August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Neunundvierzigstes und Fünfzigstes Capitel.

Schwach's Kapital ist umgesetzt – ein neues Leben beginnt für Alle – das Ende des Bureau für Alles.

Das Fest der neuen Aera und das Geheimniß desselben – auch zeigen sich mehrere Genies im höchsten Glanze und das eine erhält eine großartige Zukunft.

Als der Umsatz des Kapitales vollbracht, die Ausfertigung aller Dokumente vollendet war, und Schnepselmann, mit dem Papiere in der Brusttasche, Rübe & Comp.'s Komptoir verließ, war er ein ganz anderer, ein neuer Mensch!

Zum erstenmale seit langen, langen Jahren, bog er nirgends mehr rechts noch links von seinem Wege ab, hatte er keine fremden Familienkrämereien zu berücksichtigen, bekümmerte er sich nicht mehr um anderweitige Aufträge – war er los und ledig von allen Medikamenten!

Er gabelte über die Straße dahin, als gälte es, mit Siebenmeilenstiefeln ein Kourierziel zu erreichen. Und doch ging er nicht zu Schwach, nicht zu seinen Kindern, schnurstracks und direkt nur in sein Bureau, in seine langgehegte, gepflegte, Annoncen-tapezirte Agentur. 2

Da rief er, mit fester rascher Stimme, »Alexi!«

Und benanntes Individuum, welches im Hofe eben damit beschäftigt war, einen weggeworfenen Zigarrenstumpf zu rauchen, während es die reizenden Stellungen eines Laubfrosches übte – ein neues Exerzitium – erschien etwas verwirrt, doch bezüglich des Kostümes in ganz gewöhnlicher Ordnung, das heißt: ein Hosenbein hinaufgeschoben, das andere schlotternd, die Schleife des Halstuches unter dem linken Ohre, die Weste in sehr knopfwirrer Weise geschlossen, und den Frack in mehreren zweideutigen Farben schillernd.

»Die Handtreppe her!« rief der Gebieter.

Die Handtreppe ward herbeibewegt. Und nun riß Schnepselmann energisch Hoffedizel bald oben bald unten durch, die Sultanin Dja-Nadir kam nicht besser weg, und der südamerikanische Don Barbaros ward barbarisch vernichtet!

Da flogen die buntfarbigen bedruckten Fetzen von allen Seiten auf Alexi's Kopf los und um seine Nase herum, so daß diese würdige Person nicht wußte, solle sie laut aufjauchzen, damit sämmtliche jungen Freunde der Umgegend, wie auf ein Allarmsignal, herbeieilen mögen, oder solle sie blos, in stummer Verwunderung, Maul, Augen und Ohren aufsperren.

»So!« – rief Schnepselmann, als er die Hauptvernichtung angestiftet hatte, mit erleichtertem, zufriedenem Herzen, stieg von der Treppe, sah sich wohlgefällig in den Ruinen um, ein zweiter Sardanapal, der alle seine Schätze kaltblütig zerstört; dann sagte er rasch, wie selbstvergessen, zu seinem getreuen Diener: »Jetzt kannst Du machen, was Du willst!« 3

Und er eilte davon, zu seiner Familie.

Als Alexi die letzten Worte seines Herrn gehört hatte und allein war, warf er sich, wie vom Lustigkeits- und Poltergeist besessen, wühlte und wälzte sich in dem Papierhaufen herum, abwechselnd mit allen möglichen Gliedmaßen in der Höhe.

Dann flogen erst die Waren, die der Herr bei Seite gestellt hatte, herum! Lebensessenz und Kölnerwasser ward getrunken, die Taschen stopfte Alexi mit Seifen und Pillen, die Hare wurden pomadisirt, daß er roch wie eine verunglückte Parfumeriekiste, der Frack ward mit Frottirbürsten gerieben und die Portraits von Herren und Damen, Photographien, wurden angegrinst und angelächelt, daß besagte Herren und Damen ganz gewiß vor Schauder die Platten verlassen hätten, wenn es Ihnen nur möglich gewesen wäre. Die patentirten Kinderklappern machten ein Höllengeräusch, und die von Alexi herumgeworfenen Folianten gaben nicht wenig dumpfe Paukentöne von sich, wenn sie niederstürzten.

So wälzte sich und tumultirte Alexi in der Agentur-Ruine, der Zeugin vergangener Größe, streng sich an den Worten seines Herrn haltend, »jetzt kannst Du machen was Du willst!« –

Eine Weile trieb der muthwillige Junge so sein Unwesen. Schnepselmann, der immer etwas vergaß, kehrte wieder.

Welche Wunder! Kein Möbel stand auf dem alten Flecke; was sich herumstreuen ließ, lag in unseliger Wirrniß durcheinander; und die Folianten reckten, wie zum Himmel schreiend, tausend papierene Zungen in die Luft.

Der Ex-Universal-Agent schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. Anfangs sprachlos, rief er 4 endlich nach einer Weile. »Teufels-Schwerenoths-Junge, was machst Du!?«

»Sie haben ja gesagt, ich soll machen was ich will!«

Schnepselmann griff wüthend vorwärts mit ausgespreizten fünf Fingern, um des Verbrechers Frisur zu erfassen; er erkrampte sie richtig; sie war aber zu fettig, er glitt aus, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre der rachergrimmte Herr mitten unter dem Papierfetzen-Chimborasso gelegen.

Ehe Schnepselmann wieder zu Worte kommen konnte, war Alexi schon bei der Thüre draußen, und die vielbeschäftigte Klingel kicherte abermals höhnisch den in seinen rachedürstigen Absichten getäuschten Herrn an.

»Du mußt mir aus dem Hause; Du mußt mir endlich weg!« sagte Schnepselmann, indem er gegen eine Kölnerwasser-Kiste ergrimmt die Faust ballte und Alexi meinte. »Das ist beschlossen und war mir schon lange nöthig! – Wie bringe ich aber den Jungen weg? Jetzt bedarf ich ihn ohnehin nicht mehr. Das ist die beste Gelegenheit. – Aber Alles in Güte! Mit der Madame Trullemaier will ich durchaus in keinen Streit mehr kommen, sie ist bei Schwach. – Er soll fort von mir, aber in Güte; ich werde das schon machen!« 5



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