August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Dreiundsiebzigstes Capitel.

Enthält Erinnerungen an ein düsteres Grab – zwei verschollene Männer – einer bei Brunk und einer am Armensündergrabe im Kirchhofe – aus dem Tagebuche eines Todten, über zwei Welttheile.

Jahre waren darüber hin, das Gras auf Aster's Grab war in reichen, schwellenden Halmen emporgeschossen – wieder verwelkt und, neu gedüngt von dem verwesenden Leben unten, emporgehoben.

In Adele's Herz wollten die Keime nicht so rasch Grund fassen, gedeihen, blühen! –

Wenn aus dem besaiteten Instrumente ein gewaltiger Klang hervorgebracht wird, so währt noch lange lange nachher in der Höhlung das leise geisterhafte Ziehen der Töne fort. – So war es auch in ihrem Innern. Kein mächtig aufregender, aufwallender Schmerz; – aber ein leises, wehmüthiges, fortdauerndes Klingen, so wie die Aeolsharfe dem lauschenden Ohre tönt, wenn sie ferne von leisem, leisem Hauche forttönend berührt wird.

Wie Mancher mochte an der zierlichen, holden Gestalt vorübergegangen sein und dann seine Blicke ihr nachgesendet haben, wie sie so dahinging im einfachen Trauerkleide!

Ihr zarter, niedlicher Wuchs, noch deutlicher abgeprägt durch das Schwarz ihrer Hülle, ihr blasses Liliengesicht mit dem blauen Auge und den rothschwellenden, schöngezogenen Lippen, ihr goldiges Har umgränzt von dem Schwarz der Trauerfarben – es war zu lieblich, zu herzgewinnend! 242

Schwellte das Gras ob Aster's Leiche? –

Wer hat ihn gesehen in die Fluth springen, seine Arme den Wellen breiten und darin verschwinden?

Der Armensünderkarren, der eines Nachts durch die Straße fuhr und einen Leichnam an der Kirchhofmauer ablud – die Aussage Krimpler's, der, durch die Brille lugend, an der Wäsche das Merkzeichen erkannte – der Todtenzettel, der die Worte enthielt: »Ernst Aster, ertrunken, Selbstmord« – was können sie bedeuten?

Ein Mann saß zur selben Zeit, als dies Alles geschah, auf einem durch das Meer dahinstreichenden Schiffe und sah in die Fluth.

Sollte Niemand von uns die braunen Locken, den wehmüthig-düstern, unheimlich-schönen Blick, die bald blassenden, bald glühenden Wangen gekannt haben? – – – – – – – – – – – – – – – – –

Jetzt schritten zwei Männer durch die Straßen. Der Eine hoch, mit breiter Brust, kräftig in jedem Gliede, gebräunt im Gesichte und offen um sich schauend. Der Andere war kleiner, schmächtiger, in ärmlichem aber reinem Kleide, mit breitrandigem Hute, die Züge von einem Vollbarte fast ganz verdeckt, und die dunkeln Blicke lugten beinahe ängstlich scheu hervor aus dem Hute, der tief in die Stirne gezogen, dieselben ohnehin verbarg.

Der Erste war ein Bild voll Leben, Gesundheit, der Andere voll Vergehen, Kränkeln und Siechen, und ein leises Fiebern durchfuhr manchmal den übrigens nicht übel gebauten Körper.

Die Männer schritten durch die Straße, stumm nebeneinander. 243

An eine Ecke gekommen, hielt der Eine, mit dem breitrandigen Hute und dem fast verborgenen Gesichte, an.

Sein Begleiter stand stille.

Der Erste hob die Hand, streckte sie nach vorne und sagte fest, aber düster: »Dort!« – Ein Fiebern verursachte ihn die bebende Hand bald zurückzuziehen.

»Du willst also wirklich nicht mit mir? Und Du bist krank!«

»Ludolf, hier endet unsere Verbindung. – Ich habe Dir versprochen, Dich zu Deinen Kindern zu führen. In jenem Hause sind sie. – Leb' wohl!«

»Und Du?«

»Und ich wiederhole was ich gesagt. Wilhelm, Du gehst, bist Deinen Kindern ein Vater. Mich überlassest Du meinem freien Willen, meinem Schicksale. Dein Wort noch einmal, daß Du meiner in keiner Weise erwähnst, mich nicht schilderst, kurz des Mannes, den Du als Arthur Ernst in Amerika kennen gelernt, in keiner Weise gegen Andere gedenkst! Dein Wort?«

»Ich habe es versprochen, hier noch einmal meine Hand!«

»Ob wir uns wiedersehen? – Ich weiß Dich zu suchen. Du kennst meine Wege nicht. Werde ich es wollen, so werden wir uns finden. Schweige – lebe wohl!«

Sie schüttelten sich die Hände, der Mann mit dem dunklen Barte und dem breitrandigen Hute hob noch einmal die fiebernde Hand: »Dort!« – Und sie schieden.

In einer Straße der Stadt ward dieser Mann mehrere Tage hintereinander gesehen, scheu um sich lugend, auf und abstreichend. Zuweilen hob er das Auge gegen ein Fenster – er war noch blässer, kränklicher als zuvor – und 244 wenn er das Gesicht nach dem Fenster hob, that er dies doppelt vorsichtig, war der Hut noch tiefer über die Stirne gedrückt.

Der Mann war nach wenigen Tagen verschwunden.

Im Kirchhofe an der Mauer war ein Armensündergrab; es trug kein Kreuz, kein Zeichen; nur mit schwarzer Farbe war an der Mauer ein E und A geschrieben; – wenn der Regen nicht den Hügel, nicht die Buchstaben ganz verwaschen, so mußten sie dies besonderer Gunst und Pflege verdanken.

Dort an der Kirchhofmauer, am Armensündergrabe, war jetzt ein Mann, ganz mit demselben dunklen Barte, dem runden Hute, den ergreifenden Blicken sichtbar, und jedesmal, so oft er kam, rieselten Fieberschauer durch seine Glieder.

Der Todtengräber sah diesen seltsamen Kunden einigemale; aber der Todtengräber mußte an Kundgebungen der Trauer aller Art gewohnt sein, und ließ daher auch den Unbekannten gewähren.

Manchen Abend legte er diesem Gast die Hand auf die Schulter und mahnte ihn an das Gesperrtwerden des Gitters.

Heute saß der Fremde wieder, zusammengekauert, das Haupt mit dem breiten Hute fast in den Schoß gesunken, einen Stock, der ihm zur Stütze gedient, im Arme, und dieser Stock reichte ihm, als er so zusammengekauert saß, über die Schulter hinaus.

Der Abend war weit vorgerückt, der Todtengräber hatte schon, in Rücksicht auf seinen seltsamen Kunden, das Gitter länger offen gelassen als sonst. Jetzt aber ward es bereits die höchste Pflicht für den Kirchhofwächter, zu schließen; er 245 ging mit der Laterne an den Mann, dessen Haupt in den Schoß gesunken war, und legte ihm wieder die Hand auf die Schulter.

Der Mann sah nicht auf.

Der Todtengräber rüttelte.

Der Mann saß wie vormals.

Der Todtengräber neigte sich nieder, hob dem Manne den Hut und leuchtete in dessen Gesicht.

Das Auge war geschlossen, das grell beleuchtete Antlitz gehörte – einem Todten!

Mit Fackeln und Laternen geleitete der Wächter später den Bezirksarzt und zwei Amtspersonen an das Armesünder-Grab und zu dem Geendeten.

Der Bezirksarzt, Doktor Bolte, nahm ihn in sorgfältigen Augenschein, und seltsam bewegten ihn die Züge, über die er sich nicht Rechenschaft zu geben vermochte, trotzdem sie ihn eigenthümlich mahnten.

Das schlüßliche ärztliche Urtheil lautete: Gestorben am Zehrfieber.

Die Gerichtspersonen nahmen aus der Brusttasche des todten Mannes ein kleines Schreibbüchlein, ohne Namen, ohne Andeutung des Besitzers; einige Gedichte und Tagebuchnotizen waren der Inhalt. 246

 

Auszüge aus dem Taschenbuche

                      Drei Schiffe.

Es zieht ein Schifflein durch die Fluth,
Was birgt es wol im Kiel?
Ein Jünglingsherz voll frischen Muth
Sucht in der Fern ein Ziel.
                Fahr zu, fahr zu,
                O Schifflein fahre zu –
                Ein Menschenherz
                Voll Hoffnung tragest Du!

Es glänzt ein Seglein auf der See,
Wem gilt denn wol sein Flug?
Dem Armen, der sein Liebstes, voll Weh
Daheim zu Grabe trug.
                Fahr zu, fahr zu,
                O Schifflein fahre zu –
                Ein Menschenherz
                Dem Gram entführest Du!

Es schwankt ein Mast im Sturmgebraus,
Wer hat ihn wol gesandt?
Vom Vaterland und Heimathshaus
Ist Einer fortgebannt. –
                Sink ein, sink ein,
                O Schifflein sink zu Grund
                Dies Menschenherz
                Machst so Du nur gesund.

*

Ich bin zu Fuße durch Deutschland gewandert, bis an die See. Mir schien es, ich müßte, wie jener Pilger, wenn ich zwei Schritte vorwärts gethan, wieder einen zurück machen. Nicht die Scheu vor dem Pilgerziele, ach! die Liebe zum heiligen Boden, den ich verließ, war es, die mich so tief ergriffen. – Dies Volk ist werth geliebt zu sein – und ich muß, ich muß von hinnen! 247

*

Das Schiff segelt gut; von jetzt ab in zehn Tagen auf freiem Grund. Auf freiem Grund! Mein Gott, er ist doch nicht mein Vaterland – mein liebes, liebes, in Thränen geliebtes, verlassenes Teutschland!

*

                          Scheiden.

Wenn Du von Lieben scheiden mußt,
Das ist ein großes Weh,
Es bebt das Herz Dir in der Brust,
Das Auge weint Adee –
                Doch andre Leut,
                Die Welt so weit,
                Wohin Du bist gekommen –
                Das kann vielleicht Dir frommen.

Wenn Du von Todten scheiden mußt,
Das ist ein größer Leid;
Es spricht das Herz gar wohl bewußt:
Für alle, alle Zeit.
                Doch ist zur Erd
                Die Ruh beschert –
                Wird Dich ein Trost beschleichen
                Vom Leben in Gottes Reichen.

Doch wenn Du einmal scheiden mußt
Verbannt vom Vaterland –
Ein größ'rer Schmerz in Menschenbrust
Ist nimmer mir bekannt.
                Denn Tod ist's nicht
                Und Leben nicht –
                Durch Thränen wirst Du schauen
                Lebendig todt, mit Grauen! 248

*

Gelandet. In Amerika! Sie drängen um mich! Jeder weiß ein Hotel – einen Wagen – ich bin ganz ihr ergriffenes Eigenthum – ich habe doch sicher Geld – Geld ist das zweite Wort, das ich hier gehört!

*

Freiheit! ha, ich habe die Freiheit; sie haben um keinen Paß, um nichts gefragt; sie fragen auch nicht, ob ich mich am Hafen hinlege und verhungere – es liegen dort Mehrere, die nahe daran sind.

*

Weiter nach Westen! Wie ist hier die Stadt so lärmend, so wild! Mein Geist gilt nichts; es gilt auch jener Anderer nicht. Vorgestern haben sie einem Redner einen Fackelzug gebracht, heute werfen sie ihm mit Steinen die Fenster ein, der Mann ist mit Lebensgefahr entronnen. Die Leidenschaften brechen hier stets und in Allem ungezähmt los – Wildheit gilt einem großen Theile für Freiheit.

*

Dollar, Dollar ist das Zauberwort hier, das alle Thore, alle Herzen öffnet. Der Mensch – es ist vom weißen die Rede, der schwarze gilt nicht als Ganz-Mensch – ist hier eigentlich in drei Klassen getheilt. Die Nothings und Nobodys – zu Deutsch Nichts und Niemande – sind die niedrigsten Menschen, denn sie haben keine Dollars. Zur zweiten Klasse gehört, »one who makes good out« – Einer der sich herausmacht. Zur höhern und höchsten Klasse gehört, »one who makes money« – Einer der sich schon Geld schafft. Der »banker«, Banquier, ist die Blume 249 der Gesellschaft! – Die Natur vermengt ihre Menschenracen, die Dollar-Menschheit kennt keine Vermischungen. – Ich bin »nothing« und »nobody«, nur zuweilen etwas: ein »damned dutchman« – verdammter Deutscher. – – Freiheit und Gleichheit!

*

In den angesiedelten Gegenden ist das Eigenthum sehr theuer; man braucht so viel Geld wie bei uns, wenn nicht noch mehr, um zum Besitzthum zu gelangen. Knecht und Taglöhner sein, kann man. Wer einige Thaler hat, geht weiter. Das Glück, von hier wegzuziehen, kann er sogleich genießen. Betrogen werden, erweckt nicht Mitleid; dem Armen, oft um seinen letzten Heller Gebrachten und Elendgemachten, sagt man: »There you must open your eyes« – hier müßt Ihr die Augen öffnen; und der Betrüger hat noch alle Geldmenschen auf seiner Seite, denn er ist »sharp« – scharfsinnig – und »a head going« – vorwärts schreitend. – Vorwärts!

*

Gewandert mit Eingeborenen tief landeinwärts. Sie haben mit Verachtung auf mich geblickt, sie sind »Natives« – Eingeborene – und ich bin ein Fremdling, noch dazu ohne Geld; also hier Plebejer, dort erblicher Landadel! Baron C., auch aus Deutschland, fuhr eine Strecke auf dem Dampfschiffe mit uns; der »damned dutchman« hatte Geld und Titel, das Schiffsvolk sammt dem Kapitän konnte dem hohen Manne nicht Achtung und Ehre genug erweisen. Die Ladys waren sehr geschmeichelt mit einem »Baron« Umgang zu haben. – Auf dem zweiten Platze verkaufte ein nativer Herr seiner Sklavin, die kürzlich Mutter 250 geworden, den Säugling von der Brust, um 45 Dollar. – Der Säugling und die Sklavin sind doch »natives«? – Die Sklavin jammert und rauft die Hare; gleichzeitig ist große Freudenbezeugung um den Herrn Baron, denn der Herr Baron haben das Wappen auf der Equipage der nordamerikanischen Familie gleichartig und gleichberechtigt mit dem eines englischen Hochtorys, Lord, anerkannt. – Gleiche Menschenrechte! O ihr Mannen von Bunkershill, die ihr einst jauchzend und mit Wunden den siegreichen Tag begrüßt!

*

Angesiedelt im Urwalde. Ich schlafe auf der Erde unter einigem Baumreisig. Ich habe das Fieber und arbeite. – Wenn man bei uns so arbeiten wollte, man bekäme doppelten Tagelohn und kein Fieber. Daheim ist's doch besser, als im einsamen Walde, hilflos, blos für seinen Mund arbeiten zu müssen. Eine Blockhütte, in die bei uns zu Hause keine Bettlerfamilie kriechen würde, ist mein mühevoll erstrebtes Ziel

*

            Gruß an die Heimat.

Es braust das Meer und rollet ans Land
Die Wogen mit Zischen und Schäumen –
Da steht ein Deutscher am Neuwelt-Strand,
Das Herz voll Sehnen und Träumen.
Er hebt das Auge zum Osten empor,
Als sollt es die Weite durchdringen,
Dann ringt sich ein Seufzer vom Busen hervor –
Mir deucht ich höre ein Singen. 251
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein!

Frei ist dies Land, in Fülle trägt
Es Palmen, Mirt' und Bananen,
Selbst Schätze, die der Boden hegt,
Sie müssen an Märchen gemahnen.
Die Ernten segnen üppigst die Müh,
Allüberall nur Duft und Schimmer,
Und dennoch – es kommt ich weiß nicht wie –
Die Heimath vergesse ich nimmer.
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein –
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein! –

Du altes Land, Du deutsches Land,
Des Geistes hohe Zinne,
O hieltest Du höher Dein Auge gewandt,
Zu Deines Ruhmes Gewinne.
So groß wie Du, so herrlich und schön,
Mit Deinen Millionen –
Du solltest nicht blos mit Andern geh'n,
Nein stolz vor Allen thronen.
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein –
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein! –

Das Meer ist Dein, nach Süd und Nord
Erstreckst Du die mächtigen Flanken,
Dein Boden ist ein reicher Hort,
Dein Ruhm so That als Gedanken. 252
Und dennoch such ich die Flagg am Mast
Und zähle die Dich verlassen, –
Es will sich nur im Auge fast
Der Schmerz zu Thränen fassen.
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein –
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein! –

Wie ich, so zogen viel Tausend hinaus
Von Dir in ferne Meere,
Es ziert und stärket der Andern Haus
Was sonst Dein eigen wäre.
O siehe zum Bremer Haff nur hin –
Welch emsig und rührend Treiben.
Dein sind die Söhne und Töchter, die zieh'n,
Ein mildes Wort – sie bleiben.
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein –
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein! –

Wol mag der Boden anderwärts
In reich'rer Fülle prangen,
Doch gibt's noch Eins, das ist das Herz,
Das will sein Theil verlangen.
Doch was daheim dem Herzen blüht,
Das kann die Fremd nicht reichen –
Ein deutsches Herz, ein deutsch Gemüth
Hat nirgends seines Gleichen.
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein –
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein! – 253

So spricht der Siedler am fernen Strand,
Die Wogen grollen und schäumen;
Es scheidet die Sonne am fernen Rand,
Europa mit Morgen zu säumen.
Der wackere Siedler zur Hütte geht
Die müden Augen zu schließen –
Im Traume ihn die Heimat umweht,
Er hört dort singen und grüßen.
            Ein süßer Zauber wird wach
            Gedenk ich mein Vaterland Dein
            Was bist Du nicht – und ach,
            Was könntest Du erst sein!

*

Einen Deutschen gefunden. Fieber und Arbeit. Er mußte auswandern, seine Heimat konnte ihn und seine Kinder nicht nähren. Verzeihliche Sünde des Auswanderns. Nur der Lebende hat eine Heimat; verhungern ohne sich zu helfen, ist Selbstmord.

*

Ein anderer Deutscher, zwanzig Meilen weit zum Nachbar, sechs Meilen von hier, gekommen. Ergreifende Fügung! W. L., der Gatte jener Witwe vom Spitale und Vater der Kinder, welcher mit all den Seinigen unbewußt so viel Theil an der Lenkung meines Geschickes gehabt. – Ich bin nur sehr spärlich und zaghaft mit Auskunft vorgegangen.

*

L. ist mein Freund, er weinte bitter, in Reue. Er hat noch nicht genug, um zurückzukehren und den Seinen 254 zu helfen. Er weiß auch nicht, was thun. Er will weiter – und sollte es sein Leben kosten!

*

                  Wo ist das Land?

Wo ist das Land, wo alle Qualen enden
Für dieses sieche Menschenthum?
Wo Recht und Licht in hellen Flammenbränden
Ausstrahlen ihren ganzen Ruhm;
Der Herzen zu Herzen sich freudig wenden,
Der Mensch den Menschen begrüßet,
Und froh er im Bunde genießet
Ein Dasein, wie's nur die Hoffnung gekannt –
Wo ist das Land, wo ist das Land?

O süßer Traum, o still beglückend Wähnen,
Das nach dem holden Thal sich neigt!
Es schimmert durch die heißen Thränen,
Wenn der Schmerz zu kurzem Rasten schweigt;
Da schifft das Herz auf ros'gen Kähnen,
Da blitzt sie auf die Küste,
Es schwellen die grünenden Brüste;
Doch ach, wenn kaum der Blitz verschwand –
Wo ist das Land, wo ist das Land?

Aeonen ungezählter Sonnenkreise
Durchzieht die Menschheit des Lebens Pfad,
Und rings ertönt die frohe, heit're Weise,
Daß längst sie den des Heils betrat.
Doch führt mich nach des Thals Geleise,
Wo frei die Opfer zählend
Nicht schreitet das hemmbare Elend,
Und Milde den kleinsten Schmerz verbannt –
Wo ist das Land, wo ist das Land? 255

Wo flicht der Mensch nicht selbst die Dornenkrone
Und zimmert nicht am eignen Kreuz?
Wo sieht er nicht, im Gleichmuth oder Hohne,
Den Andern am Leidensweg bereits?
Wo ruft er jedem Peiniger »schone!«
Wo ist der Wahn vertrieben
Und reicht, statt Geißelhieben,
Dem Gott-Menschen er die Bruderhand –
Wo ist das Land, wo ist das Land?

Wo ist kein düstrer Zwiespalt in den Reihen,
Wo ist kein Losungswort »Partei«?
Wo darfst Du jedem Kreis Dich weihen
Ob auch Dein Kleid ein grobes sei?
Wo braucht die Noth kein solch Verzeihen,
Wo bleicht kein Haupt in Sorgen,
Und stürzt das Gold, verborgen,
Nicht Reinheit, Tugend in den Sand –
Wo ist das Land, wo ist das Land?

Was auch ein stürmisch Hoffen mag uns malen,
Hinblaßt es vor der Wahrheit Strahl;
Hier heißt die Losung Metall und todte Zahlen,
Dort ist's der Glaube, Stamm und Stahl!
Wo bricht der Mensch des Herben Schalen,
Wo spricht er: Freunde willkommen,
Und freudig vom Segen genommen,
Er ist uns Allen von oben gesandt –
Wo ist das Land, wo ist das Land?

Es sucht mein Aug wol hüben und drüben vom Meere
Und weilt an jedem Uferrain,
Ob da, ob dort das süße Eiland wäre?
Das Herz es rufet nein und nein!
Es drängen des Menschen kostbare Zähre 256
Allüberall Gewalten,
Nur wechseln die Gestalten,
Es bleibt der Ruf stets unverwandt:
Wo ist das Land, wo ist das Land?

Und dennoch, dennoch wird es ewig stehen,
Und stürzen wird's die Zeit wol nie,
Es hebt sich höher nur nach Sturmes Wehen,
Das Land im Reich der Phantasie!
O suche nicht auf Erdenhöhen,
Dein Herz es hofft vergebens,
Dies Reich des schönen Lebens
Nur schöpfrisch des Menschen Geist erfand –
Und dort ist das Land, dort ist das Land!

*

Die Indianer haben den Wald angezündet. Auf viel Meilen in der Runde ist Alles niedergebrannt, Hütten, Ernte. – Sind die Ansiedler todt?

*

                    Der Indianerzug.

Durch die Wälder von Wiskonsin
Schreiten flücht'ge Indianer dahin;
Sie schreiten so ernst, sie schreiten so still,
Ihr Haupt ist zur Erde gebeuget,
Nur manchmal ein Schrei, gar wüst und schrill,
Vom Sachem der vorwärts zeiget.
So ziehen sie düster den Wald hinein –
Sie tragen, sie retten – der Väter Gebein! 257

Von Allem was jüngst noch sie eigen genannt,
Die Hütte, den Herd, den Quell, das Land,
Von Allem was ihnen die wüste Begier
Des Fremden, des Weißen genommen,
Der brach den Bogen, der schoß das Thier,
Der grüßend mit Schwertern gekommen!
Von all dem Theuern, was blieb noch allein?
Was Weiße nicht achten – der Väter Gebein!

Die Sonne scheidet mit glühendem Blick,
Es flammen die rothen Gesichter zurück;
Und wie hoch oben ihr Gott der Erd',
Zum Abschied die Thräne weinet,
Entquillt ihrem Aug, zum Himmel gekehrt,
Der Thau, der jenem sich einet.
Dann heben noch einmal im Purpurschein
Zum letzten Gruß sie – der Väter Gebein!

Der Wald wird trüb, der Wald wird dicht,
Kaum läßt er zum Stamme das mondige Licht,
Kaum reget im Lüftlein sich Blum noch Blatt,
Es schweiget der Aexte Getöse; –
Da horchet der Sachem, am Boden platt,
Ob nah nicht der Weiße, der böse;
Dann springt er auf und deutet: nein!
Rasch reihen zum Kreis sie – der Väter Gebein!

Ein Schrei, daß kreischend der Vogel flieht,
Es stimmen die Flücht'gen ein Trauerlied,
Sie schwingen den Bogen, die Lanze, das Beil,
Und kreisen im wilden Reigen;
Es bebet der Wald vom Schmerzensgeheul
Den Kindern der Wildniß zu eigen;
Und Tanz und Lied, und Thrän' und Pein,
Sie gelten dem Lande – der Väter Gebein! 258

Der Sachem spricht, der Tribus schweigt.
»So sind wir endlich zu Boden gebeugt,
So traf der Weiße zu fest und gut,
So hat er uns endlich vertrieben,
So klebt an jedem Baum das Blut
Von Vater und Mutter und Lieben.
Der Rest der Schätze, die euer und mein –
Aus Gräbern gewühlet – der Väter Gebein!«

Wolan, so wollet noch wandern ihr,
Zu suchen ein neues, ein freies Revier?
So wollet noch fällen ihr frisch den Baum,
So wollet das Netz ihr flechten,
Daß neu aus der Hütte, begonnen kaum,
Die Weißen euch jagen und ächten?
Ha, wollt ihr von Frischem die Gräber weih'n,
Und lassen auch dies noch – der Väter Gebein!

Ha, wenn ihr noch Echte und Rechte seid,
So endet noch heute der blutige Streit.
So zeiget dem Weißen der Himmel von fern,
Ein greller und lichter Mahner,
Wie theuer das Land, wie lieb und gern
Die Heimat dem Indianer.
Auf, Brüder. die Flamme zum Busche hinein –
Verbrennet mit uns – der Väter Gebein!«

Ein Schrei, daß kreischend der Vogel flieht,
Es stimmen die Flücht'gen ein Trauerlied,
Sie schwingen den Bogen, die Lanze, das Beil,
Und kreisen im wilden Reigen,
Es bebet der Wald vom Schmerzensgeheul
Den Kindern der Wildniß zu eigen.
Dann leuchtet auf Meilen ein greller Schein –
Ein Glutengrab – für Aller Gebein! 259

*

Fieber und Noth. Ich bin ein wandernder Ackersknecht.

*

Ich möchte nicht die Heimat wiedersehen, weil ich hier ohne geistige Nahrung und im Elend lebe – ich möchte das Land meiner Heimat sehen, denn ich habe ein deutsches Herz, ich strebe wie ein Magnet dem Ziele zu – das Herz ist ein steter Kompaß und nur Gewalt kann es von der einen Richtung lenken!

*

Das Fieber endet nicht. »Have you money?« – Haben Sie Geld? fragt der Arzt, ehe er meinen Puls berührt; have you money fragt man überall. Die Kinder sprechen nur von money, und wenn sie eine Frage thun, so lautet dieselbe: »how many is the price?« – wie hoch ist Preis? Sie können weder lesen noch schreiben. Sie spielen stets »dailing« – handeln, ihr kindlich fantasiren ist: »costs and profits« – Kosten und Gewinn. Sie heißen Washington, Franklin und sie können weder lesen noch schreiben, ihr erstes und einziges Denken ist costs and profits! – So viele Sterne auf der Fahne blinken, so viele glühende Thränen möcht ich weinen!

Wann werden die Sterne in Wahrheit leuchten – es ist trübe – und wie lange wird es bleiben?

*

              Ein Bild.

Es zieht durch meine Seele
Ein Bild so hoch und hehr,
Daß ich auf Erden zähle
Ein gleiches nimmermehr.

Nicht stammt's von Prunkgebilden,
Vom Schimmer den ich sah –
Es rührt von armen Wilden
Im Land Amerika. 260

Dort heimsen die Männer, die rothen,
Die goldne Ernte ein,
Sie senden viel treue Boten
Gar tief ins Land hinein.

Die künden durch Zeichen und Worte,
Nach Ost und Süd und West,
Daß an dem heimischen Orte
Ein allerheiliges Fest.

Und wer da wandert auf Pfaden,
Wer ohne Hütte und Herd –
Er komme, er ist geladen,
Und nehme was Liebe beschert.

Ist Einer, der kühn sich vermessen,
Der von der Heimat verbannt,
Er komme, es ist vergessen,
Und kehre ins heimische Land.

Denn so wie der Geist, der große,
Die Ernte gereift auf's Neu,
So auch dem Menschenschoße
Die Lieb entsprossen sei.

O süßer Ton der Wildniß,
Vom Echo wiederhallt,
Er weckt ein rührend Bildniß
In Berg und Thal und Wald.

Es kommen viel arme Verbannte,.
Die einsam und elend geirrt,
Es nahen auch Unbekannte,
Vom Ruf herbeigeführt. 261

Sie Alle werden empfangen
Von Kindlein auf der Wacht,
Und dann mit blumigem Prangen
In's festliche Wigwam gebracht.

Denn fern wie Kindlein vom Bösen,
Wie lieb im trauten Verein,
Soll auch der Fremdling erlesen,
So werth der Büßende sein.

Und so wie Kindlein geborgen
An liebender Mutterbrust,
Sei fern der Fremdling den Sorgen,
Des Schutzes der Büßer bewußt. –

Die Männer umtanzen das Feuer
Und singen den Festchoral –
Mit Tönen ungeheuer
Stimmt ein der Wasserfall.

O seht, es sind nur Wilde,
An Bildung nicht Eurer gleich –
Doch wo ist Eure Milde
So rührend-liebereich?

Drum zieht durch meine Seele
Dies Bild so hoch und hehr,
Daß ich auf Erden zähle
Ein gleiches nimmermehr!

*

Ich fühle, daß das jedem Einwanderer fast unausbleibliche Fieber die Fasern meines Seins angegriffen. Ich werde sterben. Wenn ich nur meine Heimat wieder sähe! – Nur ein Grab in heimatlicher Erde! – 262

*

Zu Schiffe gegangen nach Europa und Deutschland. L. mit mir. Seltsames, seltsames Geschick, das uns Beide auf den Lebenswegen zusammengeführt! – Eine eigenthümliche, tiefgehende Versöhnung für meine That fühle ich, daß ich ihn bewogen mitzugehen. Er bringt wenig mit, aber Erfahrung und Arbeitslust; er will daheim pachten und arbeiten für seine Kinder. –

*

Wenn ich nur nicht sterbe bevor wir landen. – Fieber, Fieber und peinigende Reue, daß ich mein Vaterland verlassen, mit dem ich stehen, siegen, leiden, freuen und trauern gesollt. unverbrüchlich verbunden als sein treuer Sohn. – Schuld und Sühne! – O Ungestüm des jungen Herzens und der alten Leiden! – Ein verlorenes Leben. – Fieber und ein gebrochenes Herz! –

*

          Ein neues Märlein.

Ich will Euch ein Märlein erzählen,
Wie es mir jüngst vertraut
Ein meereskundiger Schiffer,
Mit heimlich flüsterndem Laut.

»Es ist 'ne dumme Geschichte
Wenn auch die ganze Welt
Das Meer und den Sturm und die Wogen
Für sehr natürlich hält.

Die Wellen und die Wogen
Die rollen im nächtlichen Wind,
Die armen geplagten Seelen
Von Menschenkindern sind. 263

Von solchen, die verlassen
Die Heimat mit leichtem Sinn,
Und froh durch's Meer gezogen
Zu fernen Landen hin.

. Die nimmer wollten achten
Den eignen deutschen Grund,
Und nimmer wollten harren
Auf eine bess're Stund.

Die Land und Leut verlassen
Wo doch gewurzelt ihr Herz –
Und nichts mehr wollten wirken
Zu lindern den Heimatsschmerz.

Die Wellen und die Wogen
Die rollen im nächtlichen Wind –
Die armen geplagten Seelen
Von solchen Menschen sind.

Sie kommen von ferne herüber
Und wollen zum Uferrand –
Es streubt sich aber das Ufer
Und stößt sie vom Heimatland!

Sie ächzen und grollen und zürnen –
Es ist ein trüb Geschick –
Die eig'ne süße Heimat
Stoßet sie schnöde zurück.

Die Leute sprechen gewöhnlich
Von einem Wellenschaum –
Es sind die weißen Laken
Der Todten fliegend im Raum.

Im Osten und im Norden
Da kommen sie drängend her,
Wo immer den deutschen Boden
Geküsset das heimische Meer. 264

Gott sei den Armen gnädig,
Die ziehen im nächtlichen Wind –
Und bessre die leichten Seelen
Die noch am Leben sind. –

*

Den heiligen deutschen Boden habe ich geküßt und darauf geweint. – Es ist mir besser und ich bin nur noch kränker! –

*

Ich habe Sie gesehen! – –

*

Das Grab . . . . . Verzeihung . . . . . Versöhnung . . . . ich gehe sterben! . . . .

*

Nichts Trüb'res kann es geben,
Als eine Seele die nach Hohem steht –
Und in dem Alltags-Leben
Im Kampf gemeiner Sorgen untergeht. 265



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