August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Vierundvierzigstes Capitel.

Aster und Adele.

Aster saß an der Seite Adele's.

Es war nicht mehr in der morschen zerfallenden Hütte, die alle Schätze eines innerlich reichen, aber vom Glücke traurig verlassenen Dichters barg; es war in der bescheidenen, aber reinlichen und netten Wohnung Krimpler's.

Krimpler war, zur Zeit, von Schwach in Kenntniß gesetzt worden.

Gestützt auf Rose-Marie, sein blühendes, braunköpfiges Töchterlein, erschien der Alte damals in der Thüre der armseligen Hütte, und bebend, mit thränenfeuchtem Auge, blickte er vorwärts, nach seinem heißgeliebten, lange gehegten und verloren geglaubten Schatze.

Es war kein stürmisch Wiederfinden, kein aufbrausend Entgegenstürzen freudigen Erkennens. Es war auch nicht, als ob die Beiden kämen, Trost, Linderung, Labe und Erlösung zu bringen. Es war als hätten sie nicht widerstehen können in ein lockendes Heiligthum zu dringen, und 341 bäten sie dafür um Verzeihung, daß sie dem Drange ihres Herzens nicht zu widerstehen vermocht und die heilige Stille brechen mußten; als flehten sie zugelassen und des Glückes theilhaftig zu werden, hier verweilen zu dürfen.

Wie der Greis damals erschien, mit den weißen Haren, seiner dunkeln hagern Gestalt, umschlungen und gestützt von dem jungen blühenden Leben Rose-Marie's; wie er die Hände bebend vorwärts streckte, während sein geröthetes Auge langsam von Thränen überquoll; wie Rose-Marie verschämt an seiner Seite das Köpfchen senkte; – es war ein schöner, weihevoller Augenblick!

Adele sprang von ihrem Sitze, im ersten Augenblicke des Erkennens, empor. Ihre Hand fuhr dabei nach dem Herzen, ihr blaues Auge sah zu Boden und ihr Busen wogte. Das Fensterlein, an dem sie stand, warf über ihre Büste einen duftig goldenen Schleier.

So stand sie, so standen sie Alle sich einen Augenblick gegenüber. Aber nur einen Augenblick; dann flog Adele in des Vaters Arme; und zwischen seinen bebenden, hagern Fingern hielt er das blonde Köpfchen und kosete es, und strich und tastete die goldigen Hare. Rose-Marie schlang sich bald um der geliebten Schwester Nacken und barg die strömenden Augen an deren Busen.

Aster war nicht zugegen.

Schwach stand draußen vor der Thüre und lugte durch die Spalte, die offen gelassen ward. Er hätte nicht um hohen Preis die Heiligkeit der Szene stören und sich fremdartig in den Einklang dieser Seelen drängen mögen.

Er hatte in dem unwillkührlichen Zuge seines guten Herzens das Rechte gefunden; denn nur so war das Wiedersehen von allen Seiten geeignet, harmonisch zu stimmen. 342 – Kein demüthigendes Anerbieten, kein stolzes Vorhalten der Vergangenheit, kein unheimlich Mahnen an Vorausgesagtes, waltete bei den Wiedervereinigten vor; nur der Zug der Herzen sollte sprechen, nur der unwiderstehliche Bund des Gleichartigen die Wiedergefundene binden, an das was sie verlassen.

So war es auch. – Und als Schwach gerufen war, als Rose-Marie mit seinem Gefühle Adele jede Beschämung und sichtbare Verlegenheit zu ersparen suchte, indem sie selbe umfing – wie verklärt weilte Schwach's Auge auf dieser herrlichen Gruppe! Er hätte fast Krimpler beneiden mögen, hier so innig verwandt, so ganz heimisch zu sein!

Dann ergoß sich der Strom der Beredsamkeit.

Das Gewesene war vergessen und versunken. Nur der Augenblick lebte. Nur die Pflege für die Wiedergefundene, nur die Bitte, sich des Wiederfindens zugleich mit Aster im trauten Familienkreise freuen zu wollen, war das Hauptaugenmerk. Und Rose-Marie's naiv-gemüthliches Bitten im Fragetone, Schwach's wohlwollend herzliches Zureden, sein Ersuchen, daß man ihm sein Eindrängen verzeihen möge, dazu Krimpler's stilles, in Hoffnung wehmüthig-freudiges Aufhorchen, ob die Bitte der Heimkehr von Adelen bejaht werden würde – es war des Beiseins der edelsten Menschen werth!

Aster war beim ersten Zusammentreffen ganz der wilde, aufbrausende, kindlich-weiche und wehmüthig bewegte Mensch, dessen Seele ihm schon so viele Wonne und so vieles Weh verursacht hatte! – Trotz in feuchten Augen, zarte Worte im widerstrebendsten Tone, Widersprüche der rührendsten und entfremdendsten Art waren die Folge.

Alle besiegten den Einen. 343

Da saß er nun wieder bei seiner Adele.

Es war auch nicht mehr bei Schwach. Denn Schwach's damaliges, zugleich großmüthig und bescheidenstes Anerbieten der Gastfreundschaft, ward vor Aster zuvörderst angenommen.

Es lag so viel Mäcenatenthum in diesem wohlwollenden Herrn, so viele Achtung der Kunst und Persönlichkeit, – daß sich der Dichter eher entschließen gekonnt, von dem freiwilligen Gönner etwas anzunehmen, als von dem Pflegevater, dessen einstige und jetzt erfüllte Warnungen, im Stillen doch nur Demüthigungen der empfindlichsten Art waren.

So waren Adele und Ernst zuerst Gäste Schwach's gewesen.

Und dieser Herr hätte sich damals gerne in die kleinste Ecke gedrückt, wäre am liebsten ganz und gar aus dem Hause gegangen, nur um seinen lieben Gästen alle erdenkliche Bequemlichkeit zu verschaffen.

Madame Trullemaier war besiegt! – Wie ein Löwe bäumte sie sich zuerst auf, als sie die Nachricht erhielt, ein weibliches Wesen gelange ins Haus. Als sie aber Adele ins blaue Auge sah, als diese die würdige Frau mit einer Bescheidenheit und Herzlichkeit begrüßte, die ihr schon so viele Herzen gewonnen, da ward auch die Trullemaier entwaffnet, und sie hätte eine Tochter nicht mehr pflegen, achten, lieben können! – Die zum Vorschein gebrachten Gerichte und Pflegemittel waren der erstaunlichsten und ungeahntesten Art. – Wenn es die würdige Haushälterin aber auch recht bedachte, so bedurfte ja Adele keinen Mann mehr, und die romantische Liebesgeschichte mit Aster assekurirte gegen jeden Eingriff in etwaige Trullemaier'sche Prärogative.

Nun erst Poll! Poll war zur Zeit ganz Philosoph. 344 Er stemmte seine kurzen, wohlgerundeten Beine so energisch an, er lächelte so grundselig, treuherzig und schalkisch zugleich, wenn er Eines der Beiden sah, daß man sowol seine herzliche Befriedigung merken, als auch einen gewissen Theil von heiterer Tröstung ihm zuerkennen mußte. Daß ein Philosoph den andern – wofür er Aster anerkannte – nicht ohne Entfaltung wissenschaftlicher Grundsätze lassen konnte, versteht sich von selbst! Und Aster erfuhr wieder nach langer Zeit manchmal gründlich, was lachen heiße!

Jetzt war Adele wieder bei Krimpler. Schicklichkeitsgründe, Bitten, eigener Drang hatten gesiegt, Krimpler seine langersehnten Gäste empfangen. Und was Schwach, bezüglich der Wirthschaftsdinge, heimlich zuvor mit dem Alten abgemacht hatte, das ist gar kein Gegenstand entweihender Neugierde.

Aster führte ein unstätes, fast wildes Leben! War ihm auch, unter Schwach's Garantien und auf Krimpler's vieles Bitten, von der Behörde ein zeitweiliger Aufenthalt in der Stadt gegönnt, so konnte er sich doch nicht von der Empfindung eines gehetzten Wildes losmachen. Er war die Verfolgung, die Unruhe so gewohnt, daß es ihm schien, als ruhe die Jagd nur, um das Wild bald kräftiger anzugreifen; daß er in süßester Fantasie manchmal plötzlich umsah, ob Niemand hinter ihm stehe, der nach ihm spähe, nach ihm luge und seiner habhaft werden wolle.

Es war die Ruhe des Gewitters – fernziehende Wolken und geräuschloses Wetterleuchten, aber immer ein Aufzucken am dunkelumsäumten Horizonte. Halbe Nächte lang blieb er fort. Wo er war? Bei einem Freunde, sagte er. – Er hatte oft auf den grünen Auen, unter freiem Himmel, still denkend gelegen, oder dunkle rauschende Laubgänge bis zum 345 Sonnenaufgange rastlos durchzogen. Die fieberhafte Röthe flog öfter als sonst über seine Wangen, seine Locken ringelten sich dichter durcheinander, sein Auge glühte tief.

Adele war blaß, schön, verklärt, wie eine vom Mond beschienene Lilie. Der sie umgebende Gegensatz ihres bereits gewohnt gewesenen Geschickes, das stete Denken über ihr und über ihres Geliebten Zukunft, hielten sie stets tief erregt. Nicht tobte hier ein Sturm, der sich in schmerzzerwühlten Zügen außen kund gibt; ihr Herz war es, das still und heimlich litt – ihre Wangen waren blaß. Aber ihr blaues Auge verklärte noch himmlischer dieses zarte Angesicht, welches die liebliche kleine Gestalt krönte, deren Glieder, einfach schön, vom kornblumenblauen Kleide umschmiegt waren.

Ernst saß an ihrer Seite, still und lautlos, mit denkender Stirne. Sie hatte bereits oft von dem genähten Stücke aufgesehen und ihm mit der kleinen, lieblichen Hand über Stirn und Locken gestrichen; ein kurzes Lächeln, ein Wiederzurücksinken in die alte Grübelei waren nur die Folge.

Nichts Auffallendes lag ihr mehr in dem nicht ungewohnten, seltsamen, ihm eigenen Benehmen. Daß sie ihm sein Wesen ließ, nur sanft andere Saiten zu berühren suchte und nicht gewaltsam seine innern Klänge störte, das war es ja, was sie ihm stets so lieb und werth machte, als seine zweite Persönlichkeit erscheinen ließ.

Adele saß so dahin und nähte am weißen Linnenzeuge. Wie um seine weitabschwärmenden Gedanken wieder auf Vorhandenes zu sammeln, oder seiner Stimmung Gleichartiges anzuklingen, sang sie leise vor sich hin eines seiner kleinen Lieder. 346

Der Falter und die Rose
Haben ein süß Geheimniß –
Sie küssen und sie kosen
In frühlingskurzer Säumniß.

In frühlingskurzer Säumniß
Ist kürzer der Beiden Bestehen –
Wer rnöcht', wenn er geliebet,
Nicht gerne auch vergehen.

Aster horchte träumend zu, und wie träumend wiederholte er mit bebender Stimme den Schluß:

Wer möcht', wenn er geliebet,
Nicht gerne auch vergehen!

Adele sah fast unwillkührlich nach ihm hin, als sie den bewegten Ton seiner Stimme hörte. Sein Gesicht hatte nun noch mehr den leidenden Ausdruck, und fast erschreckt machte sie sich Vorwürfe, das Liedchen vor sich hingesummt zu haben. O ich irrte! Das Lied hat ja zwei Theile:

Der Falter und die Rose
Haben ein süß Geheimniß –
Sie küssen und sie kosen
In frühlingskurzer Säumniß.

Sie küssen und sie kosen
In frühlingskurzer Säumniß –
Die Zeit der Lieb' und Rosen
Ist kurz – ist ihr Geheimniß.

»Du Schalk!« fügte sie lächelnd hinzu und als dies keinen Eindruck auf ihn machte, mit zart bedauerndem Tone: »Ich habe Dich traurig gestimmt.« 347

»Nein nein!« entgegnete Aster hastig. »Du hast die rechte Saite meines Herzens angeklungen. Geh', singe mir meinen »Schwan«.

»Nicht doch!«

»Ich bitte!«

»Du willst es?«

»Es wird mir wohl thun, ich bitte Dich darum!« Adele sang in leise wehmüthigen Klängen das Lied:

              »Der Schwan.«

Es zieht ein Schwan zur Heimat,
Zur Heimat im schönen Süd –
Er hebt die Brust so wohlig,
Der Abendhimmel glüht.

Da regt sich's unten im Thale –
Ein Schuß blitzt auf und gellt!
Der arme Schwan erbebet,
Er seufzt und sinkt und fällt.

Ach armer Schwan, kein Süden,
Nicht Heim, noch Sonnenglut – –
»Ein arm erbärmlich Sterben
Im eig'nen Herzensblut!« –

Aster sang die letzten Worte Adele nicht nach; aber ihr war es, als hörte sie in seinem Herzen das Lied noch düsterer nachklingen. Sie machte sich den Vorwurf, einen Fehler durch das Erfüllen seiner Bitte begangen zu haben. Um aber ihren Fehler zu vergüten, sah sie ihm so recht in's Auge, daß er sie wieder anschauen mußte; und dann lächelte sie ihm in die Züge hinein, und sang sogleich, mit 348 hellklingender Stimme, als wäre sie heute schon im Singen, und wäre längst alles Traurige vergessen, das heitere Liedchen, das er einst ihr gedichtet.

Das geht wohl nimmer und nimmer
Mit rechten Dingen zu:
      Wohin den Blick ich wende,
      Mein Denken und Fühlen ohn' Ende,
                                        Bist Du,
                                Bist nur Du allein!

Es blühen tausend Blumen
Und duften mir lieblich zu;
      Der Duft von diesen holden
      Blüthenkelch und Dolden,
                                        Bist Du,
                                Bist nur Du allein

Es glänzen tausend Sterne
Und blicken mir freundlich zu;
      Der Glanz von diesen süßen
      Sternen die mich grüßen,
                                        Bist Du,
                                Bist nur Du allein.

Es klingen tausend Saiten
Und singen mir seltsam zu;
      Der Klang von diesen schönen,
      So zaubrisch milden Tönen
                                        Bist Du,
                                Bist nur Du allein! 349

D'rum geht's wol nimmer und nimmer
Mit rechten Dingen zu;
      Wohin den Blick ich wende,
      Mein Denken und Fühlen ohn' Ende,
                                        Bist Du,
                                Bist nur Du allein!

Aster hörte mit leise zuckenden Lippen; es umwehte sie ein Lächeln, während sein Auge gerührt blickte. Fast ungeduldig harrte er auf das Ende des Liedchens. Bei dem letzten Tone sprang er auf, umschlang Adele und drückte einen seelenvollen Kuß auf ihre entgegengehaltenen, herrlich gerundeten rothen Lippen.

Dann griff er rasch nach seinem Hute – und fort eilte er, aus dem Zimmer, aus dem Hause, auf die Straße.



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