August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Einundfünfzigstes Capitel.

Leben und Sterben eines Kunstreiters.

Durch die Straße, in der Schwach wohnte, ritt eines Tages, in vollem Galoppe, ein kräftig gebauter, eleganter Reiter.

Er war kein Kavalier, der blos zu seinem Vergnügen durch die Straßen dahinsprengte. Er mußte es eilig haben. Ob in eigenen Angelegenheiten oder im Dienstauftrage, ließ sich freilich nicht errathen; denn der Reiter war mit dem gebräuchlichen Gewande der Leute vom Fach bekleidet, nämlich mit hirschledernen, eng anschmiegenden Beinkleidern und hohen, glänzenden Reiterstiefeln.

Mitten in der Straße hielt er plötzlich, nach einem einzigen Rucke am Zügel, das Pferd an, sah auf einen Zettel den er in der Hand hielt, und ließ sein Auge nach den Nummern der Hausthore umherschweifen. Dann, mit einem neuen Rucke am Zügel, setzte er sein Roß wieder in raschen Trab, und nach kurzem Trabe war es vor dem Hausthore Schwach's.

Dort stieg der Reiter ab, gab sein Roß einem Jungen, der herbeigeeilt war, zum Ueberwachen, und eilte die Treppe hinauf, an Schwach's Thüre.

Madame Trullemaier, von der Klingel heftig gerufen, eilte an die Thüre.

Da stand Hermann Krulle, den sie wol nur einmal gesehen, aber gleich wieder erkannte, vor ihren Augen.

Mit freudig pochendem Herzen machte sie dem Künstler 17 ihr Kompliment, in der Hoffnung der erfreulichsten Anrede. Krulle strich aber, fast finster, seinen gewaltigen schwarzen Schnurbart und fragte eiligst: »Poll Hinze zu Hause?«

»Poll . . . Ja . . .« stammelte die Dame, ein wenig verwirrt und unangenehm überrascht. Kaum jedoch, als sie Poll aus dem Zimmer seines Herrn rufen wollte, und der Reiter, galant, die Frage um ihr Befinden halb ausgesprochen hatte, erschien Poll von selbst.

»Ah Krulle! – Kranz wieder hier? – Was bringt Sie hierher?« rief Poll und streckte ihm vergnügt die Hände entgegen.

»Eben nichts Freudiges und von Bedeutung!« sagte Krulle ernst. »Solger schickt mich. Das heißt ersuchte mich, da ich in die Stadt ritt, auch hierher zu reiten und den Hinze zu holen. Solger ist krank. Er sagt, ernstlicher als wir Alle es glauben wollen. Er bittet Euch dringend, gleich zu kommen!«

»Solger? . . . . Krank?« rief Poll.

»Ja,« erwiderte Krulle finster. »Wir sind übrigens erst angelangt. – Wollet und könnet Ihr kommen?«

Poll stand einen Augenblick ernst nachdenkend, dann eilte er, ohne Antwort gegeben zu haben, in das Zimmer seines Herrn, und nach wenigen Minuten war er wieder da.

Madame Trullemaier hatte kaum Zeit, ein begonnenes Erforschungsgespräch mit Herrn Krulle recht in den Zug zu bringen.

»Ich bin bereit!« sagte Poll entschlossen. »Haben Sie Pferde oder Wagen, oder gehen wir?«

»Unser Gasthof ist ganz außer der Stadt, auf dem nächsten Dorfe. Ich habe mein Pferd. Aber der 18 Pferdehändler auf dem nahen Platz ist bereit, mir jeden Augenblick Pferd oder Wagen zu leihen. Wählet!«

»Sogleich!« – Poll warf nur rasch seinen besten Rock um, reichte Madame Trullemaier die Hand, empfahl sich, versicherte bis Abend jedenfalls zurück zu sein und schied, die Dame ihrem Staunen überlassend.

Beim Pferdehändler angelangt, ward rasch ein Pferd aus dem Stalle gezogen, und Poll zeigte das alte, erfahrene Mitglied von Künstlergesellschaften, indem er sich kräftigst auf das Pferd schwang und mit bestem Anstande neben Krulle rasch dahin trabte.

»Wir sind vor drei Tagen erst hier angekommen,« entgegnete Krulle auf die Anfrage Poll's. »Die Geschäfte in *** waren durchaus nicht befriedigender Art. Wir haben Alles aufgeboten was wir konnten. Es lag in den Verhältnissen, daß es nicht besser ging. Städte von blos solchem Umfange sind rasch erschöpft, und die Kosten sind groß. Solger hat auch sein Möglichstes gethan. Auf seiner ganzen Hierherreise klagte er, und ich, wir Alle, finden ihn nicht blasser als sonst. Er ist zu wehleidig! Seinen Willen will ich ihm jedoch thun; und so bin ich um Euch geritten, denn er beschwor mich, den Hinze zu holen, er habe mit Euch zu sprechen. Was er Wichtiges haben kann, weiß ich wahrlich nicht!«

Darauf setzte Poll seinem Pferde die Fersen in die Weichen, und vorwärts sprengten sie, dem nächsten Orte und dem Einkehrwirthshause daselbst zu.

Das Einkehrwirthshaus, von dem Prinzipal gewählt, da die Stadtgasthöfe zu theuer rechneten, war ein Gebäude, wie man sie meist in der Nähe von Städten findet, halb Bauernhof, halb städtisches Wohnhaus, ein Gemenge von 19 Balken, Schupfen, Ziegeln, Heu, Krippen, Rädern, Brunnen, Leitern und Wagen, nie ohne den großen Ueberfluß an Kehricht und einen aufgeweichten, vielzerstampften Grund im Hofe.

Daselbst warf Poll seinem Rosse die Zügel über; ein Stallknecht faßte es rasch bei dem Gebißriemen.

Poll sah Krulle fragend ins Gesicht, dieser zeigte nach der Stallthüre, und Poll ging nach derselben.

Als er in den Raum treten wollte, starrte ihm die Düsterkeit entgegen, welche gewöhnlich in solchen Behältnissen für Thiere herrscht. Dazu kam noch der Dunst und der eigenthümliche Geruch, welcher von der ganzen Thierwirthschaft ausgeht. Poll sah in die düster-neblige Luft hinein und konnte anfänglich nur mit Mühe die Dinge unterscheiden.

Der Stall war sehr groß, mit stampfenden, wiehernden, kauenden, scharrenden und zerrenden Pferden gut besetzt; von der Balkendecke hingen Stroh- und Heuhalme, Spinnengewebe, Brettertrümmer und derlei, wie es bei solchen Gebäuden nie fehlt. An den schwarzen, halb vom Mörtel entblößten Mauern, hingen die Futter-Raufen, Peitschen, Sättel, Riemen, Stricke, Säcke, Laternen, in wirrem Durcheinander, und auf dem Boden standen und lagen, in verschiedenen Haufen, Stroh, Heu, Trinkeimer und Kehricht.

Das Alles verschwamm zuerst in undeutlichen Umrissen durch die neblige düstere Luft. Später aber konnte das anbequemte Auge Poll's schon die Gegenstände unterscheiden. Er sah fragend um sich. Da stieß die kleine gnomenhaft verwachsene Gestalt des Zwerges Wurz ihm auf, der ihn mit dem breiten, warzigen Gesichte seines dicken Kopfes freundlichst angrinste. Wurz nahm Poll schweigend bei der 20 Hand und führte ihn tiefer hinein, nach der Flanke. Da lag, auf einem Heuhaufen, bedeckt mit einer Pferdedecke, die das halbe Gesicht des Liegenden verbarg, eine fiebernde Gestalt, Karl Solger, der junge Kunstreiter.

Poll eilte rasch ganz an das Lager und bog sich bewegt über den armen Kranken.

Wurz schlich leise vom Lager, zu einem umgestürzten Trinkeimer, der gegenüber stand und setzte sich darauf, unverwandt nach dem Lager grinsend.

Solger mochte einen Augenblick geschlummert oder versucht haben, durch geschlossene Augen den Schlaf einzuladen; er schlug den Blick auf – und sah das theilnahmsvolle Gesicht Poll's, das über ihn gebeugt war.

»Poll!« rief er rasch, freudig aufzuckend, streckte eine magere Hand aus der Decke vor, reichte sie dem Angekommenen und versuchte sich aufzurichten.

»Was ist Dir – Solger?« fragte Poll bewegt, doch auch mit einer gewissen Festigkeit, in welcher Trost und Aufmunterung zum Selbstvertrauen für den armen Kunstreiter liegen sollte.

»Mir geht es schlecht, Poll.«

»Schlecht? Ein Bischen krank? Das gibt sich wieder.«

»Das gibt sich nicht, mein Guter!« sagte der Liegende mit schwachem Tone, indem er wehmüthig-ironisch das von langen, schwarzseidenen Haren umhangene Haupt schüttelte. Sein Gesicht war noch länger als sonst, die Wangen waren eingefallen, bald heftig angeglüht, bald sah die Haut so gelb und stramm, als wäre sie blos über Knochen gezogen. Die lebhaften Augen, die schwarzen, langen und dichten seidenen Hare, gaben diesem Gesichte einen seltsamen Ausdruck, der von der elenden Umgebung noch seltsamer gemacht wurde. 21 »Das gibt sich nicht,« sagte der Kranke; »ich bin alt genug und klug genug, um zu wissen, daß es mit mir aus sei!« –

»Aus!?« rief Poll erschreckt und setzte, nach kurzer Pause, tröstender hinzu. »Warum nicht gar!«

»Doch! Wir haben in letzterer Zeit große Anstrengungen gehabt.« Der Kunstreiter athmete heftig. – »Ich habe meinen »Cours rapide« täglich geritten. – Ich bin einmal vom Pferde gestürzt. – Aber nicht um das Leben hätte ich mir und der Gesellschaft die Schande gemacht . . . abzutreten. Ich habe mich lächelnd wieder . . . aufs Pferd geschwungen . . . in mir ächzte und zog Alles . . . als sollte es aus sein . . . und habe mein Stück zu Ende geritten. – Sehr vielen Beifall!« –

»So unbesonnen warst Du?«

»So unbesonnen? Poll . . . wie Du so sprechen kannst . . . Der elendste Dorfreiter . . . hätte doch dasselbe gethan. Hast Du je Einen gesehen . . . der nachließ, wenn er nicht Hals oder Beine brach . . . oder bewußtlos liegen blieb?«

Poll schwieg; gegen die Wahrheit konnte er nichts einwenden.

»Es hat nicht nur das gewirkt. – Es geht einmal zu Ende! – Auch die Pferde halten es nicht ewig aus. – Brustkrank . . . bleibt brustkrank. – Mein Bischen Lunge braucht sich endlich auf.«

»Also das alte Uebel?«

»Das alte Uebel . . . meine Brust.« Und der Kunstreiter hustete sehr heftig. zog sich fast krampfhaft dabei zusammen und streckte sich dann wieder steif und starr. Als 22 der Anfall vorüber war, warf er einen Klumpen Blut vom Munde aus.

»Blut!« murmelte Poll erschreckt vor sich hin.

»Blut,« antwortete der Leidende mit hauchender Stimme, ächzend, während sich sein knochiger Brustkasten heftig hob und senkte. »Blut . . . das ist's . . . das geht endlich ans Leben!«

»Warum bist Du nicht im Spitale, oder im Gasthof drin; und wo ist Dein Vater?«

»Im Spitale? – Als wir von unserer früheren Stadt wegreisten . . . war ich noch nicht so krank. – Leidende unserer Kraukheit . . . machen's lange, bis es endlich angreift. – Endlich greift's . . . seit heute Morgen. – Ich könnte in dem Zimmer bleiben wo wir schlafen . . . aber dort ist mir zu viel Lärm und Gepolter . . . hier ist's besser . . . und die Stallluft ist so warm. – Ich mag nicht ins Spital. – Wozu auf kurze Zeit so ganz neue und . . . lauter kranke Umgebung? – Besser hier.«

»Aber ein Arzt . . . .«

»Ich weiß nicht, haben Sie einen geholt oder nicht . . . ich glaube keineswegs. – Bei uns weist Du . . . ist Apotheke und Doktor beisammen. – Einen tüchtigen Guß Schnaps sagen Alle . . . das ist die beste Medizin.«

»Du hast ihn genommen?«

»Nein-nein, so verkehrt bin ich nicht. – Blutspeien und Brandwein . . . . neinnein . . . . . Ich brauche keine Medizin und . . . . keinen Arzt . . . Lungen können sie doch nicht machen . . . . darum will ich in Ruhe sterben.«

»Sterben? . . . Ei nicht . . . Du wirst wieder gesund.« –

»Laß das, Poll,« sagte Solger und griff mit seinen 23 hagern Fingern nach des Freundes Hand, die er innig drückte. »Du hast um meinen Vater gefragt.«

»Ja, wo ist er?«

»Liegt er nicht noch dort hinten auf den Strohbündeln? – Er hat mir ein tüchtiges Glas Schnaps gebracht. – Als ich aber zu trinken verweigert . . . nannte er mich einen albernen Jungen . . . und goß das Ganze selbst in die Kehle.«

Poll sah weiter vorwärts, an das obere Ende, und erkannte auf den Strohbündeln den grauen Kopf des alten Solger, der fest und tüchtig schnarchte.

»Mein Vater . . . Mein Gott! Poll! ist das kein Elend, im Stalle sterbend zu liegen . . . und der Vater . . . sucht einige Schritte davon . . . seinen Rausch auszuschlafen?«

»Aber, Solger, Du nimmst Dir so viel zu Herzen! Sei doch ein gescheider Junge, mein Guter. Deinen Vater kannst Du leider nicht ändern. Sorge jetzt um Derlei nicht! Sehe lieber wie Du gesund wirst, und denke an das Kommende. Ich will Dich in ein Spital besorgen.«

Da kam Krulle eben mit seinen großen Reiterstiefeln herbeigestiegen. »Nun, was sagt Ihr, Hinze? Es ist doch nichts Gefährliches! So ein Bischen Professionsleiden! Wenn alle unsere Kerle, die ein Bischen an der Brust gelitten oder Blut gespuckt, gleich vom Sterben gesprochen hätten, müßten wir schon gar keine Mitglieder haben! Ein Bischen gelegen und morgen aufs Pferd, und recht herumgejagt, daß es vom Sattel rinnt – das gibt frisches Leben!«

Poll schüttelte den Kopf und versuchte heimlich zu winken, da er doch nicht vor Solger von der Gefährlichkeit der Krankheit sprechen konnte. 24

Ein Stallknecht kam herbei, mit allen Zeichen der Aufregung im Gesichte.

»Der Scheck hinkt auf einem Hinterhuf!« meldete der Stallknecht an Krulle.

»Der Scheck! Donner und Wetter!« rief der Stallmeister äußerst erregt. »Wer war denn der verfluchte Hund, der das Pferd gewartet? Der Scheck!« Und er eilte besorgt hinweg von Solger, zu dem Thiere, und fluchte und tobte, streichelte den Hals des Schecken, untersuchte und befahl augenblicklich mehrerlei helfende Mittel.

Solger wendete das Gesicht nach der Gegend, wo der besorgte Stallmeister mit einer Gruppe eilfertiger Knechte sich befand. Er forderte dann Poll's Auge mit einem Blicke heraus und zeigte mit einem seiner dürren Finger nach der Gegend.

Poll ließ den Blick sinken und seufzte heimlich.

Wurz, der von seinem Platze aufgestanden war, vielleicht um auch den Scheck zu sehen, kam gleich wieder zurück und setzte sich auf den umgestürzten Trinkeimer in der Nähe, den er schon vorhin inne gehabt hatte. Dann stemmte er seine beiden Elbogen auf die Knie, seine Handflächen unter das Kinn und grinste wieder freundlich nach Solger und Poll hinüber.

Er war eine eigenthümliche Erscheinung, dieser verwachsene Zwerg. Wie er eigentlich wirklich heiße, wußte Niemand, vielleicht auch nicht einmal der Prinzipal. Wurz war nicht mehr jung. Wie alt, das wußte er selbst nicht; er konnte auf eine bezügliche Anfrage nur Pferdenamen nennen, oder eine Gesellschaft, mit der er gewandert und welche die Pferde geritten, die er gewartet. Wurz war sein Spitzname, denn er sah im Ganzen so knollig und knorrig 25 gewachsen aus, wie irgend eine alte Baumwurzel. Vielleicht mochten sie ihn auch »Wurzelmännchen« geheißen haben, womit die Kobolde und Alraune näher bezeichnet werden. Von dem langen Namen mochte später blos die Abkürzung Wurz zurückgeblieben sein, und dem Zwerg fiel es niemals ein, daß er je einen andern Namen gehabt, oder auch nur gehabt haben könnte. Er hörte darauf, wie ein Hund auf den ihm beigelegten Ruf. Von Reitergesellschaft zu Reitergesellschaft, mit denen er in langen Jahren gewandert war, pflanzte sich jedoch die Sage, daß Wurz nicht so mißgestaltet geboren wurde. – In der That, er war ein kleiner hübscher Junge, der rosige Engel, der einst mit den bunten Pappflügelchen auf dem Pferde ritt, und so viele Zuckerdüten von den Damen zugeworfen erhielt! – Bei einem mit der Peitsche erzwungenen Wagestücke stürzte der Kleine und schädigte beide Beinchen. Von diesem unglückseligen Sturze an, blieb der Junge klein, die Beinchen wurden nach der Heilung lahm, von den knotigen Knien angefangen standen sie unten nach auswärts, und die Schenkel wuchsen kaum vom alten Umfange. Brust und Rücken gestalteten sich höckerig, die Wirbel mußten wol beiderseits gelitten haben. Der Kopf wuchs sich breit und eckig mit den dichtbuschigsten Haren heraus. Das gelbe, alte, grinsende Gesicht besäte sich, nach der Zeit noch, durch die Lebensweise, mit Warzen. Nur die Hände blieben vollkommen gerade und lang, wenn sie auch derb, knotig an den Gelenken, und von der harten Arbeit muskulös waren. Doch kontrastirten sie sonderbar mit der kleinen, überall knotigen und höckerigen Gestalt, der sie fast bis an den Boden reichten.

Dabei war Wurz behändig und geschäftig und tummelte sich dahin, wo es etwas zu thun galt; natürlich im 26 Stallwesen; denn die andere Welt war ihm verschlossen und eine Wohnstube war ihm ein seltener, sehnsuchtreicher Anblick. – Seine schwer gewordene Zunge verhinderte ihn mittheilsam zu werden und sich unter die Andern zu mengen. Doch die Pferde kannten genau seine sonderbare, bald grunzende, heulende oder winselnde Sprache, und sie leckten seine rauhe Haut, oder sein verzerrtes Gesicht, wenn er zu ihnen kam. Dafür liebte er sie auch als seine Freunde, seine einzigen besten Freunde! Und ihn mit einem Pferde auf der Streu schlafen zu sehen, seine langen knotigen Hände um dessen Hals geschlungen, war bei ihm kein seltener Anblick. Diese langen knotigen Hände schlugen fast Räder um ihn bei jeder Beschäftigung.

Die Gesellschaft besaß an ihm einen Stallpintsch, und bedurfte sie bei Produktionen einer komischen Person, so mußte Wurz mit sich werfen, kurz machen lassen, was einem eben Tollen gefiel. Er diente dem allgemeinen Gelächter und that so doppelte Dienste. – Dreifache sogar, wenn man hinzurechnen will, daß Jeder an ihm seinen Zorn kühlen, oder seinen Muthwillen auslassen konnte, und peitschen, mit Füßen stoßen, kneifen und zerren, so viel es beliebte! –

Solger war fast der Einzige, dem es eingefallen war, daß der arme Krüppel und Zwerg auch noch und doch noch ein Mensch sei, und der demselben zuweilen freundlich that, oder ihn sogar aus den derben, elenden Fäusten der Stall-Humoristen rettete.

So saß Wurz und grinste nach den Beiden hinüber. In seinen Augen lag etwas, wie wenn der Hund seinen Herrn, oder eine Person des Hauses in Leiden ahnt. – Mochte er schon Manchen so gesehen oder begraben geholfen haben? 27

»Das ist der Einzige,« sagte Solger, nach Wurz zeigend, »der zu wissen scheint, was vorgeht und nach mir sieht. Kranz steckt in Rechnungen und hat schon wieder mit dem Aufbau eines neuen Zirkus in der Stadt zu thun. Die Andern bummeln, probiren, oder richten Pferde ab, und der Rest . . . Du siehst was sie thun.«

»Laß es gut sein, Solger; Du mußt aus diesem ganzen Kram heraus, wie Du nur gesund bist. – Und nein, nicht erst von da ab,« sagte Poll entschlossen, »gleich!« – Dabei erhob er sich von dem erbärmlichen Lager und machte Miene davonzueilen, um Anstalten, nach seinem Sinne, zu treffen.

Der Kunstreiter griff rasch nach dem Rocke Poll's und hielt ihn mit der magern Hand fest. »Nein Poll. ich bitte Dich, lasse mich! – Es ist nicht der Mühe werth!« – Er hustete krampfhaft, ließ aber auch, wie krampfhaft, von Poll's Kleide nicht los. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, ächzte er weiter: »Es dauert nicht mehr lange, mein guter Hinze . . . glaube mir . . . ich kenne mein Bischen Lunge . . . und werde mich nicht täuschen . . . in wenigen Tagen . . . vielleicht heute . . . geht's zu Ende.«

Poll's Augen wurden feucht.

»Wäre es nicht sonderbar, fast lächerlich . . . all' sein Lebenlang im Stalle zugebracht zu haben . . . und nicht . . . das Bischen Sterben dort abthun zu wollen? – Nein Poll, es ist mir boshaft-wohl . . . ich sage Dir es offen . . . boshaft-wohl . . . daß sie mich dort sterben lassen müssen . . . wo sie mich haben leben lassen. – In solchen Orten habe ich mein Leben verbracht . . . kein Heim . . . kein Haus und Hof und Herd . . . Niemand, der nach mir sah . . . die Peitsche . . . der Stallmeister . . . die 28 Dressur. – – Meine arme Mutter! –« Der kranke Reiter weinte still einen Augenblick, dann fuhr er ruhiger und gefaßter weiter. »Ich betrachte es als ein Glück . . . daß wir gerade hieher und in Deine Nähe kamen. – So habe ich Dich, Poll . . . den Einzigen, der mich noch von draußen . . . von der Welt . . . von dem Dörfchen meiner Kindheit kennt! – Mir ist so wohl, Poll, daß ich Dich sehe! – Das ganze Wäldchen hinter unserem Dorfe . . . erschließt sich mir . . . und der Garten, in dem ich daheim gespielt. – Du warst schon ein großer Bursche, als ich ein kleines Kind war . . . aber Du warst immer so gut gegen mich! – Weißt Du noch . . . wie mich mein Vater zu Hause schlug . . . und Du mich rasch auf Deinen Arm nahmst . . . und mit mir davon liefst?«

Es war das eine Erinnerung von beiläufig fünfzehn Jahren; und, wie in jeder düstern Gegenwart, tauchte in dem Unglücklichen die glücklichere Vergangenheit auf. Bog sich bei ihm schon, zum Simbol der Ewigkeit, der Anfang zum Ende?

Poll lächelte unter Thränen; daran hätte er nie mehr in seinem Leben gedacht!

»Ich habe Dich rufen lassen,« fuhr der Kranke, nach einem heftigen Hustenanfalle, wieder schwach fort, »weil ich Alles vor meinem Ende beisammen haben möchte . . . das Vergangene und das Jetzige. – Und Du bist mir für jetzt . . . meine ganze verflossene, freudige Welt! . . . das Andere habe ich Alles hier herum . . . Zudem . . .« Ein Fieberschauer rieselte über den Körper des Sprechenden, »habe ich Dir noch Manches anzuvertrauen. – Poll, gehe nicht mehr von mir . . . wenigstens . . . bis heute Abend . . .! – Willst Du? – Ich bitte Dich!« 29

Poll stimmte zu.

»Und mache keinen Versuch . . . mich von hier weg bringen zu lassen. – Verspreche mir das! – Mir ist so erbärmlich-wohl hier,« und er preßte die geballte Faust an seine kranke Brust, »so erbärmlich-wohl . . . ich kann's nicht anders ausdrücken. Laß mich hier . . . willst Du? – Wenigstens bis morgen! . . . versprich mir's . . . ich bitte Dich! . . . willst Du?«

Poll ging endlich auch auf das ein.

»Und nun erzähle mir von Dir und der Welt, in der Du lebst. – Bist Du verheiratet . . . und hast Du Kinder? – Oder wirst Du heiraten? – Poll! wie glücklich bist Du in Deiner jetzigen Stellung . . . wol nur ein geringer, im Dienste befindlicher Mensch . . . aber Du kannst doch noch ein stilles, ordentliches Mädchen oder braves Weib heiraten . . . und ein gewöhnlich Leben führen!« –

»Solger, sprich lieber weniger; Du strengst Dich zu sehr an.«

»Laß mich sprechen. Ich werde so nicht mehr viel sprechen. – Wie süß, wie süß,« fuhr der Kranke fort, »ist so eine stille, trauliche Stube, die man sein nennt . . . wo Alles sein altes, gewohntes Plätzchen hat . . . und man es wiederfindet, wenn man es braucht! – Wenn Du aus der Thüre trittst . . . so sagen Dir die Kinder oder Nachbarn . . . guten Morgen! . . . aber Du siehst nicht täglich fremde, neue Gesichter . . . die Dich anstarren wie . . . ein Menagerie-Thier.«

»Lieber Solger! Jetzt gräme Dich nicht; auch für Dich kommt bald Anderes, recht bald, ich verspreche es Dir!«

»Was für mich kommt, Poll, kannst Du nicht aufhalten. – Und es ist gut so. –Es ist das Beste! – Wie hätte 30 ich leben können! – Ach, hätten sie nur gewartet bis ich einen Gran Verstand selbstständig entwickelt hätte . . . um über mich, als Knaben, zu entscheiden . . . was aus mir werden solle! – So aber haben sie mich verkauft . . . verrathen . . . verderbt! – Hier . . . hier . . .« er preßte die Hand an die Brust, »das ist mein Lehrbrief und Wanderbuch . . . in die andere Welt!« –

»Sie haben mich verkauft, sagte ich? – Wer? – Meine Mutter auch? – Nein, nein, meine süße Mutter! – Aber Er, Er! – Das ist das Unglück . . . daß, wer einmal in das herumziehende, in das haltlose Leben hineinkommt . . . sich nicht anders zu helfen weiß . . . als auch noch die Seinigen . . . in das anlockende Verderben zu stürzen! – Ich habe das oft gesehen. – Er hat mich verkauft . . . er zehrt von mir . . . o, ich werde bald aufgezehrt sein!« –

»Wo ist denn der Alte, der verdammte, besoffene Kerl!« rief Krulle im Stalle, Solger den Vater meinend, der immer nur der Alte hieß. »Er hat den Scheck zur Trenke geführt!« rief Krulle. »Die Hetzpeitsche über den verdammten besoffenen Kerl!«

Solger, der Alte, erhob sich murmelnd auf dem Strohhaufen, fiel aber wieder, von dem Branntwein bewältigt, in thierischer Stumpfheit auf das Stroh zurück.

»Hörst Du,« sagte Solger mit schwerem Athem, »wie sie mir die letzten Stunden . . . in meinem Familienkreise verschönen?« Er wollte lachen, aber der Husten ergriff ihn diesmal mit stärkeren Klammern. Er wand sich unter den heftigen Angriffen. Und als ein Blutauswurf seinem augenblicklichen Schmerze ein Ende gemacht hatte, blieb er erschöpft und gerade ausgestreckt auf seinem elenden Lager 31 liegen. Poll unterstützte seinen Kopf und hielt, knieend, ihn in seinen Armen. Wurz kam in die Nähe und grinste und richtete dem Kranken die Pferdedecke zurecht, dann ging er wieder zu seinem umgestürzten Trinkeimer und starrte von dort, dämonisch oder blödsinnig, auf den Kranken.

Solger's Haupt lag matt auf dem sanft haltenden Arme, seine Augen waren geschlossen, sein Athem ging schwer und fieberhaft. Poll ließ ihn leise auf das Heu zurücksinken, erhob sich, winkte nach Wurz, und ging davon.

Wurz nickte und grinste zurück, als hätte er verstanden, er solle Acht geben. Von diesem Augenblicke an saß der verwachsene Zwerg, wie ein Hund, dem eine Bewachung anvertraut ist, und rührte sich nicht, unverwandt nach Solger starrend. Man hätte ihn nur müssen mit Gewalt wegreißen, damit er sich vom Platze rühre.

Poll ging aus dem Gasthofe, nach dem Dorfe, um einen Arzt zu suchen.

Nach langem Herumirren fand er die Wohnung eines solchen. Doch der Arzt war nicht zu Hause und wurde erwartet. Nach fast zwei Stunden kam er. Poll führte ihn in den Gasthof und, zu dessen Ueberraschung, in den Stall. Doch der Krankenbesuch war vorausbezahlt, und der Medikus folgte.

Als Wurz Poll mit einem zweiten Herrn ankommen sah, errieth er instinktiv die Absicht; er sprang von seinem Sitze und zeigte mit seiner langen, knorrigen Hand nach dem Lager des Kranken.

Solger war inzwischen erwacht, aber aus Erschöpfung wieder eingeschlafen. Die andern Mitglieder kümmerten sich nicht viel; der Scheck war zu kuriren, der Braun neu zu beschlagen, der Schimmel zuzureiten, ein anderes Pferd 32 wieder anders zu behandeln, kurz es war viel zu thun, denn ein neuer Schauplatz war wieder vorzurichten.

Der Arzt neigte sich zu dem Kranken, besah aufmerksam dessen Züge, und behorchte mit sorgfältigem Ohre das Athemholen. Von dem Blutausbruche und den andern Umständen hatte ihn Poll schon unterrichtet.

»Hott! – Hurrah!« rief Solger jetzt plötzlich im Schlafe auf. »Vorwärts, mein Schwarzer! – Doppeltes Trampolin! – Das Tuch ist schwarz! – Warum ist das Tuch schwarz! – Weg mit dem schwarzen Tuche! – Ah, die Lampen! – Alle Logen voll! – Letzte Vorstellung! – Course rapide! – Hurrah! – Vorwärts Schwarzer! – Sie applaudiren schon! – Hurrah! – Galopp, Galopp!«

Der Arzt, nachdem er dieses Fantasiren gehört, trat leise einige Schritte zurück und winkte Poll, ihm zu folgen. Poll that es. »Sind Sie der Bruder des Kranken, oder dessen Verwandter?«

»Nur ein Freund.«

»Dann darf ich es Ihnen frei sagen,« flüsterte der Arzt, »daß der junge Mann wenig Hoffnung hat. Die Lungenschwindsucht ist im höchsten Grade vorhanden. Vom blutgemengten Eiter des Ausbruches sah ich an seiner Seite. Der Athem ist sehr unsicher, und das Delirium zeigt mir vollends die naheste Auflösung an. Machen Sie sich gefaßt auf das Schlimmste.«

Poll sah sehr düster und bewegt zu Boden. Endlich fragte er: »Wie lange kann es doch noch dauern?«

»Wenige Tage, es hängt vom Zufalle ab. Vielleicht nur bis morgen. Vielleicht auch nicht so lange. Es wird gut sein, wenn Sie sich vorsehen. Ich könnte Ihnen Medikamente verschreiben; aber soll ich ehrlich zu Ihnen sprechen, 33 so ist Alles vergebens und jeder Heller umsonst angewendet. Der Transport vollends, wäre sein Ende!«

»Armer Junge!« rief Poll halblaut; »so ist es aus mit Dir!« Und die Thränen drängten sich ihm über die Augenränder.

»Legen Sie ihm Kopf und Brust stets hoch, dies ist das Einzige, was Sie zu seiner Erleichterung thun können. Er wird nach einem heftigen Anfalle leise verhauchen. Kann ich sonst etwas für Sie thun?«

»Nein, ich danke.«

»Gott befohlen!«

Somit ging der Arzt, und Poll blieb mit dem jungen Freunde zurück, den er endlich wirklich sterbend wußte.

Er setzte sich an seiner Seite auf einen Holzpflock, stützte das Haupt in die Hände und sah bald auf den schlummernden Kranken, bald auf den Boden. – Wurz saß ihm gegenüber, ebenso düster und traurig, doch manchmal versuchte er ihm theilnahmsvoll und freundlich unter die Augen zu grinsen.

»Schon gut, Wurz, Du bist ein treuer alter Kerl; Du hast mir's auch nicht schlecht gemeint!« flüsterte und nickte ihm Poll hinüber, und Wurz hätte ihm mögen die Füße dafür küssen, daß er ihm ein so gutes Wort gesagt. Der arme Krüppel hörte so selten ein halbwegs geneigtes Wort; Rippenstöße, Peitschenschläge, muthwillige Quälereien zum Spaße, waren seine tägliche Ernte! Er eilte auf Poll zu, streichelte seine Hände und seinen Rock, winselte fast wie ein Hund, legte zum Ueberflusse einen Zipfel von der Decke des Kranken auf dem Heu zurecht, mit einer Miene und so scheuer Hand, als wäre er sich bewußt, ein Heiligthum berühren zu dürfen. Dann zeigte er auf die Strohbündel, 34 wo der alte Solger lag, mit einem scheuen Blicke, und setzte sich wieder auf seinen Trinkeimer, still und stumm, starrend wie vorhin.

Der Nachmittag war rasch vorgerückt; der Alte war schon an dem Lager seines Sohnes vorübergegangen und hatte nach ihm gesehen. – »Das thut er mir absichtlich, der verdammte Hund von einem Jungen!« knirschte der Vater, noch halbtrunken. »Wenn sie ihn nicht mehr brauchen können, dann jagen sie auch mich zum Teufel. Der verdammte Junge!« Und er fühlte einen so grimmen Schmerz, daß er wieder in die Schenkstube eilte und ein volles tüchtiges Glas scharfen Brandweines hinabgoß. Abermals ging er dann zu den Strohbündeln und wälzte sich betrunken darauf herum.

Solger erwachte. Sein irres, zugleich feuchtes und glühendes Auge traf Poll. »Bist Du noch da?« frug er mit schwachem Tone.

»Wie geht es Dir mein Junge?«

»Stündlich besser . . . es wird bald ganz . . . gut sein. – Wer ist noch hier?«

»Wurz.«

»Der stört nicht.« – Wurz grinste. – »Wer noch?«

»Dort vorne flicht Einer eine Peitsche.«

»Kann er uns hören?«

»Er ist zu weit weg.«

»Mein Vater?«

»Der liegt hinten auf dem Stroh und schläft fest.«

»So kann ich mit Dir reden?«

»Alles, mein guter Junge, was Du willst.«

»Poll . . . ich sterbe!« 35

Poll fuhr sich mit beiden Händen nach dem Gesichte und suchte es zu verbergen.

»Mein lieber, lieber Poll! Ich bin noch glücklich vor meinem Ende . . . daß ich einen Menschen um mich trauern sehe. – Ich weiß nicht, wie ich es Dir danken soll . . . das macht mir mein Ende leichter. – Mein junges Leben . . . es ist doch schade! – Es hätte können besser sein . . . und ich ein ehrsamer, nützlicher Mensch werden. – Das ist vorbei und bald vorbei!«

»Nun tröste Dich mit dem Jenseits.«

»Davon weiß ich nichts. – Ich bitte Dich, wenn Dir meine Ruhe noch etwas werth ist, mir Niemand, hörst Du. Niemand, zu rufen! – Wie eine Kirche aussieht . . . oder ein Pfarrer . . . weiß ich nur vom Vorübergehen. – Ich hoffe, daß mich dort Niemand verkaufen wird . . . und auch Niemand bezahlen . . . um meine Glieder zu brechen.«

»Dort wird Dich ein gütiger Gott aufnehmen und Dir Deine unschuldigen Leiden vergelten.«

»Meinst Du? – Mag sein! – Ich habe nie darum gebetet . . . aber auch nichts dagegen gethan . . . das gehört nicht zu unserem Geschäfte.«

»Nicht Du, die Dich geleitet, werden es zu verantworten haben.«

»Laß uns jetzt noch von dieser Welt sprechen . . . wo ich ein Kunstreiter war,« sagte mit schwerem Athem der Sterbende. – »Poll!« Und er rollte seine Augen, um zu sehen, ob kein Fremder ihn höre. »Ich habe Dir noch . . . etwas zu übergeben.«

Poll harrte stumm und neugierig auf das Folgende.

.,Ich trage ein altes Leinwandsäckchen an meiner Brust . . . darin ist ein Papier . . . das ist eine Urkunde . . . 36 daß mir meine selige Mutter . . . das Kleinhäuschen in unserem Dorfe übergibt . . . das sie bis zu ihrem Ende bewohnt hat. – Mein Vater hatte es mit Schulden belastet . . . die Selige hat mit dem Nachbar . . . einen heimlichen Miethkontrakt geschlossen . . . wonach das Häuschen . . . bis zum nächsten Jahre . . . abbezahlt wird . . . und mir gehört. – Der alte Hausirer hat mir auf einer . . . der letzten Messen . . . heimlich die Zuschrift des Häuschens gebracht. – Ich brauche es nicht mehr . . . ich bekomme ein noch kleineres . . . ruhigeres Haus. – Poll, wenn mein Vater das wüßte . . . er reißt mir die Schrift noch jetzt . . . von der sterbenden Brust . . . und versäuft das Geld! – Ich habe schon . . . glücklich geschwelgt in der Hoffnung . . . wenn auch als Tagelöhner darin zu leben . . . oder nur hinzugehen . . . um zu sterben. – Es soll nicht sein! – Hier hast Du die Schrift.« –

Der Kunstreiter sah sich sorgfältig um, und als er sich nicht bemerkt sah, schob er rasch, mit zitternder Hand, den Beutel Poll zu. Dieser nahm ihn und barg ihn rasch. »Was soll ich damit?«

»Versprich mir zu thun . . . um was ich Dich bitte.«

»Ich verspreche es.«

»Das Häuschen . . . ist Dein! – Poll, wenn Du alt werden solltest . . . und nirgends hin mehr wissen . . . dann gehe und lebe . . . in dem kleinen Häuschen meiner Mutter!« –

»Solger . . . wie kann ich das annehmen?«

»Es ist mein und meiner armen Mutter blutig Eigenthum! – Da, da . . .« er zeigte auf seine Brust, »ist mein Erwerbschein . . . nehme es . . . ich sterbe leichter, wenn ich weiß . . . ein Mensch hat es . . . und kein, 37 kein . . . . ich will nicht mehr schimpfen . . . Keiner der es versäuft.«

»Solger, hast Du nicht noch eine Schwester? – Ich glaube mich zu erinnern . . .«

»Eine Stiefschwester, seine Tochter! – Ich wollte von ihr zu Dir sprechen. – Sie hat sich um mich nie gekümmert. – Sie ist weit älter als ich . . . und konnte doch sich um mich besorgen . . . Sie hat sich nie nach mir umgesehen . . . ich habe sie lange Jahre nicht gesehen . . . ich weiß nicht wo sie ist. – Zieht sie noch mit Wander-Bühnen herum? – Hast Du sie nicht gesehen? –«

Poll zog seine Stirne in Runzeln, als dächte er tief nach. Plötzlich ward er von einem Einfalle durchzuckt. »Deine Schwester? . . . Ich glaube . . . ich weiß, wo sie ist.«

»Nun Poll . . . wenn Du glücklich wirst . . . und des armen Jungen, des Kunstreiters Häuschen nicht mehr bedarfst . . . . und sie lebt noch . . . . und ist im Elend . . . gebe es ihr zur Wohnung . . . daß sie nicht sterbe wie ich.« –

»Das soll sicher geschehen,« sagte Poll.

»Bei der Schrift findest Du eine andere . . . in der ich Dir Alles übergebe. – Lasse mich ehrlich begraben . . . das ist Alles!«

Der Kunstreiter athmete schwer, und Poll fand auf sein Widerstreben der Annahme keine Antwort. Nur ein leises, verneinendes Bewegen des Kopfes und ein Gedrücktwerden seiner Hand, von der heißen, knöchernen Solger's, war die Folge.

Draußen ging die Sonne unter, und durch ein schmales Stallfenster, ober dem Haupte Solger's, brach die goldige 38 Röthe herein. Sie spiegelte sich an der gegenüberliegenden schmutzigen Wand, und der lichte Fleck ließ, zum Gegensatze, den Sterbenden, den an seiner Seite knieenden Poll, Wurz den zusammengekauerten Zwerg und alle andern Gegenstände, im sonderbarsten Halblichte erscheinen.

»Kannst Du beten?« frug mit tiefbewegter Stimme Poll. –

»Wie . . . soll ich? . . . Bete vor.«

Draußen tönte eben die Abendglocke, Poll faltete die Hände und begann: »Vater unser . . .«

»Halloh!« gellte es plötzlich mit rauher Stimme, Peitschen knallten und ein Rudel von der Schmiede rückkehrender Pferde stürzte, unter Geschrei der Treiber, in den Stall. –

Solger wollte das »Vaterunser« nachsprechen, das wilde »Halloh« und Gestrampfe zuckten ihm in dem heiligen Augenblicke durch's Herz. – Er brach das halbgesprochene Wort ab, ein Schauer durchrieselte ihn vom Kopfe bis zu den Füßen, dann reckte er sich auf, glotzte wild und stier um sich, streckte die magern Hände vor und fantasirte, dilirirte:

»Course rapide! – Hurrah! – Letzte Vorstellung! – Hinüber! – Galopp, Galopp! –«

Dann sank er zurück, wand sich einige Augenblicke unter Krämpfen – bäumte sich wieder auf – ein Blutstrom entstürzte seinem Mund – er fiel auf's erbärmliche Lager. –

»Hinüber – Galopp!« hauchte er – und streckte sich starr – entseelt.

Ein junges, hoffnungsreiches, verlorenes Leben!

Wie er gelebt, so war er auch gestorben – das 39 einzige und letzte »Vaterunser« haben ihm die Treiber und Rosse zerstampft. –

Poll griff nach ihm – der Zwerg sprang von seinem Eimer, stürzte über den Todten dahin – ein wilder Schrei kam aus der verkrüppelten Brust – Wurz lag über Solger und klammerte sich fest um ihn – der Todte war sein Liebling, die einzige Seele, die für ihn gefühlt hatte! –

Der Alte auf dem Strohhaufen erwachte von diesen lärmenden Vorgängen. Er hatte dunkle Ahnungen, daß er nun tränken müsse. Er kam blöd glotzend, wankend, die wirren Hare mit Stroh untermengt, an die seltsame Gruppe bei seinem Sohne. »Halloh! Alles betrunken heute? Was soll's! Verdammter Junge! Auf! – Du mußt reiten!« Und er stieß wankend, mit schwerem Fuße nach der Leiche.

Wurz sprang auf, über den Trunkenbold, klammerte sich um ihn, wie die Spinne um das Insekt, und riß ihn zu Boden. Dann schlug und biß er auf ihn los – und hätte ihn sicher umgebracht, wären nicht die Andern zu den auf dem Boden Wälzenden herbeigeeilt. Wurz konnte nur mit vieler Mühe losgeklammert werden; er geberdete sich wie ein Rasender und wollte den Alten vernichten. Nur als man ihn zu Solger ließ, ward er wieder ruhig und sanft wie ein Kind.

Die Stallknechte merkten da erst was geschehen. Sie standen überrascht bei der Leiche.

Wurz wich nicht von der Seite des Todten, wohin man denselben auch brachte. Als der Sarg geschlossen und weggeführt werden sollte, fing sein Rasen wieder an. Erst als Wurz mit Gewalt zur Ruhe gebracht worden war, hörte sein Rasen auf. 40

Als man, nächster Tage, den alten betrunkenen Solger, der seit längst eine Last für den Prinzipal und jetzt gänzlich ohne Nutzen war, davonjagte, warf ihm Wurz zähnefletschend das kleine Bündlein nach, und stieß ihn mit einem lahmen Fuße aus der Stallthüre.

* * *

Das einfache Begräbniß war vorüber. Poll stand mit dem Stallmeister im Hofe des Einkehrhauses. Er sprach lange mit ihm über einen Jungen, der zur Kunstreiterei wolle. –

»Das versprechen Sie mir also, Krulle?« sagte endlich Poll, nachdem die Unterhandlungen wesentlich beendet waren. »Sie waren von jeher ein rauher, aber im Grunde doch guter Mann.«

»Was ich sage, halte ich. Er soll seine Lektionen bekommen, daß er bei Zeiten weiß, was Kunstreiterei ist.«

»Das wird ihm wohlthun und ihn vom Durchgehen zu andern heilen.«

»Ich denke auch.«

»Und wir werden Ihnen Alle dankbar sein.«

»Hat nichts zu sagen.«

»Bei allem Vesprochenen bleibt's. – Viel Glück für den neuen Zirkus. Adieu!« – 41



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