Heinrich Sohnrey
Hütte und Schloß
Heinrich Sohnrey

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Fünftes Kapitel.

Ein Waldteufel und noch einer.

DDie Sonne schien schräg gegen die Bäume, und auf dem Schnee ihrer Kronen war ein feines Blitzern, als die Lindenhüttenkinder, Christinchen mit spänegefüllter Köze, Christel mit einer Tracht Reisig quer auf dem Rücken, wieder am Tannenschlage mit der ihrer harrenden Pate zusammentrafen.

»Ei, ihr lieben Krabaten, was für eine schöne, dicke Tracht ihr habt! Und wie freue ich mich, daß ihr wieder da seid. Ganz verwundert haben 70 mich schon die Füchse und Rehe angesehen, daß ich heute so lange an einer Tracht mache; aber ich habe unterdessen so viel gebrochen und gelesen, daß es noch reichlich eine große und eine kleine Tracht gibt, eine für mich und eine für dich, Christinchen. Nicht wahr, da gehen wir morgen wieder her? Und ich habe auch so ein ganz, ganz feines und so ein ganz, ganz kleines Erdmännlein gesprochen, das unter einem alten Eichenstuken hervorkam und nach euch fragte. Das will uns, wenn unsere Trächte gar zu schwer werden sollten, gern heimlich tragen helfen, und wenn's noch gar zu schlimm werden sollte mit der neuen Holzpolizei, will's uns auch mal sein Käpplein borgen, daß uns keines Menschen und keines Teufels Auge mehr soll sehen können. Nur Geduld, Christel, ich darf jetzt nichts mehr davon verraten, aber ich erzähle euch heute oder morgen abend noch mehr davon. – Doch nun helft mir auf, ihr kleinen Racker ihr!«

Die Friedesinchenpate, welche die Kinder mit dieser getuschelten Rede am Waldpfade empfing, hockte sich in einem Erdkessel, wo ehemals wohl ein großer Baum ausgerodet war, nieder, zwängte die Arme in die »Strippen« des Holzlakens und hob sich unter eifriger Mitwirkung der Kinder mit der dicken Tracht Tannenreisig auf dem 71 Rücken schwer auf, wobei ihr die Beine ordentlich knackten; dann half sie auch den Kindern auf, und dann schritten sie schwer und mühsam hinter einander her. Das Gespräch aber verstummte ganz und gar unter dem Drucke der schweren Lasten. Nur ein Seufzer mischte sich ab und zu in den knirschenden Hall der Tritte. Am schwersten trug Christel, auf dessen zarten, dünnbekleideten Rücken sich die Äste und Haken am unbarmherzigsten einbohrten; wenn er aber an das ganz, ganz kleine und ganz, ganz feine Erdmännlein dachte – und er dachte viel daran – dann vergaß er Schmerz und Schwere, – ja, und ging ganze Strecken so leicht, als ob das Erdmännlein ihm wirklich tragen hülfe. Und gewiß hat es ihm wirklich geholfen, ganz sicher und gewiß; – wann hätte auch ein rechter, kindlicher Glaube nicht wirklich geholfen?

Kurz vor dem Waldausgange, wo man schon ins helle Feld sehen konnte, war eine Ruhestelle, ein hoher Wegrand, auf den man sich bequem mit den Trächten niedersetzen konnte.

Die Pate sah die Kleinen lächelnd an, und alle drei ließen sich mit einem langen, wonnigen »A–h!« der Erleichterung auf den Wegrand zurückfallen.

»Nun, Kinder, hat euch das Erdmännlein 72 nicht geholfen?« fragte sie mit schelmischem Lächeln, während die Kleinen sich den Schweiß von der Stirn trockneten.

Christinchen sah die Pate mit großen, klugen Augen an und schien nicht recht zu wissen, ob sie's für Scherz oder Ernst halten sollte; Christel aber riß die Arme aus den Strippen, ließ seine blauen Augen zwischen den beiden hin und her leuchten und rief ganz begeistert: »Mir hat's geholfen, Pate, und ich hab's ganz ordentlich gemerkt, und einmal hat's die Tracht so hoch aufgehoben, daß ich meinte, ich könnte fliegen.«

Christel konnte aber nicht weiter nach dem Erdmännlein fragen, denn ganz plötzlich war ein großer Erdmann da: ein städtisch gekleideter Mann mit rabenschwarzem Haar und einer starken, borstigen Zwickelzotte um den Mund herum.

Die Kinder rückten schnell an die Pate heran. Da machte er mit der Hand eine beruhigende Bewegung und nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Taschentuche über die Stirn und kam ganz heran, und so fremdartig und unheimlich er auf die Hilgenthaler Kindergemüter wirkte, so höflich und freundlich war er doch. »Da findet man endlich ein paar arme Menschenseelen, die einem gewiß sagen können, wo denn die Holzhauer heute zu finden 73 sind. Renne nun schon sieben Stunden im Walde herum und höre nicht Ach und nicht Krach.«

Die Pate beschrieb ihm den Weg, dachte aber, was denn der schwarze Mensch bei den Holzhauern zu suchen habe, und sah ihn etwas mißtrauisch an. Das schien er sogleich zu merken, denn er sagte: »Ihr kennt mich noch nicht, ihr armen Leute, aber ihr werdet mich noch kennen lernen und euch freuen und frohlocken, wenn ihr mich seht.«

Nun sah er die Kinder an, und sein buschiger Kopf wippte, und seine Augen blitzerten, wie wenn die Sonne in harten Schnee scheint, und seine Hände gestikulierten, und er fragte, ob sie auch schon Hirsche gesehen hätten?

»Ja,« antwortete Christinchen, und »viele, viele,« bekräftigte Christel. »Auch schon Hirschbraten gegessen?« fragte der merkwürdige schwarze Mann mit eigentümlich lauernderm Blick. –»Nein,« antworteten die Kinder. – »Auch nicht nötig,« setzte die Pate resolut hinzu. Ob sie schon in den schönen Grafenkutschen gefahren seien? examinierte der Mann weiter. »Nein,« sagten die Kinder. »Ist auch nicht nötig,« sagte die Pate wieder und setzte hinzu: »Wenn sie nur gehen können, wo sie gehen müssen.«

Der Schwarze wippte wieder mit dem Kopfe, 74 behielt aber die Kinder unverwandt im Auge. Ob sie wohl schon einmal in dem prachtvollen Grafenschlosse gewohnt hätten?

»Nein,« sagten die Kinder. »Kommt ihnen auch nicht zu,« sagte die Pate.

Und der Mann wippte abermals mit dem Kopfe. Ob sie denn wohl die Lindenhütte kennten?

Nun lachten die Kinder und riefen: »Wir sind ja aus der Lindenhütte!«

Nun trat der schwarze Mann einen Schritt zurück und wieder einen Schritt vor und war noch einmal so freundlich. »Ei so, ei so! Aus der Lindenhütte. O, euern Vater kenne ich schon! Hei freilich, und ich sage euch, ich bin stolz darauf, daß ich ihn kenne. Er ist ein Mann, daß man ihn eher kennen muß als tausend andere, denn wie er den Kopf hält, so halten ihn auch die tausend andern, und wo er mit der Axt hinschlägt, da schlagen auch die tausend andern hin.« Wieder wippte er mit dem Kopfe und wippte der Pate zu, die fast mißmutig vor sich hinsah. »Oh, das ist ein Mann! Eine ganze Welt liegt gebunden in ihm, und er weiß es noch nicht, und drum will ich hinein zu ihm in den Wald. Ja, Kinder, gerade euer Vater ist's, den ich suche, denn an ihm, sag' ich, hängt ein gut Stück vom Heil der Zukunft.« 75

Friedesinchen zuckte die Schultern: »Das versteh' ich nicht!«

Er hob die Faust und drohte zum Walde hinaus: »Nicht lange mehr, und der ganze Wald wird krachen, und es wird kein Baum mehr bei dem andern stehen, – und dann wird man euch das Holz in goldenen Kutschen vors Haus fahren, ihr Armen und Enterbten!« Seine Augen funkelten, und er schritt rasch davon, den Fußstapfen nach, welche die drei Holzträger auf dem Waldpfade hinterlassen hatten.

Friedesinchen schüttelte den Kopf. »Da werde einer draus klug!« Als sie aber ihre Trächte wieder aufgenommen hatten und eben an den letzten vereinzelten Bäumen vorüber waren, blieb sie plötzlich stehen.

»Ah, nun weiß ich's! Der schwarze Jerx wird's sein, der Zigarrenverkäufer und kein anderer, der in den letzten Wochen schon öfter zu den Holzhauern ins Holz gekommen ist. Ja, nun sieh mir einer! Er müßte doch nun bald einsehen, daß die Hilgenthaler Holzhauer keine Zigarren kaufen können. Ist gewiß auch noch keine fünf los geworden, ganz gewiß nicht für Geld. Und kommt doch immer wieder! Und lebt davon! Kann's ihm da in Wirklichkeit um die Zigarren sein? Die sind nur der Vorwand. 76 I freilich! Was anderes wird er wollen. Böse Hirngespinste hat er im Kopf, ganz böse, Kinder. Merktet ihr nicht, wie er schon bei uns anfing? Und das ist's. Aber sag' bloß einer, was hat er nun davon? Und wie soll einer das bloß auslegen! Kaufen können unsre Leute nichts, und daher kommen wird so 'n Mann doch nicht abermals und abermals, hoffte er nicht sicher und gewiß auf seinen Vorteil zu kommen. – Herrgott, wenn's am Ende nur nicht der Teufel selber ist! Der braucht auch nur so 'rum zu gehen und macht doch ein großes Geschäft. – Nu, nu,« beruhigte sie die Kinder, die sich ängstlich umsahen, »es wird doch wohl ein richtiger Mensch sein, das sah man schon an der Zwickelzotte, die er um den kniffigen Mund 'rum hatte. Sonst hätte er auch müssen einen Pferdefuß haben.«

»Friedesinchenpate, den Pferdefuß hätte man aber vor dem Schnee gar nicht recht sehen können,« meinte Christel bedächtig und sah sich wieder um, während Christinchen, obgleich es ihr auch nicht ganz geheuer war, ihm zurief: »Guck doch die Fußstapfen! Auf dem Schnee müßte man ja den Pferdefuß erst recht sehen können.«

»Nun, Kinder, wenn er wirklich einen Pferdefuß hat, wird 'n Hanfrieder, euer Vater, schon 77 sehen, und dann wird er ihm schon zeigen, wie er am schnellsten wieder aus 'm Holze 'raus kommt.« –

Während sie nun ihre Lasten weiter trugen durch das weiße Feld, grübelte Friedesinchen noch eifrig fort, erst für sich, dann laut: »Muß sich nun so ein Zottelbart zwischen unsre Armut mengen! Als ob der Unfriede nicht schon ein Feuer hätte, in dem das ganze Hilgenholz verbrennen könnte und das ganze Dorf noch dazu. Denn das Holz, das nicht im Ofen der armen Leute brennt, das brennt um so sicherer in ihren Herzen. Ja, als ob so ein glühäugiger, zottelbärtiger Aufwiegler noch nötig wäre! Braucht nur der Dankverdiener, der Bockler, dazu zu kommen und so ein Stück von dem Hirschbraten aufzuschnappen, – keine Stunde vergeht, und hernach weiß es schon der Alte im Schloß, – und wir haben eine neue Prostemahlzeit. – Uh jeh, Kinderchen, ich glaube, unser Erdmännlein ist im Holze zurück geblieben oder hat sich doch wieder dorthin zurück gemacht, weil es ihm auf dem freien blanken Felde nicht geheuer ist.« Sie nickte den immer mühsamer vorwärts keuchenden Kindern ermunternd zu, und Christel nahm seine ganze Stärke zusammen und erwiderte: »Ich hab's schon gleich gemerkt, daß es nicht mehr hilft, das Erdmännchen; nur ein bißchen noch 78 hat's geholfen vom Holze her, und dann ist's immer schwerer geworden.«

Auch Christinchen, die ganz heiße rote Backen bekommen hatte, seufzte ein wenig und versuchte mit den Fingern die kneifenden Közenstrippen über den Schultern zu lichten.

Da sagte die Pate: »Nur noch ein bißchen, Kinder, dort ist schon der Galgenberg und da ruhen wir wieder;« und als sie sich besann, um schnell eine Art Ersatz für das Erdmännchen zu finden, machte sich grade wenige Schritte vor ihnen ein Hase auf und über den Weg. Da lächelte sie und drohte hinter ihm her und rief: »So 'n lörksches Tier aber auch! Konnt's nicht hinter uns durchlaufen! Nun passiert uns gewiß noch was und gewiß nichts gutes.«

Und während die Pate diesen alten Hasenglauben noch weiter erörterte, wurden die Trächte wieder leichter und leichter, bis man auf einmal auf dem Galgenberge und damit auf der zweiten Ruhestelle angekommen war.

Es war ein aufgeworfener Steinhaufen, der hier den Holzträgern als Ruhestelle diente. Rastspuren, welche die Steine zum Teil bloßgelegt hatten, und kleine Sprickabfälle auf dem Schnee deuteten darauf, daß hier des Tages schon mehrfach gerastet war. 79

Still und glühend, mit einem lebhaften Zucken in Kopf und Herzen, saßen die drei da, während ein Rabe mit langsamem Flügelschlage über ihnen hinkrächzte. »Ja, ja,« rief die Friedesinchenpate und deutete mit einer Kopfbewegung auf den schwarzen Luftstreicher, »im Sommer ruft er: »Pfui Aas, pfui Aas!«, aber jetzt bietet er: »Fünf Taler den Braten, fünf Taler den Braten!« Darüber meldete sich der Hunger bei ihnen selbst.« Die Friedesinchenpate zog ein Stück Schwarzbrot aus den Falten ihres Busentuches, schüttelte traurig mit dem Kopfe und meinte: »Kinderchen, mir klebt die Zunge am Gaumen, hätt' ich nur ein Scherben Kaffee dazu!«

Christel steckte sich ein Schneeklümpchen in den Mund und sagte: »Seht, Friedesinchenpate, ich esse Schnee!« Damit wollte das pfiffige Büblein ihr wohl auch zu wissen tun, daß er sonst nichts zu brechen und zu beißen hatte.

Christinchen zupfte ihn deshalb verstohlen am Kittel.

»Ei, Blödetuer!« rief nun die Pate und lachte. »Bin ich nicht eure Friedesinchenpate? Mußtet ihr nicht gleich sagen: Friedesinchenpate, gebt uns von Eurem Brote, weil wir keins haben! Vom Blödetun wird einer nicht satt, ihr Racker ihr!« 80

Damit brach sie das ›Holzbrot‹ in drei Teile, gab die beiden größeren den Kindern und drängte: »Nehmt's! Es kommt von Herzen und darum sättigt's, als wär's nochmal soviel. Eßt aber nun rasch, Kinder, daß uns der Holzteufel nicht am Ende noch kriegt!«

Die Kinder zitterten vor Kälte und Angst und schluckten hastig den kargen Bissen hinunter.

»Da, Kinder, teilt euch die Rinde noch. Ihr habt eine gute Schneidelade! Das gibt rote Backen. Die hatte ich auch, als ich in eurem Alter war. Nun aber muß ich schon recht mummeln.«

Also verknuspern die Kinder auch noch die Brotrinden, die schon so hart waren, daß sie ordentlich knackten.

»Ja, ihr armen Würmer müßt schon was mit durchmachen,« seufzte die Pate wieder, während sie an ihrem Stücklein ›mummelte‹, »ja, ja, 's ist schlimme Zeit über uns hereingebrochen. Aber man muß denken: alle Tage kann man keinen Hirsebrei essen, es muß auch 'mal was anderes geben. Sonst wüßte man ja bald nicht mehr, wie gut so 'n Hirsebrei schmeckt. Nicht wahr, Christel? No, siehst! – Freilich wäre ein solcher Unhold wie der Holzvogt gewiß gar nicht notwendig. Aber er ist wohl noch nicht lang 81 genug und kann gewiß noch lange wachsen, bis der liebe Gott die Axt vom Himmel wirft. – Wenn einer weiß, was er geworden ist, so sollte er doch niemals vergessen, was er gewesen ist, und – was er wieder werden kann! –

»Nicht für möglich sollte man's halten, daß so 'n Mensch so hoch 'rauf hat kommen können. Gilt ja schon beinahe mehr wie der Oberförster und alle Unterförster zusammen. 's ist sozusagen ein Kopf und ein Pfannkuchen mit dem Herrn Grafen und diesem Bockler. Manchmal denke ich, der Graf wäre Pharao und Bockler einer von den bösen Amtsvögten – und wir kleinen Leute wären das stoppelnsammelnde Volk Israel. Pharao verstockte sein Herz, wird uns im heil'gen Bibelbuche erzählt, – darum mußte er mit Mann und Maus versaufen. Ich könnte das unserm alten Herrn nicht wünschen, denn fest glaube ich, daß er uns nicht kennt und nicht weiß, was er tut. Du liebe Zeit, wie kann denn so ein Großer, der nie mit uns lebte und litt, wie kann der fühlen, wo unsereinen der Schuh drückt!«

Die Röte des Unwillens flammte ihr im Gesicht auf. Hastig fuhr sie empor, legte sich die Hände aufs schmerzende Kreuz und sagte: »Ei, Kinder, Kinder, da hab' ich doch zu lange 82 gemummelt und geschwatzt; leicht könnt's uns Gefahr bringen. Ach, das Herz ist einem ja immer so voll von all den Dingen, 's ist zu arg! Geschwind nun, daß wir aus dem Lichte kommen!«

O Schrecken! Als sie die Augen aufhoben, sahen sie den gefürchteten Holzvogt, wie auf Katzensohlen schleichend, den Galgenberg heraufkommen. Unwillkürlich sanken alle drei wieder auf den Steinhaufen zurück. »Nun hat uns der Teufel!« rief die Pate;»aber nur keine Angst, Kinder,« setzte sie gelassen hinzu, und da die Raben wieder daher flogen, rief sie: »Pfui Aas! schreien sie im Sommer!«

Da stand er schon vor ihnen, ein knupfiger Mann mit einem dicken Knotenstock. »Ich werde euch die Holztage lehren!« schrie er mit harter, hämischer Stimme und sprang wie eine Wildkatze auf die Ruhestelle, zerfetzte unter schrecklichen Verwünschungen die Stricke und Strippen und schleuderte Sprick und Späne weit umher. Nicht genug damit, schwang er noch seinen knotigen Stock über ihren Köpfen.

Da aber schnellte die Pate empor. Zornbebend riß sie die jammernden Kinder an sich und reckte sich vor dem Wüterich hoch auf. »Ich ließe mir schon was gefallen,« rief sie blitzenden Auges, »aber an den Kindern sollst du dich nicht 83 vergreifen – du Unhold! Ja, glüh' mich nur an! Was bist denn du eigentlich für einer? Ob's dir schon niemand mehr zu sagen getraut – hör' – der Allerschlechteste bist du allüberall herum – Und hier auf den Galgen gehörtest du, wenn er noch dastände. Sieh! bring' mich nur um! So bin ich hin – du aber würdest dann auch aus dem letzten Loche pfeifen – und es würde wieder gut werden in Hilgenthal. Wer dich sonst nicht kennte, der braucht dir nur in die Augen, in die schmutzgrünen zu schauen. So welche hat selten ein Mensch. Drum eben hat Gott dich schon an den Augen – gezeichnet – du – du – Holz–wolf!«

Klingling – klingling – klingling – ging's nah im Grunde. –

Der gräfliche Schlitten kehrte zurück und sauste, brauste unaufhaltsam an der Ruhestelle vorüber.

Aber blitzartig schnellte der junge Graf von seinem Sitze empor. Ein kurzer Wortwechsel mit dem alten Herrn – ein Schwung und Sprung – und hart stob der Jüngling auf den Schnee. Der alte Graf stieß einen kurzen Ruf aus – ob aus Zorn oder Schreck, das war indes nicht zu sagen. Die Rosse bäumten sich, der Schlitten tat einen Ruck und – glitt pfeilschnell zu Tale, 84 daß der Schnee um ihn aufwirbelte, als ob es Staubwolken wären.

Mit zornigem Augenfunkeln trat Graf Erwin vor den stutzenden Holzvogt. »Schurke,« donnerte er ihn an, »wer gibt dir das Recht, diese Armen so grausam zu behandeln?«

»Mein Amt, Herr Graf,« antwortete Bockler und blies sich auf.

Noch einen Schritt näher trat ihm der Graf und sah ihn mit durchbohrendem Blicke an. »Elende Kreatur, das wagst du zu sagen? So wagst du das Vertrauen meines Vaters zu mißbrauchen? Krümme deinen Nacken, Leuteschinder, und sammele auf der Stelle das verschleuderte Holz wieder zuhauf!«

Der Holzwächter stob zurück. »Herr Graf!« ächzte er.

»Krümme deinen Nacken, Elender!« wiederholte flammenden Blicks der Jüngling, »sammele, sammele – oder – bei Gott – ich strafe dich für deinen Frevel!«

Wie der junge Herr so dastand, mit der Flamme des gerechten Zornes auf dem schönen Antlitze, da verließ den Holzvogt sein ganzes Selbstbewußtsein, zu einer kläglichen Figur schrumpfte der Unhold zusammen.

Dem jungen Herrn, dessen Wille so fest stand, 85 kam das Lachen ein wenig an. »Daß du mir nur nicht ganz und gar einschrumpfst,« spottete er, »hast sonst hernach zuviel zu tun, dich wieder richtig aufzublasen. – Hüte dich, hüte dich, Holzvögtlein! Schon lange hab' ich dich auf dem Striche! Ertappe ich dich noch einmal so bei deinen Ungeheuerlichkeiten, dann gnade dir Gott! Abrechnen tun wir gewiß noch einmal miteinander; es wird schon die Zeit kommen. Und nun hurtig, Waldwüterich – sammele, sammele!«

Und siehe da – zähneknirschend bückte sich der Holzvogt vor dem energischen Willen und raffte Sprick und Späne bei einander, worauf er auch die zerschnittenen Strippen wieder an einander knüpfen mußte.

Den drei Leuten wurde es schwarz und blau vor den Augen. Sie wollten sich bücken und dem raffenden Manne behülflich sein, was der Graf ihnen jedoch verwehrte.

Die Tracht der Pate war zuerst wiederhergestellt, und der junge Herr, der sich inzwischen nach ihren Verhältnissen erkundigt hatte, sagte nun: »Nehmt nur auf und geht voran! Habt doch Ziege und Gans und Huhn daheim, die auf euch warten.« Die Kinder, fügte er zu ihrer Beruhigung hinzu, werde er selber heimgeleiten. 86

In dem Gesichte der Pate war ein unbeschreiblicher Glanz. Sie wollte ein Dankwort lallen, aber die Brust war ihr zu voll; sie wollte einen tiefen Knicks machen, doch ihre Beine waren nicht gelenkig genug.

Eilig hob sie unter der Kinder Beihilfe ihre Last auf, wünschte dem Herrn Grafen vielmals Gottes Lohn und trabte, als trüge sie nur eine Feder, den Berg hinunter.

Mit dem fürchterlichsten Ingrimme hatte Bockler seiner Zwangsarbeit obgelegen; schwere Mühe machte es ihm besonders, die zerfetzten Stricke wieder mit einander zu verknüpfen; aber es wurde ihm nichts geschenkt.

Die Friedesinchenpate konnte schon ihre Ziege gemolken, Gans und Hühner gefüttert und den Kaffee aufs Feuer gesetzt haben, als die Kinder mit ihren Trächten nachkamen.

Als der Holzvogt sie mit dem Grafen dahin gehen sah, krallte er in maßloser Wut die Finger um seinen Knotenstock und wandte sich eiligst dem Walde zu, wo er bei jedem Baume Rache schnaubte. –

Daran dachte der junge Graf nicht.

»Vielleicht tut die Pille etwas zu seiner Besserung!« meinte er lachend und schritt den 87 Kindern munter voran dem Dorfe zu. Er fragte sie gar mancherlei, und sie blieben trotz ihrer Schüchternheit in ihrer Herzensfreude keine Antwort schuldig.

Als sie ins Dorf kamen, machten natürlich alle Leute große Augen. Da konnten sich die kleinen »Krabaten« wohl was wissen auf ihren vornehmen Begleiter. Es kann uns nicht wunder nehmen, daß sie ganz stramm am Lindenberge vorbeischritten bis zur hilgen Beke hinab und weiter, bis der Graf sie fragte: »Ei, Kinder, wo ist denn nun eigentlich euer Haus?«

»Da oben auf dem Berge hinter der Linde!«

»Ei, ist's das, von dem die schwärzlichen Lehmwände durch die Lindenzweige lugen?«

»Ja, das!« bestätigten die beiden mit leuchtenden Augen.

Nun mußte der junge Herr hell auflachen. »Da seid ihr ja schon zu weit gegangen, ihr kleinen Leute! Das Holz auf eurem Nacken scheint ihr wohl gar nicht zu spüren?«

»O das ist so leicht,« versicherten beide, »damit wollen wir schon wieder 'rauf kommen!«

»Nun denn, so gehabt euch wohl und schlagt gut aus, wenn's wieder Frühling wird, ihr lieben 88 Lindenknospen!« sagte lächelnd der Graf, nickte den Kindern noch einmal freundlich zu und wandte sich von ihnen. 89


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