Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Bei der Friedesinchenpate und ihrem Greiseweiss.

Auf! Ins Hungertal! Jetzt gilt's, der wackern Friedesinchenpate einen Besuch abzustatten.

Nach ihren teuern Lindenhüttenleuten ist ihr das Liebste auf Erden – ihre Ziege, ihr ›Greiseweiß‹, deren Stall sich, wie wir schon sahen, gerade unter dem Wohnstübchen befindet, so daß sie eigentlich auf dem Ziegenstallboden wohnt.

Wie sagt doch das alte Volkswort? »Dat Harte maut 'n Fründ hebben – nn soll't ak mant 'n Tunstaken sien!«Das Herz muß einen Freund haben, und sollt's. auch nur ein Zaunstaken sein. Und das Greiseweiß ist doch fürwahr mehr als ein Zaunstaken. Wenn Greiseweiß heraufruft, gleich antwortet die 390 Friedesinchenpate, und wenn die Friedesinchenpate hinunterruft, gleich antwortet Greiseweiß. Alles, was ein Menschen und ein Ziegenherz nur bewegen kann, wird sich durch die Bodenlöcher gegenseitig anvertraut, darum werden sie auch längst nicht mehr ausgebessert. Keiner braucht ein Blatt vor den Mund zu nehmen; fest kann der eine auf die Verschwiegenheit des andern rechnen. Hört nur einmal!

Greiseweiß: »Ömä – ömää – ömä-ä-ä!«

Friedesinchenpate: »Gleich, gleich, Greiseweiß, gleich hole ich die Milch – und ich bringe dir auch so ein saftiges Gras mit, wie du's lange nicht gehabt hast. 's ist ja alles so wunderbar, und am Holze sind wieder alle Türen aufgetan! O wie ich mich darüber freue, mein Greiseweißchen! Das Holz wieder offen – kein Schlüssel mehr dran, auf daß man Holz und Gras holen kann! O, Greiseweiß, ist das eine Freude!«

Greiseweiß: »Juhu!«

Friedesinchenpate: »Nicht wahr? 's ist ein Leben voller Freude! O, Greiseweiß! Ich bin dir gut, du bist mir gut; wir haben beide kein falsches Blut. Zwei dürre Leiber, aber zwei frohe Weiber! Freu' dich nur recht, du sollst nun auch dicker werden; solange ich krimmen und krauten kann, soll dir's an nichts mehr fehlen.« 391

Greiseweiß: »Ö, nä, nä!«

Friedesinchen: »Nein, nein, Greiseweiß! Deshalb sollst du nicht dicker werden; solange meine Augen offen stehn, wird kein Greiseweiß geschlachtet. Hu, daß auch die Menschen immer gleich mit dem Schlachtemesser dastehen müssen!«

In diesem Tone redet jetzt die Einsiedlerin, wenn sie daheim ist, beständig mit der Freundin unterm Boden.

Eines Abends, als sie gerade vor dem qualmenden Lehmofen stand und sich ihr Nachtmahl, ein ›Scherben« Kaffee, bereitete, kam Bruder Hanfrieder zu ihr herein mit einer ungewöhnlichen Freudigkeit im Gesicht: »Hör 'mal, Schwester,« platzte er gleich los, »die Frau Gräfin war vorhin wiederum bei uns in der Lindenhütte. Und was meinst du wohl, was sie wollte?«

»Na,« kam's unter hellem Gekicher zurück, »doch gewiß nichts borgen?«

»Gerade das! Es fehlte ihr ein heiteres, geselliges Wesen, das früh und spät um sie herum wäre – und darum müßte und müßte sie unser Christinchen aufs Schloß haben. Ihre zukünftige Schwiegertochter, das liebe Edelfräulein von Volkerswalde, spräche auch immer von Christinchen Lindemann, weil der Fittich den Brief an den heil'gen Christ geschrieben hat.« 392

»Daran muß ich ja auch immer denken, Hanfrieder,« fiel ihm die Schwester mit aller Lebhaftigkeit in die Rede. »Auf so 'n Einfall zu kommen! Und das alles so auszudrücken! So 'n Racker! Du, Hanfrieder, in dem Christinchen steckt was! Sollst's sehen, das kann mehr als Brot essen. Der Fittich bringt's am Ende noch zu was. Natürlich laßt ihr sie aufs Schloß gehen?«

»Das hängt von dir ab, Friedesinchen!«

»Von mir? Ei, was du sagst!«

»Du weißt, Friedesinchen, wir sind eine vielköpfige Familie. Ist nun Christinchen fort, muß meiner guten Lore zwischen der kleinen Armee angst und bange werden. Denn wird sie auch zusehends stärker, so ist sie doch noch gar schwach und elend. Der schlimme Winter hat sie zu hart angegriffen. Was meinst du wohl, Schwester, ginge es nicht, daß du zu uns heraufzögst und bei uns wohntest bis an unser seliges Ende? Verdienen tun wir jetzt schon soviel, daß wir ohne Sorgen in der Lindenhütte ein- und ausgehen, sie aber auch noch ein bißchen weiter ausbauen können. Ach Gott, wie wohl ist einem jetzt zu Mute! Man möchte singen! Man kann's gar nicht sagen.«

»Hanfrieder,« entgegnete die Schwester mit freudig glucksender Stimme, »nun tu' mir aber 393 erst 'mal den Gefallen und setze dich! Sollst mir doch die Ruhe nicht mitnehmen! Aber – halt, halt! – zieh den Schemel da weg, daß du nicht durch das Loch auf mein Greiseweiß 'runter fällst!« Alle ihre kleinen Falten schien sie verloren zu haben; wie eine Sonne leuchtete ihr Gesicht. Nun goß sie noch flugs eine Kelle voll frischen Wassers in den zischenden Kessel und legte auch noch etliche Spricker nach. »Ich, ich sollte dem Glück des lieben Kindes im Wege stehen? Das leidet doch wahrlich keine Frage. Freilich, Hanfrieder, es wird mir nicht leicht werden, aus meinem Stübchen, darin ich nun so manches Jahr zugebracht, geweint und gelacht, gesponnen und geschlafen habe, auf einmal auszuziehen! Ist mein Stübchen auch dürftig und klein, scheinen die Sonnenstrahlen doch hinein! Und nun besieh dir auch 'mal diese lieben Guck- und Schallöcher hier auf dem Boden. Was die schön sind, davon kannst du dir keinen Begriff machen. Hihihihihi! – Hörst du nicht, ist's nicht gerade, als wenn mein Greiseweiß schon eine ordentliche Angst kriegt vor dem Auszuge? Hanfrieder, wenn du mir versprichst, daß ich für mein Greiseweiß sorgen kann, aber auch für meine andere Weiße, gerade als wenn ich mit ihnen hier allein wohnte, dann zieh' ich zu euch in die Lindenhütte!« 394

Er reichte ihr lachend die Hand. Indem ›schrie‹ das Wasser im Ofenkessel, daß es koche. Blitzschnell eilte die Glückliche hinzu, goß das braune Getränk in die längst bereitstehende schwarzbackige Tonkanne und trug sie auf den lustig wackelnden, lahmbeinigen, wurmstichigen Tisch. Darauf langte sie zwei Köpfchen und zwei Schälchen nebst einem Knuste Schwarzbrot aus dem Schranke und goß das kräftig duftende Gebräu in die Tassen. »Nun zieh' den Schemel 'rum, Hanfrieder, und lang zu!« nötigte sie mit dem vergnügtesten Gesicht von der Welt, was er sich denn auch nicht zweimal sagen ließ. »Sag nur, Hanfrieder,« hob sie immer wieder an, indem sie sich die Rinden einbrockte, »ich meine immer, man dürfte sich nicht allzuviel freuen, weil man sonst das Glück beruft!«

»Ja, Friedesinchen, das bring' aber 'mal fertig, mach 'mal ein brummig Gesicht, wenn dir die Freude mit Gewalt aus dem Herzen quillt! Du weißt noch nicht den zehnten Teil von dem, was unser junger Herr zum Besten der kleinen Leute von Hilgenthal ins Werk setzen will. 's ist ja gerade, als wollte er das ganze Dorf umkrempeln. Denke nur 'mal: der ganze untere Rand des Schloßberges soll mit lauter kleinen Häusern bepflanzt – wollte sagen bebaut 395 werden. Jede arme Familie, die sich allzeit brav gehalten hat, soll ein apartes, ganz wie eigen geltendes Häuslein haben. Ja, denke 'mal, und ein ganz apartes Haus wird gebaut – da kommen lauter so schöne Bücher hinein, so welche, wie unser Herr Kantor uns manchmal geliehen hat. Und gar 'n Theater kommt hinein und 'ne Kleinkinderanstalt und 'ne Kochküche und 'ne Krankenstube und 'ne Badestube, und Gott weiß, was noch alles.«

Die Friedesinchenpate schlug immerfort die Hände zusammen.

Da hub der Lindenhüttenvater mit einem verschmitzten Lächeln an: »Was sagst du aber, Friedesinchen, wenn wir nun unsere Lindenhütte abreißen und in eins der Schloßberghäuser ziehen?«

Die Schwester schreckte empor und rief: »Was, Hanfrieder, die Lindenhütte – unsre Lindenhütte könntest du wirklich und wahrhaftig niederreißen lassen?« Aber schon lachten sie alle beide über den Gedanken.

»Nein, Schwester, du hast recht! Ich könnte unser Häuschen nicht niederreißen, und böte mir einer eine Million. Das hab' ich unserm jungen Herrn auch geantwortet. Ich hab' ihm gesagt, ins Wasser springen wollte ich für ihn, durchs Feuer gehen wollte ich für ihn, auseinanderreißen lassen wollt' ich mich für ihn – aber die 396 Lindenhütte niederreißen – nein, das könnte ich nicht. Angenommen, ich täte es, so müßte ich ja auch eine andere arme Familie um ihr Glück bringen. Da hat der junge Herr mir die Hand gedrückt und hat erst nichts gesagt; dann aber hat er gemeint, daß er ein paar Maurer und Zimmerer schicken wolle, die auf dem Boden noch ein hübsches Stübchen für die Friedesinchenpate zurecht machen sollten. Und dagegen habe ich nichts gehabt.«

Jetzt war die Friedesinchenpate ganz sprachlos vor Erstaunen.

Lindemann hustete schelmisch und fuhr fort: »Was sagst du aber dazu?« 397

»Wozu? Rasch, Hanfrieder, spann mich nicht auf die Folter!«

»Daß ich – daß ich – – daß ich – – – Holzvogt werden soll!«

»Brrrrrrrr!« machte sie, und ein kalter Schauder rieselte über ihren Nacken.

»Ich dachte mir's wohl, daß du dabei 'ne Gänsehaut kriegen würdest,« sagte er und lachte. »Mir selbst ist's ja gerade so ergangen, als mir unser Herr Graf zuerst den Posten anbot. Aber was half mir meine Gänsehaut und all mein Kopfschütteln! ›Vater Lindemann‹ nannte mich unser Herr ordentlich, ›Vater Lindemann‹, sagte er, ›ich wünsche sehr, daß Sie diesen Posten annehmen. Sie sind der rechte Mann auf dem Posten. Man soll Sie mit dem mit Recht verhaßten Namen Holzvogt nicht rufen, sondern Sie meinethalben Waldwärter oder noch besser einfach Vater Lindemann nennen‹. Ja, sieh! Als ich noch immer mit dem Kopfe schüttelte, sagte er: ›Es ist ein schönes Amt, das ich Ihnen gebe; denn Sie sollen den Armen ihre Lasttage in Lusttage verwandeln, ihr Grauen in Wonne verkehren. Die Guten, die Braven sollen sich freuen, die Frevler allein sollen mit Furcht erfüllt werden.‹«

Das eben noch tiefgerunzelte Antlitz der Schwester ward wieder glatt und glänzend. 398

»Ich bin noch nicht zu Ende!« lachte Bruder Hanfrieder.

»Hei, das ist gut. Nur immer weiter, Junge,« lachte sie. »Ich könnte dir noch sieben Tage und sieben Nächte zuhören.«

»Als ich,« fuhr Lindemann fort, »unserm Herrn Grafen unsern Fritz Bonder für den Waldwärterposten vorschlagen wollte, da lächelte er so eigen und antwortete: Dem wackern Burschen hätte er eine andere Wirksamkeit ausersehen. Er wolle ihn auf einige Jahre zu dem Förster in Volkerswalde geben, bei dem er die Försterei genau erlernen könne. Danach gedenke er ihn auf das ungarische Gut zu senden, dessen Waldungen gänzlich verwahrlost seien. Auch sonst brauche er dort ein treues deutsches Auge. Hätte der Bursche Lust, könne er dort sein Glück machen.«

Friedesinchen schossen die Tränen in die Augen; auch Lindemann wischte sich mit dem Ärmel über's Gesicht.

Dann tranken sie den Kaffee und merkten gar nicht 'mal, daß er ganz kalt geworden war.

»Was aber fängt nun der unglückselige Bockler an?« wollte Friedesinchen gerade fragen, als Lindemann ihr schon mit der Antwort zuvor kam, daß er mit seiner ganzen Familie nach Amerika 399 zöge. »Denke nur, der Graf selber hat ihm das Reisegeld gegeben.«

Friedesinchen atmete ordentlich erleichtert auf, denn der Gedanke an die ehemalige Holzvogtfamilie, die jetzt im Gemeindehause im Elend saß, fiel immer wie ein Schatten auf ihre Freude.

Am dritten Morgen darauf herrschte großer Jubel in der Lindenhütte: Die Friedesinchenpate zog ein, da gab's für groß und klein vollauf zu tun. Alles, was die Friedesinchenpate an toten und lebenden Gegenständen besaß, als Bank und Schrank, Tisch und Wisch, Bett und Brett, Stock und Pflock, Töpfe und Näpfe, Rad und Patt', Ziege und Fliege, Gans und Huhn, und was weiß ich noch alles, das mußte von den Lindenhüttenleuten einzeln aus dem Hungertale auf den Lindenberg hinaufgetragen und -gezogen werden. Das war keine Kleinigkeit! Die Kinder gerieten aus Rand und Band und wußten sich vor Freude nicht zu lassen.

Doch mischte sich in die Freude auch wieder Leid, denn als der Umzug der Friedesinchenpate beendet war, verließ Christinchen die Lindenhütte und ging zum Schlosse hinauf, in dem sie ja nach dem Willen der Gräfin von nun an leben sollte.

Es war ihm kein leichter Gang, es wäre viel lieber im trauten Lindenhüttlein geblieben, 400 wo es jetzt so fröhlich, so selig herging; doch sollte es über dieses Zurücksehnen bald hinwegkommen.

Die alte Küchenlotte, schon längst wieder am Schloßbrunnen plätschernd, war die erste, welche das schüchterne Christinchen durch das Schloßtor treten sah. Aufjauchzend eilte sie auf das Mädchen zu, schloß es in die Arme und führte es unter beruhigenden und ermutigenden Zusprüchen, welche das Kind der Hütte begehrte, der Gräfin zu.

Doch mußt du nicht meinen, als wäre Christinchen im Schlosse wie ein Zierpüppchen gehalten. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte sich das von Jugend auf an emsiges Wirken und Schaffen und karge Nahrung gewöhnte Lindenhüttenkind im Schlosse ganz gewiß nicht wohl gefühlt.

Die Gräfin hatte einen viel zu hellen, gesunden Sinn, als daß sie nicht von Anfang an das Rechte hätte erkennen sollen. Sie wachte in mütterlicher Liebe über das Mädchen, gab ihm immer und überall Gelegenheit zur Betätigung seiner Schaffenslust und hielt mit aller Sorgfalt auf Bewahrung der Einfachheit in Nahrung und Kleidung.

So wuchs Christinchen im Schlosse zu einer wunderlieblichen Jungfrau heran; jedermann freute sich über sie, und die Gräfin hatte ein so großes Wohlgefallen an dem naturfrischen Wesen 401 des Mädchens, daß sie es immer um sich haben mußte, es gar nicht mehr missen konnte. –

Ebenso innig gestaltete sich Christinchens Verhältnis zu der jungen Gräfin Elfriede, die Graf Erwin zwei Jahre nach dem Tode seines Vaters heimführte. Ihr machte es ein ganz besonderes Vergnügen, Christinchen oft durch Geschenke zu erfreuen; dabei sagte sie jedesmal mit ihrem schalkhaftesten Lächeln: »Christinchen, der heil'ge Christ läßt dich grüßen und schickt dir dies zum Zeichen, daß er alle Zeit an dich denkt.« 402


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