Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Das Gewitter.

Vom Schloßhofe galoppierte ein Reiter in die lichttolle, donnernde Nacht hinaus.

»Was eigentlich ins Werk gesetzt werden soll, habe ich trotz meines eifrigsten Spürens noch nicht in Erfahrung bringen können. Lindemann wird den Leuten natürlich die peinlichste Verschwiegenheit anbefohlen haben. Aber so viel habe ich doch herausgebracht, daß die Holzhauer heute nacht wieder einmal auf der Winkelkrugsdiele zusammenkommen wollen, um dort mit dem schwarzen Jerx und dem Lindenhüttenmanne den heimlichen Racheplan noch einmal gemeinsam zu beraten.«

Der Graf stieß einen scharfen Fluch aus, lachte seinen Holzvogt schrecklich an und sagte mit hohler Stimme: »Wir werden die Brut in ihrem Neste fangen. Bockler, behalte er die 357 Meuterer scharf im Auge. Ich hoffe, in spätestens einer Stunde wird die Gendarmerie am Platze sein!«

»Wohl, Herr Graf!« sagte Bockler mit einem tiefen Bücklinge, aber mit eigentümlich unsicheren Blicken.

Als sich die Tür hinter ihm schloß, war es, als rolle der Donner hinter ihm her.

Der Graf nahm einen funkelnden Revolver vom Tische, prüfte ihn, legte ihn wieder hin und schritt hastig im Zimmer auf und ab, mied aber jeden Blick nach den Fenstern.

Sein Aussehen hatte sich in letzter Zeit auffallend verwandelt. Die hagere, straffe Gestalt erschien gekrümmt, das pergamentfarbige Gesicht stark eingefallen, die tief in den Höhlen liegenden Augen waren groß und farblos, die Haare grau und spärlich geworden. Kein Wunder auch! – Lange schon hatte er sich keiner ruhigen, erquicklichen Stunde mehr erfreuen können – weder im Schlafen noch im Wachen. Der von dem Holzvogt unausgesetzt geschürte Argwohn ließ ihn überall Gefahr für sein Leben und sein Gut wittern, und beständig träumte er von den Holzhauern als von furchtbaren Mordbanden, die mit ihren blitzscharfen Äxten das Schloß erstürmten, Brand, Mord und Totschlag verübten. Das 358 Entsetzen heftete sich an seine Fersen, das Grauen fraß an seinem Herzen, zehrte an seinem Lebensmarke.

Plötzlich zuckte er zusammen und richtete das Gesicht nach der Tür.

Die Gräfin trat herein. Verstört, verweint, wie eine unschuldige Büßerin stand die edle Frau da mit herzrührenden stummen Bitten im Auge. Er sah sie an, als kenne er sie nicht. Da begann sie: »Verzeihe, mein Gemahl – mir ist so angst und weh – ich muß mich zu dir flüchten. Was für ein hartes Wetter will das werden! Der ganze Himmel ist in Aufruhr. Es ist, als tobten zwei Gewitter gegen einander.«

Da lachte er, ohne zu lachen, und keuchte: »O, daß ich diese zuckenden Blitze, diese rollenden Donner in der Hand hätte! Das wäre die rechte Wehr und Waffe gegen dies verruchte Menschenvolk!«

»Mein Gemahl!« rief die Gräfin und streckte bittend die Hände vor. Ihr schauderte vor solch wildem Zornesausbruche.

Er senkte den Kopf, trat näher auf die Gattin zu und nannte sie bei ihrem Namen –: »Regina!«

In langer Zeit war der Name nicht über seine Lippen gekommen.

Die Gräfin wußte nicht, wie ihr geschah. Schmerz und Freude durchwogte ihren Busen. 359

Stumm standen sich die Gatten Aug' in Auge gegenüber.

Im Parke rauschte der Wind, und vereinzelte Regentropfen schlugen an die Fenster. Das Donnern ertönte dumpfer, das Blitzen wurde matter. Gewiß zogen die Wetter unaufgebrochen vorüber.

In den Augen der Gräfin schimmerten Tränen.

»Regina!« ertönte es abermals.

Da eilte sie auf den Gatten zu und barg ihr Haupt an seiner Brust – eine tiefe, tiefe Kluft hinwegräumend. Bewegungslos duldete er es. Heiße Tränen rieselten auf seine Hände.

Still war's wieder; immer dumpfer rollte der Donner über das Schloß dahin. Plötzlich reckte sich der Graf mächtig auf, streckte die zusammengekrampfte Hand aus und rief: »O, dieser Baron Rausen! Daß ich mich so weit vergessen konnte, in die Verlobung einzuwilligen. Aber jetzt hält mich nichts mehr zurück, sie wieder auszulöschen. Morgen erlasse ich ein Rundschreiben an die gesamte Adelschaft – der Baron Rausen ist gebrandmarkt und ausgestoßen aus unserer Gemeinschaft! – Regina – unser Sohn muß das Mädchen vergessen! Sorge dafür, daß er sich darein findet. Eher bricht Himmel und Erde zusammen, eh . . .« 360

Die Gräfin trat schnell zurück; schlaff sanken ihre Hände in den Schoß; kein Laut kam über ihre Lippen.

Da meldete ein Bedienter: »Der Wachtmeister aus Tannenfeld!«

»Verlaß mich jetzt, Regina, ich habe noch etwas vor!« sagte der Graf in heiserm Tone zu der zitternden Gattin.

Die Gräfin schüttelte leise das Haupt, wandte dem Grafen noch einen langen Blick zu und ging hinaus. In ihrem Zimmer rang sie die Hände. – –

Gleich darauf begab sich der Graf mit dem säbelrasselnden Wachtmeister hinab auf den Schloßhof. Der Reitknecht führte eben vier schnaubende, dampfende Rosse von dannen, denn es waren außer dem Wachtmeister noch zwei andere Gendarmen mitgekommen. Sie standen in einer dunklen Ecke um Bockler herumgedrängt, mit dem sie sich leise unterhielten.

Respektvoll erwiderten sie den kurzen Gruß des Grafen.

»Die Herren wissen nun wohl genau, um was es sich handelt,« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Es gilt vor allem die Unschädlichmachung der beiden Hauptrevolutionäre und Rädelsführer Jerx und Lindemann.« 361

»Zu Befehl, Euer Gnaden!« entgegneten die Gendarmen, und starker Tatenmut sprach aus ihren Stimmen und Gebärden.

Jetzt wandte sich der Graf an Bockler, der eifrig über den Stand der Versammlung berichtete und nicht nur von den Jerxschen, sondern auch von den Lindemannschen Brandreden die schauerlichsten Dinge zu erzählen wußte. Seine letzten Worte verschlang ein schmetternder Donnerschlag.

Der Wachtmeister, der ein wenig zusammengefahren war, stieß unwillkürlich einen Fluch aus. Ein solch unheimliches Wetter hätte er noch nicht erlebt. Eben dächte man, es sei vorüber, zöge es auch schon wieder von neuem heran.

»Brechen wir auf!« gebot der Graf, machte seiner Gewohnheit gemäß eine zickzackartige Handbewegung und schritt rasch voran.

Bockler bat den Grafen mit fast ängstlicher Dringlichkeit, daß er sich schonen, sich nicht der Gefahr aussetzen möchte, von den wildwütenden Leuten überrannt zu werden, mußte aber auf ein barsches Gebot schweigen.

Als sie an der alten Knechtsbaracke vorüber gingen, blies drunten im Dorfe der Wächter und sang mit heller, lauter Stimme: 362

»Hört', ihr Leut', und laßt euch sagen,
Unsre Glock' hat elf geschlagen.
Elf Jünger blieb'n dem Herrn getreu,
Der zwölfte verriet ihn und starb ohne Reu'.« – –

Der Vers erstarb in einem lange erdröhnenden Donnerrollen.

Bockler führte die seltsame Schar durch eine enge »Gatze«, die, mit dicken Hecken auf beiden Seiten, hinter großen Baumhöfen hinauf dem »Winkel« zuläuft, einer kurzen, engen Straße, an deren Eingang der meist nur von kleinen Leuten besuchte »Winkelkrug« liegt. So kam man ungesehen und ungehört aus Ziel.

Obwohl Bockler ganz übereifrig für schnellste Festnahme der beiden Rädelsführer sprach, trat der Graf mit dem Wachtmeister zunächst gegen ein Fenster, das ihnen trotz seiner trüben Scheiben die Möglichkeit bot, die Versammlung zu übersehen und zu belauschen.

Da standen und hockten Holzhauer und Hoftagelöhner Kopf an Kopf in der niedrigen Dönze, und noch in der Tür drängten sich die Köpfe durcheinander und übereinander, ja, die ganze Diele schien noch dicht gefüllt zu sein. Und auf einem Schemel mitten in der Stube stand, aber ganz gebückt, da der Kopf oft an das tiefe Balkenwerk stieß, der schwarze Jerx, redete wilde Wogen und begleitete sie durch noch wildere Gestikulationen. 363

»Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!« Diese bekannten Schlagwörter waren es auch jetzt wieder, mit denen er die Hilfesuchenden zu berücken trachtete; allein ihre Wirkung war augenscheinlich sehr gering. Da auf einmal stockte der Schwarze, strich sich mit beiden Händen über den kurzen Zottelbart und begann in feinem, schier anheimelndem Märchenton zu erzählen: Es wäre einmal ein reicher, vornehmer Witwer gewesen, der hätte ein einziges Kind gehabt, das er in den tiefen Keller sperrte, um es langsam verhungern zu lassen. Das Kindlein hätte kläglich gewimmert: »Ach, lieber Vater, ein Stückchen Brot!« Aber der Rabenvater hätte ihm nur jeden Tag einen Knupperzwieback durch das Katzenloch hinabgereicht, und da sei es nach wenigen Tagen Hungers gestorben. Der reiche, vornehme Witwer hätte nämlich ein reiches, vornehmes Weib heimführen wollen – und da sei ihm das Kind im Wege gewesen. Ob sie die alte Sage wohl kennten? fragte der Feuermann mit lauerndem Blick.

Der das Haus erschütternde Donner machte die Antworten unverständlich; aber die durch die Reihen der Männer gehende außerordentlich lebhafte Bewegung sagte zur Genüge, daß die alte Schauersage ihnen allen wohlbekannt war.

Der feine, vornehme Herr, fuhr nun der 364 Schwarze mit bedächtig abwägender Stimme fort, habe bei der Bestattung des Kindleins einen rasenden Schmerz an den Tag gelegt, um die Leute keinen Verdacht schöpfen zu lassen. – Dann habe er bald Hochzeit gemacht, sei jedoch keiner Freude froh geworden – nicht im Bette und nicht am Tische. Immer sei das Kind erschienen und habe bittend die Hände vorgestreckt und gewimmert: »Ach, lieber Vater, ein Stückchen Brot!« – – Endlich sei die Geschichte an den Tag gekommen. Doch kein Gericht hätte den Verbrecher zur Verantwortung gezogen. Da sei das Volk zusammengetreten, hätte zornentbrannt einen Scheiterhaufen geschichtet, den saubern Mann aus den Armen seines jungen Weibes gezerrt und ihn auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Hatte der anfängliche Wortschwall die Kruggesellschaft fast kalt gelassen, so war nun durch die ihrem Begriffsvermögen angepaßte Sage ihre volle Teilnahme erweckt worden, was sich in den lebhaftesten Gebärden kund tat.

Der Graf draußen hinterm Fenster konnte nur mit Mühe seine Erregung verbergen; bebend zischelte er dem Holzvogt zu: »Lindemann ist ja nicht dabei?« –

Ein Blitz und Donnerschlag schien der Frage Nachdruck geben zu wollen. 365

Doch Blitz und Donner focht den Holzteufel nicht an; leise hüstelnd, zischelte er zurück, der Lindemann sei ein geriebener Schurke; unstreitig habe er Wind bekommen und sich aus dem Staube gemacht; vorhin sei er der Hauptaufwiegler gewesen. –

Der Graf hielt das Ohr wieder nach dem Fenster, denn eben begann der redekluge Jerx damit, die alte Sage auf die Hilgenthaler Zustände anzuwenden.

Der Rabenvater, so donnerte der Schwarze unter dem Toben des Gewitters in die Versammlung hinein, sei niemand anders denn – der Graf von Hilgenthal; das im Keller schmachtende Kind aber sei die von ihm gezeugte Hilgenthaler Armut.

Ein Gericht, das den Grafen zur Verantwortung zöge, gäbe es im Lande nicht. Also müsse die Armut selbst zu Gericht sitzen. – –

Das zündete: Mit hochgehobenen Fäusten rasten die Männer durcheinander.

Vollbefriedigt ergriff Jerx abermals das Wort. Sie auf dem Lande seien immer die Dummen gewesen, Schaflämmer und Nachtmützen. Jetzt müßten sie sich aufraffen; eine neue Zeit bräche an. In den Städten harrten ihrer Tausende von Bundesgenossen, mit denen müßten sie 366 sich verbinden. Wenn Stadt und Land Mann an Mann zusammenständen, der eine für den andern und der andere für den einen, dann sei die Stunde da, den Scheiterhaufen für die stolzen Reichen aufzurichten!« – –

Ein furchtbares Toben und Heulen brach los, krachend fuhren die Fäuste hernieder auf den schweren, schwärzlichen Tisch, daß die Gläser mitsamt der dickbauchigen Branntweinflasche klirrend darüber hinkollerten.

Mit zuckender Hand erfaßte der Graf seinen Revolver. Als ein neuer Blitz die finstere Nacht durchriß, erschienen seine Züge verzerrt.

»Wo ist der Lindenhüttenmann?« herrschte er Bockler an.

Da trat, wie aus dem Boden gestampft, Vater Lindemann mit Fritz Bonder unter die Männer.

Und jäh – wie der Blitz daher und dahinfährt – sprang der Holzvogt nach der Tür.

»Es ist noch nicht Zeit!« ächzte der Graf, und der Wachtmeister hielt den schon ganz unbotmäßig vorwärts dringenden mit fester Hand zurück.

»Still!« zischte der Graf und starrte mit weit aufgerissenen zornvollen Augen auf Lindemann und den schwarzen Jerx, die sich noch stumm 367 gegenüberstanden und wie zwei Todfeinde sich anblitzten, bis Lindemann zu den ganz kleinlaut gewordenen Tagelöhnern sich wandte und mit einer Stimme, aus welcher Schmerz und Zorn tönte, anhob: »Man soll zwar nicht in einen Backofen blasen, wenn Feuer darin ist – allein hier müßtet ihr mir schwere Schlösser an den Mund legen, wollte ich ihn nicht auftun. Hört und seht ihr nicht die Wetter, die warnend und unheildrohend über unserm Dorfe halten?«

Gleich feurigen Schlangen zuckten die Blitze in kreuz und quer durch den Krug, und die grellen Lichter spielten auf den Gesichtern. In dem betäubenden Donnerkrachen trat Jopau hustend an Lindemanns Seite und nickte immerzu, während jener abermals mit seiner warmherzigen Stimme anhob: »Das wolle Gott verhüten, daß es diesem da gelänge,« – er wies mit einer energisch abwehrenden Gebärde auf den wütenden Jerx – »euch, die ihr bisher trotz allem Kreuz und Ungemach rechtschaffen und treu geblieben seid, – daß es diesem da gelänge, sage ich, unsere Zukunft in sein Geleise zu bringen.«

»Ist mir ganz infam egal, Hanfrieder! Jetzt handelt sich's dadrum, daß der Lanzenbrüter da oben im Schloß 'mal vors Brett kommt! Und den Holzvogt, den Hund, mache ich jetzt 368 ganz alleine kaput. Die scheußlichen Kulpen will ich 'n aus'm Kopfe hacken, will ich!« gröhlte der lange Lüter, stieß das Branntweinglas auf den Tisch und stellte sich an die Seite des Schwarzen, der bis dahin vergeblich versucht hatte, gegen Lindemann und die durch ihn hervorgerufene Stimmung aufzukommen. Es zeigte sich auch bei seinem neuen Vorstoße, daß er sich gegenüber der starken Persönlichkeit Lindemanns, die auf die Versammlung einen merkwürdig dämpfenden Eindruck machte, nur schwer zur Geltung bringen konnte.

»Gelte ich euch noch etwas, so nehmt mein Wort euch zu Herzen, denn wollen wir das unverdiente schwere Leid, das der Graf mit Hilfe seines Holzvogts, dem Gott gnädig sein möge, über uns gebracht hat, durch eine andere Schuld wettmachen, so ist uns nie und nimmer zu helfen, so haben wir das Recht auf eine bessere Zukunft verloren. Kann Jerx euch keinen besseren Rat geben und zu keiner lichten Tat euch führen, so weist ihn ab, denn so ist er nichts als ein höllischer Versucher! Ihr wißt, ich habe nur einem Menschen in meinem Leben die Tür meines Hauses gewiesen, – und das war dieser!«

Jetzt ein Schrei – – und Jerx stürzte sich Lindemann vor die Brust. 369

Da flog unter gewaltigem Krachen die Tür der Winkelkrugsdiele aus den Angeln; heulend brauste der Sturm herein und verlöschte die am Balken hängende Lampe. Ein grausiges Gewoge in der von Blitzen durchzuckten Finsternis, ein Knirschen und Krachen, Klirren und Dröhnen, als bräche Haus und Himmel ein.

»Licht! Licht!«

Jammernd brachte die Krügerin endlich einen Krüsel her, – und als sie nun den Grafen, umgeben von drei behelmten ›Schandarmen‹, dastehen sah, schlug sie mit gellendem Geschrei die Schürze vors Gesicht.

Felsenfest stand Lindemann in dem wilden Strudel, – zwischen seinen Händen hielt er den schwarzen Jerx.

Einen Augenblick erschienen alle zu Bildsäulen erstarrt. Der Graf keines Wortes mächtig.

Da brach Lindemann den Bann – flammenden Gesichts, sprühenden Auges packte er den reißenden Jerx, schleuderte ihn dem Grafen vor die Füße und rief mit halberstickter Stimme: »Verzeihung, Herr Graf! Wir sind nicht schuld daran, daß dieser sich in Hilgenthal einnistete!« – – Keuchend hielt er inne, dann rief er, zu den Gendarmen gewandt, welche ihre schwere Mühe hatten, den schwarzen Jerx zu bändigen: 370 »Da steht ein schlotternder Bösewicht neben dem Herrn Grafen, – Sie tun gut, wenn Sie den mit dem zusammenknebeln!«

Fluchend sprang der Holzvogt auf Lindemann zu – prallte indes mit Fritz Bonder zusammen, der in einem mächtigen Satze vor seinen väterlichen Freund gesprungen war. Zum Sprunge bereit standen alsbald auch alle Mann, im vordersten Gliede Gottlieb Schachtebeck mit seinen bohrenden Fäusten, neben ihm der lange Lüter, der in seiner Wut wie ein Löwe brüllte.

Bockler riß sich los und sprang nach der Tür.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter – fest wie eine Eisenklammer. Es war des Grafen Hand. Still und starr wurden alle. Mit furchtbar lachendem Gesicht sah der Graf ihn an.

Heiß und kalt überlief es alle, die es sahen.

Gewaltig brauste die Luft, züngelten und flackerten die Blitze, krachten und knatterten die Donner.

Und noch stand der Graf – und vor ihm knickte der Holzvogt.

Da klirrten die Fenster, dröhnten die Pfosten, und Glassplitter flogen samt eiartigen Schlossen klatschend auf den Dielboden.

Mit einem jähen Aufzucken ließ der Graf 371 den Holzvogt los, preßte sich beide Hände auf die Brust, bäumte sich zurück und sank mit einem dumpfen Aufschrei zu Boden.

Man hob den Grafen empor. Allmächtiger – – was ist das? Der Graf verzog nicht Mund noch Miene. Starr, totenstarr waren seine Augen auf die Männer gerichtet, und es folgte kein Lachen mehr.

Die Augen waren gebrochen – der Graf war eine Leiche. – Ein Herzschlag – – –

* * *

Noch umstanden die Männer wie versteinert die Leiche – da fing die Glocke auf dem Turm zu wimmern an.

»Es läutet Sturm!« schrie eine Stimme von draußen.

Schreckensvoll, wie vom Sturm gepackt, stoben die Männer nach allen Richtungen hin auseinander, – Lindemann und Fritz nach dem Lindenberge hinzu.

Gott sei Dank, die Lindenhütte stand unversehrt. Tief, tief atmeten sie auf und wandten sich eiligst wieder zurück. In dem Augenblicke sahen sie drüben über dem Bache eine mächtige Feuersäule aufsteigen. »Hanfriederpate,« rief Fritz, »das ist 's Holzvogthaus!« 372

Der Nachtwächter, der jetzt an ihnen vorüberlief, von Schritt zu Schritt ins Horn stoßend, bestätigte ihre Vermutung. In fliegendem Laufe eilten sie der Beke zu. Ohne Einhalt tobten die Gewitter gegen einander, folgten Blitz und Krach. Schauerlich tönte das Knattern des Donners, das plötzliche Rauschen des Regens, das Wimmern der Glocke mit den kurzen, gellenden Nachthornstößen zusammen.

Am Thi kamen den beiden Lindenhüttenmännern drei Holzhauer gemächlich entgegengeschlendert, die riefen: »Was mögt ihr wohl laufen! Es ist ja das Holzvogthaus!«

»Wir fragen nicht, wem das brennende Haus gehört!« antwortete Lindemann, ohne im Laufen innezuhalten.

Da riefen die drei: »Lindemann, Fritz, spart euch die Mühe und sichert euer Leben! Die hilge Beke ist hoch angeschwollen! Das Wasser braust schon über den Steg! Und noch immer gießt der Regen!«

Die beiden hörten die Worte wohl kaum noch; sie eilten vorwärts und standen bald an dem mächtig schäumenden brausenden Bache. Sonst so harmlos, still und klein, schwankten jetzt seine schlammigen Fluten stark über das Bett hinaus. Der grellrote Schein des brennenden Hauses fiel 373 über den wogenden Spiegel hin. Lindemann und Fritz sahen sich inmitten einer großen Menschenmenge, die ein lautes Jammern hören ließ. Ganz nahe stand der Thihöfer mit »unne« Kellermeyer und Vogt. Alle drei hielten die Köpfe gesenkt und klagten: »Ach, ach, unsre schönen Saaten, unsre schönen Saaten! Roggen und Weizen standen lange nicht so gut. Alles ist hin, alles ist hin.«

Lindemann ging das Klagen nicht so nahe, wie die durchdringenden Hilferufe, die von der schauerlichen Feuerstätte herübertönten. Er spähte an dem brandenden Wasser auf und ab und sah, daß der aus einer schweren festen Eichenbohle bestehende Steg, trotzdem die Wogen schon darüber hinweg schwankten, unerschütterlichen Widerstand leistete. Sie wagten es und kamen glücklich hinüber.

Als sie eben die Brandstätte erreichten, gab es einen furchtbaren Krach, ein entsetzliches Funkengewirbel. – Das schöne Holzvogthaus war zusammengefallen.

Aufs neue fuhren die Leute auseinander.

Der Holzvogt kam gelaufen, brüllend wie ein wildes Tier.

Mit gräßlichem Geschrei stürzten sein Weib und seine Buben ihm entgegen. 374

»Ist die Lade gerettet?« ächzte Bockler.

»Nichts – nichts – nichts ist gerettet!« schrie sein Weib und schlug einmal über das andere die Hände über dem Kopfe zusammen.

Bockler griff in die Luft, tat einen Satz vorwärts und fiel zu Boden, hob aber alsbald den Kopf wieder empor und rutschte, die Augen starr auf das Feuer gerichtet, auf den Knieen.

Vater Lindemann versuchte ein tröstendes Wort. Bockler zuckte empor, starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und lachte – – lachte!

So schaurig hatte er nie zuvor gelacht.

Eisige Schauer rieselten durch Lindemanns Seele.

Da schlug sich Bockler die geballten Fäuste ins Gesicht und taumelte um den Feuerhaufen herum.

Lindemann wandte sich an das Weib, das noch stöhnend am Boden lag und die Hände tief in den Schlamm grub; doch wie von einer Natter gebissen, fuhr sie beim Klang der treuherzigen Stimme auf, um dann den Kopf tief zur Erde zu senken.

Lindemann wandte sich an die heulenden Buben, – aber vier liefen wie besessen fort, dem Vater nach, und nur der Kleinste blieb bei ihm. 375

Plötzlich ein neues Schreien und Zusammenlaufen drüben am Feuer, der Holzvogt hatte sich in der Verzweiflung ins Feuer stürzen wollen, wurde aber von den Leuten im letzten Augenblicke noch erfaßt und zurückgehalten. – – –

Die Donner verrollten, das Gewitter lag in den letzten Zuckungen, und die rauschenden Wogen der hilgen Beke nahmen eilig wieder ab.

Als Lindemann nach einer geraumen Weile über den Bekesteg zurückging, trug er den kleinsten Bockler auf den Armen.

Die Leute schüttelten die Köpfe. Danach hätt's ihm der Holzvogt doch nicht gemacht.

Lorchen und Friedesinchen saßen noch mit gefalteten Händen beim Gesangbuche, als Lindemann mit dem Kleinen herein kam.

Den Frauen traten die hellen Tränen in die Augen.

Bald nickte die Friedesinchenpate, bald schüttelte sie mit dem Kopfe und seufzete: »O, du meine Güte, Lore, wie hätte ich das gedacht, daß wir über die Holzvogtfamilie noch einmal Mitleidstränen vergießen würden! – Sage niemand, was ihm nicht geschehen kann! Die Welt hat einen gewaltigen Herrn, und er läßt die Schicksale kreisen wie die Spinnerin Rad und Rolle, wenn sie sitzt und spinnt.« 376

»Diesen Kleinen können wir fürerst wohl behalten,« sagte Lindemann. »Wenn sich die Jungen noch ein wenig zusammendrücken, geht er schon noch mit hinein.«

»Ei natürlich!« sagte die Mutter.

»Ei nein!« sagte die Friedesinchenpate, »den nehme ich mit.«

Der Kleine saß zitternd und bebend auf der Bank und schnuckte und schluchzte und hielt immerfort die beiden Handrücken vor die Augen.

Die Friedesinchenpate zog ihm hurtig die Schuhe und Strümpfe aus, streifte ihm das klatschende Höschen herunter und jammerte über die kalten nassen Füße und Beine.

Unterdessen hatte die Mutter schon einen wollenen Rock herbeigeholt. Und da sie nun sahen, daß der Junge oben wie unten bis aufs Hemd durchnäßt war, entkleideten sie ihn ganz, wickelten ihn in den warmen Rock und gaben ihm ein Köpfchen voll warmer Ziegenmilch zu trinken. Doch während des Trinkens schlief der Knabe ein. Da nickte Vater Lindemann der Schwester zu, nahm das Kind behutsam auf seine Arme, trug es hinauf und legte es zwischen die Kinder, ohne eins zu wecken. – – 377


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