August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Siebzigstes Capitel.

Es ist vorüber. – Der verlorene Sohn wird erwartet – erscheint in Begleitung – was Braten und Moral zu Folge hat.

Im Schwach'schen Hause ist schon wieder einige Ordnung. –

Es ist vorüber.

Vorüber, was den ersten Anstoß des Schrecklichen und Jubelvollen betrifft.

Wer hat schon von einem Meeressturme jede einzelne Welle beschrieben? Wer hat schon von einem losbrechenden Vulkane jeden einzelnen Funken gemalt?

Wer will Schwach, Schnepselmann, Poll, Madame 223 Trullemaier, Krimpler, und Alle um sie her bei diesem Ereignisse beschreiben?

Es birgt der Mensch bei dem Ausbruche der höchsten Freude sein Gesicht, er deckt mit der Hand im höchsten Schmerz die Züge.

Ein unwillkührlicher Drang des Schönheitssinnes leitet ihn.

Und wir sollen jetzt dagegen sündigen? . . . . . . .

Es ist vorüber, vorüber Alles, was den ersten Anstoß betrifft.

»Kommt, gucken wir jetzt in das Schwach'sche Haus.«

Madame Trullemaier ordnet, mit einem Gesichte, das ihr unter angegebenen Verhältnissen zugemuthet werden kann, wieder ihre Küche. Sie ziert mit reinem weißen Tuche ein Tischlein, stellt ein Gedecke darauf und harrt – des »verlorenen Sohnes.« Ein Lamm ist zwar nicht aus dem Stalle geholt und geschlachtet; aber die dampfenden Schüsseln auf dem Herde sind auch nicht leer, das zischelt und brodelt, daß man sich, ohne verloren zu sein, gerne dazu fände. – Der verlorene Sohn der Bibel hat sicherlich nicht so gut geschmauset.

Poll wird mit Alexius, zum ersten Wiedersehen, erwartet.

Das ist der Moment, bei dem wir uns wieder finden.

Madame Trullemaier harrte mit hochpochendem Herzen ihres hoffnungsreichen Jünglings. Warum er wiedergekehrt, wie er wiedergekehrt, das hatte ihr Poll, ursprünglich mit Absicht, später durch den Drang der Ereignisse, verschwiegen.

Der Knabe Alexius war der Mann des Tages geworden – natürlich durch seine Mithilfe, ja seine 224 Veranlassung zu dem wichtig ergreifenden Ereignisse. – Trotzdem verlor aber Poll den Zweck für Alexius und dessen Mutter nicht aus den Augen, den Zweck, der leicht im Drange der Ereignisse hätte verloren gehen können.

Alexi ward bei Schnepselmann vorläufig versorgt, und Poll verweigerte hartnäckig, ihn bis zu gelegener Stunde herbeizubringen.

Madame Trullemaier mochte wol nichts Gutes ahnen. Aber in mütterlicher Eitelkeit drängte sich ihr doch der Gedanke manchmal auf: könnte er mit seinem Genie nicht noch vor der Zeit fertig geworden sein, und kommt er jetzt nicht etwa her, uns davon zu sagen? – Sie hob wol auch zuweilen schüchtern das Auge nach der Thüre, ob der Sohn Alexi nicht zerlumpt komme; aber arg, dachte sie, wird es im schlimmsten Falle, doch nicht sein!

Da öffnete Poll von draußen, mit seinem Schlüssel, die Thüre flog auf, und siehe da – Alexi!

Ein aufgeschossener, hagerer Junge, zerlumpt und mit wirren Haren, mit schwieligen Händen und elenden Stiefeln, durch welche die Fußzehen guckten – stand vor seiner Mutter.

»Alexi!« schrie in Jammer und Schreck die Mutter auf. Der Junge eilte auf sie zu, umschlang sie, und schwieg – thränend.

»Was hast Du gemacht? Wie siehst Du aus?« rief Madame Trullemaier, wieder zu Worte kommend.

»Meine Beste!« nahm Poll ernst, aber doch mit strafendem Humor das Wort. »Das ist der große, berühmte unerreichte Künstler! Sehen Sie ihn wohl an, so sieht er aus, wenn er fertig ist! – Ich habe Ihnen denselben ganz so wieder gebracht wie ich ihn gefunden habe; er mußte 225 sich wieder so kleiden, um Ihnen nicht den schönen Anblick verloren gehen zu lassen. – Ganz so zerlumpt ist er nicht von Kranz weg; aber abgeschabt waren die Kleider, und sein Hunger war noch stärker als jetzt. Blaue Flecke und Striemen haben ihm nicht gefehlt, fehlen ihm auch jetzt noch nicht, und Sie können deren nach Belieben sehen, wenn Sie Lust haben. Sehen Sie nur diese schwieligen Stallhände und seine schorfigen Knöchel. Das sind seine Künstlerwerkzeuge! – Zu essen hat er wenig bekommen, aber dafür mehr Prügel; denn das Essen macht schwer, die Prügel aber bringen leicht zum Springen! Er ist nicht schlechter behandelt worden als ein Anderer; nur daß ein Anderer in vielen Jahren das erfährt, was mir Hermann Krulle versprochen hat, bei ihm etwas rascher folgen zu lassen. Sehen Sie ihn an. Wenn er nicht ganz an Gemüth und Seele verdorben ist, so ist es deßhalb, weil mir Krulle als ehrlicher Mensch versprochen, auf ihn ein Auge zu haben. Und wenn Sie ihn nun wieder haben und er nicht gezwungen ist, noch Jahre, wie die Pferde von einem Stalle zum andern herumzuwandern, so haben Sie das mir zu verdanken! – So sehen die Künstler aus, wenn sie einige Tage von ihrer Gesellschaft weg sind, nachdem sie nicht vielmehr gebraucht um so auszusehen. Die blauen Flecke und rothen Striemen sind eine sehr gute, kalligraphisch gearbeitete Schrift, moralisch und auferbaulich zu lesen. Hier haben Sie ihn mit derselben und seien Sie froh, daß er kein Springer und Gaukler, sondern noch ein Junge ist, aus dem ein fleißiger, redlicher bürgerlicher Mensch werden kann!«

Madame Trullemaier schluchzte, und Alexi schluchzte auch.

»Alexi, willst Du arbeiten und ein ordentlicher Junge werden?« fragte Poll mit ernstem Nachdruck. 226

»Alles, was Sie wollen – nur nicht mehr in den Stall und zu den Kunstreitern!«

»Gut, angegangener Vagabund! Wir werden Dir einen Dreifuß zureiten und einen Knieriem oder einen Hammer in die Hand geben statt eines Zügels, und dann mußt Du gut thun! – Willst Du das?«

»O, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen für die Güte!«

»Und nun, Mütterchen, geben Sie ihm zu essen und zu trinken. Er hat wol seit Tagen nicht mehr Noth gelitten – sonst sähe er noch jämmerlicher aus – und schlagen Sie sich die eitlen Gedanken aus dem Kopf – er gehört ja jetzt uns Beiden!«

Madame Trullemaier schluchzte und streichelte Alexi, und sah thränend bald diesen, bald Poll an.

Poll aber ging sachte zu ihr und sagte mitleidig, leise, zu seiner Zukünftigen: »Beruhigen Sie sich, Hannchen, er ist ganz gut daran, und in jeder Beziehung gebessert. Der Ausflug hat ihm prächtig gedient. Mit eitlen, grundlosen Gedanken ist es nichts; – sehen Sie, das ist das Ende davon. – Lassen Sie dieselben fahren. – Und da er ein guter Junge geworden . . . wir vielleicht auch nicht mehr so lange . . . ohne unsere eigene Wirthschaft sein werden« – Madame Trullemaier sah ihn durch Thränen milde an – »so werden wir einen braven Handwerker zum Sohn haben!«

Madame Trullemaier reichte ihm innig die Hand. – Wäre der Junge nicht dagewesen . . .!

Poll drückte, mit allem Anstande aber herzlich und innig, die gebotene Hand.

Nun machte der alte Poll Alle bequem, mengte seine 227 Scherzreden mit Ernst, und erheiterte der Dame und dem Jungen die traurige Erfahrung.

Nach der Abfütterung holte Poll die Kleider, die er für Alexi bereit hatte, und der Junge ward nun ganz zum ordentlichen Burschen gemacht.

Madame Trullemaier mußte aber Poll versprechen, ihm, als zukünftigen Stiefvater, der ein rechter Vater sein wolle, ja der es schon war, den Jungen ganz zu überlassen. –

Das that sie und fragte heimlich mit Beziehung auf einstige Vorfälle: »Ist er nicht doch ein Glücksengel?«

»Versteht sich! Aber das Glück und der Junge sind zweierlei!« –



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