August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundfünfzigstes Capitel.

Rübe ist allein – der einsame Gang eines Kapitalmenschen.

Dumpf und fast mit einem Echo hallten die Schritte des kleinen Mannes wieder, der aufgeregt in seiner Schreibstube hin und her ging. Die Flügelthüre stand offen, und durch den Ausblick in die starrende, schweigsame Leere des dunklen, niedern Komptoirs, mit der alten deutschen hölzernen Decke, wurde der Aufenthalt jetzt nur noch unheimlicher gemacht.

Eine Zeitlang wußte Rübe nicht, was er denken, was er zuerst im Geiste überlegen, und wohin er seine Spekulation für die Zukunft wenden solle.

So viel auf einmal!

Genug? Auch niemals hiebei?

Alles zuckte und zitterte an ihm. Die Ruhe, die Kälte, die er so lange bewahrt, sie waren bei dem Hereinbrechen eines solchen Sturmes von Begebenheiten dahin! – Wenn er auch sein Herz lange zu einem kalten Grabe gemacht, so kam doch für dieses Grab auch der Tag der Auferstehung. – Geister, die ruhig beschworen gelegen in ihm, standen in seinem Busen auf und hielten plötzlich einen schauerlichen, 100 erschütternden Umzug darin. Magdalena Fritzlar, versunken und vergessen, überwuchert bei ihm, nicht mit dem grünen, versöhnenden Rasen des Grabhügels, nein, mit dem erdrückenden Goldhaufen von Kapital und Interessen, die Furien der Verläumdung, die ihr Opfer graus umtanzten, das arme, blauäugige, lächelnde Kind, Adele, der ertrunkene Aster mit seinen triefenden langen Haren und seinem blassen Leichengesichte . . . die höhnenden Eumeniden, welche nach Adele zu zeigen und mit ihren Blicken sagen zu wollen schienen . . . Diese! . . . das Alles stand auf in seinem Innern, und warf die Decke von Gold und Metall ab, daß sie seinem Ohre schauerlich klirrte wie Ketten, das Alles stand auf und hielt einen sonderbaren Umzug in ihmum ihn!

Ha, wer da in das Herz des Mannes hätte sehen können, dessen Kapital so vieles Lächeln, so viele Beugungen, so viele Ehren ihm zuwege gebracht!

Nicht kurze Zeit fühlte er die Schauer des Verbrechers, die Angst des Strafe fürchtenden Sünders. –

Aber Menschen, wie Rübe, schrecken auf der Rennbahn ihres Lebens nicht vor einem Hindernisse ganz zurück. Sie können weichen eine Weile, aber wenn sie gewichen sind, so benützen sie rasch die genommene Entfernung – zum Anlaufe, zum Sprunge, und es gilt – die Wette!

Als er nun endlich in dem Kreis seiner Ideen auf das Kapital gekommen war, da war es ihm, wie dem Riesen Anthäus, der zur Erde geworfen, aus dieser selbst nur neue Kraft zog!

Was Vatergefühl! Was Mitleid gegen Gewesenes! Wo ist der Mann, der ihn darin eines Verbrechens zeihen konnte? Magdalena war geschieden, rechtmäßig und aus Anklagen, 101 die sie nicht wiederlegen gekonnt! Sie selbst war in Nacht und Sturm davongegangen; sie selbst hatte gerne die Feder in die Hand genommen und die Pein beendet, indem sie rasch die Scheidung mit allen Verlusten unterschrieb! – Wer will, wer kann Rübe eines Vergehens zeihen? –

Sie ist gestorben im Elend . . . sie hat das Kind verborgen, für todt ausgegeben? . . . sagte er sich. Wer ist schuld als sie? Warum hat sie nicht auf dem Komptoire von Zeit zu Zeit die Thaler abholen lassen, die ich ihr zum Leben gegeben hätte? – Sie ist die Schuldige – nicht ich – Rübe!«

»Adele! . . . Vater? . . . .« Und ein elender Kampf von Gier, Geringschätzung und sich aufzwängendem Menschlichkeitsgefühle kämpfte in ihm.

»Aster?« – Was dieser Name erregen konnte, war längst in Rübe überwunden. Aster, sagte er sich, hat wühlerische Lieder gemacht; sein ganzes Treiben war gegen das Alte; und Ruhe und Sicherheit müssen um jeden Preis, Geschäftswegen, herrschen! Und wenn Aster nur noch vor Zeiten von großen Verbrechen mit Gleichgesinnten zurückgehalten wurde, in die er sicher hineingerissen worden wäre, bei seiner Hitzköpfigkeit, so war das ein Gewinn für ihn selbst! – Daß er gestorben? Sich selbst gemordet? Das ist seine Sache der Verantwortlichkeit! – Und übrigens, daß er im Interesse der Ruhe und des Handels gestorben, ist gerade so viel, als ob ein Matrose auf einem Handelsschiffe während der Kauffahrt ertrinkt, oder ob ein Soldat im Frieden auf der Wache erfriert! – Darüber muß die menschliche Gesellschaft und der zu ihrer Leitung mitwirkt, auf welche Weise immer – beruhigt sein. –

Aber Adele's Forderungen! Das Kapital!102

Ha, das war der Funke, der zündete! Er, Rübe, sollte, wenn der Heiratskontrakt wirklich vorhanden, dessen Zugrundegegangensein er seit vielen Jahren angenommen, das Geld herausgeben? – Wenn der Heiratskontrakt wirklich vorhanden – und drüber blieben wenig oder keine Zweifel – was sollte er dann! Wenn sie hunderttausend Thaler von ihm, mit den Interessen so vieler Jahre, gerichtlich fordern, wenn sie ihm dieses lange besessene, geborgen geglaubte, geliebte Kapital herausreißen werden? – Was dann?

Spekulationen, das Sicherheitsgefühl, der Triumf so langer Jahre vernichtet! – Der Grundstein, den Rübe einst zu seiner Größe gelegt, aus dem Gebäude gezogen, und die ganze Haltbarkeit so in seinem Geiste vernichtet?!

Kapital! Das war die verwundbare Stelle des hörnenen Siegfried, dessen moralische Haut mit einem undurchdringlichen Panzer umgeben war. Und »der böse tückische Hagen« Krimpler, schleuderte ihm die Lanze jetzt an die einzige verwundbare Stelle! – Ah – das schmerzte!

Aber er fiel noch nicht, der Held, er reckte und bäumte sich auf. – Kapital!

»Schwach's Kapital hat er mir auch gekündigt, ohne den Wechsel zu zeigen! – O er ward frech, der hellerlose Hund, in Folge meines Vertrauens! O er war schlau! – Gerade jetzt, in der verlegenheitsvollen Zeit! – Wenn die geringe Jahresrente die Aktien stürzt; – wenn die Wollenpreise sich ungünstig stellen; wenn ein Wind doch die Schiffe zu spät bringt; wenn die Konkurrenten doch Frachter genug erhalten . . . . was dann? –

Und Krimpler weiß nun von meinen Absichten! – 103 Wird er sie benützen? – Er kann mir Kapital herauslocken! Wird er? Wird er durch Drohungen mir eine Summe herauszwängen? – Er wollte ja gutwillig keine annehmen! – Er wird mich verläumden, gerichtlich anzeigen, wegen beabsichtigten Unterschleifs? – Das wird er nicht! – Er wird mich hindern? – Das kann er! – Er wird schweigen und auf mein Komptoir kommen und gehen, wie ein heimlicher Exekutor, wie ein Wächter und Vormund, bis er seine Kapitalien, das heißt jene, an denen er nun ein Interesse nimmt, in Sicherheit weiß? Er wird schweigen und arbeiten? – Ja das wird er! – Denn er kennt mich, wir kennen uns Beide geraume Zeit. – Nicht umsonst haben wir es so lange mit einander ausgehalten; ich hätte ihn längst vor die Thüre getreten, wenn ich nicht Bosheit, Skandal und Verrath gefürchtet; wenn ich nicht geglaubt hätte, sein elender Körper werde doch zu Grunde gehen! –

Wir haben geschwiegen, ja wol . . . wir thaten Beide, als wüßten wir nichts. – Wir mußten Beide fürchten, zu frühzeitig eine Angelegenheit in die Welt zu bringen, die nicht reif war. Jetzt ist sie reif . . . ah, er hat mir die bittere Frucht kosten lassen!

Was bleibt mir nun, Rübe, mir? Soll ich ihn siegen lassen, soll ich ein rührendes Drama spielen, ihn still um Verzeihung bitten, und mein gutes, gutes Geld hingeben, um das rührende Drama des Wiederfindens einer verlorenen Tochter vor der Welt aufzuführen? Um mich in Bank und Börse und Zeitungen zum Skandal zu machen?

Und wenn sie meine Tochter ist? – – Ich will gar nicht in mir selbst die Frage aufstellen, ob sie wirklich meine 104 Tochter sei. – Nehmen wir an, sie ist es! – Sie repräsentirt in Summa, mit Forderung und Interessen, einige hunderttausend Thaler, allein mütterlicherseits; sie schmälert nebstdem noch das Erbe des Sohnes, der einst meine Firma führen soll. –

Hunderttausende Thaler, nebst Erbschaft! . . .

Um diesen Preis soll ich Rührung und Skandal erkaufen? –

Ist die heutige Welt gebaut auf Rührung und Zärtlichkeit? Wer gibt mir für meine Rührung und Zärtlichkeit einen Groschen?

Geht man auf Bank und Börse mit Gefühlen handeln? Wird man Kommerzienrath, Verwaltungsrath, Ordensritter, für seine Empfindung? Bekommt man Aktien für eine zarte Seele? –

Kapital! darauf ist die Welt begründet.

Will die Welt mich zum Besten halten? Ich soll ihrem Gewäsche von Büchern nachplappern und romantisch, ideal handeln, während auf allen Plätzen, in allen Häusern und Zimmern das reale Geld gilt? Mein Geld, das ist mein Verstand, meine Ehre, meine Zukunft, mein Werth, mein Leben und Ich! – Das Kapital ist der Mensch!

Und wenn sie mir es verringern, so bin ich weniger als früher!

Ich will nicht weniger sein! Mehr! Mehr! Es hat noch kein Ende und Ziel . . . ich muß noch Viele überflügeln! – Und habe ich diese überflügelt, dann kommen die Andern . . . mehr und mehr, so lange ich nur kann und lebe! 105

Soll ich mich zum Besten halten lassen, aus falscher Berechnung, die sie Scham heißen? – Mich opfern für Andere?

Tausende für mich! Ich habe nur ein einziges Ich, und Alles außer mir ist eben nicht mein eigen Selbst! Tausende – die Welt für mich!

Ihr Krimpler und Schnepselmann, ihr Dummköpfe alle, wie ihr heißet . . . ihr wollt mit eurer albernen Ehrlichkeit mir gegenüber aushalten! – Wolan, ich will euch zeigen, wer Kapital ist und was das Kapital kann!

Dumme Lastthiere der Ehrlichkeit; lebt, hungert, laßt euch treten durch euren Unsinn, den ihr Gefühl heißt! – Ihr seid Zeitlebenslang arme, getretene Würmer gewesen, und ich war ein Mann in Stadt, Bank und Börse und Hallen aller Art! –

Wer hat besser gethan? Ich habe zwanzig Jahre lange in mir geborgen, was ich barg, und habe meine Spekulationen nicht fahren lassen; – jetzt soll mir sie ein Krimpler vernichten?

»Hier Krimpler,« rief er höhnisch, »und . . . . dort mein Kapital!«

Rübe hatte sich selbst wieder gewonnen, mit diesem Aufschrei und Ausrufe seines tiefinnersten Ich. Und in einem Anfalle von Stolz und Siegesbewußtsein hohnlächelte er vor sich hin.

»Mein Kapital! – Gut,« sagte er sich nun schon in kälterer Ruhe; »ihr habt den Kampf aufgenommen . . . ihr konkurirenden Häuser auch. – Aber ihr handelt mit denselben Mitteln gegen mich, wie ich gegen euch. – Euch ist nichts zu schlau und kniffig und weitsichtig, was dazu dienen 106 kann, mich zu werfen. Das ist ein gleicher Kampf . . . ich will ihn jetzt vollends auskämpfen!

Was mein Leben, mein Streben war, seit meines Denkens Beginn . . . Jetzt gebe ich es nimmer auf! Jetzt gilt es! Und wäre es nur meiner Person wegen! –

Besitzen, das ist die Seele der Welt, die Seele des Einzelnen, meine! – Besitze ich viel, so bin ich ganz ein Mensch; je mehr, desto besser; besitze ich wenig, so bin ich wenig Mensch – das sehen wir alle Tage auf Straßen und Plätzen, in Häusern und Stuben, überall!

Ich will besitzen!

Wie es immer komme . . . Besitz muß mein sein! – Erst will ich gegen euch Alle, mit voller Kraft meiner Mittel, in Kaufhäusern und Gerichtsstuben auftreten; ich will zahlen, zahlen, Besitz geben so viel man nur fordern kann, um euch zu peitschen, zu hetzen, in eurer dummen Ehrlichkeit, und euch mit Schande und Elend abziehen zu lassen! –

Für meinen Besitz kann ich es – Besitz, Geld, richtet und ist Alles in der Welt; das Andere ist Dunst!

Und siege ich nicht . . . erringet ihr einen Triumf . . . wolan . . . dann seid ihr doppelt verloren! – –

Jetzt steht ein Plan in mir fest.

Ihr Firmen sollt keine Rache an mir erleben, und ihr, Krimpler, Adele und all' der dumme Anhang daran . . . ich will euch zeigen, was Rübe kann, dessen Wahlspruch ist: Kapital – nichts als Kapital – das Kapital ist der Mensch!«

Somit schob der kleine boshafte Gnome, dessen Augengläser, die Zeit über, bis ans Ende seines Nasenknollens 107 hinabgerückt waren, dieselben wieder – hinauf, lächelte und war sich wieder selbst gewonnen.

Er war ganz wieder der Alte geworden! Was eine Zeitlang in ihm Hitze, Eifer gewesen, erstarrte wieder nach Außen zu dem gewöhnlichen Eise seiner Empfindungen. Wie der Verbrecher, wenn die Scham des Geständnisses und der erste Schauer vor der Strafe vorüber sind, seinen Richtern nur mit Hohn gegenübertritt, so war jetzt Rübe. – Sein Schreck, seine Gewissensbisse waren niedergekämpft; Kapital, Kapital rief es in seinem Innern, das Stichwort der Zeit; und mit dieser Waffe, die er in der Hand hielt, von sich und Andern, wollte er den Sieg erkämpfen, hoffte er sicher die Andern zu verspotten.

Höhnend blickte er in die Luft vor sich, als hätte er Krimpler, Heim, Adele, Schnepselmann, Schwach vor den Augen; seine dünnen Lippen breiteten sich – es hätte nicht viel gefehlt, er hätte gekichert.

Mit demselben Ausdrucke, des kalten Hohnes und der Selbstgefälligkeit, wendete er sich nun herum, betrachtete den schwarzen, eisernen Geldkasten, die gut verfestigte Thüre seines Schreibzimmers eine Weile, nickte dann, als ob er seinen geheimen Gedanken zustimmte, mit dem spitzen Kopfe, löschte ruhig die Lichter aus – und ging davon, als wäre nichts vorgefallen. 108



 << zurück weiter >>