August Silberstein
Herkules Schwach. Dritter Band
August Silberstein

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Fünfundfünfzigstes Capitel.

Madame Schlurre und Madame Mogel erscheinen mit besonderen Absichten bei Schwach. –

Jener historische Abend blieb nicht ohne gewichtige, unauslöschliche Folgen. Mogel und Schlurre empfanden einen angenehmen Kitzel in ihren Herzen, wie sie ihn seit lange 66 nicht verspürt und er den Abwechslung bedürfenden Gefühlen der Damen wirklich sehr wohl that. – Besaßen sie irgend eine vernachläßigte Bekanntschaft, oder waren sie bei Nachbarinen, wegen Mangel an gewichtigem Neuigkeitsstoff, gleichgültig geworden, so war die Trullemaierhistorie mit einemmale ein Magnet, ein zauberisches Mittel, um verlorene Herzen und gleichgültige Seelen wieder an sich zu fesseln.

Jede Frau Nachbarin war »die Einzige«, welche die Nachricht empfing, und sie wurde sehr gebeten, besagte Nachricht zu verschweigen! – Wie rollte aber der Donner der Geschehnisse durch Waschhäuser, Kramläden, Küchen und Haushöfe fort!

Bemerkte die »Trullemaierin« auch nicht, daß sie die Grünwarenhändlerin auf dem Markte mit einem gewissen Blicke ansah?

Nur Poll blieb Philosoph! Er sprach kein Wort mehr über den Vorfall. In der ganzen Hauswirthschaft war keine Veränderung zu bemerken; nur daß die beiden wichtigen Mitglieder mehr als sonst die Augen niederschlugen, wenn sie miteinander zu thun hatten.

Die Mogel und die Trullemaier standen sehr oft auf dem Treppengange zusammen und sie wurden, mit der Schlurre, zu verschiedenen Malen an allerlei außergewöhnlichen Orten im eifrigen Gespräche gefunden; so daß häufiger die Suppen anbrannten, die Braten versalzen und die Mehlspeisen zu hart oder zu weich wurden. –

Wie es kam, wie die Damen einig wurden, welche gewichtige Motive vorwalteten; – genug, eines Sonntags Vormittags erschienen Madame Mogel und Madame Schlurre, sehr geputzt. in dem Vorzimmer Schwach's; und Madame Trullemaier, welche ebenfalls sehr geputzt, mit einem großen 67 Aufwande von feuerfarbigen Bändern, sich in das Hinterzimmer zurückgezogen hatte, schluchzte daselbst vorzüglich, und drückte ein frischgewaschenes Schnupftuch sehr angelegentlich an ihr Herz. –

Die beiden Damen trugen Kleider, welche von historischen Modekünstlern als Schaustücke anerkannt worden wären und, seit einem Vierteljahrhundert vielleicht, nur bei äußerst wichtigen Gelegenheiten, die Welt zu zieren ausersehen waren. Hauben, welche Baukünstlern ganz neue und wichtige Ideen über gothischen Thurmbau zu erwecken im Stande gewesen wären, Bänder, deren Meergrün und Papagaienblau äußerst wichtige Beiträge zur Farbenkunde hätte zu liefern vermocht, kühne Putzideen aller Art, große Handbeutel und frischgewaschene Schnupftücher, waren sichtbar und machten die Damen ebenso reizend, als im Vorhinein den Gedanken von Wichtigkeit und Festlichkeit erregend.

Eine gewisse ehrfurchtsvolle, ja heilige Scheu mußte Jeden bemeistern, dem sie nahten, wie etwa die Druiden des heiligen Hains, in grauer Vorzeit. Diese düster ahnende, weihevolle Gefühlsanregung war jedenfalls sehr wichtig für den folgenden Moment. –

Die Damen erschienen zum nicht geringen Erstaunen Poll's. Er wurde aber keineswegs intim gewürdigt, sondern im Gegentheile mit Protektormienen um die Anwesenheit des Herrn Schwach befragt.

Madame Trullemaier steckte den Kopf durch ihre Thüre und kreischte schwer. Die Damen, die sie ersahen, eilten auf sie zu, küßten sie äußerst angelegentlich, hätschelten sie und trösteten sie mimisch, mit Anwendungen des Sacktuches an den Augen. Die Trullemaier seufzte und drückte sehr 68 stark die eine oder andere Hand an die Gegend, welche von Außen das Herz durchaus nicht anzeigte.

Poll erschien bald mit der Kunde, daß Herr Schwach zu sprechen und die Damen zu empfangen bereit sei.

Noch eine Umarmung – noch ein Aufschluchzen und Schnupftuchbenützen – die Damen gingen.

Schwach öffnete seine großen, treuherzigen, blauen Augen nicht wenig, als er die Erscheinungen eintreten sah.

Er empfing sie sehr freundlich und lud sie zum Sitzen ein. –

Nachdem dies sehr lächelnd und sehr zeremoniell geschehen, war große Verlegenheit, welche der Damen zuerst sprechen und wie die Sache zuerst eingeleitet werden solle.

Eine Weile sahen sie Beide sehr verlegen um sich und schwiegen. Schwach half ihnen in diesem Thun. –

Endlich fragte er sanftest: »Womit kann ich Ihnen dienen?«

». . . . Wie befinden Sie sich?« fragte die Schlurre, die zuerst Muth faßte und dieses geistreiche Auskunftsmittel für die Konversation entdeckte.

»Ich danke, sehr wohl.«

»Sehr wohl?« sagte jetzt kouragirt die Mogel, die sofort den Anknüpfungspunkt bei dieser Frage herausfand. »Das glauben wir Ihnen nicht!«

»Nicht?« fragte Schwach überrascht. »Warum nicht?«

»Weil sich . . . ein einzelnstehender Mann nie gut befinden kann!« sagte die Schlurre schon fest. »Niemals nicht!«

»Nein,« sagte die Mogel, »nein, das kann nicht sein!« und schüttelte sehr stark, in kurzen Wendungen, ihr Haupt.

»Meine liebe Mogel, lassen Sie mich reden,« sagte die 69 Schlurre und begann nun, ganz im offiziellen Tone, ihre Rede, wie ein Schulmädchen, das dieselbe längst einstudirt hat.

Schwach stand bei dem ganzen Auftritte ebenso verlegen, als überrascht, und wußte nicht, wie er seine Augen wenden solle.

»Mein gutester Herr Schwach!« begann die Schlurre. »Wir kommen im Auftrage einer guten Freundin, einer sehr guten Freundin!«

»Das heißt, meine beste Madame Schlurre,« sagte die Mogel, »wir kommen nicht von ihr, sondern von uns selber.«

»Ja wol, mein gutester Herr Schwach,« sagte die Schlurre, ihren Fehler einsehend, »von uns selber. – Mein guter Herr Schwach . . . Sie haben ein gutes Herz . . .«

»Ja, das haben Sie!« sagte die Mogel entschieden.

»Ich bitte Sie, Madame Mogel, stören Sie mich nicht in meiner Rede!« wendete sie sich an diese Sprecherin. Dann wendete sie sich wieder an Schwach. – »Sie haben ein gutes Herz . . .!« fuhr die Schlurre fort.

»O, ich bitte!« lehnte Schwach bescheiden ab.

»Das ist wahr, und wahr bleibt wahr!« rief die Mogel, ebenso zur Steuer der Wahrheit, als entrüstet darüber, daß die Schlurre hier allein auftreten und ihr jede Rede abschneiden wolle.

»Madame Mogel!?« rief ihr die Schlurre mit einem entsetzlichen Blicke zu, wendete sich aber sogleich wieder gegen Schwach und fuhr fort: »Weil Sie so ein gutes Herze haben, gibt es auch andere Menschen, und besonders vom weiblichen Geschlechte –« ein bedeutsamer Wink ihres Auges – »welche ein gutes Herze haben.« 70

»Zwei Herzen . . .« soufflirte die Mogel, als wäre die ganze Rede einstudirt worden.

»Zwei Herzen,« nahm die Schlurre rasch das Wort auf, indem sie zugleich mit dem Schnupftuch eine unwillige Bewegung machte, die der Souffleuse galt, »welche gut sind, passen für einander, und sind ganz für einander geschaffen!«

»Unsere Freundin hat auch ein gutes Herz, ein sehr gutes Herz,« fuhr die Mogel ungestört, vermuthlich auf Uebereinkunft, fort, »und ist eine sehre liebenswürdige scharamante Person; und wir haben darum gedacht, in unserer besten Absicht . . . .«

Schlurre und Mogel erhoben gleichzeitig, wie im Duett-Finale, ihre Stimme: »Aus diesen Zwei kunnte sehr gut Eins werden!«

Das war endlich von den Damen heraus, zu ihrer nicht geringen sichtbaren Erleichterung, und sie sahen gespannt ihrem Opfer ins Gesicht.

Schwach, der sehr neugierig und sehr gelassen, mit Aufmerksamkeit, auf die Worte der Damen gehört hatte, wußte endlich, worum es sich handle.

Nachdem er einen Augenblick geschwiegen, nahm er sehr bescheiden das Wort: »Meine werthen Damen! . . . Sie sind so gut gegen mich . . . sich mit meiner Zukunft zu beschäftigen . . . aber, was das betrifft . . . habe ich mich bereits entschlossen . . . und bin . . . es thut mir leid . . . keineswegs geneigt . . . . auf Ihre Absichten . . .«

»Herr Schwach!« sagte die Schlurre rasch, »Sie kennen Dieselbige! fürchten Sie sich nicht, es ist kein junges, unerfahrenes Frauenzimmer, es ist eine gesetzte aber doch liebenswürdige Witib, und ihr Herz ist sehr angegriffen von 71

»Und ganz ohne Geld ist sie auch nicht! Sie hat etwas Erspartes; und das einzige Kind, was sie hat, macht Ihnen gar keine Ungelegenheit; denn sie hat es nicht bei sich,« setzte die Mogel fort.

Nun waren die Damen an der Aufzählung der Eigenschaften ihres Schützlings, und sie ließen daher Schwach gar nicht zu Worte kommen.

»So ein Herze finden Sie gewiß niemals nicht wieder,« sagte die Schlurre, kaum die Mogel geendet. »Sie könnte›für Ihnen‹ ins Feuer gehen, und wenn es noch heute wäre.«

»Und sie liebt ›Ihnen‹ schon lange, und seufzt schon lange, und kann sich's nur nicht so merken lassen, denn es ist nicht schicksam.«

»Aber wirthschaftlich ist sie, wirklich, das muß ihr der Neid nachsagen; und es ist ein Glück, wenn sie ein Mann heiraten kann.«

»Und wenn sie auch kein so großes Vermögen hat, wie Sie, Herr Schwach; so bringt sie doch ein Herze mit, welches alle Gold- und Edelgesteine und Jubeelen nicht aufwiegen können!«

»Vermögen,« warf Schwach rasch ein, vergnügt einen Anknüpfungspunkt zur Antwort gefunden zu haben, »Vermögen könnte mich schon durchaus nicht bestimmen.«

»Das wissen wir,« sagte die Schlurre. »Und das macht auch Ihrem Herzen Ehre, und deßwegen haben wir auch Kourage gefaßt.«

»Aber sie grämt sich sehr; und wenn sie Ihre Abweisung hören wird, so wird sie sich sehr, sehre grämen, und ihr armes Weiberherze wird sobald zu keiner Ruhe nicht kommen.« 72

»Es kann ihr große Gefährlichkeit zuziehen. Und wenn Sie wirklich ein gutes Herze haben, Herr Schwach, haben Sie Erbarmniß mit ihr und verwerfen Sie das arme Geschöpf nicht so!«

»Solche Herzen kriegt man nicht alle Tage, nicht alle Tage, wirklich nicht!«

»Sie sind selten bei der heutigen Welt; und wenn die wenigen aus noch besserer Zeit, Herr Schwach, zurückgeblieben sind, so werden sie auch bald »alle« sein!«

»Besonders wenn sie sich so kränken,« setzte die Mogel rasch hinzu; »und in Schluchzen und jämmerlichem Wehklagen ganz zu Grunde gehen!«

»Es könnte einen Stein rühren wie sie sich herunter härmt und grämelt!«

»Alles aus Neigung und Herzensanhängniß zu Ihnen!«

Diese Reden waren so rasch aufeinander gefolgt, daß Schwach nicht Zeit gewonnen hatte, seine Antwort wie einen Keil dazwischen einzutreiben. – Endlich schienen die Damen doch Athem nothwendig zu haben, und die kleine Pause wurde von Schwach benützt. Innerlich that es ihm um die unbekannte Dame leid, und es schien ihm, als hätten die Anwesenden den Namen derselben entweder als einen coup d'effet bis zum Schlusse aufgehoben, oder beabsichtigten sie denselben ganz zu verschweigen, um die Dame nicht zu kompromittiren. da er im Vorhinein jede Möglichkeit zur Verbindung aufgehoben. Aus zarter Rücksicht verlangte er daher auch den Namen nicht.

Als die beiden Damen, wie erwähnt, ihm eine Achtelpause Zeit ließen, bewegte er rasch seine Zunge, um 73 in dem Trio doch endlich auch sein Solo anzustimmen. »Meine lieben, geehrten Damen,« beeilte sich Schwach zu sagen, »soll ich Ihnen meine Verhältnisse ganz auseinandersetzen . . . so . . . habe ich schon mein Wort gegeben.«

»Ihr Wort?« riefen Beide erschreckt.

»Ja; wiederholt mein Wort. Und ich werde es auch nicht zurücknehmen.«

Die Damen sahen erblaßt, bald sich gegenseitig, bald Schwach, bald den Fußteppich an. Ehe jedoch eine von ihnen zu Worte kommen konnte, fuhr Schwach fort. »Mein Hauswesen ist nach einem vollständig gefaßten Plan schon von mir hergerichtet und eingetheilt . . . für meine ganze künftige Lebenszeit!«

Draußen horchte die Trullemaier am Schlüsselloche und schlug entsetzt die Hände zusammen. Ihre Augen flossen.

»O, der heimliche Sünder!« dachten die Mogel und Schlurre zugleich.

»Einer Einzigen,« setzte Schwach fort, »habe ich das Versprechen gegeben, an meiner Seite zu sein und Alles was einer Hausfrau gebührt zu überlassen; und davon gehe ich nicht ab.«

Noch immer stummes Entsetzen.

»Wozu sollte ich auch? Ich habe allen Grund zufrieden zu sein, daß ich es so gefunden. Mein Gott, vollkommen ist freilich nichts, und es findet sich Manches, das anders oder besser sein könnte . . . aber ich erkläre mich wirklich zufrieden und sehe keinen Grund zu einer Veränderung, wie Sie dieselbe wünschen.«

74 »Du armes Herze meiner Freundin!« rief die Schlurre.

»Ich bedaure Ihre Freundin,« sagte Schwach, »wirklich; aber mein Entschluß steht ganz fest, mich soll nicht Gold, nicht Schönheit, nicht Familie blenden . . . ich bin es meinem Charakter, meinen Absichten, meiner Ruhe und meiner Zukunft schuldig.«

»Und darf man so frei sein und wissen, wer die Glückliche ist?« fragte die Mogel endlich.

»Das können Sie leicht wissen,« sagte Schwach gutmüthig und zuversichtlich. »Die Einzige, der ich versprochen habe, mein Haus führen zu dürfen, und die Einzige, die bei mir, so lange ich lebe, oder sie lebt, sein soll, ist . . .«

»Wer?!« riefen die Damen neugierig.

»Die Trullemaier!«

»Die Trullemaier!« riefen die Damen jauchzend und vor Freude fast erschreckt aus. Zugleich ward vor der Thüre ein Weiber-Schrei gehört, und die beiden Brautbeistände, diesen Schrei erkennend, eilten sofort an die Thüre. Sie fingen gerade in ihren Armen die Glückliche auf, die eine Ohnmacht bekam, schicklicher Weise aber auch mit der vollständigen Ohnmacht gewartet hatte, bis ihre beiden Freundinen zur Unterstützung herbeigeeilt waren.

Schwach, der ebenfalls der Thüre nahe ging, kam geradezu recht in diese Gegend, um die Trullemaier in seine Arme und an sein Herz gelegt zu erhalten. –

Die Last war durch dreifache weibliche Schlauheit so geschickt vertheilt, daß Schwach stehen und seine Arme zärtlich verwenden mußte, wollte er nicht, daß die Trullemaier 75 zu Boden falle und einen Theil ihres wirthschaftenden Körpers beschädige.

Ihre brechenden Augen sahen zu Schwach's Nase empor!

Für Schwach war, unter solchen Umständen, das Sprechen in jeder Beziehung sehr schwer; aber er sprach dennoch.

Die Trullemaier gelangte aus der Ohnmacht zur Besinnung und aus der Besinnung zur Thüre hinaus.

Die Damen folgten ihr, oder auch, sie wurde von den Damen befördert.

Ueber das Weitere breitet die Geschichte einen sanften Schleier!



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