August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundsechzigstes Capitel.

Poll und Madame Trullemaier sitzen auf dem Wasserbänkchen und haben Heimlichkeiten.

Draußen, in der Küche der Schwach'schen Wohnung, saßen wieder zwei Gestalten beisammen, die wir wol schon seit einiger Zeit kennen.

Sie waren Poll und Madame Trullemaier.

Aber es waren nicht mehr die alten, muthigen Gestalten: die eine voll schäckerndem, parodistischem Humor, voll erworbener Menschenkenntniß, die gepart mit ureigener, ungestörter Naivität; die andere voll Raschheit, kleinlichem Hochmuth und dem steten Anscheine ungeheuerer Geschäftsbelastung, welcher wirthschaftenden Damen niemals fehlt.

Sie waren Beide niedergeschlagen, in ihren Augen lag nicht mehr jener frische Glanz, in ihren Gesichtern nicht mehr jenes unbesorgte Vorsichsehen in den Tag. Sie waren beide blässer als in früherer Zeit, besonders Madame Trullemaier, welche eine Krankheit überstanden hatte und dadurch schmächtiger und zarter geworden war. Sie führten auch nicht mehr das Wort so laut als sonst.

Wenn der Mensch voll vom Schmerze und müde gehetzt vom Schicksale ist, so scheint ihm die gewohnt gewesene Bequemlichkeit, so scheinen ihm selbst die Gegenstände, welche er zur gewohnten Bequemlichkeit benützte, für den Augenblick untauglich; er sucht die niedrigsten, sonst unbeachtetsten Gegenstände zum Sitzen, zum Liegen; er möchte am 141 liebsten für den Augenblick den Körper gar nicht fühlen, und er weiß nicht recht, was er mit ihm beginnen solle.

»Zu Boden gedrückt,« ist eine solche Bezeichnung, wie sie die Sprache nur finden konnte; der Mensch, der sonst in Freud und Glück, oder nur in alltäglicher Gewohnheit, stolz, gerade aus vor sich, oder zur Höhe gesehen, sucht jetzt, im außergewöhnlichen Schmerze, die Tiefe, niedere Schemel, Koffer, Kisten, Blöcke, den Boden selbst – es zieht ihn hinab zu dem Grunde, der doch am Ende alle Schmerzen kühlt und löst!

Poll und Madame Trullemaier saßen sich so an der Seite, auf einem niederen Wasserbänkchen, trotzdem die Stühle noch ebenso vorhanden waren wie sonst. Sie saßen sich an der Seite, in geziemender Entfernung, mit halb zugewendeten Gesichtern, halfen sich traurig sein und die Düsterkeit der Gegenwart besprechen. Wol hatte Poll Manches von »Philosophie« zeitüber fallen gelassen; aber es war nicht die praktische Philosophie von sonst, die Theorien wollten alle nicht recht passen!

Madame Trullemaier hatte Poll eben darüber zur Rede gestellt, daß er viel auswärts sei, ja seit gestern mehr als sonst, und sie glaube, dies schicke sich nicht, besonders jetzt, wo man Herrn Schwach nicht etwa zeigen dürfe, daß man nachlässiger bei ihm wäre, als früher.

Poll schüttelte den Kopf und gab ausweichende Antworten. Madame Trullemaier muthmaßte, noch mit alter Neugierde, er halte Etwas hinter dem Berge.

»Poll,« sagte endlich Madame Trullemaier, sanfter als sonst, »seien Sie doch nur nicht gar so verschlossen! Handelt es sich denn um's Fortziehen, Poll?«

Poll warf ihr einen sonderbaren, lange anhaltenden 142 Blick zu und wendete stumm sein fragendes Auge nicht ab. Der Blick hatte eine eigenthümliche, vielsagende Sprache. –

Madame Trullemaier machte eine Pause – dann nahm sie wieder, wie mit schmerzbeengter Brust, das Wort. »Poll . . . ich möchte was vertrauen . . . aber der Poll müßte schweigen, gewiß schweigen!«

Poll gab noch immer keine Antwort, im Bewußtsein seiner selbst.

»Ich hätte eine Idee . . . . aber . . .« hier zupfte Madame Trullemaier, die sonst nicht an Sprachscheu litt, an ihrer Schürze, mit einem Ausdrucke der Verlegenheit, der überraschend an ihr war und sie mindestens um zehn Jahre jünger, ihr Herz aber um hohe Summen werther machte. »Ich hätte eine Idee . . . aber ich getraue mir nicht . . .«

»Sie wollen mir davon sagen?«

»Ich möchte, Poll . . . aber der Poll müßte mir versprechen . . . daß meine Bitte erfüllt wird. – Es ist eine Bitte dabei.«

»Nun Madame,« sagte Poll mit Herzlichkeit, indem er seine Hausgenossin noch theilnahmsvoller als sonst ansah, »Sie wissen, wenn ich etwas thun kann, so bin ich dabei, sicherlich!«

»Denket, Poll, einmal . . . der Herr Krimpler . . . und Schnepselmann . . . und alle Leute, die bei unserem Herrn aus und ein gingen . . . seine Freunde waren . . . haben eigentlich . . . kein Geld, und unser armer Herr . . . hat nun auch nichts!« Dabei stellten sich unversehens der Frau zwei Thränen an die Augenränder, und sie nahm rasch die Schürze, als wollte sie dieselben schamhaft verbergen. 143

Poll spürte nach diesen Worten und bei diesem Anblicke auch etwas Feuchtes. Als er bemerkte, die Trullemaier habe die Schürze vor dem Gesichte, fuhr er rasch mit dem Aermel rechts und links über seine Augen, dann nickte er zustimmend auf die Rede der Madame Trullemaier, gleichsam zur Antwort, und sie konnte rechtzeitig, mit freigewordenem Gesichte, nur das Nicken Poll's, aber nicht das bemerken, was vorausgegangen war.

»Ich habe daran gedacht . . . wenn sich Jemand fände . . . der . . . oder die . . . es kann auch ein Frauenzimmer sein . . . die ihm etwas . . . leihen würden . . . ich meine, nicht leihen, daß er es in einer Zeit wieder bezahlen müßte . . . so etwa geben, daß er . . . wenn er einmal Lust hätte, und es gerade sein könnte . . . oder auch nicht . . . daß er nicht an's Zahlen zu denken brauchte . . . Wenn sich Jemand fände . . .«

»Haben Sie daran gedacht?« fragte Poll und sah ihr forschend ins Gesicht.

»Ja, das hab' ich.«

»Und Sie . . . wissen vielleicht Jemand . . . oder auch eine Jemandin? . . . Was? . . . rathe ich schlecht?« fragte Poll nun in gleichem, herzbedrängtem Tone, indem er bald das Auge niederschlug, bald fragend ihr ins Gesicht sah.

Die Trullemaier schüttelte nach abwärts mit dem Kopfe und antwortete also auf diese Weise, daß er nicht schlecht rathe.

Poll rückte langsam näher, langte mit seinem Elbogen leise nach ihrem Arme, stieß sie sanft an und sagte schüchtern ». . . Kenne ich nicht die . . . Person?«

Madame Trullemaier wendete ihr Gesicht wieder etwas 144 mehr gegen ihn und bejahte, indem sie zustimmend abermals den Kopf schüttelte, verschämt ihn aber sinken ließ.

Poll stieß bald wieder mit dem Elbogen ». . . Wieviel . . . ist es denn?«

Madame Trullemaier schwieg erst, dann zupfte sie heftig an ihrer Schürze und sagte aufbrausend: »Das muß man . . . ja nicht so gleich wissen!«

Poll machte eine Pause und rückte wieder zurück. »Hm . . . gut . . .« sagte er endlich ». . . haben Sie das Geld . . . von der Person . . . da?«

Madame Trullemaier bejahte.

»Ist es in Ihrem Koffer?«

Verneinendes Kopfschütteln.

»Sie haben es bei sich?«

Zustimmung.

»Wollen Sie mir es geben?«

»Ja, Poll!« Und Madame Trullemaier zog unter ihrem Busentuche ein mit einem ellenlangen Bande umwundenes dünnes Büchlein hervor, das fest zugebunden schien, damit die Buchstaben ja nicht entweichen sollten. – Ein gewöhnlicher und sonderbarer Brauch bei den untern Volksständen. Sie umwickeln ein Werthbüchlein dicht mit der festesten Schnur, damit sie es etwa nicht verlieren können, oder damit es sicher sei! –

Poll langte die Hand darnach, Madame Trullemaier reichte ihm langsam und mit gesenkten Blicken das dünne Büchlein, fettig und rußig, wol hundertmal heimlich mit unversehens fettigen Fingern durchblättert, wenn die wirthschaftende Dame während des Kochens rasch von den Pfannen zu ihrem lieben Büchlein eilte und heimlich aber vergnügt darein guckte. 145

»Sparkassa!« sagte Poll und nahm das Büchlein, hatte aber auch sofort die Schnur offen und den rechten beschriebenen Fleck getroffen. Poll sah die Eigenthümerin hierauf, von seitwärts, verwundert an. »Vierhundert fünfzehn Thaler, acht Groschen,« sagte er.

»Muß man denn so neugierig sein?« sagte die Trullemaier rasch und suchte ihm das Büchlein wegzuhaschen, oder es mindestens zuzuklappen.

»Was soll ich damit?« fragte Poll.

»Nun, Poll,« sagte Madame Trullemaier, hob schon das Auge nach ihm und ließ rascher ihre Worte eilen, da es sich nun darum handelte, ihn zu etwas zu bereden. »Der Poll ist ein Mann, und ein Mann spricht doch besser mit einem andern Manne, als unsereins, ein Frauenzimmer; und da möchte ich, der Poll . . .«

»Solle das Ding übergeben?«

Ein freudiges Lächeln und rasch zustimmendes Kopfschütteln erfolgte von Madame Trullemaier, da sie sich, durch Poll's rasches Errathen der Absicht, auch schon der Erfüllung versichert glaubte.

Poll aber schwieg und sah, mit dem Büchlein in der Hand, nachdenkend zu Boden.

»Nun, Poll?«

»Madame . . . beste Madame . . .« sagte Poll verlegen. ». . . ich hätte voraus auch . . . etwas zu sagen.«

»Was denn?« Und die Trullemaier rückte näher.

»Ich hätte einen guten Freund . . . ich könnte einen finden . . . das heißt . . .« Poll kraute sich den Kopf – »ich habe einen . . . der . . .«

». . . hat dem Poll vielleicht auch Geld . . . gegeben?« 146

»Ja, Madame!«

»Der Poll hat es?«

»Ja,« sagte Poll und nickte dazu mit dem Kopfe.

Die Trullemaier rückte näher. »Wo ist es denn?«

Poll griff in die Seitentasche.

»Wie viel ist es?«

»Zweihundert sieben und sechzig Thaler.«

Die Trullemaier sah ihn überrascht an.

»Wo haben Sie denn Ihre Uhr?« fragte sie gleich darauf in alter, rascher Weise und blickte, eiligst forschend, nach seiner Weste.

Poll knüpfte behende den Rock zu.

»Und . . .« sagte Madame Trullemaier, nach einem plötzlichen Einfalle, »was hat der Poll denn mit seinem großen Bündel Kleider gemacht, das er gestern wegtrug? Zum Fleckputzer? Jetzt glaube ich's nicht!«

Poll schwieg.

»Und . . .« sie rückte näher, stieß nun ihn mit dem Elbogen, sanft dabei sagend: ». . . Poll . . . ein Vertrauen fordert das andere . . . Was hat er mit dem Papier gemacht, wo von dem Häuschen was draufsteht? . . . Poll, mir fällt es gerade ein . . . der Poll, war viel aus, seit einigen Tagen . . . Nun?«

»Madame Trullemaier . . . sehen Sie,« sagte Poll, »ich hätte nun auch eine Bitte . . . Ich habe nicht gewußt, daß Sie . . . Nun . . . thun wir das Bischen zusammen und tragen Sie es zum Herrn.«

»Ich!« rief die Trullemaier erschreckt aus.

»Sehen Sie . . . Unsereins spricht sich doch schwerer . . . ein Mann zum andern . . . da scheint so etwas Gleiches . . . das geht nicht! – Aber ein Frauenzimmer, 147 das ist schon ganz etwas Anderes . . . da kann das Herz . . . zudem bin ich ja nur Bedienter . . . aber Sie, Madame . . . als Haushälterin . . . Sie können schon . . .«

»Nein, lieber guter Poll,« sagte Madame Trullemaier gerührt und rückte ihm wieder näher ». . . ich könnte nicht, ich würde zittern . . . und mir drückte es das Herz ab! Ich wüßte gar nicht, was ich sagen sollte . . .«

»Und ich . . .« sagte Poll, und rückte ebenfalls wieder näher ». . . mir geht es gerade so.«

Beide schwiegen eine Weile und sahen so betrübt vor sich hin.

»Was ist zu thun?« sagte die Trullemaier.

»Zu einem Dritten . . . kann man doch nicht gehen . . .« sagte Poll. »Das macht die Sache nur ärger . . . Er, Herr Schwach, Schulden machen!?«

»Aber von uns könnte er doch . . .«

»Freilich könnte er; keine sterbliche Seele wüßte es! . . . Und wir können doch . . . wenn's sein muß . . .« Poll preßte die Lippen übereinander ». . . anderswo dienen.«

Madame Trullemaier fuhr mit der Schürze nach den Augen. »Das wäre mir so schwer, so schwer . . . ich äße lieber trockenes Brod hier!«

»Nun . . .« sagte Poll und beugte sich mehr zu Madame Trullemaier ». . . wie wäre es, wenn . . . wir zusammen gingen . . . Beide zugleich.«

»Beide?«

»Ja, ich und Sie, Madame.«

»Ich auch? – Aber wer spricht zuerst?«

»Sie, natürlich Sie!«

»Ich? Ich dächte der Poll.« 148

»Nun, Madame . . . machen wir darüber nichts aus . . . fassen wir ein Herz . . . es muß sein . . . es wird sich schon finden . . , wenn wir nur erst durch die Thüre sind.« –

»So, Poll, da ist das Büchlein.«

»Nein, hier ist mein Geld.«

»Nicht doch, Poll; der Poll muß es zusammen geben.«

»Aber, meine Liebe . . . aus Ihrer Hand ist's ja doch besser!« Er warf ihr rasch das Päckchen seiner Thaler in den Schoß.

Madame Trullemaier mußte es behalten.

»Wie viel macht das zusammen?« sagte sie endlich und fing die schwierige Rechnung in ihrem Kopfe an.

»Vierhundert, und . . . das macht zusammen . . . sechshundert zwei und achtzig Thaler . . . ah, davon kann er doch haushälterisch ein halb Jahr, und noch mehr, leben!« –

»Und wenn's zu Ende . . . . ist?« frug die Trullemaier. –

»Und wenn's zu Ende ist, und Gott hat's noch nicht geändert, dann . . .«

»Gehen wir?«

»Gehen wir!« sagte Poll, und der Aermel mußte, vor Madame Trullemaier's thränenden Blicken, in Thätigkeit gesetzt werden.

»Und sollte ich gleich sterben,« sagte die Trullemaier, »und mein Kind bekäme keinen Heller nach meinem Tode, ich stürbe leichter, weil mein Gewissen so freudig wäre!«

»Und ich . . . habe ja Alles hier verdient . . .« 149

»Und ich, in den Jahren hier, nicht wenig. – Wenn er es nur nähme, er machte mich selig!«

»Und ich wollte ins Wasser, gleich darauf, gehen, wenn er das noch von mir dazu fordern wollte!«

»Ich auch, ich auch!«

Sie schwiegen Beide nun.

Nach einer langen Pause des Stillschweigens, während welcher Beide sich erhoben hatten, sagte Poll ». . . Sie sind eine gute, gute Frau, hätt' mir's gar nicht ganz so gedacht!«

»Und . . .« sagte die Trullemaier verlegen ». . . den Poll kenne ich nun erst ganz . . . er ist ein guter, guter Junge!«

Poll schlang, rasch wie der Blitz, seinen Arm um die Haushälterin, preßte ihr einen Kuß auf, den sie nur sehr schwach wehrte, dann liefen sie Beide auseinander, in die verschiedensten Zimmer und waren glücklich im Schmerze! –

Kannte des Kapitalisten Herz solche Seligkeit, als es Alle um sich her vernichten wollte, um die Eine an sich zu reißen, wie das Herz dieser armen Menschen, die Alles geben wollten und sich einten, um den Einen zu erlösen? 150



 << zurück weiter >>