinüber, dem von der Höhe drohenden Schlosse zu.

Einen Augenblick stand er mit niedergebeugtem Haupte unter den grimmig dreinschauenden Löwenköpfen auf den hohen Torsäulen, klopfte sich, obgleich auf dem Hofraum auch noch tiefer Schnee lag, sorgsam die Füße ab, strich und klopfte Hose und Rock noch einmal und setzte darauf bedächtig einen Fuß vor den andern. Je näher er der Eingangstür des Schlosses kam, desto stockender wurde sein Schritt. Die vielen großen Fenster, an denen sein Auge unwillkürlich haften blieb, machten ihn unsicher und zaghaft, glaubte er doch hinter jeder Raute ein höhnisch grinsendes Gesicht zu erblicken. Es kam hinzu, daß ihm die gewohnte Art fehlte, 91 weswegen er mit den Armen nicht recht zu bleiben wußte.

So gewahrte ihn die alte Küchenlotte. »Meine Zeit, Hanfrieder,« rief sie ihm leise zu und schlug die Hände zusammen, »was starrst du denn so lange da 'nauf? Suchst doch nicht etwa nach Sperlingsnestern zu dieser Jahreszeit? Ich denke, du kommst mit lauter Glück in den Taschen?«

Lindemann schritt nun rasch auf die Alte zu. »Lotte, du weißt, 's ist immer mein schwerster Gang gewesen, – diesmal aber wird er mir schwerer als je.«

Sie traten zusammen in eine Ecke des Flurs. Lotte blickte um sich und über sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich kann mir's lebhaft denken; es geht mir nahe, recht nahe, das kannst du mir glauben. Ich kenne den alten Herrn gar nicht mehr; alle Tage wird's schlimmer mit ihm – grad, als wäre er vom Teufel besessen und – Hanfrieder – das ist er auch, das ist er auch! Du verstehst, was ich meine. Da ist so lange sein Dichten und Trachten auf die Holzablösung gerichtet gewesen, daß man denken mußte, wenn er die zustande gebracht, würde man bei ihm hernach gewiß den reinen Himmel auf der Welt haben. Aber gerade umgekehrt 92 ist's nun: In die qualmende Hölle haben uns die bösen Ablösungsgeister gebracht – uns hier oben im Schlosse sowohl, wie euch da unten in den Hütten. 's ist mir beinah' ein Rätsel, wie ein so nichtswürdiger, von Gnaden zu Brote gekommener . . . du verstehst mich, Hanfrieder, einen solch unseligen Einfluß auf den Herrn hat gewinnen können. Aber zu verstehen ist's doch: der Herr kennt ja keine gewöhnlichen Menschenkinder – seine eig'nen Leute kennt er kaum. Ach, da war doch der selige Herr ganz, ganz anders! Gewiß, er hatte ja auch seinen Stolz, aber doch nicht so über alle hohen Buchen und Bäume. Ich bin nun gerade dreißig Jahre auf meiner Stelle in der Küche, aber ich möchte Kopf und Kragen dagegen verwetten, daß der jetzige noch heute nicht weiß, wer ich bin. Und so war es dem Unholde nicht schwer, sich bei ihm einzunisten und ihn auf seine höllische Art die Menschen kennen zu lehren.«

Damit schob sie die Tür zu, und Lindemann stieg bedachtsamen Sinnes die breite Treppe hinauf, immer mit einer eigenen Scheu, auf den kostbaren Teppich zu treten. Er kam indes glücklich hinauf und stand plötzlich vor der Frau Gräfin, die ihm mit einem herzgewinnenden Lächeln zunickte und ihrer Freude darüber Ausdruck gab, daß Lindemann trotz der schweren Zeit 93 gewiß wieder ein ganzes Herz voll Glückwünsche mitbrächte.

»Nur allerdings, Frau Gräfin, daß die Glückwünsche diesmal tief unter Kummer und Sorgen sitzen,« erwiderte Lindemann und sah die Gräfin in seiner treuherzigen Betrübtheit offen und gerade an. Es wollte ihm scheinen, als ob ein Zug tiefer Schwermut durch das schöne Antlitz ginge und eine stille Wehmut aus den so sanftblickenden Augen spräche. Die gute, herrliche Frau! Nie hatte sie sich ihm gegenüber anders gezeigt als in einer wohltuenden, von wahrer Menschenliebe und Menschenachtung zeugenden Leutseligkeit.

Ein Liedchen summend, kam der junge Graf den Korridor entlang. »Morgen, Lindemann, Morgen, alter, wackerer Holzhauergeneral!« rief er mit heller, fröhlicher Stimme, worauf er den Arm zärtlich um die Mutter legte und mit ihr in glückseligem Geplauder auf dem Korridor auf und ab ging.

In Lindemanns Augen leuchtete die stille Freude auf. Er dachte daran, was die Küchenlotte einmal gesagt hatte: das wären zwei Menschen mit einer und der gleichen Seele, sie glichen sich wie ein Rosenhauch dem andern und wie ein Amselschlag dem andern. »Ach ja, unsre Kinder 94 werden's einmal besser haben als wir, wenn erst einmal der junge Herr regiert!« rief's mächtig in ihm, so daß er sich unwillkürlich die Hand über den Mund hielt, als fürchte er, es könnte zu einem Schrei werden.

Indem Lindemann, wundersam getröstet durch diese Zuversicht, der Tür des Grafen zuschritt, rief ihm die Gräfin noch leise nach: »Sollte mein Gemahl Sie nicht so wohlwollend aufnehmen, als Sie wohl hoffen mögen, so wollen Sie darum nicht verzagen. Es hat sich jemand zwischen meinen Gemahl und seine Arbeiter gedrängt« . . .

»Ein sogenannter Schuft!« rief der junge Herr entrüstet.

»Ich glaube indes nichts von all den Verleumdungen,« fuhr die Gräfin fort, »und hoffe, daß auch mein Gemahl sich bald von ihrer Haltlosigkeit überzeugen wird. Das möge Sie beruhigen und Ihren Mut befestigen. Ich sah Sie über den Schloßplatz kommen, und es drängte mich, Ihnen ein Wort zu sagen.«

Lindemann dankte der edlen Frau mit einem Blicke, der mehr sagte als das ausgesuchteste Wort.

»Sie hätten die Axt mitbringen sollen, Lindemann, das stände Ihnen besser!« rief der Graf noch und winkte ihm scherzend zu. 95

Eine Minute später stand der Holzhauer dem Grafen gegenüber, der groß und regungslos am hohen, weißen Fliesofen lehnte, als wäre er eine zum Ofen gehörige Figur. Lindemann, der auch dadurch noch etwas verwirrt wurde, daß er seine Hilflosigkeit in dem großen Wandspiegel sah, drehte die Quaste seiner Mütze und sagte: »Herr Graf werden verzeihen, ich komme im Auftrage der Holzhauerschaft, um Ihnen aus Herzensgrunde die allerbesten Glückwünsche zum heutigen Tage gehorsamst darzubringen. Ist uns das Herz auch schwer – freudigst bitten wir dennoch in Treue und Hoffnung: Gott gebe unserm gnäd'gen Herrn ein huldreiches und frohes Herz und lasse ihn noch viele Jahre leben in Glück und Glanz, in Fried und Freud ohne Leid bis zur ewigen Seligkeit. Amen.«

Als Lindemann zu sprechen begann, zeigte sich eine eigentümliche Veränderung an der großen, hageren Figur am Ofen. Das auffallend weiße und müde Gesicht mit dem ausrasierten Kinn und den zwei Bartflügeln zog sich so zusammen, daß es aussah wie ein richtiges Lachen. Als aber Lindemann ausgeredet hatte, gingen die Falten wieder auseinander wie Wellen am Teiche, in den der Sturm blies, und das Gesicht war auf einmal lang und totenstarr. 96

Lindemann war an diese Eigentümlichkeit gewöhnt; auch die kalten Blicke, die der Graf über die Schulter schickte, kannte er längst. Er erwiderte sie mit einem freundlichen und flehenden, aber auch mit einem festen Blicke und sagte: »Wenn's nicht unschicklich ist, so wollte ich noch von Herzen bitten, daß der Herr Graf diesen Tag nicht vorüber gehen lassen möchten ohne eine Gnade.«

Der Graf machte wieder ein lachendes und ein totenstarres Gesicht, zog ein Geldstück aus der Tasche, reichte es Lindemann dar, ohne ihn anzusehen und schlenkerte eine abwehrende Geste aus der Hand.

Lindemanns Angesicht übergoß eine dunkle Röte – es widerstrebte ihm, das Geldstück anzunehmen. »Nicht um ein Geldstück bitte ich, Herr Graf!« Als der Graf ihn darauf scharf und verwundert ansah, fuhr er fort (und seine Stimme wurde mit jedem Worte freier und eindringlicher) den unerträglichen Notstand zu schildern, der nach der Holzablösung noch dadurch hereingebrochen sei, daß der Holzvogt den Frauen und Kindern verwehre, wie früher im Walde zu lesen, zu pflücken und zu krauten. Der gnädige Herr möchte doch diese Vergünstigung, die ein ganz altes, ehrsames Recht gewesen sei, nicht weiter 97 schmälern lassen. Ohne diese Zubuße könnten sie mit dem besten Willen nicht auskommen, falls der gnädige Herr nicht vielleicht gesonnen sei, die Löhne ein wenig zu erhöhen. »Wir kleinen Leute,« so schloß er, »müssen von der Hand in den Mund leben. Unsere Keller und Böden sind die längste Zeit im Jahre fast leer – und wenn wir darum an einem Tage 'mal nichts verdienen, haben wir schon am andern nichts mehr zu essen.«

Der Graf war an der Treuherzigkeit und Geradheit, die sich in Lindemanns Redeweise und ganzem Wesen ausprägte, einen Augenblick irre geworden, so daß er unwillkürlich den Mund öffnete, ohne ein Wort zu sagen; sein Gesicht war in diesem Augenblicke schlaff und eingefallen. Als Lindemann sich aber erkühnte, von einem »alten Rechte« zu sprechen, war auf einmal wieder das zusammengefaltete Lachen und die langgezogene Eisigkeit in seinem Gesicht, und als Lindemann zu Ende war, rief der Graf mit zorniger Stimme, die ganz seltsam trocken und dumpf tönte: »Aha, ist das nicht wieder die alte Renitenz, mit der der ehemalige Oberholzhauer die Bauern gegen seinen Brotherrn aufwiegelte? Ha, ist es der demagogische Cigarrenmachergeist, was da aus ihm spricht? Und solche Geister dulde ich noch auf meiner Herrschaft?! 98 Ha! Danke er's dem heutigen Tage, wenn ich noch einmal Gnade für Recht ergehen lasse und ihm nicht den Brotkorb noch höher hänge.«

Lindemann schob es auf seine Ungeschicklichkeit, daß es so schlimm ausging, und versuchte noch einmal in seiner treuherzigsten Art zu erklären, zu begütigen und zu bitten.

Der Graf ließ ihn aber gar nicht mehr ausreden, er lachte, erstarrte wieder und machte eine zickzackartige Handbewegung, die der Holzhauer nicht mißverstehen konnte.

In leiser Hoffnung war Lindemann aufs Schloß gegangen, – in gänzlicher Trostlosigkeit kam er wieder herab.

* * *

An demselben Abend fand im Grafenschloß eine großartige Festlichkeit statt, wozu der gesamte Adel der Umgegend geladen war.

Unter den Gästen, die auf prunkenden Schlitten aus allen Himmelsgegenden herzurauschten, bemerkten die neugierig am Schloßberge stehenden Hilgenthaler auch den wegen seiner volksfreundlichen Gesinnung allgemein bekannten Baron Rausen von Volkerswalde samt seiner lieblichen Tochter Elfriede. Und darüber verwunderten sich die Dorfleute nicht wenig, wußten sie doch nicht anders, als daß der Graf und der Baron in 99 einem sehr gespannten Verhältnis zu einander standen; hatte man doch gehört, daß Graf Harald den Baron, für den ganz Volkerswalde durchs Feuer ging, mit Vorliebe als »Plebejer« titulierte; ja, sollte der Graf dem Freiherrn doch sogar vorgeworfen haben, daß durch die Betätigung seiner volksfreundlichen Gesinnungen die Ehre des Adelstandes in gröblichster Weise verletzt worden sei. Der Verkehr zwischen den beiden benachbarten Schloßherren hatte denn auch nur ganz kurze Zeit gedauert.

Der Grafensohn freilich hatte sich an den Zwist nicht gekehrt, war nach wie vor aufs Schloß gegangen.

Jetzt mußte also wohl die Aussöhnung der beiden Standesherren herbeigeführt worden sein, – und gewiß hatte der wackere Jüngling dabei mit großem Eifer das Mittleramt verwaltet. Die Hilgenthaler raunten sich auch sonst noch was zu, ahnten indes nicht, daß sich dieses schon so bald bestätigen würde. 100


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