August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundsechzigstes Capitel.

Ein Briefträger und ein Briefempfänger bekommen Anlaß zum Staunen – ein verlorener Sohn.

Sehr sonderbar erschien dem Briefträger, einem so sprachenkundigen Manne, daß er aus allen Briefadressen, in allen Sprachen der Welt, die Namen herauszufinden vermochte – was sicherlich keine Kleinigkeit ist – der Name Bol Hint–se. Sollte besagter Herr von chinesischen Urvätern abstammen, oder sogar wirklich selbst ein Chinese sein? –

Als aber Poll Hinze den Brief persönlich entgegennahm und denselben als richtig hierhergehörig erkannte, als der Briefträger auch weder an der Person, noch an der Wohnung etwas Sonderbares, etwa Chinesisches finden konnte, ging er seiner Wege.

Poll besah den Brief von allen Seiten, beguckte den Bol Hint–se, der doch richtig nur ihm und keinem Anderen vermeint sein konnte, und nahm auch das Siegel in sorgfältig-neugierigen Augenschein.

Anfangs konnte er in diesem nur vier Dinge, die auf Vermuthungen über Thierbeine führten, unterscheiden; als sich aber, nach näherer Besichtigung, zu den vier Beinen noch ein Leib, ein Ferkelkopf und Hasenohren fanden, war wirklich Poll in Verlegenheit, zu welcher Klasse er, als Naturforscher, dieses Thier rechnen solle. Bei näherer Besichtigung fand sich ein Schweif mit Haren, die Idee an Kaninchen und Ferkel mußte also aufgegeben werden. Da 197 noch zudem die Beine absonderlich lang und gekrümmt waren, auch dem Thiere auf dem Rücken zwei Peitschen kreuzweise übereinander wuchsen, entschied sich endlich Poll für ein Pferd, und gelangte dadurch plötzlich zur erwünschten Erinnerung.

Er lächelte und sah um sich, ob Madame Trullemaier nicht in neugieriger Gegenwart vorhanden sei. Da dieß nicht der Fall war, erbrach er den Brief und las:

»Lüber Bol Hint–se!

Weul ich Innen ferschbrohchen zu Schreuben, wenn etfaß forfahlen solde, so Schreube ich Innen. Der Aleckzie hatt auch ausgelörnt, er ist schohn Gans ferdick. Wüh ich Innen meun Wohrd gegehben, so habe ich gedahn. Der Djunge sohlte etfaß wörden, oder die Krenke krihgen. – Ich habe dichdick zugehaud. Die Knohchen fon dem Djungen Sünd schohn Edfaß steuff, es Kunde aalsoh nüchts rechdz Meer aus ühm wörden, aals soh Euner fieh wühr Möhrehre haben im Iberfluhse. Ich habe aalsoh dichdick dreungeschlagen, dönn Ent wöder Oder, Oder Ent wöder!

Das Ente fohm Lühde Wahr, dahß er fohr Möhrehren Daagen dafongelauwen ist, Gans Braun und Blau, nücht möhr beu uns zu sehen, nücht im Stahle und nirgäns wo. Vieh Sie inn kriechen, söhen Sie aalsoh. Ich glauhbe Sie wörden inn in der Stad kriechen, dönn dordhühn Oder um der Stad hörum, Muhs er gelauwen seun, eß haben inn von Unz Leide gesöhen nahch der Strahse tzuh göhen.

Ich Kahn Innen nüchd sahgen, woh er seun Wirth. Aber söhen Sie tzu in den Höhrbergen, wo Aale die 198 Gummiödianten einköhren. Auff der Strahse sünd Möhrehre Kimi-Nasdicker gehwantert uhnd auch ein Zahwohjahrde mid eunen Mehrschweuneken, dihse haben süch viehleicht tzusammen geschlohssen. Säen Sih siech um, Sih wöhrden siech nüchd über mich Beglagen, er ißt gud gegörbt. Weuders Kahn ich nichts duhn fier seun Bößtes. – Ich Griese Uehnen uhnd auch seine Frauh Mudder, Aales vieh ich fersbrochen.

Hermann Krulle
Stahlmeuster.  

Notta-Beene: Die Brüll-Ante die Eusen-Schduhde ißt ein Gabidahl-Pförd!

Als Poll die sonderbare Epistel zu Ende gelesen hatte, sah er um sich, ob Madame Trullemaier noch nicht aus ihrem Zimmer, neugierig forschend erschienen sei. Als dies aber glücklicher Weise nicht der Fall war, schob Poll den Brief rasch ein, und that als ob nichts geschehen wäre.

»Wer war hier?« fragte die Trullemaier bald darauf.

»Niemand. Einer, der zum Nachbar wollte, hat sich hier herein verirrt.«

Darauf ging Poll zu seinem Herrn und bat um die Erlaubniß, heute Abend abwesend sein zu dürfen; denn, dachte er, bei Tage kann der Junge herumstrolchen, Abends finde ich ihn sicher in der Herberge.

Schwach gab mit Freuden seine Zustimmung, indem er sagte: »Der Poll kann ja thun nach Gutdünken. Wenn der Poll da ist, so ist es eben recht, wo nicht, weiß ich, 199 daß Poll wo zu thun hat und sicher nicht ohne Grund fort ist.«

Poll dankte herzlich für dieses Vertrauen und benahm sich in Allem jetzt noch zarter gegen seinen Herrn, als ehemals, damit dieser ja nicht die leiseste Ursache zur Kränkung fühle. –

Den Lohn nahmen Beide, Poll und Madame Trullemaier; denn durch Zurückweisung konnte man den Herrn ja nicht kränken! Aber welche erstaunlich billige Zeiten plötzlich geworden, und wie wohlfeil Madame Trullemaier, ihren Rechnungen nach, auf dem Markte Alles einkaufte, das waren freilich Vorkommnisse, über die Schwach keine richtige Kontrolle hatte.

War trockenes Wetter, so wußten Beide Bedienstete eine ganze Reihe von Artikeln, die dadurch merkwürdig billig wurden. War Regenwetter, da schoß nun Alles wie Pilze aus der Erde, und Verkäufer waren froh, wenn man es halb geschenkt nahm. Hitze oder Kälte, Dürre oder Nässe – Alles war im heurigen Jahre merkwürdig gut; – sie mußten das verstehen, und Schwach war ja nur ein – Städter!

Poll belächelte im Stillen vergnügt wieder seine Philosophie, bezüglich des studierenden Reit-Künstlers, und sah schon eine der merkwürdigsten Szenen seines Daseins, beim Wiedersehen seines Lieblinges und künftigen Sohnes Alexius, vor sich.

»Der Junge ritt und wurde genug geritten,« sagte Poll zu sich, als er mit den gesuchtetsten Entschuldigungen von Madame Trullemaier abgekommen war. »Krulle haut 200 tüchtig, ich habe ihn oft genug gesehen. Und wenn die kunstreichen Glieder des Jungen noch ganz sind, so ist das seine schönste Kunst!«

Somit ging Poll seiner Wege, auf die Forschung um den verlorenen Sohn.

In der Herberge sollte der Junge, nach Poll's Plan, sobald er gefunden, nicht bleiben. Bei Madame Trullemaier ebensowenig, denn da würde er wieder verhätschelt, und sie könnte dem lieben Jungen einen nicht genug thränen- und süppchenreichen Empfang bereiten. Alexius mußte also vorerst abgesondert und nur als vollkommen reuiger Sohn, gewaschen und gekämmt, in die Arme seiner gerührten Mutter geführt werden.

»Vielleicht wäre Herr Schnepselmann so gut, ihm auf kurze Zeit wieder seine Schlafstelle und sein Tischplätzchen einzuräumen,« sagte Poll zu sich. »Und dort könnte er am besten gleich den Unterschied sehen, der zwischen Stall und Familie ist. – Das thäte ihm sehr gut!« –

»Vielleicht . . .« überlegte Poll weiter, »könnte nicht der Junge auch wieder zu Herrn Schnepselmann gerannt sein? Sehen wir einmal zu!« Und Poll nahm seinen Weg zu dem benannten Herrn. – 201



 << zurück weiter >>