August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Neunundfünfzigstes Capitel.

Welchen Antheil das Publikum an Schwach nimmt – wie das unendlich liebe Heim jetzt aussieht – welche Gestalten nun erscheinen.

Draußen vor Schwach's Thüre hatte sich, während der gerichtlichen Konfiskation, ein Publikum versammelt, und nur die Anwesenheit der beiden aufgepflanzten Fahnenstangen in Rock und Hosen, war im Stande gewesen dasselbe von dem Eindringen und neugierigen Mitwirken abzuhalten.

Wie dieses Publikum herbeigekommen, war räthselhaft, verliert aber sogleich an Räthselhaftigkeit, wenn man bedenkt, daß es nur eines Polizeimannes an ungewöhnlichem Orte bedarf, um sofort eine große Versammlung herbeizulocken. Das Volk entschädigt sich für so Manches an dem Anblicke des gebotenen Schauspieles, das für den Augenblick – scheinbar gratis, aufgeführt wird.

Madame Mogel durfte unter den Versammelten keineswegs fehlen, das war natürlich; sie war sofort die Erste, die nach dem Abgange der Steifen an der Thüre eindrang; und siehe da, Madame Trullemaier lag auf ihrem Bette, schluchzte, hatte Krämpfe, allerlei Zufälle, fiel aus einer Ohnmacht in die andere – war ernstlich krank und angegriffen.

Hinter Madame Mogel waren aber andere Damen des Hauses eingedrungen, manche männliche Gestalten auch dazwischen, die sonst nie in ihrem Leben die Räume des 121 Herrn Nachbar betreten hatten; jetzt waren sie aber hier zu Hause, gehörte der Schauplatz ihnen, besahen und beguckten sie Alles, die Siegel, die Geräthschaften, die Wände, steckten überall die Köpfe hin, schlichen mit scheuen, aber doch zudringlichen Füßen an alle Orte. – Es war, als könnten sie es nicht über sich selbst gewinnen, einzusehen, daß hier nichts absonderlich Merkwürdiges vorhanden sei, daß wirklich weder den Bratpfannen Hare gewachsen waren, noch die Stühle niesen konnten und husteten, oder daß wahrhaftig die Schränke nicht aus Marzipan gemacht waren und die Fußbürste etwa tanzen konnte. Mit gewöhnlicher Hartnäckigkeit des gaffenden Plebses redeten sie sich trotzdem ein, es sei Alles merkwürdig und starrten, wenn auch in die Luft.

Man kann nie merken wie viele Leute man eigentlich in der Nachbarschaft hat, oder wie viel es in einer Umgegend gibt, bis Einem nichts passirt ist, was zum Reden und Staunen Anlaß gibt. Dann erst kommt die wahre Statistik zu Stande, da bleibt nichts aus, was Hände und Beine hat.

Der arme Schwach! Das war sein stilles, unantastbares, liebes, ruhiges Heim!

Es war dahin, Alles todt für ihn, nicht nur er selbst, sondern auch alle die Seinen; denn er hörte und sah Niemanden derselben. – Poll war nicht zugegen, und daß seine Haushälterin ernstlich krank, gebrochen an Leib und Seele in ihrer Stube darnieder lag, das konnte er jetzt nicht ahnen.

Wie eine Leiche ließ er sich anstarren, begaffen, von Weitem scheu umgehen. – Lange nach dem ersten Anstarren erst, erinnerte er sich, daß er es nicht zu dulden 122 nothwendig habe, fühlte die Scham dieses Ausgesetztseins, zog sich zurück, um nicht gesehen zu werden, und hatte kaum den Muth, den Leuten gegenüberzutreten und vor ihnen seine eigene Thüre zu schließen.

Erst als er sich nicht bemerkt glaubte, ging er hin, drehte die Thüre sachte zu und ließ sie ins Schloß fallen. Er hatte ja kein Recht mehr auf Alles was da war; er hatte das Ganze unrechtmäßig besessen; er ward hinausgestoßen, entblößt von Hab und Gut; er stand in den Augen Aller da, wie ein Verbrecher!

Mit Scheu fast setzte er sich auf den Lehnstuhl, den er früher noch behaglich eingenommen; nur die Nothwendigkeit, die wanken Füße zu erlösen, den müden Leib zu stützen, ließ ihn wieder Platz nehmen, und er sah düster und tief schmerzlich bewegt vor sich, zu Boden.

Wie anders war Alles jetzt! Die hellen Stellen auf den Möbeln waren nicht mehr Glanzblicke, die Falten der Draperien kein freundliches Lächeln, das Hinschmiegen der Stühle kein Einladen; es war ein Brüsten, Hohnlächeln, frazzenhaftes Gestikuliren; selbst die Helle schien ihm grell, ein rachsüchtiges Aufzeigen alles Entweihten; – ein Fensterflügel, der in der Luft knarrte, schien Hohn zu kichern und zu kreischen.

Wie wehe, wie wehe war ihm!

Und es rückten auch bald neue, andere, sonderbare Gäste an.

Wie auf das Edelwild, das in stiller Einsamkeit des grünen Waldes verendet, die Raben und Asgeier niederstürzen, so überfielen auch Schwach nun die eigenthümlichen Raben und Asgeier der menschlichen Gesellschaft, welche jeden Stürzenden, oder vom Schicksal und Nebenmenschen 123 Verwundeten, kreischend oder mit stiller Gier umfliegen, um ihm noch das letzte Stückchen abzunagen.

Es kamen Leute, die er in seinem Leben nicht gesehen, Leute mit den sonderbarsten Blicken, in den sonderbarsten Kostümen, mit den sonderbarsten Ausdrücken und mit den sonderbarsten, ungeahntesten, staunenswerthesten Geschäften.

Bald kam Einer, der mit merkwürdigen Hand- oder Fingerbewegungen von vorne nach rückwärts, um die »übrig«-gebliebenen Dinge fragte, die er zu erstaunlichen Preisen und mit dem größten Stillschweigen kaufe. – Bald flüsterte ihm ein Unheimlicher in die Ohren, daß er Jemanden kenne, der »reservirte« Wechsel bar, um 50 Prozent, im Stillen an sich bringe. – Hierauf kam wieder Jemand, der einen andern Jemand wußte, der noch Geld herzugeben bereit sei, wenn Schwach Pfänder hätte, oder Gutsteher wüßte, oder Prätiosen besäße, oder derlei. – Ein Anderer klopfte ihm heiter und vertraulich auf die Achsel und meldete sich, mit schlauen Blicken, als der »rechte« Mann, den Schwach brauche, denn er wisse schon: Alles sei nicht versiegelt und es gebe noch geheime Winkel und Dinge. – Ein ganz Anderer hatte eigene Wagen und Pferde, um heimlich gewisse Sachen fortzuschaffen, die er bezahle wie kein Anderer. – Und so fort!

Schwach riß nur die Augen auf und starrte diese Menschen an, deren Existenz er nicht geahnt hatte. Sie mußten eine geheime oder magnetische Beziehung zu dem Siegellack und dem Petschaft der Behörde haben, denn wie kam die Kunde, die Adresse der Schwach'schen Behausung zu ihnen, während seine Freunde noch kein Wort von dem Vorgefallenen wußten?

Jeder solche Antrag, solches Flüstern oder 124 Vertraulichthun eines Unheimlichen, war ihm ein Dolchstich. Er empfand wie das hingestreckt liegende Edelwild, welches den tiefen Schmerz des Hackens der Geier und Raben an ihm noch spürt, das aber schon zu schwach ist, sich ihrer zu wehren und mit unaussprechlichem Weh zuweilen den Kopf hebt.

Schwach dachte an die Leute, die sich an ihn mündlich und schriftlich gedrängt, als er reich wurde; zu welchen Stellungen, Würden und Beziehungen sie ihn erheben wollten; was sie ihm Alles anboten; und jetzt – was mutheten ihm die Leute jetzt an, zu welcher Schlechtigkeit und Entwürdigung wollten sie ihn jetzt erniedrigen, blos weil er arm war?

Welche Reihe von Menschen, auf und ab die ganze Stufenleiter, hatte er kennen gelernt!

Müde, eckel, sich selbst verachtend fast, bat er endlich seine Hausgenossen, Niemanden ähnlicher Leute mehr einzulassen.

Und so saß der arme Schwach in seiner traurig zugerichteten Wohnung noch manchen Tag allein. –

War er auch deßhalb vielleicht der arme Schwach zu nennen? – Nach den ersten Erschütterungen des Schmerzes ist es beinahe immer eine Wohlthat allein gelassen zu werden. So oft wird dies nicht beachtet, und ein zudringlicher Trost stört das wahre Ausströmen des Schmerzes, an dessen Platz, welcher frei geworden, doch wieder die Hoffnung allmälig einrückt. 125



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