August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Einundsiebzigstes Capitel.

In welchem Poll Hinze noch immer keine Ruhe gibt – Pläne macht – und eine Schauspielerin traurig auftritt, aber lustig abgeht. –

Schnepselmann in seiner jetzigen Gemüthsverfassung deutlich und in Einzelheiten zu beschreiben, würde allein ein dickes Buch füllen.

Selig und betrübt zugleich lebte er dahin; einerseits erfüllt von unbeschreiblicher Wonne, die er als gleichzeitiger Entdecker der schicksalsschwangeren Geheimnisse fühlte, und andererseits mit einem unbeschreiblichen Weh, das er bei 228 dem Gedanken empfand: wenn jetzt Schwach's Vermögen nicht bei Rübe im Konkurs wäre!

Alte sprudelnde Gedanken kochten zuweilen in seinem Gehirn auf, und er erhob sich, wie das wilde gefangene Eichkätzchen, zu einem Sprunge; aber gleich legte er sich wieder ruhig nieder, besänftigte sein Gemüth mit dem Memento der Lehre, und war wieder der neugestaltete Schnepselmann.

Das Glück hatte ihm, dem Urheber alles Unglückes für Schwach, wieder gelächelt. – Wenn er nur mehr, mehr thun könnte!

Poll war wieder der alte Theaterdirektor einer stummen Truppe, aber desto beredeter. Wenn ein anderer Darsteller nur Held oder zärtlicher Liebhaber, Vater, oder komische Figur war, so war er ja mehr als alle diese Einzelnen, – er war Alles zusammen, grimmiger Held, sanfter Gaugraf, Hanswurst und Rinaldo, Schmerzenreich und Käsperle – eine ganze Welt! – Er war wieder der alte, aufgeräumte, lustige, parodistische Philosoph aus dem Volke, der sich dumm stellte wenn es galt den Andern ihre Dummheit zu zeigen, lustig wenn ihm das Herz weinte, und weinend zuweilen wenn sein Herz lachte!

Poll erhielt, durch die Glück in sich tragenden und Glück verheißenden Ereignisse, nicht nur seinen alten Humor wieder, der etwas gelitten hatte, sondern sein Geist ward noch geschärfter, witziger, lustiger, selbstvertrauender! Das Schicksal hatte ihm, durch günstigen Zufall, verholfen wenigstens einen kleinen Theil seiner unendlichen Dankbarkeit gegen Schwach abtragen zu können; er fing daher an sich selbst zu glauben an, hoffte wieder auf seinen Glücksstern 229 und gewann kühnen Muth und lebhaften Geist zu Unternehmungen.

Nicht seinem eigenen Nutzen sollten die Unternehmungen, seinem Herrn sollten sie gelten!

Schwach war ja noch bei Weitem nicht der Alte, der Sorglose, Gemüthsfrische von sonst!

Käsemenger war noch immer eigensüchtig und erpicht genug, Schwach Geld aus der Tasche ziehen zu wollen. Wol wußte der spekulirende Vater von dem zweiten Prozesse. Doch Ziesewitz war sein Advokat. Und dieser herzlose Taxen- und Stempelmensch, der sich an Schwach nun rächen wollte, ließ Käsemenger nicht von der Klage abstehen, sondern eiferte ihn stets noch an, den Prozeß fortzuführen.

Ziesewitz's Raisonnement war: wenn Schwach auch nicht als Erbe erklärt würde, so könnte ihm doch irgend ein Theil des Vermögens nicht abgesprochen werden. Und wenn auch bei Rübe die Konkurs-Masse kleine Theile zum Ersatze abwerfen sollte; so würden sie doch am Ende immerhin mehr betragen, als der Prozeß kosten könnte. Die Kosten des Prozesses müsse Schwach in dem allerschlimmsten Falle tragen – darum nur fort prozessirt!

Mit diesen Schlüssen, eben so schlau als richtig, hielt Ziesewitz den Papa Käsemenger immer auf der Hetze hinter Schwach. Und Ziesewitz, der seine Absichten durch die Entdeckung und Gefangennehmung Wolf Jochert's einerseits vereitelt sah, legte nun noch mehr Gewicht darauf, aus einer begonnenen Sache doch jedenfalls Geld herauszuschlagen.

So war der Stand der Dinge in diesen Angelegenheiten, als Schwach seine anderweitigen sich doch ein wenig bessern sah. 230

Ein Kontrakt zwischen Käsemenger und Schwach war vorhanden, das wußte Poll. Und ein deutlich stilisirter, unterschriebener Paragraf, ist immerhin eine scharfe, gefährliche Waffe in einem Prozesse. Auf dem Wege des Prozesses war also dem Käsemenger, mindestens auf lange, lange Zeit nicht beizukommen. – Und immer und immer sollte die Kränkung und die Gefahr für Schwach bleiben?

Poll, den dies stachelte, als führte Käsemenger gegen ihn selbst den Prozeß, Poll dachte auf List.

Es war ihm, als müßte er seinem Herrn noch ein gutes Andenken hinterlassen, ehe er gehe; denn Schwach werde in den neuen Verhältnissen keinesfalls seine Pflege in Anspruch nehmen und seiner Hilfe bedürfen, wie er Anfangs, selig in Betrübniß, geglaubt.

Poll Hinze strengte daher seine »Philosophie« an. Nächte lange lag er wieder in »philosophischer Dummheit«, wie er sich zu seiner Zukünftigen ausdrückte; und das Ergebniß dieses »metaphisischen Blödsinns« – wie vielleicht ein höherer Philosoph sagen würde – war ein Plan.

Schnepselmann war ein Mitwisser des Planes. – Er war nicht nur ein Mitwisser; sondern händereibend, lächelnd, jubelnd, Hilfe versprechend, hatte Schnepselmann den Plan angenommen.

Die Konferenzen mit Poll häuften sich in sehr angelegentlicher Weise, die Tage des Verhängnisses rückten sogar schon heran – die Vorbereitungen waren im vollsten Zuge.

Wir gehen darüber hinweg, wie oft Poll, zu bedeutendem Kopfschütteln seiner Zukünftigen, aus dem Hause war. –

Eines Tages harrte er daheim sehr gespannt und sendete sein Auge öfter als sonst zum Fenster hinaus, nach 231 der Straße, oder harrte hinter der Küchenthüre, als erwarte er eine wichtige Person.

Sie langte an, sie zog an der berühmten Thürklingel, sie war da – Madame Thusnelda Blüthebusch!

Ganz so schwarz gekleidet, eben so dicht verschleiert wie früher, war sie vorhanden. Mit derselben tragischen Stimme frug sie um Schwach, mit denselben dramatischen Schritten schritt sie zu seiner Thüre.

Poll, der ihr nicht öffnete, sondern dies Geschäft Madame Trullemaier überließ, zog sich bei ihrem Erscheinen hinter die Küchenthüre zurück, öffnete aber rasch die Vorzimmerthüre, als Madame Blüthebusch ihren »Bruder« begrüßte, und ließ den verabredetermaßen eingetroffenen Schnepselmann leise herein. Dann traten sie Beide leise, auf den Zehen, zu Schwach's Thüre und horchten.

Madame Trullemaier stand und staunte.

Drinnen bei Schwach wurden alle Tragiker, von Aeschilos und Euripides, bis auf die neueste Zeit, in einem Gemenge rührender Frasen losgelassen.

Nach einer langen, sehr ergreifenden Rede, rief Madame Blüthebusch: »Ja, ja, ich fühle es immer mehr, ich bin Ihre, o erlauben Sie mir zu sagen: Deine Schwester!«

Dies hielt Poll für den günstigen Moment, die Thüre zu öffnen und einzutreten. »Wer sind Sie?« rief er kühn, zum Erstaunen Schwach's und der Tragikerin. »Grete Solger, wie heißen Sie?«

Grete Solger, die herumziehende Komödiantin, denn keine Andere war sie, erzitterte am ganzen Leibe.

»Haben Sie die Güte, sich gefälligst zu entschleiern,« sagte Poll gleichgültig-kühn. »Wie? Ich bin Ihnen ganz 232 aus dem Gedächtnisse gekommen? Thut mir leid! Ich heiße Poll Hinze, Ihnen aufzuwarten. Ich genieße die hohe Ehre, mit Ihnen aus einem Dorfe zu sein! Unaussprechliches Glück, mich Jugendgespiele bei Ihnen nennen zu dürfen,« sagte Poll mit dem parodistischsten Ernst und den würdevollsten Komplimenten. »Keine Geschichten, Grete,« sagte er endlich glatt, als diese noch zögerte; »wir kennen uns!« –

Grete Solger, aus eigener tragischer Uebersetzung und mit dem nom de guerre: Thusnelda Blüthebusch, zitterte wie eine Verbrecherin und hatte nur den Muth, vor sich zu hauchen: »Ich . . . verstehe nicht . . .«

»Sie verstehen nicht?« sagte Poll nachdrücklich. »Nun so will ich deutsch reden! Wenn Sie sich weigern einzugestehen, wer Sie sind und wie Sie heißen, so wird Herr Schnepselmann, den Sie auch betrogen, die Güte haben, zum besseren Verständniß, die Polizei zu holen!«

»O, unter solchen Umständen jedenfalls!« sagte Herr Schnepselmann, der auch schon im Zimmer war.

Das Wort Polizei fuhr der Dame elektrisch ins Innere, sie stieß ein dramatisches »Oh!« hervor und war sehr zu einer Ohnmacht geneigt.

Poll schob ihr rasch einen nahen Stuhl zur Seite und ließ sie, hinsinkend, darauf Platz nehmen. »Gefälligst!« – Sogleich aber entschleierte er sie und sagte lächelnd: »Es thut mir leid, wenn Ihre Gefühle Sie so angreifen; aber ich denke, es thut uns Beiden besser, wenn wir uns ohne Schleier, von Angesicht zu Angesicht sehen. – Also, Nachbars große Grete – wir sagten einst Du – aber jetzt hören Sie! Sie haben sonst blos bei herumziehenden 233 Dorftruppen gespielt, wo wir manchmal zusammengetroffen; nun haben Sie aber auch in der Stadt und bei Herrn Schwach eine Komödie aufgeführt; und wer weiß, welche abenteuerliche Vorstellungen Sie noch bei Andern gegeben haben – nebst den frommen Werken, die Sie gut kennen!«

Schnepselmann hustete bedeutungsvoll.

»Sie haben nun,« fuhr Poll fort, »die Wahl zwischen Polizei und einem Vorschlag, der sein Gutes hat, sowol für Sie, als für Andere!«

»Hören Sie nur genau meine Liebe,« sagte Schnepselmann, und machte sein ernstestes Gesicht. »Sie haben die Wahl und würden noch dazu belohnt für einen redlichen Dienst!« Darauf fuhr er sich verlegen durch die jetzt seltener gewirbelten Hare.

Schwach stand und hörte erstaunt zu.

»Ihr armer Bruder Karl,« fuhr Poll wieder fort, »den Sie ganz verlassen haben, Grete – ist todt. Er war mütterlicher Seits nur Ihr Stiefbruder, doch aus den Händen des Vaters haben Sie ihn nicht genommen, was Sie lange hätten thun können. – Jetzt ist er todt. – Karl hat sein Elend vielleicht Ihnen zu verdanken, Grete. Sie haben sich von dem unverbesserlichen Säufer, der mit Ihnen bei den Dorfkomödien herumzog, bald losgemacht; aber Karl haben Sie ihm überlassen, wie ein Lumpenbündel, wie einen Stein. Das ist vorüber. Karl ruht im Grabe, und wo Ihr Vater ist . . . weiß ich nicht. Vielleicht verantwortet er auch schon, was er auf der Erde gethan!«

Blüthebusch-Solger schluchzte hinter dem Schnupftuche, ob ernst, oder als Komödiantin, wird nie enträthselt werden.

»Karl ist gestorben in meinen Armen, in meinen 234 Armen Grete, und hat mir ein Erbe hinterlassen. Das Häuschen, worin seine Mutter gewohnt, hat ihm diese Selige mit einem Kontrakte hinterlassen, wodurch dasselbe bis jetzt schuldenfrei gemacht wurde. Das Häuschen ist mein, mein und gehört keinem Andern! Ich wäre aber bereit, das Häuschen der Grete zu geben, wenn Sie Ihre Komödie mit Herrn Schwach gut machen, durch eine andere Komödie – Grete! Wir Alle wünschen sie, und wir stehen Alle dafür ein, daß sie ohne Gefahr ist. Wollen Sie, Grete?«

»Bedenken Sie!« sagte Schnepselmann und legte gewichtig seinen Zeigefinger an die Nase.

»Sie sind bereit, Grete?« fragte Poll.

Grete Blüthebusch, Thusnelda Solger, schüttelte zustimmend das enttragisirte Haupt.

»Und das wird die letzte Komödie sein? – Und dann wollen Sie in Ihrem Dorfe als ehrsame Person leben?«

Abermals natürliches Kopfschütteln ohne szenische Kunst.

»Darf ich bitten?« sagte Poll und streckte ihr sehr zeremoniell seinen Arm, gebogen wie einen Krughenkel, hin. – Fräulein nahm ihn zögernd, Poll machte ein sehr würdevolles, tragisch-parodistisches Kompliment mit ihr gegen Schwach, und verschwand an ihrer Seite, mit ihr aus dem Zimmer.

Schnepselmann eilte rasch zu Schwach, schüttelte diesem, der erstaunt Mehreres fragen wollte, die Hand, verhielt sich jedoch geheimnißvoll und vertröstete Schwach's Neugier auf die Zukunst. 235

Als der überraschte Schwach doch zu dringend wurde, entgegnete Schnepselmann schlau lächelnd: »Nur Geduld, Geduld!« und eilte den Beiden nach.



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