Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Es steigt ein Gewitter auf.

Als Lindemann, der seit einiger Zeit mit Fritz Bonder nach den anderthalb Stunden weiten Bocksbühler Steinbrüchen ging, eines Abends heimkam, saß die Lindenhüttenstube gedrängt voll von Waldarbeitern. Der Krüsel schwelte, und es herrschte trotz der weit aufgeschobenen Fenster eine erstickende Schwüle. Der alte Jopau hustete und sagte: »Ja, Hanfrieder, du magst wohl stutzen, so viele ungebetene Gäste hier beieinander zu finden. Wir sitzen hier in tiefer Bekümmernis und suchen deinen Beistand. Du weißt wohl schon, daß wir gestern abend unsern Holzvogt 'mal ganz gehörig zwischen den Fingern gehabt haben. Eine Tracht hat er gekriegt, sag' ich dir, wie sie noch kein Besenbinder schwerer von dannen getragen hat.«

»Ha, das ist gut!« rief Fritz und reckte den Arm, als müsse er auch noch dreinschlagen. »Schade um jeden Hieb, der vorbeigegangen wäre!«

»Kommen wir noch einmal dran, bei Gott, 347 dann soll er seine elenden Knochen im Sacke nach Hause tragen!« versicherte der ästige Fritz Schachtebeck und legte beide Fäuste geballt vor sich.

»Dann soll aber der Graf dabei sein,« drohte der neben ihm sitzende lange Lüter, »denn der hat's ebenso nötig, daß er ein Exempel sieht!«

»Um aber nun zur Sache zu kommen,« begann der alte Jopau wieder, indem er sich zu Lindemann wandte, der noch schweigend vor sich nieder sah, »heute nacht, wenn die Halunken schlafen, wollen wir im Winkelkruge zusammenkommen. Jerx wird uns einen Plan auseinandersetzen, – und dann soll etwas geschehen, – – wir wissen noch nicht, was!«

»Das wird sich schon finden!« drohte Schachtebeck, indem er beide Fäuste geballt in die Luft hielt. »Die Hauptsache ist: Wir wollen jetzt eine neue Weltordnung haben!«

»Wir rechnen auf dich, Hanfrieder!« riefen die Männer, und es tönte wie ein Bitten, Grollen und Mahnen aus ihren Stimmen, als sie nun aufstanden und zur Tür gingen.

»Warum laßt ihr den schwarzen Jerx nicht aus dem Spiel!« mahnte Lindemann in schmerzlicher Bewegung.

»Hanfrieder,« entgegnete eine grollende Stimme, »der schwarze Jerx ist jetzt unser einziger Trost.« 348

Lindemann schüttelte traurig den Kopf. »Wohl ist's wahr, daß uns an den Bäumen unserer Heimat ein himmelschreiendes Unrecht geschieht; sollen wir aber alle Wälder niederschlagen, jeden Baum, der da ragt, mit Stumpf und Stiel aus der Erde würgen, wie Jerx und seine Leute es wollen? Für sie ist alles, was überhaupt besteht, so ein großes Holz zum Niederschlagen. Sie wollen dann aus der ganzen Welt einen einzigen großen Schafstall mit einem einzigen großen babylonischen Schornsteine machen. Eine solche Weltordnung aber hat für mein Gemüt keinen Faser Reiz, da will ich lieber noch dabei bleiben: sorgen, ringen, hoffen. Denn endlich siegt doch die Gerechtigkeit, so gewiß jeder gesunde Baum alle Jahre neu ausschlägt. Und der Sieg der Gerechtigkeit, Kameraden, ist unser Sieg!«

»Wir sind aber das ewige Sorgen und Hoffen satt und müde,« rief der lange Lüter. »Du weißt, Hanfrieder, eine Eiche fällt nicht, hackt, sägt und reißt man nicht mit straffer Gewalt.«

Lindemann ging ans Fenster und atmete tief. »Kameraden, es gibt ein großes und gerechtes Mittel, unsere Lage zu ändern. Ich schäme mich nur vor der Linde, es euch zu sagen. Seitdem ich mit Fritz alle Morgen früh den Weg nach 349 den Bocksbühler Steinbrüchen gehe und vom Bocksbühl mit andern Augen in die Welt hinaus geguckt habe, muß ich mich oft fragen: Was hocken wir nun da in Hilgenthal so auf'nander? In Mackenrode dort unten am Bocksbühl, wo in den letzten Jahren über die Hälfte der Arbeiter weggezogen ist, machen die großen Leute, wenn die kleinen zu ihnen kommen, jetzt schon ganz, ganz andere Gesichter und Töne als bei uns hier im Dorfe. Und da ist's nun eigentlich der Arbeiter, der gibt und versagt. – So könnte sich wohl auch bei uns das Blatt einmal wenden. Vergib mir, alter, guter Lindenbaum! Aber du weißt, ich kann ja nichts dafür.« Es war ein herztrauriger, erschütternder Ton in der Sprache Lindemanns.


»Ja, auch wir werden davon ziehen, aber dann soll's hinter uns rauchen!« drohte Lüter und schritt mit geballter Faust über die Diele.

Mutter Lindemann kam mit einem Krüsel vom Herde her und leuchtete den Männern unter freundlichen Worten hinaus. Der bräunliche Schein des Krüsellichtes fiel auf bleiche, verstörte Gesichter.

Der letzte war der alte, beständig hustende Jopau. Er wandte sich in der Tür noch einmal 350 nach Lindemann um und sagte: »Hanfrieder, komm nach! Steh uns bei, denn du bist der Verständigste unter uns. Ich weiß nicht, daß du dem schwarzen Jerx so böse bist, der du doch sonst eigentlich gar niemand böse sein kannst, – das hat mich immer sehr bedenklich gemacht. Ich versteh' ja eigentlich gar nicht, was der schwarze Jerx mit uns vorhat. Er malt uns so viel was vor, was glänzend und gut scheint, aber es gewiß doch nicht ist. Mir ist manchmal sehr unheimlich zu Mute geworden, wenn ich den unbegreiflichen Mann gesehen und gehört habe. Hättest du unter uns bleiben können, wäre er gewiß nicht so weit mit uns gekommen. Du hättest ihm die Stange gehalten. Ich weiß nicht, Hanfrieder, es ist mir manchmal unwillkürlich der Gedanke gekommen – und ich habe es noch heute morgen wieder gegen meine Karline und meine Kinder ausgesprochen, daß der schwarze Jerx ein inneres Wohlgefallen an unserer schlimmen Lage hat.«

Lindemann ergriff unwillkürlich des alten Freundes Hand und entgegnete: »Ich werde kommen, Justus. – Und was du da eben gesagt hast, das heißt den Nagel auf den Kopf getroffen. Akkurat so ist's, Justus! Je schlechter es uns geht, desto lieber der schwarze Jerx es sieht. 351 Denn er weiß selbst am besten, daß seine Saat nur in einem Herzen aufgeht, dessen Boden gelockert ist durch Unzufriedenheit und Groll. Also mußte sein Bestreben zunächst darauf gerichtet sein, sich einen geeigneten Boden zu schaffen. Und dazu bedurfte es wohl nirgends so geringer Anstrengung wie in Hilgenthal. Die Hauptsache mußte ihm sein: Vertrauliche Annäherung an die Taglöhnerschaft. Hab' ich die erreicht, sagte er sich, dann wird mir der Holzvogt schon zu Hilfe kommen – und mir die Leute in hellen Haufen zutreiben. Wie es denn auch geschehen ist. Das, Justus, habe ich von Anfang an erkannt – und darum ist er der einzige Mensch gewesen, dem ich die Tür der Lindenhütte gewiesen habe. – Verlaß dich darauf, Justus, ich komme hinab.«

Frau Lore brachte in einem dampfenden Becken das Abendbrot herein, während Christinchen die Teller auf den Tisch stellte und Hannchen die Löffel herumlegte.

»Gesegne es euch Gott!« rief Jopau. 352

Allein Mutter Lindemann setzte noch einen Teller auf den Tisch, hielt den Hinauseilenden am Kittel fest und sagte mit einem halb schmerzlichen Lächeln: »Holst die andern doch nicht mehr ein, Justus. Also rück' mit an und sieh 'mal, wie unsere Petersiliensuppe schmeckt.«

»Nur keine Umstände gemacht, Justus!« nötigte Lindemann.

Jopau konnte sich noch immer nicht schlüssig machen. Da zog Lindemann ihn am Kittel auf die Tischbank, während Lore sagte: »Mach dir keine Sorge, Jopau. So viel ist übrig. Vor Weihnachten freilich gab's eine Zeit, da hätt' ich keinen Löffel voll für einen Gast übrig gehabt. – Möge eine solche Zeit nie wiederkehren!«

Vater Jopau aß langsam und bedächtig mit; leise klapperten die ahornen Löffel auf den irdenen Tellern.

Plötzlich rollte ein Donner dumpf und lang durch die Ferne.

»Ei nun,« meinte Vater Jopau, »sind wir schon in die Gewitterzeit gekommen? Ich denke immer, wir ständen noch mitten im Winter.«

Die Mutter sah zum Fenster hinaus, in demselben Augenblicke flackerte in südlicher Richtung ein matter Blitzschein aus einem schwarzen, höckerigen Wolkensaume. Sonst war der ganze 353 Himmel heiter und dicht übersäet mit Sternen. Es herrschte eine vollkommene Windstille; vom Lindenbaume regte sich auch nicht ein Blatt, so daß man denken konnte, den alten Hüttengefährten habe die Müdigkeit übermannt.

Wieder ein Blitzschein, der nun schon hell ins Lindenhüttenstübchen hineinleuchtete. Der Donner begann zu schüttern.

Lindemann ließ den vollen Löffel wieder auf den Teller sinken, trat ans Fenster und hielt Umschau. »Es steigt schwer auf hüben und drüben. Na, ist das aber auch eine Stickluft heute – kaum, daß man's aushält. Kommt es nur gnädig, ist es ein Labsal für das Erdreich. Die Pflanzen sind am Verschmachten.«

Jetzt flackerten zwei Blitzschlangen von verschiedenen Seiten her, und der Donner kam hinterdrein wie Löwengrollen.

»Ach, eßt rasch!« mahnte Lore die Kinder, denn die Männer hatten schon die Löffel niedergelegt.

Es herrschte unter den Lindenhüttenleuten noch der alte Glaube, daß es Sünde sei, während eines Gewitters zu essen; sollte Gott doch einst aus den Wolken gerufen haben:

»Den Schlafer laß schlafen –
Den Beter laß beten –
Den Fresser schlag tot!« 354

»Wenn sich das Gewitter nur nicht wieder durch die ganze Nacht hinzieht!« sorgte Frau Lore und meinte, daß nun aus der Versammlung doch nichts werden könnte; es war aber wohl mehr ein Wünschen als ein Glauben.

»O, Lorchen, es müßte denn schon in den Winkelkrug schlagen,« entgegnete der Alte rasch. »Das Gewitter wird die Leute eher noch anfeuern. Je mehr es blitzt und kracht, desto wohler wird ihnen sein. Und – weiß Gott – mir ist's gerade so. So'n ordentliches Donnerwetter paßt so recht für unsere Versammlung.«

Kräftig schüttelten sich die Männer die Hände, und in dem Augenblicke flammte ein neuer Blitz. Die einander zugewandten Gesichter erschienen blaß und bleich und strahlten dennoch wie in Begeisterung. –

Jopau schritt den Berg hinab. Lindemann ging unter dem Baume hin und her und blickte prüfend und forschend nach dem Himmel aus. Höher und höher türmte sich das rostbraune Gewölk und legte sich in mächtigem Kranze um den Himmel, aus dem dicht gedrängt die Sterne schimmerten. Die Luft war noch immer unheimlich still. Enger und enger zogen indes die drohenden Wolken den Kreis der Sterne. Ein Stern nach dem andern mußte erlöschen. 355

Während aber so der heitere Sternenkreis immer kleiner wurde, erschien unten am Himmelsrande hie und da der Mantel des Donnerers wieder so dünn und durchsichtig, daß Lindemann viele Sternlein mit blassem Schimmer sehen konnte. So leuchtete im untersten Grunde seines Herzens die Hoffnung.

Abermals zerriß das Gewölk, und vor Lindemanns Augen war's, als ob Himmel und Erde in Flammen stände. Das war nicht mehr der milde, Hoffnung erweckende Sternenschein. Die Luft fing an, sich zu bewegen, und als der grollende Donner ertönte, ging ein leises Lispeln durch der Linde Zweige. Und als der Donner verhallte, ward aus dem Lispeln ein Schaukeln und Rauschen. – Tief beugte sich die gepeitschte Linde über die bebende Hütte. 356


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