August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Sechsundfünfzigstes Capitel.

Die Danaiden der Neuzeit und ihr bodenloses Gefäß – Rübe und sein Buchhalter haben eine wichtige und geheime Zusammenkunft in Sachen der Firma – eine alte, vergessene und schwere Schuld wird nach langen Jahren unerwartet und strenge gefordert.

Das zweibeinige Kapital, das die Namen Friedrich und Rübe von den Eltern, der Kirche und dem Gesetze erhalten hatte, besaß zur Zeit nicht mehr jene Ruhe, welche einem behäbigen, sich wohl rentirenden Kapitale zukommt. 76 Das Kapital Rübe repräsentirte vielmehr eine jener unruhigen, rastlosen sich selbst nie genügenden Geldanhäufungen, welche Menschheit und Herzen nur als Werkzeuge zu höherem Emporheben und Verherrlichen betrachten, welche Alles unter sich sehen, welche gebieten und durch ihr Gebieten und Vergrößern das Dasein mit seinen höchsten Zwecken ausfüllen wollen!

Nach der Lehre einiger Philosophen, enthält jedes noch so kleine Theilchen den Keim eines Künftigen, dieser Keim wieder einen Keim, und dieser abermalige Keim noch einen in sich, und so fort in's Unendliche; so daß die ganze Welt ein Sistem von Schachteln wäre, in der Packung, wie die Verfertiger derselben mit ihnen zu Markte fahren. Rübe betrachtete sein Kapital als eine solche Molekule und jeder kleine Theil des Kapitals schien für ihn nicht nur den Keim der Interessen in sich zu hegen, sondern mußte denselben zum Vorschein bringen, dieser Keim wieder einen andern, der gewonnene andere wieder einen andern, und so rastlos fort in's Unendliche!

Sehen wir die große Familie dieser »Rübe« nicht heutzutage auf allen Plätzen und Märkten, auf der Börse, in den Bank- und Aktiengesellschaften, kurz bei Allem was »Gewinn« heißt?

Wo sind die Millionäre, die Geldmänner, die sich Ruhe gönnen? Wie viele derselben genießen, wie viele besitzen im Bewußtsein des ruhigen Besitzes und verwenden das Ihre zum Guten für sich selbst und ihre Mitmenschen?

Danaiden sind sie, sie schöpfen fort und fort in ein bodenloses Faß, und dieses Faß trägt die Aufschrift: »Genug!« – Wenn sie das »Genug« erreicht haben werden, 77 dann wird ihre Arbeit enden! Und sie schöpfen und schöpfen, bis – ihnen der dürre Knochenmann zuruft: »Genug!« – Dann aber nehmen ihre Kinder die weggelegten Eimer wieder auf, und sie fangen von Neuem zu füllen an – bis auch ihnen das »Genug« des grinsenden Knochenmannes das einzig Zulangende ist. Und sind sie zu Ende – dann fangen die Kinder dieser, die Enkel und Enkel-Kinder abermals an!

Genug? Niemals!

So geht es fort. Die zweibeinige Familie »Kapital«, diese Geschöpfe unter allerlei Namen, haben nie genug! Sehet rings um Euch – Ihr dürft nur Eure Finger heben, um zu zeigen: Dort ist Einer, hier ist Einer; dort ist wieder Einer; – ja das sind sie! –

Genug? Niemals!

Nicht wie dem gepeinigten Tantalus hängt ihnen die goldene Hesperidenfrucht in den Mund, und wenn sie dieselbe erfassen wollen, entzieht sie sich ihnen; – nein, gepflückt, glänzend, herrlich und einladend liegt die Frucht vor ihnen auf kostbarer Schale; – aber sie wollen sie nicht genießen, bis mehr dazukommt und ihre Kinder das Gleiche essen können; – die Kinder sitzen wieder an der vollern Schüssel, warten aber auf noch größere Fülle, und wollen wieder Gleiches für ihre Nachkommen; – so sitzen die ganzen Geschlechter, hungernd, lechzend, aber mit zurückgehaltener, zurückgezwängter Gier, und gehen endlich geistig verkümmert, am Herzen verkrüppelt, an der Seele verdorrt und schwindsüchtig zu Grunde.

Genug? Niemals! 78

O blaset ihnen um ihre Thaler noch zu Grabe, deckt ihnen ein noch kostbareres Decktuch über den Sarg, lasset singen und Aufzüge machen; – da liegen sie so steif und starr, so verwesend und nichts und nichtig, wie der gemeinste Taglöhner, der täglich seine Groschen für das Schwarzbrod verdient, aber es mit Genuß verzehrt und dabei gelächelt hat.

Genug? Niemals!

Lächelt jetzt, im Tode! Lächelt! Was ihr in eurem Leben so wenig gethan – lächelt! Aber nein, ihr werdet stumm und starr bleiben, bis die Würmer das Fleisch von euren Wangen und Lippen genagt haben werden, dann werdet ihr grinsen mit nackten Zähnen in eurem kahlen Schädel, von einem Ende zum andern.

Genug? – Niemals!

Lacht dann zu – das ist dann der rechte Hohn eurer selbst, den ihr verdient.

Genug? Niemals!

So rastlos war Rübe, wie angegeben, ein solches würdiges Mitglied und ein so strebsamer Vorkämpfer in der Gilde der neuzeitigen Kapitalmänner! Lange hatte er eifrig, aber doch gemessen spekulirt und das Seine anwachsen gesehen. Aber während er anwuchs, wuchsen auch die Andern mit! Die A. und B., die C. und D. sollten auch immer so groß sein, wie er, und er sollte ihnen nicht zuvorkommen? C. und D. sollten dasselbe Lächeln auf der Börse, in der Bank, in der Handelskammer, in dem Verwaltungsrathe einer Aktiengesellschaft empfangen, wie er? E. und F. sollten morgen, nach einer gelungenen Spekulation, mit vielleicht größeren Komplimenten begrüßt werden, als er? So lange hatte ihm ja sein Vater gepredigt, nur das 79 Kapital sei Mensch, bis er endlich, ganz eingehetzt in diese Theorie, mit den fortwährenden Stachelknollen eines unsichtbaren Halsbandes, wie der Jagdhund – sein Jäger war »Gier« – toll d'rauf los lief, um das größtmöglichste Kapital zu erringen.

Genug? Niemals!

Dazu kamen seine innern, stachelnden Gieren, die er trotz seines bisherigen Kapitales nicht befriedigen konnte, sein Spekulationsgeist, der mehrseits herausgefordert war; und er trat auf den Kampfplatz mit allem Hohne eines Helden, dessen Schwert schon manchen tüchtigen Hieb geführt hat, und der gewiß zu siegen glaubt, wenn er nur mit früherer Kraft es schwingt.

In die Bahn seines Zieles hatte Rübe – nebst Andern – noch Schwach, Adele, Schnepselmann, Krimpler, in verschiedener, schlauer oder zufälliger Weise gezogen; und sie sollten entweder seine Fußschemel sein, auf die er triumfirend treten wollte, oder sie sollten, müßte er selbst stürzen, den Boden abgeben, der von seinem Falle breche und zerberste!

Letzteres schien jedoch allmälig außer sein Hoffen zu kommen. Immer mehr trat Ersteres hervor. Rübe glaubte: nimmer zu wagen! So sicher hatte er sich in seine Erfolge, in seine Gewohnheit des Gewinnes hineingearbeitet, daß ihm jedes Wagniß wie ein richtiger Rechnungsschluß, eine Nothwendigkeit, ja jeder geringere Einsatz wie ein Versäumniß schien. Mit einer Selbsttäuschung, die Jeden erfaßt, der einer Uebertreibung sich schuldig macht, sagte er stets sich selbst: »ich bin doch ruhig, gemessen und bedacht,« so daß er zuletzt sich selbst glaubte und seine Rastlosigkeit 80 nur der nothwendigen Ausführung seiner kalt und sicher berechneten Ideen zuschrieb.

Genug? Niemals!

So sind sie Alle, die Herren des Nie-Genug! Würden sie ihre eigene Hetze erkennen, sie würden nicht glauben, sie seien die ruhigen Leute; sie würden im Gegentheile einsehen: die menschliche Gesellschaft geht langsamer, nur sie sind es, die treiben, hetzen und rennen. Wie den Fahrenden auf einem eilenden Schiffe geht es Ihnen, welche meinen, das Land eile und ihr Schiff mit den Gewässern stehe, statt des Gegentheiles.

Treibt zu, treibt zu! Das Land steht – die Gewässer verrinnen, oder euer Schiff strandet, oder euer Dampfkessel platzt – oder ihr kommt unversehens an ein ungeahntes Ziel! –

Krimpler sah dem Spiele bewußt und nicht ohne Sorgen zu. Der Alte mit seinem Kahlkopfe, seinem Rest von schlichten weißen Haren und seinen gerötheten Augen, ging noch düsterer als sonst in's Komptoir. Aber Rübe empfing ihn fast jedesmal mit höhnischem Lächeln, wenn die Geschäfte geglückt; und mit fast teuflischem Grinsen legte er ihm die Rechnungen, Ausweise und Behelfe hin, welche dem Buchhalter zum Einschreiben der außergewöhnlichen Gewinne in die Handlungsbücher dienen mußten. Es war, als hätten die Beiden stillschweigend einen Kampf begonnen, und als fühlte Rübe nicht nur das Bedürfniß, stets fortzukämpfen, sondern auch den Drang, den Gegner fortwährend an den Sieg zu erinnern und ihm den Druck der Bande fühlen zu lassen, an denen er ihn hielt.

Die Geschäfte glückten, es war als hätte Rübe die 81 Gabe jenes sagenhaften Mannes, der nur etwas anrühren durfte, um es in Gold zu verwandeln.

Genug? Niemals!

Es war, als wollte ihm das Schicksal vorwerfen: Du Rübe, Du Ausersehener, Genialer, warum hast Du nicht früher schon in diesem Maße zugegriffen, wie weit wärest Du schon! – Und wenn Rübe dieses versäumte, hinausgeschobene Ziel betrachtete, war es ihm, als müßte er den Fehler gut machen, als müßte er nicht nur Das erringen, was für ihn in der Zukunft lag, sondern Das, was auch in der Vergangenheit schon gelegen hatte, und welches er, wie einen alten Schatz, jetzt auch noch heben mußte!

Genug? – Niemals!

Wie viele gibt es nicht Solche, nicht nur in Geldspekulationen, sondern in allen Zweigen, welche Ruhm, Ehre, Gewinn, Rang, Stellung zur Aufschrift tragen? Vor Allem aber sind sie beim Kapitale!

Genug? – Niemals!

Sie steigen und steigen mit Siegesgewißheit und vergessen alles Gewesene; sie steigen und steigen in die luftige Aussicht, mit hochgeschwellter Brust und weit athmenden Nüstern; sie steigen und steigen . . . . . . . genug? – Niemals!

Krimpler saß in dem düstern Komptoir, über seinen Schreibtisch hingeklemmt, in alter, gebrochener Weise, und seine rothen Augen stierten in die weißen Papiere und das schwarze Gewimmel von Ziffern und Buchstaben, noch später am Abende als sonst. Die andern Komptoiristen hatten ihre Arbeit bereits beendet, und Krimpler, der seine Notizen aus ihren Vorarbeiten ziehen mußte, setzte seine Obliegenheit noch fort. Er blieb auch nicht blos aus dieser Ursache, 82 die allein hingereicht hätte, diesmal noch später als sonst. Rübe hatte ihm vor einiger Zeit gesagt, er habe mit ihm gelegentlich zu sprechen, und so blieb der Buchhalter seither oftmals länger als alle Andern auf dem Komptoire, um seinem Gebieter, der sehr ehrsüchtig bei solcher Gelegenheit war, ja Anlaß zu geben, ihn nach Belieben zu bequemer Stunde in Anspruch nehmen zu können.

Krimpler überlegte eben in der Dämmerung, die stark einbrach, ob er Licht machen oder besser gehen solle, da doch heute, allem Anscheine nach, Rübe ihn kaum mehr werde sprechen wollen.

Eben war er dabei, die Feder für heute abzulegen, als Licht in dem Schreibzimmer Rübe's aufflammte. Das Licht schimmerte durch die grünen Vorhänge durch, auch regten sich diese bald darauf, und Rübe's Kopf kam spähend zum Vorschein.

Der Spähende schien gefunden zu haben, was er suchte: denn sogleich öffnete er knarrend die Thüre und zeigte seinen liebenswürdigen kleinen Körper, mit dem spitzen Kopfe und dem scharfknochigen Gesichte. Die Brille fehlte nicht.

»Krimpler!« rief Rübe näselnd, aber nicht mit dem herrischen, schneidenden Tone von oftmals, sondern mit einer Art Gelassenheit und Trockenheit, die auffallen mußte. Sie war weder freundlich noch feindlich.

Krimpler legte seine Feder aus der Hand, klappte sein großes Einschreibebuch zu, und ging nach der Thüre des Herrn.

»Haben Sie die Vorder-Thüre des Komptoirs offen gelassen, Krimpler?«

»Ja, Herr Rübe.« 83

»Seien Sie so gut und schließen Sie dieselbe ab; ich habe mit Ihnen zu sprechen, und wir dürfen nicht gestört sein.«

Krimpler ging gelassen und that wie ihm befohlen. Dann kehrte seine hagere aber biedere Gestalt wieder in das kleine Schreibzimmer Rübe's zurück. Der große, schwarze, eiserne Geldkasten gab in dem Kerzenscheine, bei der Stille ringsum, dem Ganzen ein sonderliches Ansehen; denn die Arbeiten im Hofe und den Magazinen schwiegen, nichts regte sich rings, die Leute waren gegangen, kein Laut war zu hören. Die dichten, dem Auge undurchdringlichen Fenster-Vorhänge waren herabgelassen.

»Setzen Sie sich Krimpler,« sagte Rübe und bot ihm einen Stuhl an einem Tische, auf dem die Kerzen brannten.

Krimpler verneigte sich und nahm Platz.

Eine kurze Pause des Stillschweigens folgte.

»Wie lange ist es schon . . . daß Sie bei uns sind?« fragte endlich Rübe langsam, und seine Augen forschten möglichst scharf durch die Brille nach dem Buchhalter, während sein Gesicht einen leidenschaftslosen Ausdruck zu behalten sich bemühte.

»Fünfundzwanzig Jahre, Herr Rübe, noch von dem seligen Herrn Vater her.«

»Ja, mein seliger Vater!« sagte Rübe, ». . . war ein Kapitalmann! – Es ist ein hübsches Sümmchen von Jahren . . . wir werden alt . . . das heißt,« korrigirte er, als hätte er einen unwillkommenen Fehler gemacht, »wir zählen Jahre; aber jung bin ich an Geist und Herz, Krimpler!« – 84

Krimpler schwieg und sah ihn an.

»Wir haben die Zeit so ziemlich gut miteinander verlebt,« nahm Rübe wieder das Wort.

Krimpler bewegte nur leise zustimmend den Kopf und schwieg, um desto eher zu erfahren, wo das Alles hinaus wolle. –

»Wir haben auch kleine Differenzen miteinander gehabt, kleine . . . denn die Unannehmlichkeiten mit meiner ersten Frau habe ich längst vergessen.« –

»Längst vergessen,« wiederholte Krimpler und schwieg wieder.

»Beweis: ich habe lange Jahre darüber geschwiegen und kein Wort verloren.«

»Wahr, kein Wort.«

»Ich habe Sie damals im Verdacht gehabt, das unselige Liebesverhältniß zu unterstützen, oder gar selbst im Spiele zu sein.«

»Das ist längst vorüber,« sagte Krimpler in sehr düsterem Tone.

»Längst vorüber, sehr richtig; und ich weiß gar nicht wie ich jetzt eigentlich darauf gekommen. – – Eigentlich . . . wir sprechen von unserem Alter und unserem Beisammensein. – – Fünf und zwanzig Jahre!« rief Rübe aus, als wäre er in Verlegenheit etwas zu sagen, und schwieg wieder.

»Ein Vierteljahrhundert!« sagte Krimpler ernst. »Fast ein halbes Menschenleben!«

»Was ist da nicht Alles vorgegangen!«

»Viel, sehr viel!«

Nach einer unheimlichen Pause nahm Rübe wieder 85 das Wort. »Es beschleicht Einen doch oftmals der Gedanke an Ruhe, an Ausrasten. Was sagen Sie, Krimpler?«

»Mein armer Leib wird schwerlich mehr zur Ruhe kommen.«

»Schwerlich? – Warum sagen Sie das? – Sind Rübe & Comp. mit ihrem Kapitale zu gering, um Ihnen Ruhe zu geben – und Ihre alten Jahre zu bezahlen?« –

»Nein, Herr Rübe, das nicht, das Kapital ist groß genug . . . . aber . . . .«

»Daß Sie doch gar kein Vertrauen fassen können!«

»Vertrauen?«

»Freilich, Sie müssen nur die Verhältnisse nicht vergessen, in denen wir leben, das heißt, die ganze Welt lebt! – Das Kapital hat einmal seine Rechte und herrscht einmal in aller Welt. Sie sind Einer, dem das Glück nicht gewollt hat, und der zu Kapital nicht gekommen ist! – Warum wollen Sie immer nach Ihrem eigenen Kopfe gehen und sich nicht fügen in das, was Brauch, Herkommen, Vernunft und Interesse ist? – – Sie sind einmal nicht Herr, sondern so lange, so lange schon, Krimpler, sind Sie Diener. – Warum also sich nicht fügen, wenn man die Mittel, das Kapital nicht hat, um seinen Willen durchzusetzen?«

»Herr Rübe, das Herz will auch . . .«

»Da sind Sie wieder mit Ihren alten, fixen Ideen vom Herz! – Wenn Sie ein Herz haben wollen, stehen Sie auf und geben Sie den zweiten Rock, den Sie besitzen, dem Andern, der nur einen hat. – Herz! Hat Ihr Herz schon einen Groschen verdient? – Ihr Kopf, Ihre Hände müssen arbeiten; da steckt Ihre Berechtigung auf die 86 Interessen von eines Andern Kapital. – Ich habe noch in meinem Leben mit dem Herzen kein Geschäft abgeschlossen. – Und wenn Sie Ihre fixe Ideen vom Herz nicht gehabt hätten, wer weiß, wo Sie schon heute wären!«

»Wer weiß!« sagte Krimpler bedeutungsvoll.

»Krimpler!« sagte Rübe nachdrücklicher, »Sie sind nicht mehr jung; Sie haben Erfahrungen genug gemacht, um endlich einzusehen, daß man mit Störrigkeit, Verschlossenheit, veralteten Ideen, die in die neue Zeit nicht passen, durchaus nicht weiter kommt, besonders wenn man kein Kapital hat, um sich um anderer Leute Ideen nicht zu kümmern. Aendern Sie sich einmal, es ist hohe Zeit!«

»Aendern?«

»Ja, ändern! – Reden wir klar. Sie sind alt . . . Sie nützen mir nicht mehr so viel, als Sie mir nützen könnten, für Ihren Gehalt. – Entweder lebe ich nicht ewig, oder Sie sind nicht ewig fähig . . . was dann?«

»Wollen Sie einen alten Diener verlassen, verstoßen?«

»Wollen? Sagte ich, ich will? – Ich kann! Aber ich kann! Ich kann mit meinem Kapitale machen, was ich will.«

»Das können Sie.«

»Und ich möchte nicht gerne thun, was mir leid sein sollte.«

»Das hoffe ich.«

»Aber, wenn ich meinen Gefühlen so gute Regel gebe, warum wollen Sie Ihr Benehmen nicht regeln?«

»Mein Benehmen?«

»Allerdings. – Sie haben in die Bücher meine Gewinne eingeschrieben und wissen sehr wohl, was ich leisten kann.« 87

»Das weiß ich.«

»Und ich will großmüthig sein! Krimpler, mein Kapital kann es aufbringen! – Wenn ich sage, Krimpler . . . ich habe . . . zu Ihrer Pflegetochter eine Neigung gefaßt . . . eine Neigung . . . wie zu einem Liebling . . . geben Sie mir sie in's Haus . . . ich will sie bei meiner Frau als Gesellschafterin unterbringen . . . ich will sie . . . kurz, ich will sie in eine Stellung geben, welche Sie wollen . . . . Sie bleiben hartnäckig und verweigern!«

Krimpler schwieg.

»Aster ist lange todt, unwiederbringlich todt. – Sie ist kein Mädchen mehr. – Seien Sie froh, daß Aster todt ist. – Wie er gestorben, das wollen wir gar nicht bereden. – Aber es ist ein Wink des Schicksals. – Adele ist nun kein unerfahrenes Mädchen mehr, und hat Welt probirt . . . eine Witwe ist noch freier in ihrer Stellung als ein Mädchen sein kann . . . was soll, Krimpler, das alte, hartnäckige, falsch verschämte, unvernünftige Weigern?«

Krimpler schwieg noch immer; und während er düster vor sich sah, kämpfte es gewaltig in seinem Innern, ob er reden solle und wie er es thun solle.

»Man hängt sein Auge oft an eine Umgebung,« fuhr Rübe beschönigend fort; »und wenn ich mein Auge damit erfreue . . . sagen Sie eine Kaprice . . . daß ich Adele um mich sehe . . . sehen kann, so oft ich will . . . was schadet es Ihnen? – – Schadet!« rief er ironisch. »Jetzt habe ich noch mehr Kapital als ich früher besessen . . . . da! . . . nehmen Sie ein Stück Papier, setzen Sie den Kontrakt darauf, wie viel Sie für sich und Adele verlangen, 88 sicher gestellt . . . wenn sie, Adele . . . nach einer bestimmten Probezeit . . . meine stille Freundin . . . bei mir fortfährt zu sein. –

Krimpler gährte im Innern; aber er würgte seinen tobenden Grimm endlich doch hinab und lehnte, nur mit der Hand, stumm das Stück Papier von sich, das Rübe aufgegriffen hatte.

»Sie sind alt . . . Adele hat nichts . . . sie ist nicht einmal Ihre Tochter . . . eine Bettlerin! – Und was können Sie thun, wenn Ihnen Rübe & Comp. den Dienst kündigen?«

»Betteln gehen!« sagte Krimpler düster und trocken zugleich.

»Betteln gehen. Da haben Sie es! – Und mein Kapital? – Ich kann mit vollen Händen geben, mit vollen!«

»Ich weiß es.«

»Also, Krimpler . . . gefügig, gefügig! – Es bettelt sich nicht so leicht! – Sie können mir leicht sagen, betteln gehen . . . aber das Gehen?! – Sie werden nicht so unsinnig sein. – Hören Sie. – Es treffen gute Gelegenheiten zusammen. Ich habe noch von Geschäfts-Angelegenheiten, von reinen Geschästsangelegenheiten, mit Ihnen zu sprechen.«

»Ich bin bereit zu hören, wie Sie wünschen.«

»Ich habe große Gewinnste gemacht,« sagte Rübe nach einer Pause, »sehr große Gewinnste.«

»Sehr große,« wiederholte Krimpler. 89

»Ich werde noch größere machen!«

Hierauf schwieg der Buchhalter und täuschte Rübe's Erwartung der Zustimmung.

»Ganz sicher noch größere! – Meine Theilnahme als Verwaltungsrath in verschiedenen Gesellschaften . . . ich bin frühzeitiger von gewissen Dingen unterrichtet, als Andere und kann also leichter manipuliren. – Bereiten sich Aktiengesellschaften zu Kämpfen vor, so kämpfe ich wieder mit Gesellschaften und zudem arbeite ich schlau bei Allem für mich allein. – Von dauernden Verlusten kann nicht die Rede sein, wol aber sind . . . Stockungen nicht ausgeschlossen. Unvorhergesehenes Unglück kann bei großen Spekulationen eintreten . . . Krimpler, man muß vorsichtig sein!«

»Vorsichtig, ganz richtig Herr Rübe.«

»Sie rathen mir also auch? – Und ich bin auch entschlossen. – Hören Sie!«

»Zu Befehl.«

Eine Weile schwieg Rübe. Endlich richtete er an seinem Augenglase, durch welches die grauen Augen scharf lugten, und sagte zögernd: »Wie wäre es . . . wenn Sie mir . . . eine Summe decken helfen würden.«

»Sehr gerne bereit, Herr Rübe.«

»Gut,« sagte Rübe trocken, der sehr wohl wußte, er sei noch nicht im Reinen. »Sie haben das Hauptbuch, Ihre Schrift ist durchwegs darin, es handelt sich um das Eintragen eines Postens.«

»Sie haben zu befehlen.«

»Ich meine . . . Sie kennen meine Wechsel . . . Sie wissen die Summen auf die sie sich belaufen . . . und wenn sie fällig sind, oder von wann sie datiren.«

»Das weiß ich.« 90

»Sie wissen, daß mein Kredit meinem Kapitale gleichkommt . . . und daß ich diesen Kredit benützt, um die großen auswärtigen Einkäufe und Vorkäufe vollends zu decken; damit kein Anderer um gleiche Preise Waren und Papiere erhalte.«

»Ja, das weiß ich, Herr Rübe.«

»Sie wissen ferner, daß große Anstrengungen gemacht werden, um mein Kapital zu dominiren. Die Börse ist unlängst auf meine Spekulation aufmerksam geworden und hat manchen Preis mit Ueberraschung bemerkt. Es bildet sich eine Ligue, ein Komplott gegen mich . . . Krimpler, ich muß mich fest auf die Füße stellen!«

»Herr Rübe, das müssen Sie!«

»Ich muß sicher sein nach allen Seiten,« fuhr der Kaufmann eifrig fort, nachdem er sich eine Weile fast unwillkührlich umgesehen und daraus die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß ihn Niemand höre; »ich muß mein Grundkapital auf eine Weise feststellen, daß es Niemand wankend machen kann, Niemand!«

»Wissen Sie, wie ich das bewerkstelligen will?« fragte er, nachdem er vergebens auf die entgegenzukommende Frage geharrt hatte.

»Nein, ich bitte um Ihre Ansicht.«

»Sie wissen, daß ich die Summe meiner Gelder erschöpft, um jene weitgehende Spekulation in aller ihrer Ausdehnung zu verfolgen und nichts unvollendet zu lassen. – Die Aktiva sind für den Augenblick nicht herin und zu meiner Verfügung. Sie werden auch so rasch nicht zu voller, freier Disposition hereinfließen. – Ich kann also mit ihnen durchaus nichts vornehmen, was darauf hinzielen 91 könnte, eine Deckung meinerseits, gegen jedes Unglück zu bewerkstelligen.«

»Wie wollen Sie also . . .?«

»Krimpler, hören Sie mich gut an; seien Sie nicht so rasch mit Ihren Vorurtheilen und alten Grillen; bedenken Sie das Kapital, mein Kapital, Ihre Zukunft, Ihr Alter, Ihre Pflicht, Ihrem langjährigen Herrn zu dienen! – Denken Sie, daß Ihr Glück auf dem Spiele steht, daß ich Ihr und der Ihren Glück begründen will! – Bedenken Sie dies Alles genau und hören Sie mich!«

»Ich höre, Herr Rübe.«

». . . . Sprechen Sie die Summe aus, die Sie für sich ansetzen wollen; sprechen Sie die Art und Weise aus, wie Sie dieselbe buchen oder festgestellt haben wollen . . . . Krimpler, ich lasse Ihnen ganz freie Hand . . . ein Kapital für Sie steht auf dem Spiele . . . thun Sie was ich will!« –

»Und Sie wollen?«

»Ich will . . .« Rübe sah um sich ». . . ich will . . .« und hier sprach er unwillkührlich leiser ». . . daß Sie mir in die Bücher einige Posten einschreiben . . . Posten in die frühern Daten . . . damit dieselben zu meinem Vermögen gerechnet werden können, welches über meine Passiva zu jener Zeit geht, und über die ich daher zur Zeit freie Verfügung hatte . . . Posten, welche mir in jedem Falle zu Gute kommen, auf eine oder die andere Weise . . . so daß . . . wenn heute . . . ein Unglück ausbricht . . . das gebuchte Kapital gerettet ist, und aus der Masse gezogen werden muß!«

Rübe war nach dieser Rede fast erschöpft, seine schmale, enge Brust wogte auf und ab und der ganze kleine Körper 92 war in zuckender Aufregung. Die magern Wangen des alten Gesichtes glühten und blaßten, die dünnen Lippen zitterten endlich einmal, und die Augen unter den grauen Harbüscheln lugten verlegen, aber doch forschend nach Krimpler.

Krimpler sah fest und unbewegt vor sich, mit seinen rothglühenden Augen, obwol er seinen Herrn so nie gesehen. Nur eine Sekunde schwieg er, als ob er einen Sturm in seinem Innern beschwichtigen wollte, dann schüttelte er gelassen das Haupt und sagte mit voller, ernster Ruhe:

»Das – kann ich nicht!«

Rübe sah ihn einen Augenblick entsetzt an, und ein Schauer rieselte über seinen Körper. Große Hoffnungen sah er getäuscht; und wenn er auf Krimpler auch nicht im Vorhinein ganz gerechnet, so hatte er doch seinen Drohungen, seinen Versprechungen und seiner Redekunst einige Kraft beigemessen. Krimpler war ja alt, gebrechlich, getreten genug, daß er wahrscheinlich den Anbot: noch vor seinem Ende ein Mensch, das heißt Kapital zu sein, annehmen sollte, wenn auch nach Weigerung!

Fast war es, gleich nach dem ersten Schreck der Täuschung und den folgenden Empfindungen, als wollte Rübe mit einer Wuth losbrechen und Krimpler zu seinem Opfer machen; denn seine Finger zuckten und ballten sich. – Doch bald faßte sich der kleine, dürre, spindelhafte Mann mit dem spitzen Kopfe und der fuchsig schillernden Perrücke, und sagte im mildern, einschmeichelnden, kältern Tone: »Krimpler . . . bedenken Sie sich . . . seien Sie nicht so rasch . . . eine Stunde Arbeit . . . und ein Kapital für Sie und Ihre Erben!«

Krimpler schüttelte das Haupt.

»Gefahr? . . . denken Sie an Gefahr? . . . Wo 93 kann da die Gefahr sein? – Sie haben die Bücher geführt, Sie schreiben ein . . . . es macht sich Alles so, als hätte es längst gestanden . . . Plätze finden sich . . . ich habe in dieser Rücksicht seit einiger Zeit schon Manches offen gelassen . . . Sie wissen die fehlenden Posten selbst . . . Krimpler, denken Sie: ohne Gefahr ein Kapital! in solcher Welt ein Kapital! . . . Sprechen Sie die Summe selbst aus . . . Sie sind glücklich!« –

»Und Ihren Herrn retten, ist auch eine Pflicht!« setzte Rübe noch hinzu, als Krimpler schwieg.

»Herr Rübe,« sagte endlich Krimpler gelassen, »ich habe die Spekulationen nicht gemacht, ich habe weder das Risiko noch den Gewinn zu tragen; Herr Rübe, Sie haben Eines wie das Andere . . . ich denke, wir müssen redlich von Allem das Ende abwarten, wie es mit Gottes Hilfe kommt.«

»Krimpler! Haben Sie keine veralteten. unnöthigen Ideen! – Sie stellen die Posten auf, Sie setzen sich als Eigenthümer einer ersparten Summe hinein; sagen sie zwanzig, sagen Sie dreißig Tausend, sagen Sie mehr! – Sie setzen Adele hinein, als Mündel von mir, als was Sie wollen, sie ist dotirt von mir . . . sprechen Sie die Summe aus . . . Sie und Adele sind glücklich!«

»Adele?« preßte Krimpler hervor mit zitternden Lippen.

»Adele will ich als Miterbin, als Eigenthümerin einer Summe, als Mündel, selbst als Adoptivtochter im Buche anerkennen; was wollen Sie mehr? Wer spricht davon, wenn Adele meine . . . meine . . . Freundin ist? Ihr Vater ist nicht auf der Börse, sein Name ist nicht in der Bank, sie ist Ihre Ziehtochter und Sie sind mein Buchhalter . . . was natürlicher . . . als daß sie . . . meine . . . 94 Freundin sein kann? Setzen Sie die Summe an; was noch mehr?«

»Und,« sagte der zitternde Krimpler zögernd und erhob sich dabei auf die schwachen Kniee, »und . . . . die alten Schulden und Forderungen?«

»Alte Schulden und Forderungen?!« sagte Rübe erstaunt, seinen Kopf zurückbeugend.

Krimpler erhob jetzt seine Stimme mit aller Wucht und sah Rübe fest ins Gesicht, rufend: »Magdalena Fritzlar – geschiedene Rübe!«

Rübe ward bleich wie die Wand. »Meine . . . erste Frau . . .!« hauchte er mit fast erstickender Stimme aus. »Was soll es jetzt mit ihr . . . wie kommt dieser Name hierher?«

Mit fester Stimme sprach nun der feurig gewordene alte Krimpler, der im Gesichte glühte und dessen weiße Hare seine Erscheinung dadurch nur ehrwürdiger machten: »Magdalena Fritzlar, verheiratete und geschiedene Rübe, gepeinigt an Leib und Geist von ihrem Gatten, der ihr Kapital behalten und eine zweite, reiche Heirat machen wollte! – Magdalena Fritzlar, unter elenden, niederträchtigen Vorwänden gepeinigt! Ihr Herz mit Koth beworfen! Ihrer reinen Seele die Schuld außerehelicher Verbindungen aufgebürdet! Das Kind an ihrem Busen, Ihr eigenes Kind, Herr Rübe, mißhandelt, unter dem Vorwande einer ungesetzlichen Frucht! Magdalena Fritzlar, an den Haren geschleift, mit den Füßen getreten und sammt ihrem Kinde ins Elend gestoßen – Magdalena Fritzlar fordert ihr ehrlich und rechtmäßig Eigenthum!«

Rübe war bleich und zitternd vor dieser ihn andonnernden Rede zurückgewichen, deren Wucht dem alten Krimpler 95 kaum zuzumuthen war. Da stand dieser aber, mit der alten, aufgerichteten Gestalt, wie ein Patriarch, der zu Gerichte geht über die Sünder; und Rübe lehnte fast, bleich und zitternd, an der hintern Wand, während er vor Schreck wie in bösem Bewußtsein, um sich zu schützen, die Hände von sich streckte. – »Sie lebt?« hauchte er.

»Sie lebt nicht! – Gestorben ist sie im Elend und Darben, verkümmert und nahezu verhungert! Mit ihrem armen Wurm am Busen ist sie fortgeeilt; und lieber wollte sie mit dem Blute ihrer Finger ihr armes Kind ernähren, als mit den bettelhaft hingeworfenen, kargen Groschen des unnatürlichen, herzlosen Gatten und Vaters! – O Herr Rübe, Sie wußten gut, daß der alte Kaufmann Fritzlar aus Bacherach am Rhein und sein Geschäft in Amsterdam – todt waren, und kein Mensch hier sich der einsamstehenden, verwandtenlosen Tochter annehmen werde! – Sie ging ins Elend . . . nein sie ward hinausgestoßen! – Mir gaben Sie die Schuld, ebenfalls mit ihr im Verhältnisse zu stehen, wie ihrem Jugendfreunde Max van Haalen, dem Sie freiwillig Summen anboten und falsche Spieler zuschickten, um ihn hinterrücks als Verschwender bei seinen Eltern zu verläumden, die ihn auch von hier abriefen und nach den Westindischen Kolonien schickten, wo er am gelben Fieber gestorben ist. – Mir haben Sie die Schuld aufgebürdet, der ich von diesem Engel von Weib, das in Nacht und Sturm, mit dem Kinde am Busen, floh, der ich diesem Engel von Weib blos nachgegangen, um aus Menschlichkeit seine Spur zu finden. – Herr Rübe. ich habe es nimmer gefunden . . . nimmer lebend!« –

»Sie war todt, sie war todt!« rief Rübe halb triumfirend. – 96

»Todt war sie, in einer elenden, armseligen Dorfhütte gestorben; aber der alte Gott lebt! – Ich habe Spuren entdeckt!«

»Spuren? – Welche?«

»Daß sie die letzten Schätze ihrer Jugend, daß sie Briefe, die ihr theuer waren aus der Vergangenheit, und ihr Kind, an einem Orte verborgen, wo ihr Gatte, der erbarmungslose Vater, nimmer hindringen konnte!«

»Und . . .?« fragte Rübe zitternd, unbekümmert um die Anzüglichkeiten in Krimpler's Rede.

»Und ich habe Jahrelang, Jahrelang geforscht, bis ich Eines wenigstens von Beiden herausgefunden!«

»Eines?«

»Ja – das Kind!«

»Das Kind?« rief Rübe entsetzt.

»Das Kind lebt und ist . . . .«

»Ist . . . .«

»Adele! – Adele ist Ihre Tochter!«

Rübe machte bei diesem Ausrufe eine Beugung nach rückwärts und stürzte fast auf den Boden nieder. Nur eine kleine Warenkiste, die in der Nähe stand, rettete ihn vor dem Falle, und wankend stützte er sich noch, um halb stehen zu bleiben.

»Sie werden es nicht läugnen!« fuhr Krimpler fort. »Der arme Pflegevater, weder verkümmert in Ihrem Dienste, noch gestorben durch tausend Kränkungen, der arme Buchhalter Rübe's, hat das Kind schweigend erzogen und gesorgt und geduldet für das Kind, und es ernährt. – O, Herr Rübe, Sie haben prächtig geschwelgt bei der neuen Hochzeit, oder in den Flitterwochen der süßen, zweiten, reichen Ehe, während die frühere, treue, junge, reizende und ebenfalls reich 97 gewesenen Gattin im Elend schmachtete und ein hinschwindendes Bild des Jammers war! –

Herr Rübe, Sie werden dies Alles nicht läugnen; denn Jahre lang, lange Jahre, habe ich geschwiegen und geforscht. Sie sollten nicht den Genuß haben, einen Engel wie Adele, einen verstoßenen Engel, unter ihren Augen aufwachsen zu sehen und sich sagen dürfen, ich bin der Vater! – Aber während ich geschwiegen, hier, habe ich doch anderweit geforscht. – Der arme Buchhalter hatte keine Summen zu verwenden, um so weit in die Ferne Erhebungen zu pflegen; aber, Herr Rübe, obwol viele Jahre darüber hingegangen – ein Heiratskontrakt hat sich doch gefunden!«

»Ein Heiratskontrakt?«

»Ein Heiratskontrakt, auf der Insel Borneo, bei dem alten Geschästsfreunde Fritzlar's, der einen Theil von dessen Papieren, zur Abwicklung von Geschäften, nach der Insel hinbekommen hatte. – Der Kontrakt ist vorhanden; Freunde, die ich aus England gefunden, deren Reisen und Verbindungen weit über die See gingen, Freunde aus England, haben unermüdlich für mich geforscht; und Adele Fritzlar . . . Ihren Vater- und Familiennamen, Herr Rübe, haben Sie ihr selbst abgesprochen . . . Adele Fritzlar . . . ist die Erbin von: hunderttausend Thaler!«

»Hunderttausend Thaler!« stammelte Rübe.

»Hunderttausend Thaler, dem rechtlichen Gute ihrer Mutter! – Ausbedungen in jedem Falle und eigen der armen, gepeinigten Frau, die Mutter ward, nachdem sie Ihnen als blutjunges, unschuldiges, in der Welt vollkommen unerfahrenes Mädchen übergeben wurde, und die daher in Jammer und Elende ihres Rechtes nicht gedenken konnte! Dem 98 ausbedungenen Gute, sage ich, das von der armen, im Elend gestorbenen Frau weder gewußt, und daher nicht rechtlich noch gütlich gefordert wurde. Diese Unkenntniß auf Seite der Unglücklichen haben Sie wol bedacht und schlau benützt; sie war eine Einsame, hier Unbekannte und Verlassene! Kein Zweiter kannte ihre Heiratskontrakte! – Ja, Herr Rübe, Adele, deren Jugend Sie vergiftet, der Sie ihre erste Liebe gestört, der Sie den Geliebten durch falsche Denunziation ins Gefängniß gebracht, deren Gatten Sie in das Wasser, zum Selbstmord getrieben . . . Adele, nach der Sie bis heute, bis jetzt, elende, verwerfliche Absichten gehegt, und die Sie leiblich und geistig zu Grunde richten wollten . . . . Adele . . . ist Ihre Tochter!«

»Adele . . . . meine Tochter!«

»Nun, Herr Rübe . . . sind das nicht alte Forderungen und Schulden? – Diese werden wir buchen!« –

Rübe warf ihm einen stechenden Blick zu und schwieg. Eine lange, stumme Pause folgte, in der Beide bebten.

»Und nun . . .« Krimpler ward plötzlich von einer leuchtenden Idee erfaßt, griff rasch in seine Brusttasche und hob blos sein Portefeuille, ohne ein Papier zu zeigen. »Und nun habe ich die Ehre, Ihnen einen Wechsel zu präsentiren, Wechsel des Herrn Herkules Schwach auf Rübe & Comp. hier; vierzigtausend Thaler, zahlbar drei Monate nach Sicht! – Sie werden die Güte haben, ihn als von heute an präsentirt zu betrachten, und auch buchen lassen. – Ich werde ihn buchen, so wie Alles, was Sie noch ferner vor allen Komptoiristen verlangen können, und ich habe die Ehre, mich Ihnen als Diener zu empfehlen, so lange Sie es noch wünschenswerth halten können!« – 99

Somit ging Krimpler aus dem Zimmer, und ehe Rübe aus dem vollen Schrecken wieder zu Worte kommen konnte, war der alte Buchhalter verschwunden.



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