August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Zweiundsiebzigstes Capitel.

Käsemenger's brillanter Salon wird plötzlich wieder aufgezündet – Signora Casomini's Herz geräth neuerdings in Flammen – und bei diesem Strahlenglanze wird mancher alten Geschichte prächtig heimgeleuchtet.

Madame Käsemenger saß in ihrem brillanten Salon ganz so brillant wie früher.

Fräulein Esmeralda hatte wol noch die Froschfisiognomie von ehemals, aber sie war etwas mehr gealtert, das Gesicht war länger, die Züge waren noch mehr kalendarisch-unbestimmt, das Weiß der Augen glotzte mehr grau-gelblich. – Ob dies die Poesie oder die Musik verursachte, und wie dies ihre Reize erhöhte, bleibe Jedem zu denken überlassen. –

Vater Käsemenger hatte an Stimmumfang nicht gewonnen; aber der Kopf schien täglich noch schmäler, die Nase noch schneidiger werden zu wollen, wie etwa ein Braten-Messer.

An der Seite Fräulein Esmeralda's saß heute wieder, wie einstmals, Thusnelda Blüthebusch, die Tragikerin, die 236 lange den Käsemenger's verschwunden, aber endlich in dem geehrten Hause wieder erschienen war, um ihre Dienste zur Ausbildung in der Deklamation anzubieten.

Diese Dienste wurden auch angenommen; denn merkwürdiger Weise, trotzdem der »elegante Weltfreund«, und noch andere unelegante Geldfreunde, Fräulein Esmeralda in der Kunst immer weiter vorschreiten ließen, kam dieselbe doch immer mehr von dem Ziele ab: durch ihre Kunst ein Engagement bei einem Direktor und durch ihre Natur ein Engagement bei einem Dirigirten, nämlich Ehemanne, zu erwerben.

Herr Baron Schnurrer von Leerfeld war nicht zugegen. Er hatte in den »höhern Salons« so viel zu thun, daß er ganz auf die hundert Thaler vergaß, die er Herrn Käsemenger's Kanarikopf schuldig war. Es wäre sehr unelegant gewesen, diesen feinen Mann aus den höheren Salons herauszureißen und ihn zu einem Plebs hinab zu bringen, der nicht die hohe Ehre würdigt, das Bewußtsein zu besitzen, einen Baron Schnurrer von Leerfeld zum ewigen Schuldner gemacht zu haben!

Der weltgereiste Professor war auch nicht mehr zugegen. Seine Stelle hatte die lebendige musikalische »Zukunft« eingenommen, welche einst in der Akademie so gerecht die Alten gemeistert und auf die neuen, aber noch sehr kothigen Straßen der Tonmalerei hingewiesen. Die Zukunft mit zwei Beinen besaß noch immer sehr viel Hemdkragen und Halsmuskeln, aber bereits verschiedene Bärtchen.

Das Gefolge von Tanten und Onkeln war wie einstens zugegen.

Madame Thusnelda Blüthebusch hatte bei den Unterrichts-Stunden, wie einstens, Signora Esmeralda Casomini 237 sehr liebenswürdig gefunden, und war neuerdings erstaunt darüber, daß kein Mann sich noch das Glück ihres Besitzes als schönstes Ziel seines Lebens auserkoren. – Bereits nach den ersten Visiten rückte sie zaghaft mit einem Vorschlage heraus, den sie für »gewagt hielte«. – Sie wüßte einen Gutseigenthümer aus ihrer Gegend, sagte sie, welcher Kunst liebe, aber doch immerhin nur ein Mann vom Lande sei. Er sei ledig, und sie glaube, wenn Esmeralda Reiz am Gutsleben fände, so wäre sie, wie keine Zweite, geeignet, diesem Manne das Leben zu versüßen. Er sei nicht übel, habe ein gutes Herz und die Hauptsache: Haus und Landeigenthum. Madame Blüthebusch drückte sehr schüchtern ihre Zweifel aus, ob Signora Esmeralda einen solchen Vorschlag nur bedenkenswerth erachten werde.

Signora schwieg; aber der Baß der Mutter war häufiger über diesen Gegenstand zu vernehmen, und der Kanarikopf des Vaters pickte sehr häufig an diesem Gegenstande wie an einem Zuckerstückchen herum. Robert, zur Kavallerie übergetreten, brauchte noch mehr Geld als sonst; die Pferde bedurften erstaunlich viel Haferzulage und fraßen sich, sonderbarer Weise, häufiger lahm, als man dies von landesfürstlichen, wohl geschulten Kavallerie-Rossen in der Regel zu erwarten berechtigt wäre. Signora bedurfte daher, dringender als sonst, ehemöglichstes An-den-Mann-bringen.

Die wohlmeinenden Vorschläge Madame Thusnelda's wurden dem prüfenden Käsemenger'schen Terzette unterzogen. Das Adagio der Bedenken wurde zuerst angestimmt.

Müßte man den Schwach'schen Prozeß aufgeben? hieß es. –

Wer konnte aber in der Stadt über jenen Herrn Auskunft geben? 238

Agent Schnepselmann kannte, nach Thusnelda's Aussagen, den Herrn und seine Vermögensumstände sehr wohl. Aber der Agent, sagte sie, sei mit dem Hause verfeindet, noch von jenem unglückseligen Abende her, und es würde daher schwer halten, denselben zur Auskunft und Mitwirkung zu gewinnen.

Käsemenger's reizender Diskant übernahm diese Aufgabe als Solo; und Schnepselmann ließ sich nur nach Weigerung, besänftigtem Unwillen, und auf große Versprechungen hin, gewinnen – unbeschadet des Schwach'schen Prozesses. –

Der Agent Schnepselmann gab die allerbeste, erfreulichste Auskunft und that, einmal gewonnen, eifrigst das Seinige – Alles unbeschadet des Schwach'schen Prozesses.

Hierauf ward das Allegro des »Planes im besten Gange« angestimmt.

Und nun gelangte man zum großartigen Finale! Der Landgut-Eigenthümer sollte erscheinen, von Angesicht zu Angesicht sollten sich die beiden Geschlechter sehen, die voraus zur Billigung vorgelegten Kontrakte sollten unterschrieben oder verworfen, Esmeralda sammt ihrer Kunst, ihrer Poesie und ihrem Notizenbuche geheiratet oder verschmäht werden!

Herr Haus- und Landeigenthümer . . . . . . Hinze wurde von Schnepselmann nun sehr zeremoniell in den Sal eingeführt.

Herr Haus- und Landeigenthümer Hinze – Haus- und Bodenbesitzer war er zweifellos – hatte ein Gesicht, das uns nicht fremd sein kann; aber für Herrn und 239 Madame Käsemenger nebst Signora Esmeralda es durchaus sein mußte. Es strahlte mit sehr wohlgerundeten Backen und einiger Wohlbeleibtheit, die uns nicht neu sind, aber in einem Kostüme, das wir durchaus nicht an dem Haus- und Landeigner bisher gewohnt waren.

Der Haus- und Boden-Eigner ward umzingelt, präsentirt, angezirpt und mit dem Basson bewillkommt, das einst auch Herrn Herkules Schwach die gleichen Ehren angethan.

Signora Esmeralda war heute weniger schwärmerisch, ließ auch den »kranken Spatzen« oder »geheilten Sperling« in Ruhe, denn Poesie hielt sie im Grunde bedenklich an der Seite des Oekonomen, – aber sie blickte noch froschartig-eindringlicher, als sie damals nach Schwach geblickt. –

Nur Madame Thusnelda deklamirte eine für die Gelegenheit verfaßte ländliche Idille von Esmeralda's Poesie, »der Schutzgeist der Bohnen,« welcher bei Herrn Hinze sehr vielen Beifall fand.

Fräulein Esmeralda sang gegenwärtige und zukünftige Lieder, musizirte zwei- und vierhändig, von Meistern, die schon ans Ziel gewandert, und solche Musik, die sich noch im Vorschreiten die Stiefel zerriß. »Bim, bam, bum! hi, ha, ho!« tönte es wieder von Kehle und Klavier, und jeder großartige Schluß wurde mit endlosem Beifalle begrüßt.

Madame Käsemenger sah ihre stillschweigenden Mitanstrengungen beim Spielen und Singen belohnt. – Der Schweiß war nicht umsonst, auch die Kerzen, der Thee, die Limonade, die Mandelmilch, der Braten und Punsch waren nicht vergebens geopfert – Herr Haus- und Landeigenthümer Hinze erklärte lächelnd: er habe Alles über Erwartung 240 gefunden, und wenn die verehrten Schwiegereltern sich viel von ihm versprochen, so sollen sie doch noch in Zukunft ihre Erwartungen weit mehr übertroffen finden! –

Die Musik, der idillische Bohnengeist, die Zukunft, der Braten, die Aussichten ins Landleben, die Froschblicke und Kuchen waren verschlungen, der Beifall im Ueberflusse gespendet, Herr Käsemenger meldete hocherfreut und heimlich an Herrn Schnepselmann: seine Tochter habe gegen den jovialen und allem Anscheine nach gutmüthigen Herrn nicht nur nichts einzuwenden, sondern er gefalle ihr in seiner Heiterkeit und seinem ungezwungenen Anstande sehr.

Der Herr erklärte sich seinerseits ebenfalls sehr erfreut und für das Versprechen bereit. –

Diesmal waltete kein Mißverständniß ob, Alles war klar, rein, deutlich. –

Kerzen – Kontrakte – Seufzer – Kandelaber – Dintenfässer – holde Scham – Streusand – Unterschriften – – – Poll und Esmeralda sanken sich beseligt in die Arme! –

»Diesen Kuß der ganzen Welt!« 241



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