Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Viertes Kapitel.

Christinchen und Christel im Walde.

Der winterlich-öde, dumpf rauschende Wald rief in den Gemütern der Kinder ein beklemmendes Gefühl hervor. »Wie schaurig ist's doch im Holz, wenn so gar kein Vogel singt, kein Blümchen blüht und kein Strauch!« flüsterte Christinchen ihrem Bruder zu, der dicht an ihrer Seite ging und sich trotz seiner Beherztheit manchmal scheu an ihren Rock klammerte. Konnte in dem düstern Tannendickicht, darauf die weißen Flockenmassen sich wiegten, nicht irgend ein Ungeheuer lauern?

Doch nun kamen sie aus dem Tannendunkel in den lichteren Hochwald. Wie Zwerglein 52 schritten sie an den hohen Riesengestalten der Eichen und Buchen hin, die sich über schroffen Waldgründen einander mit den Häuptern zuneigten, bald laut wie im Zorne knarrten und brausten, dann wieder nur ein leises Raunen unterhielten, als erzählten sie sich Geheimnisse, die sie in tausend Waldnächten gesehen, erlauscht.

Oder berieten sich die hochbetagten Häupter etwa darüber, wie sie sich wohl vor den in der Tiefe des Waldes erschallenden Axthieben retten möchten – und wie es wohl anzufangen sei, daß sie noch einmal wieder jung würden wie die frischen Kinder tief unten? Was sollte es sonst auch bedeuten, daß sie plötzlich wie auf Verabredung all' ihre weißen Haarlocken herunterwarfen? – –

Schweigsam und ein wenig fröstelnd, schritten Christinchen und Christel ihren Weg dahin. Bald wechselte der Hochwald wieder mit einem niedrigen Tannenschlage. Krähengeschrei kommt vom Hochwalde her, und im Dickicht wispert ein ganz feines Vogelstimmchen. Stumm fliegt eine Krähe hoch über den Pfad, gefolgt von einer andern, die in tiefsten Baßtönen schreit. Sie wenden sich und kreisen über einer rundbäuchigen Köze, die eben um die breiten Einfriedungsplanken der jungen Tannenschonung gewackelt kommt. Sie 53 ist hoch mit blanken und großen Hauspänen gefüllt, über denen noch ein stattlicher Haufen Sprick mit starken Telgen lagert. Ein vermummeltes Weib mit großen Schuhen geht halb gebückt unter der Last.

»Du, die Kämmekarline!« stößt Christel die Schwester an.

»Junge, das müssen wir nicht sagen!« verweist Christinchen ihn. »Man muß jeden Menschen bei seinem ehrlichen Namen nennen.«

Jetzt schob das Weib ihr Kopftuch ein wenig aus dem Gesichte und stach die ihr entgegenkommenden Lindenhüttenkinder mit zwei scharfen fenstergrünen Augen. Den fast ängstlichen Gruß der Kinder erwiderte sie in langgezogenem und höhnischem Tone, indem sie stehen blieb und sich nach den rasch vorbeigehenden Kindern umdrehte. »Sieh mal, ei, ei, das sind ja die ehrlichen Lindenhüttenkinder!« höhnte sie ihnen noch nach, eh' sie weiter ging.

»Hörst du, Christinchen? Sie schilt uns wieder! Wir wären die ehrlichen Lindenhüttenkinder!« Und Christel warf einen entrüsteten Blick zurück. »Die hat doch schon im Hundeloche gesessen! Du, Christinchen, die ärgert sich, daß 54 wir noch nicht drin gesessen haben und möchte uns gerne rein bringen, und sie säße gewiß schon selber wieder drin, wenn nicht der Holzvogt ihr Bruder wäre; – nicht wahr, Christinchen?«

»Ja, die kann jetzt leicht ehrlich sein,« stimmte Christinchen leise zu und sah sich um, ob sie auch niemand hören könne. »Sei nur still, Christel,« mahnte sie, »davon muß man nicht sprechen.«

Da knackte es; zwei Rehe brachen aus dem Tannendickicht hervor und sprangen in mächtigen Sätzen über den Weg. »O, Christinchen,« rief der Junge nach überstandenem Schrecken, »die hätten wir haben können! Du eins und ich eins. Ah!«

»Hihihihi!« lachte es da urplötzlich aus dem Dickicht. Zwei junge Tannen neigten sich, den Schnee abschüttelnd, auseinander – und durch die Lichtung lugte ein liebes Mutterantlitz. »Hihihihi!« kicherte es wieder, »warum hast du kein Salz mitgenommen, Junge, und den Rehen auf den Schwanz gestreut? Hättest sie dann gekriegt!«

Die Kinder jubelten auf: »Ach, Friedesinchenpate! Hurra, unsre Friedesinchenpate!«

»Pst, pst!« machte die und spähte umher. »Racker ihr, wollt mich wohl ins Hundeloch bringen mit eurem Gerufe! Könnte nicht der 55 Holzvogt ganz nahe sein! Gerade wie ein Stück Wild muß man jetzt die Ohren spitzen.« Sie spähte umher und zog die Kinder in ihr dichtes, dunkles Versteck. »Ja, wir leben in einer schlimmen Zeit, und auf dem offenen Wege ist's nicht mehr geheuer, und die Bäume haben Augen und Ohren gekriegt wie ein Holzvogt, und man muß schon wie ein angeschossenes Wild tief ins Dickicht kriechen und den Atem anhalten, will man sicher gehen.«

Leise schlossen sich die Tannen wieder zusammen; aber erst als die Zweige ganz aufgehört hatten zu zittern, fühlten die drei Leutlein sich ganz in Sicherheit.

Die Friedesinchenpate legte den rechten Arm um Christinchen, den linken um Christel und redete so in tiefgebückter Stellung noch ein Weilchen, ertappte sich aber immer von neuem dabei, daß sie ihre Stimme zu laut werden ließ. »Ja, Kinder, wir leben in einer schlimmen Zeit,« seufzte sie wieder, »was von alters her unser gutes Recht war, das soll nun auf einmal ein Unrecht sein, ein Raub an fremdem Gut, und wer bisher ein ehrlicher Mensch war, der ist nun auf einmal ein Dieb, ein Dieb wegen eines Reisleins, das der Baum weggeworfen hat, weil's ihm nicht mehr nütze ist, oder das der liebe Gott dürr 56 werden ließ, damit die armen Leute auch etwas hätten. Ja, Kinder, uns geht's wunderlich, und wer weiß, wie lang und hart der Winter noch werden kann. Daß ich auch nicht so eine alte Häsin geworden bin! Dann ließe ich mich einschneien und guckte durch mein Schneelöchelchen und läge weich und warm. Und wenn ich alt genug geworden wäre, ließe ich mich vom Herrn Oberförster oder vom Herrn Grafen selbst schießen und ließe mir's Fell abziehen und ließe mich spicken mit lauter Speck und ließe mich auf die Tafel im Schloß bringen – Kinder, was wäre ich als so eine alte Häsin doch so viel bräver und nützlicher und ehrengeachteter als so eine alte Holzleserin!«

Alle drei lachten, indem sie aber flugs die Hände vor den Mund hielten, so daß es nur mehr ein inwendiges Lachen war.

Die Kinder erzählten von der Begegnung mit der Kämmekarline und was für eine schöne, große Tracht sie gehabt hätte.

»Ja, Kinder,« sagte darauf die Pate, »wer den Teufel zum Bruder hat, der kann dreist das ganze Hilgenholz nach Hause tragen, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt wird. Na, sie hat's ja aber auch nötig, und es fährt ihr sonst auch keiner was vor die Tür, und ich gönn's ihr 57 schon. Unglück hat sie ja auch genug gehabt in ihrem Leben; man muß bedenken, daß es nicht jeder von Haus aus so leicht hat, gut zu sein und der Versuchung zu widerstehen!«

»Sie braucht uns aber nicht immer zu schelten, daß wir die ehrlichen Lindenhüttenkinder wären!« grollte Christel.

»Ja, sie kann die Lindenhüttenleute einmal nicht leiden, seitdem sie das große Unglück gehabt hat, wozu ich doch nichts konnte. Aber das ist eine ganze Geschichte, die will ich euch mal beim warmen Ofen erzählen. Ja, ja, Kinder, so sind die Menschen untereinander. Schrappen alles, was sie im Topfe der Bosheit wider den andern finden können, eifrig zusammen, um's dem andern an jedem neuen Morgen wieder frisch aufs Brot zu geben. Ihr werdet's noch oft erleben. Es schwimmen mehr Menschen in den Tümpeln der Eigensucht und Niedertracht als Fische im großen Weltenmeere. – Und es gibt zweierlei Teufel in der Welt, die abhängigen und die unabhängigen, aber die abhängigen sind die schlimmsten. Und niemand kommt ungezaust an ihnen vorbei; darum ist es gut, wenn man schon beizeiten erfährt, wie die Wege laufen in der Welt und 58 was alles auf diesen Wegen läuft. Man soll den Teufel meiden; wer aber jeder Begegnung mit ihm aus dem Wege gehen wollte, würde immer im Graben schleichen, kriechen oder liegen müssen. Man muß ihn auch bei den Hörnern packen können. Und die Hauptsache: Man muß den Mai nehmen wie er kommt, hat jenes Mädchen gesagt, als es am Pfingstmorgen sah, daß böse Buben ihr statt eines hübschen Maibaumes einen struppigen Dornbesen vors Kammerfenster gesetzt hatten. Seht, Kinder, das war ein lebensstärkender Gleichmut, und ohne den wird man mit dem Leben überhaupt nicht fertig. Nur muß man dafür sorgen, daß der Gleichmut nicht zur Gleichgültigkeit wird und daß die bösen Buben einem den Dornbesen nicht vors innere Herzensfensterlein pflanzen können; das können sie aber nicht, wenn unser Herz so bodenrein und maiwüchsig ist, daß es in ihm und außer ihm grünen und blühen kann wie in einem rechten Gottesgarten. Ein Dornbesen kann ja nicht wachsen und blühen. Darum frisch auf, Kinderchen! Und haltet mit eurer alten Friedesinchenpate fest daran: Unsern fröhlichen Sinn geben wir nicht hin! – Doch nun seht aber auch 'mal, was für eine prächtige Stelle ich hier aufgefunden habe! Ein rarer Fund! Nicht wahr? Sprick 59 in Hülle und Fülle – und so hübsch dürr, daß es ordentlich klingt. Da kannst 'mal mit hergehn, Christinchen, mußt's aber in Hilgenthal keinem sagen, sonst knappen's uns andere vor der Nase weg. – Pst, pst!«

Ein leises Brechen und Treten ward vernommen. Die Pate hockte ganz auf die Knie nieder und spähte durch das Gestämme. – »Ei, ei, der Schelm, der Schleicher, muß einen so verjagen!«

»Wer denn? Wo?« forschten die Kinder.

»Ei, seht ihr ihn dort nicht hinspazieren, den roten Gänsedieb? Heraus mit dem Salze, Junge! Streu's ihm auf den Schwanz – und du hast ihn! – Aber nun macht, daß ihr auf den Hau kommt! Ich warte auf euch, und solltet ihr den Holzvogt sehen, so gebt mir ein Zeichen.«

Sie kroch mit bis an den Pfad hinan, bog die Tannen auseinander und ließ die Kinder hinausschlüpfen. Mit ihnen zugleich huschte auch Herr Reineke über den Pfad.

Hurtig liefen nun die Kinder den mehrfach von hohen Schneeschanzen durchkreuzten Waldpfad entlang. Bald hörten sie vom Totenberge her helle Axtschläge erschallen, und ihre Herzen begannen rascher und freudiger zu schlagen. Christel 60 wollte in seiner Freude der Schwester den Henkeltopf ein wenig abnehmen; aber Christinchen erinnerte ihn an den schon geschlagenen Purzelbaum und behielt den Topf in ihrer sichern Hand.

Auf einmal ward's ganz helle und leer vor ihren Augen, und lang ausgestreckt lagen da um und über einander die Riesen des Waldes, manche noch wie mit gesträubten Haaren, die meisten aber schon mit abgehackten Köpfen und gespaltenen Leibern. Hier schrechzte die große und großzahnige Baumsäge, von zwei Männern in ununterbrochener Gleichmäßigkeit hin und her gezogen; dort hieben sie mit dickköpfigen Holzschlagen auf eiserne Keile, und dem Krachen der Holzschlage, dem Splittern, Knirschen und Knacken der anseinandergetriebenen Buche ging jedesmal ein lauter Holzhauerächzer voran. Drüben an der Randlinie des Haues krachte aufs neue eine Buche in gewaltigem Schwunge und Schlage auf die Erde nieder, während da und dort die rissigen Klüfte und runden Knüppel von fleißigen Händen zusammengetragen und aufgeklaftert wurden.

Die Kinder ließen die Augen forschend umhergehen und liefen zu einem jungen Holzhauer hinüber, der sich schwer mit der Spaltung eines alten knupsigen Baumes abmühte. 61

»Fritz!« riefen sie etwas zaghaft, da bei einer Holzhauergruppe in der Nähe ein Förster wetterte und spektakelte.

»Ei, Kinder, seid ihr's?« begrüßte Fritz sie in sichtlich freudiger Überraschung, indem er die eben erhobene Holzschlage sinken ließ und sich mit dem Wamsärmel über die Stirn wischte. Er war in dem kurzen Leinenwams von schlanker, fast zu schmaler Figur, auch sein Gesicht war schmal, aber von waldluftgekräftigter, gesunder Farbe und mit hübschen, anziehenden Zügen, die auf Herzensfrische deuteten; man mußte ihn unwillkürlich gleich gern haben.

»Wir glaubten, ihr wäret beinander gewesen?« forschten die Kinder.

»Die am nächsten miteinander befreundet sind, müssen jetzt am weitesten auseinander sein, denn man hat es vor den Holzhauerfreundschaften mit der Angst gekriegt,« erwiderte der Jüngling, und es lag eine große Bitterkeit im Tone seiner Stimme.

»Komm mit, Fritz,« bat Christinchen mit liebevollem Wort und Blick.

Traurig schüttelte er den Kopf.

Die Kinder gingen weiter dem Grunde zu und erblickten den Vater gerade, wie eine von ihm gefällte Buche mit weithin dröhnendem 62 Krachen sich umlegte. Da stand der alte Holzhauer, eine große, magere Gestalt mit gebeugtem Rücken, die Axt in der Rechten und die Augen unverwandt auf den überwundenen Baumriesen gerichtet.

Nun wischte er sich mit dem Kittel über das nasse Gesicht, trat zwischen das gewaltige Gezweige und wollte gerade zu neuem Schlage ausholen, als die Kinder »Vater, Vater!« riefen.

Lindemann schlug noch einmal zu und ließ die Axt fallen. »Ach, Kinder, seid ihr schon da?« Freudig blickte er auf.

»Na und was habt ihr denn Schönes, ihr guten Zwerge?«

»O, Klümpe, Vater!« verkündeten die beiden.

»Das ist ja prächtig, Kinder!« versetzte er, schob den Deckel ein wenig vom Topfe und schielte hinein. »So kommt her, laßt uns in unsere Hütte gehen.«

Die tief im Schnee steckende Holzhauerhütte übte auf die Kinder immer einen eigenartigen Reiz aus, so folgten sie auch heute dem Vater voller Freude dahin. Sie kamen an mehreren im Schweiße ihres Angesichts arbeitenden Holzhauern vorüber, mit denen allen ein kurzes, aber herzliches Wort gewechselt wurde. Hie und da aß ein Holzhauer, auf einer Kluft sitzend, aus 63 einem Henkeltopfe, während eine Frau oder ein Mädchen in der Nähe umher suchte und Späne aus dem Schnee stocherte.

Zwischen drei aufgerichteten Steinen in der Mitte der Hütte gloste ein Häuflein Kohlen, das Christinchen eifrig zur neuen Flamme anfachte, indem es die zurückgebliebenen Endstücke des verbrannten Holzes ins Feuer schob und, auf den Knien hockend, kräftig dazwischen blies. Als das Feuer abgeschwelt war, hing sie den Henkeltopf an der Stange, die von zwei »Giffeln« über dem Feuer gehalten wurde, über die Flamme, um das Essen wieder aufzuwärmen.

Der Vater hatte sich auf einen Baumstumpf gesetzt und sah ihr mit einem schier behaglichen Lächeln zu. Als die Kesselstange in Gefahr kam, mit zu verbrennen, nahm Christinchen sie mit dem Topfe ab, worauf der Vater diesen zwischen seine Kniee stellte und von dem Inhalte in den als Deckel dienenden Teller füllte.

Christel musterte unterdessen wieder, wie oft schon, die ihn so eigen anziehende Waldhütte, in die er allerlei wundersame Märchen hineinträumte. Er ging rund um sie herum, besah sie von außen wie von innen und prüfte mit 64 besonderm Wohlgefallen den Bau, der ganz von der Art der Köhlerhütten war: kreisförmig gestellte und schräg zusammenlaufende lange Stangen, mit Heideplaggen bedeckt und mit Moos dicht gemacht, wozu jetzt noch ein großes 65 Gewicht Schnee gekommen war. Einen Fuß hoch über der offenen Spitze ein riesiger Plaggenhut, der oben weiß und unten schwarz war, und unter dem der Rauch hervorquoll, denn die offene Spitze bildete das Rauchloch, und der Hut war darüber gesetzt, um es vor Regen und Schnee zu schützen.

Da hörte er plötzlich drinnen des Vaters Stimme:

»Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast!«

Es wurde dem Knaben ganz wundersam zu Mute bei dieser Andacht mitten im Walde.

»Vater!« rief er in begeistertem Tone, »wenn unser Haus in Hilgenthal einfällt, ei, dann ziehen wir gleich in diese Holzhütte – das ist gar zu schön. Und wenn ich groß bin und stark, dann helfe ich dir hauen Tag und Nacht, daß die Mutter sich aber mal freuen soll.«

Der Vater lächelte und aß von der Klößesuppe, sah dann die eifrig plaudernden Kleinen an und hielt ihnen Topf und Löffel hin: »Könnt auch erst 'mal ein paar Stiche tun!«

»Nein, Vater, nein, wir haben schon vier, neun, zwei Klümpe gegessen!« antworteten sie mit Augusts Stimme und lachten und erklärten dem Vater die Antwort, so daß auch er lachen 66 mußte; und da sie ihn so heiter sahen, hüteten sie sich gar wohl, ihm etwas von Ludwigs traurigem Anfalle zu verraten.

Der Vater füllte sich noch einmal auf und sagte: »Aber heut ist mir so reichlich beschert – wollen wir nicht dem guten Fritz Bonder etwas zu gute kommen lassen?«

Die Kinder sprangen und klatschten freudig in die Hände, während der Vater fortfuhr:

»Der arme Junge hat noch kein Mittagessen gehabt und wird auch wohl schwerlich etwas bekommen. Er muß gar oft mit einem trockenen Knuste Brot und einem Schluck Wasser fürlieb nehmen. Ach ja, der Junge hat's schwer als Versorger einer kranken Mutter und dreier unmündiger Geschwister. Doch, sieht er bei alledem nicht aus wie Milch und Blut? Ist es nicht, als ob Gottes Güte unsichtbar ihn nährte? Unser armer Ludwig würde gern Hunger leiden, wenn er so gesund und stark mit seinen Kameraden um die Wette hauen könnte.«

Lindemann legte einen Augenblick den Kopf in die Hand. »Geh', Junge, hole Fritz Bonder herbei!« sagte er dann in seltsam barsch klingendem Tone und machte eine ungestüme Bewegung, als müsse er etwas Schweres abschütteln. 67

Christel war schon eine Strecke von der Hütte weggelaufen, und man hörte ihn mit lauter Stimme rufen: »Bonders Fritz! Bonders Fritz!«

Der Gerufene blickte auf, und nun winkte ihm der Knabe mit beiden Armen. Auch Christinchen winkte lebhaft von der Hütte her.

Fritz guckte und zögerte, denn er mochte wohl schon ahnen, was er sollte; da aber die Kinder nicht nachließen mit Rufen und Winken und Lindemann sich ihnen noch winkend zugesellte, kam er endlich mit raschen Schritten herbei.

»Fritz!« rief Lindemann, »wir haben dich gerufen, du mußt heute mittag mal wieder unser Gast sein. Sieh, es ist noch Überfluß.«

Der Jüngling wehrte erst, nahm dann aber, ohne sich lange zu zieren, den ihm von Christinchen dargebotenen Topf und ließ sich's schmecken.

Christinchen sah ihn dabei oft verstohlen an, und auf einmal war ihr eine Träne ins Auge gekommen, die sie nun mit abgewandtem Gesichte heimlich wegwischte.

Als Fritz gegessen hatte, sah er alle dankbar an und sagte: »Ich kann's euch nicht vergelten, was ihr alles an mir tut und wie du, Christinchen, meiner armen Mutter so treulich dienst. Aber ich müßte an Gott im Himmel verzweifeln, wenn 68 er es unbelohnt ließe.« Damit eilte er wieder der harten Arbeit zu.

Lindemann aber sagte zu seinen Kindern, die dem Dahineilenden still nachsahen: »Wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht, denn solche Opfer gefallen Gott wohl.« 69


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