August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Zwanzigstes Capitel.

Worin Schwach nur sehr nebulose Erinnerungen über das Vorgefallene hat – und Madame Trullemaier versucht, dessen und ihre eigenen Gefühle klar zu machen – Schnepselmann erscheint, geht von der Defensive zur Offensive über – erhält den Rath sich der Ruhe und der Gelassenheit zu befleißigen – woraus er sehr merkwürdige Proben dieser seiner Eigenschaft gibt.

Daß Schwach sich wieder zu Hause befand, ist eine unbestreitbare Thatsache, über welche er selbst nicht den geringsten Zweifel hegte.

Helden, welche eine Schlacht mitgemacht und mitten in dem Gebrülle der Geschütze, dem Getöse der Stimmen und dem Drängen, zu einem erstaunlichen Ziele gelangt, vermögen später am wenigsten anzugeben, wie es geschah. In demselben Falle befand sich Schwach. Er war zu Hause, er wußte, daß er in einem Wagen gesessen und die Persönlichkeiten, sammt dem Salon Käsemenger sonderlich verlassen; aber das »Bulletin« vom Kriegsschauplatze, welches die einzelnen Thaten mit übersichtlicher Klarheit zusammenfaßt, erwartet er bis heute vergebens.

Madame Trullemaier's Leibhaftigkeit, zu Hause, ist über allen Zweifel erhaben.

Sie schüttelte das Haupt und bedauerte sehr, daß Herr Schwach sie täglich mehr und mehr verlasse! 2

»Wie so?« erwidere er.

»Ach!« seufzte sie, »Sie bringen die Abende immer mehr und mehr außer dem Hause zu, und ich einsame Witib verdustere mein Leben hier . . .«

»Nun, liebe Madame Trullemaier, ist doch Poll . . .«

»Poll, Poll!« rief sie aus, mit einem solch scharfen Blicke nach Schwach, und schüttelte, statt aller Rede, das Haupt, welche Bewegung, mit dem Tone zusammengehalten, sehr viel ausdrücken wollte.

»Uebrigens,« sagte Schwach, »ich wollte, ich wäre zu Hause geblieben.«

»Wollten Sie?«

»Sicher, beste Trullemaier!«

»Ist Ihnen etwas zugestoßen?«

Schwach schwieg. Doch, wo es sich bei einer Dame um eine halbangedeutete Neuigkeit handelt, darf man nie bange sein, daß sie nicht auch der andern Hälfte mit Rastlosigkeit nachforsche.

»O, es ist Ihnen etwas zugestoßen!« rief sie. »Sicher, Sie wollen es mir nicht sagen – o, ich verdiene Ihr Vertrauen nicht – ich – warum denn auch – ich bin nur eine arme Witib – aber mein theilnehmendes Herz – ach mein Herz!« Und sie legte ihre Hand an die Stelle, wo dieser Artikel vermuthet wird.

»Es ist arg; aber noch nicht so arg,« sagte Herkules, als er seine Wirthschafterin in starke Gemüthsbewegung kommen sah. »Ich bin noch gut abgekommen; . . . aber Uebereiltheit . . .«

»Sicher Schnepselmann!« rief Madame Trullemaier aus, die bei dem Worte »Uebereiltheit« sofort ihren Mann kannte. Und noch ehe Schwach zustimmend nicken konnte, fuhr 3 sie schon fort, gegen Schnepselmann loszugehen. – Es ist der allgemeinste Weg sich Platz bei Jemandem zu verschaffen, indem man Andere verdrängt. – »O Schnepselmann, der verführt Sie noch ganz – der bringt Sie aus dem stillen, häuslichen Leben – hat Sie auch heute fortgeführt – ich arme Witib, habe ich doch die ganze Zeit Ahnungen, bange Gedanken gehabt – mein armes Gemüth – ich dachte immer, wenn meinem guten Herrn nichts zustoßt – meine Ahnungen! – besser er wäre zu Hause bei mir – ich hätte was Delikates gekocht – o Schnepselmann!«

»Sicher Herzenssachen?« bog sie, von den früheren Ausrufungen, mit den letzten Worten rasch zu einer Frage ein.

»Herzenssachen, ja allerdings, das kommt von meinem guten Herzen . . .«

»O Frauenzimmer!« rief Madame Trullemaier so rasch als möglich aus, und mit einem forschenden Blicke sagte sie: »Frauenzimmer – die heutigen Frauenzimmer – nichts rascher als ein Unglück – das hat keine Treue, kein Herz, keine Erfahrung – da lobe ich mir die Welt, die ich noch gesehen – das waren andere Zeiten – unsere Erziehung – aber jetzt!« Sie hob ihre Hände in die Höhe. »Doch dieser Schnepselmann stiftet noch Unglück mit seinem Heirathsbureau; nicht wahr?«

Schwach ging in die Falle und sagte: »Sicher, seine Raschheit . . .«

»Sicher, er will verheiraten ehe man sich umsieht!«

»So ist er.«

Schwach war also im Trullemaierischen Fahrwasser, und sie sagte: »Wollte Sie verheiraten, das sieht ihm gleich, 4 dem Ungeheuer!« Sie ballte, diesmal wirklich ergrimmt, die Fäuste.

Schwach schüttelte, halb und halb zustimmend, das Haupt.

Aber Sie werden es nicht thun, nicht wahr, Sie werden es nicht thun? – Oder muß ich bald wirklich aus dem Hause?« Ihr Ton begann nun sehr weinerlich zu werden. »O ich arme Witib – ich arme Witib, kein sicheres Plätzchen für mein Haupt – oh!« Und sie hob bei leisem Schluchzen die Schürze an die Augen.

»Seien Sie ruhig, meine liebe Trullemaier,« sagte Schwach sehr sanft.

»O, Sie haben den Plan vielleicht schon angelegt, es ist schon alles unterminirt, und morgen, übermorgen, bin ich schon in die Luft gesprengt! Oh, sagen Sie es noch heute, ich packe mein Bündel, mein Bischen Hab und Gut, noch jetzt in der Nacht, und gehe, arm und verlassen, eine einsame Witib. – Oh, sagen Sie's nur, sie kommt schon, sie ist schon im Anzuge, sie stoßt mich schon hinaus, in die Nacht und Finsterkeit – Sie sind verliebt . . .«

»Ich verliebt? Wohin denken Sie?«

»Sagen Sie's nur – wie heißt das Frauenzimmer? – Ich gehe – sie ist jung, reich, keine arme Witib, Sie sind verliebt . . .«

»Ich versichere, nein.«

»O die Frauenzimmer! – Sie kennen Eine?«

»Ich kenne keine.«

»Ich glaub's nicht.«

»Glauben Sie mir's,« sagte Schwach gutmüthig, und die rührende Theilnahme seiner Haushälterin that dem erst vor Kurzem so unnachsichtlich ausgesetzten Herkules sehr wohl. 5 Glauben Sie mir's,« wiederholte er mittheilend; »ich liebe Keine, und denke an Keine und mag Keine kennen, und jetzt meide ich erst recht . . .«

»Alle?«

»Alle!«

»Und mich armes Frauenzimmer, mich gerade hassen Sie? Ach! . .«

»Nein, meine liebe Madame Trullemaier; keine Andere soll mir in's Haus kommen; Sie sind das einzige Frauenzimmer, das ich kenne und kennen mag; und von allen andern mag ich nichts wissen.«

»O Sie guter, guter Herr Schwach!« rief sie höchst erregt, ergriff seine Hand, drückte sie und führte sie unversehens näher, während sie nach dem Hängleuchter an der Zimmerdecke sah und seufzte.

Schwach ließ es ruhig geschehen; nur gemahnte ihn diese Herzensbewegtheit stärker wieder an Esmeralda, und er wurde etwas unmuthiger.

»Erzählen Sie mir doch!« sagte jetzt lebhaft die Trullemaier, die ihre Herzensbewegungen nicht sofort kräftig bestärkt und erwidert sah.

Die Erzählung lag jedoch weniger in der Absicht Schwach's, sein Erschöpftsein drängte sich wieder vor. Er lehnte daher sanft die theilnehmende Aufforderung ab, zugleich den Wunsch der Ruhe und der Erholung ausdrückend.

Madame Trullemaier zog sich, nach einigem Seufzen, Beklagen über Mangel an Vertrauen, Verwünschen der Frauenzimmer, Erwähnen Schnepselmann's und einer armen Witib, endlich zurück und belebte wieder die äußeren Umgebungen.

Obwol sie in ihrem Innern sehr erquickt war von 6 gewissen Worten, so war sie doch andererseits sehr unzufrieden mit dem Fehlschlagen ihrer Absicht, Alles zu erfahren. Der arme Poll mußte die ungestillte Neugierde durch allerlei Tadel entgelten.

»Wofür habe ich meine Philosophie?« sagte er jedoch gelassen. »Ich denke mir: gerade wie meine Rosine! Einmal sanft gestreichelt und das anderemal gekrazt und gebissen. – Das ist meine Philosophie!« Und darauf zog er sich, mit dem vollesten Bewußtsein eines tiefen Philosophen, in das Innerste seines Selbst zurück.

Schnepselmann hielt es für gut, einige Tage vorübergehen und dadurch das Gemüth seines ohnehin nicht sehr heftigen Freundes noch mehr beschwichtigen und zur Ruhe gelangen zu lassen. Er hoffte hievon sehr Gutes, und mochte sich nicht getäuscht haben. – Aber Madame Trullemaier war nicht so sanft wie Schwach. Sie hatte Näheres und wenn nicht Alles, doch so Manches, von diesem, weiberschlau, allmälig herausgebracht, und ihre Fantasie ergänzte eifrigst das Mangelnde. Mit einem grimmigen Blicke empfing sie daher den endlich erscheinenden Agenten.

»Schöne Dinge!« schmollte sie ihn an.

Schnepselmann, der ohnehin zaghaft war, fuhr sich, bei diesem einleitenden Empfange im Vorzimmer, durch die Hare und schwieg.

»Nun, Sie sind mir der Rechte!« fuhr die erboßte Haushälterin fort.

Da faßte Schnepselmann rasch einen Feldzugsplan. Die »Offensive«, dachte er, ist stets besser als die »Defensive«. Sogleich brachte er daher den berühmten Alexis vor.

»O, Madame Trullemaier, was ich mir ausstehe!« 7 warf er sehr geschickt ein, »das ist entsetzlich! Ich weiß nicht mehr was ich mit Alexis beginnen soll!«

»O, Sie haben's immer mit andern Leuten; nun muß der arme Junge wieder . . .«

»Was thut mir dieser Schwerenöther! Geht zu dem Tanzmeister . . . doch das ist noch nichts! Geht mir der Satan, den ich liverirt habe, zu dem Photographen, der ebenfalls in meinem Bureau hängt, und sagt eine schöne Empfehlung von mir, ich wüßte davon, es wäre schon Alles recht, und er solle nur einige Dutzend photographische Visitekarten machen. Läßt sich der Teufelsjunge in der Livree auf Visitekarten photographiren, ebenso seinen Busenfreund, einen Schusterjungen, leibhaftig mit Schurz und Pech. Die beiden Teufelsjungen tauschen hierauf die Photographien, zum Zeichen gegenseitiger Hochachtung und Liebe, aus und verbreiten ihre holden Bilder weiter. Ich entdecke die Geschichte erst, als ich bei Nacht zufällig ein Bild auf Alexis' Busen ruhen sehe, und mit der Rechnung des Photographen gar nicht in Ordnung kommen kann! – Was soll ich machen? Er ruinirt mein Haus, mein Geschäft, mich selbst, meine Frau und Kinder, Alles, Alles!«

»Ach, gehen Sie nur zu Herrn Schwach, sonst machen Sie mir hier aus dem Jungen weiß Gott was Alles noch; und er ist so ein sanftes Kind!«

»Ein . . . ein . . .«

»Nun, es ist gut, bitte treten Sie nur ein,« sagte Madame Trullemaier und lief davon. Schnepselmann blieb, innerlich triumfirend, als Sieger auf dem Platze, und benützte das freie Gebiet sofort, um eine Flankenbewegung nach Schwach's Zimmer zu machen.

Die nothwendigsten Entschuldigungen hatte er schon 8 im Voraus einstudirt. Sein Bedauern des Vorfalles wuchs, je nachgiebiger er Herkules sah, und seine Freundschaftsversicherungen nahmen einen bedeutenden Theil der Rede ein, sobald er irgend einen Angriff auf sein Thun und Lassen von ferne herankommen sah. Er gestand gerne Fehler zu, und entwaffnete, durch seine seltene Nachgiebigkeit, den schlecht gerüsteten Unmuth des leicht zu besänftigenden Schwach.

»Mein lieber Schnepselmann,« sagte Schwach endlich, nachdem die Hauptsache vorüber war, »ich habe Ihrer Eifrigkeit für mich viel zu danken, das ist wahr und ich bekenne es sehr gerne. Aber ich habe in den letzten Tagen nachgedacht und bin zu dem Entschlusse gekommen, ich muß Ihnen ein gewisses Etwas sagen. Denken Sie einmal, was?«

»Kann's wirklich nicht errathen. Aber ich horche aufmerksam und stehe ganz zu Befehl!«

»Meinen Sie nicht . . . . wären Sie nicht auch der Ansicht . . . .« sagte Schwach zögernd, indem er nun Jemandem einen Tadel und Rath geben sollte, der dessen ganzes Wesen betraf; »denken Sie nicht, es wäre sehr gut . . . .«

»Was denn, was, ich bitte!« sagte Schnepselmann ungeduldig.

»Sie beobachteten . . . es fehlt Ihnen . . . Ruhe, etwas mehr Gelassenheit, mehr Langsamkeit und Bedacht in allen Angelegenheiten . . . ich würde, wollte anrathen . . . eine größere Klarheit und Gemessenheit . . .«

Schnepselmann fuhr mit seinen Fingern mehrmals durch die Hare.

»Denn, wenn Sie klarer gesprochen, die Sache mehr auseinandergesetzt . . .«

»Aber, lieber Freund, da sind Sie ja auch schuld! – 9 Doch ich will nicht rechten,« fuhr er gelassen fort, »ich trage diesmal den Fehler; ich gehe ganz ein auf Ihren Wunsch; ich habe ihn sogar schon im Voraus erkannt, errathen, selbst eingesehen und ihn zu meinem eigenen gemacht! – Ich will ruhiger zu Werke gehen,« sagte er mit ernstem Ausdrucke, »ich will Alles klarer bedenken und gelassen ausführen, sehr, sehr gelassen! – Damit Sie aber sehen, ich mache nicht leere Worte, und daß es bei mir feststeht auszuführen was ich mir vorgenommen, habe ich gleich im Vorhinein Ihre Angelegenheiten in dieser Weise besorgt. Ich habe mich weiter um die möglichen Geburtsverhältnisse sehr angelegentlichst umgesehen. Da sind wieder mehrere Personen, die einem Geheimnisse auf die Spur zu führen im Stande sind. Sprechen Sie nicht wieder von Raschheit! Gerade die genaueste Auffassung der allerkleinsten Umstände, glaube ich, muß eben hier von meiner ruhigen, klaren Ueberlegung zeugen! Da ist, vor Allem, ein Hauseigenthümer, d. h. er ist nicht mehr Hauseigenthümer, sondern er war es einst. Er litt an einem Magenübel, welches ihn verhinderte sein Haus selbst zu besorgen, und durch fremde Nachlässigkeit ist es so zu Grunde gegangen, daß er es verkaufen mußte. Den Erlös hat er dann auch in den Beschwerden seines Magenübels zugesetzt. Er erinnert sich, vor mehr als dreißig Jahren eine junge Partei im Hause wohnhaft gehabt zu haben, deren Erscheinen merkwürdig nobel und elegant war. Sowol der Herr als die Frau schienen ihm vom höchsten Adel, so fein und zart waren sie beide. Sie hatten sich, seiner Vermuthung nach, sicherlich nur unter fremden Namen eingemiethet, und in dieser Meinung bestätigte ihn noch die Lebensart und Weise der beiden Leute mit ihrem einzigen Kinde. Obwol sie gleich den ersten 10 Miethzins schuldig blieben, so sah man doch Auserlesenes auf ihrem Tische, trugen Frau und Herr die kostbarsten Kleider, und verließen die bekanntesten Handwerker und Kaufleute der Stadt selten deren Wohnung. Obwol der Hausherr öfters die rückständige Miethe vergeblich forderte, so konnte er sich doch nicht enthalten die Einladung auf einige Flaschen Wein mehrmals anzunehmen, umsomehr da dies seinem Magenübel wohl that. – Dieses ganze Benehmen, dieser Kredit, die häufigsten Erzählungen von Konnexionen mit den bedeutendsten Familien, die steten Erwähnungen von »Mama und Papa«, wenn von Geldsummen und Elternhärte die Rede war, brachten ihn noch mehr auf die Vermuthung eines noblen Geheimnisses. Nachdem die noblen Inwohner, mit fester Bewahrung ihres Inkognito bereits drei Quartalmiethen schuldig geblieben waren, und der Hausherr eben, trotz seiner engeren Bekanntschaft, entschlossen war, gerichtliche Schritte folgen zu lassen, verschwanden in der Nacht plötzlich der noble Herr und die noble Dame, mit Hinterlassung äußerst weniger Mobilien in der geleerten Wohnung, nachdem das Kind schon einige Tage vorher unsichtbar ward. Der fortwährende Zudrang von Leuten aus der geldbesitzenden und noblen Klasse, bestätigte den Hausherrn nur noch mehr in seiner Vermuthung. Zu gleicher Zeit ging das Gerücht von der verschwundenen Tochter eines Bankiers und einem Generalssohne, deren Eltern sich bemühten, eine heimliche Heirat, aus der schon ein Kind entsprungen, zu vernichten. Der Hausherr hat auch jetzt, nachdem er durch sein Magenübel längst nicht mehr Hausherr ist, nach seiner Meinung, die Dame in einer Gestalt aus der hiesigen Aristokratie erkannt, obwol sie natürlich seit 30 Jahren sehr verändert ist. Das 11 Kind hat er aber nie wieder gesehen, und man hat weiters nie davon gehört. Der ehemalige Hausherr meint also unserem Geheimniß auf sicherer Spur zu sein, und wenn wir, durch Beiträge, zur besseren Heilung seines Magenübels – er besitzt sehr werthvolle Rezepte, die er ohne Geld nicht machen lassen kann – zur bessern Heilung seines Magenübels mitwirken wollten, so sei er bereit, eifrigst . . . .«

»Aber lieber Schnepselmann,« sagte Schwach etwas erregt, »ich kann doch nicht mit der ganzen Welt . . . .«

»Mit der ganzen Welt mich in Verbindung und Streit einlassen. Sehr richtig! Aber sehen Sie nicht ein, daß, wenn ich mit Ruhe, mit Ueberlegung zu Werke gehe, gerade die kleinsten zweideutigen Vorfälle von mir aufgefaßt werden müssen? Prüfet Alles und das Beste behaltet, sagt ja der Spruch! Glauben Sie nicht etwa, ich wäre blos bei jenem Vorfalle stehen geblieben; da ist, noch weiter, Madame Mutzenberg, die Witwe, Sie kennen sie, die eine der Damen, welche die wirklich gelungene Trauerfestivität verschönte. Sie ist ein »Medium«, das bei den Spiritualisten sehr in Ansehen steht. Sie hat den drehenden und schreibenden Tisch befragt, sie hat mir eine geistmagnetische Vision erzählt, die sie gehabt.«

»Oh . . .!«

»O, ich weis, was Sie mir sagen wollen, über Träume und Schäume! Aber nur nicht hitzig, nur gelassen! –« Schnepselmann heißt der Redner. – »Nicht jede Vision, jeder Traum ist zu verwerfen! Wissen Sie nicht von den Lotterietreffern, somnambulen Gesellschaften, den Schätzen die schon gefunden, verborgenen Dingen die schon entdeckt wurden? Dreihundert deutsche Werke über Spiritismus, 12 Sensitivismus, sind bereits erschienen. Und die Mutzenberg hat dreimal, sage, dreimal! . . .« wiederholte er nachdrücklich.

»Nun, was war's?« fragte der neugierig gemachte Schwach.

»Ah, sehen Sie, es interessirt Sie – und ist wichtig! Sie hat Sie gesehen, klein, wie Sie in den Windeln lagen; aber ganz Ihr Gesicht, ganz Ihr Gesicht! Und ein Mann mit einer Krone, einem Szepter und einem sehr feinen rothen Mantel schob Sie in eine große Schachtel, legte ein schweres Bündel von Gold und Diamanten dazu, und gab das so gefüllte Kistchen einem Bedienten zum Fortschaffen. Sie hat ganz genau den Mantel, den Mann und das Schloß gesehen. Der Mann hatte links auf der Nase eine Warze mit drei Haren. Das Schloß steht ihr ganz deutlich vor Augen, von außen und innen, Alles ist sich dreimal, bis aufs Kleinste, selbst der Warze und den drei Haren, gleich geblieben, sie würde das Schloß auf den ersten Augenblick erkennen! Ich habe mich vorläufig um das Bilderbuch »Deutschlands Burgen und Schlösser« umgesehen, und das Weitere werden wir besorgen, noch mehr, wenn wir einen Fürsten mit einer Warze . . .«

Schwach schüttelte wieder nachdenklich, verneinend, das Haupt.

»Gut, verehrtester Freund,« sagte Schnepselmann sofort und wirbelte sehr eifrig mit einer Hand die Hare auf dem Kopfe herum; »Sie sind heute zu . . . zu erregt, zu wenig beruhigt und klar, Ihr Gemüth hat noch meinen Fehler nicht überwunden. Aber nur gelassen, gelassen, bedachtsam! Sie haben ganz Recht, wie Sie sagten; – und darum lasse ich Ihnen das Alles zum Bedenken, zum klaren Auffassen des Spiritualismus, der einzelnen, kleinen, 13 auffallenden Umstände und Anhaltspunkte, bis auf Weiteres. – Sind Sie einmal beruhigt, dann werden Sie mit mir sicher übereinstimmen.«

»Glauben Sie?«

»Unzweifelhaft! Ich fordere heute gar nicht Ihre Meinung, ich müßte eine Uebereilung fürchten. Und nur – Gelassenheit! Jedoch einen Beweis meines Vertrauens auf Ihre Ruhe muß ich Ihnen geben, indem ich einen dritten Fall Ihnen vortrage, einen sehr wichtigen Fall. Vielleicht sind Sie, bis zu dessen Ende, genug beruhigt, um . . . .«

»Ich höre Alles. Aber Sie werden doch nicht gleich einen Entschluß . . . .«

»Fordern? Keineswegs, keineswegs . . . nur Bedachtsamkeit!

»Sie haben bei . . . . bei . . . nun, das Wort kann ich nicht vermeiden, so betrübend dessen Anklang ist . . . Sie verzeihen schon . . . bei Käsemenger's eine Dame gesehen, die Ihnen als Tragödistin aufgeführt wurde. Die hohe, schmächtige Frau in mittleren Jahren, die Tragikerin Thusnelda Blüthebusch

»Ich erinnere mich, eine sehr ernsthafte Dame.«

»Sehr ernsthaft; und sie hat auch Grund, es zu sein. Um ihre Geburt webt sich, nicht minder, ein sehr, sehr geheimnißvoller, düsterer Schleier. Sie stammt aus einem hohen, sehr hohen Geschlechte. Aber Ereignisse geheimnißvoller Art, haben sie und einen jungen Bruder frühzeitig von dem liebevollen Schoße einer zärtlichen Pflegerin und dem Prunke einer reichen Umgebung gerissen.«

»Soll ich ihr vielleicht helfen, sie ist unglücklich?« sagte der gute Schwach zuvorkommend.

»Nein, das nicht; sie will Ihnen helfen, Ihnen!« 14

»Mir?«

»Ja, Ihnen! Ahnen Sie denn nichts? . . . . von . . . . einem Bruder?«

Schwach öffnete groß die Augen.

»Allerdings! Hier ist eine sehr intelligente Person, die dem Geheimnisse näher steht als irgend Jemand, die selbst darein verwickelt ist und noch aus eigenen Erlebnissen Zusätze geben kann.«

»Was Sie sagen!«

»Wie ich Ihnen sage! Wären die Anzeichen nicht so bedeutender Art, ich hätte sie nicht eingeladen, persönlich zu erscheinen.«

»Persönlich . . . . bei mir?« – Und Schwach wurde sehr verlegen.

»Ganz wie ich Ihnen sagte! Und das mag Ihnen gleich einen Beweis geben, wie ruhig und gelassen und klar bedenkend ich zu Werke gehe. – Ich wollte Sie selbst sehen, hören, urtheilen lassen; und Sie verzeihen schon, daß ich die Dame im Voraus eingeladen, hier zu erscheinen. Aber gerade vom Standpunkte der Ruhe, des langsamen Inswerkgehens, hielt ich diese Maßregel nothwendig, ja glaube ich nicht anders handeln gekonnt zu haben, als Frau Thusnelda Blüthebusch zu einem baldigsten Besuche, für heute einzuladen.«

»Heute?«

»Ja, werthester Herr Schwach; und ich hoffe, Madame Thusnelda Blüthebusch wird erscheinen, während ich noch die Ehre habe hier zu sein, vielleicht in wenigen Minuten . . .«

Hier klingelte die Thürglocke.

»Vielleicht jetzt schon!« rief Schnepselmann aus. »Sie ist's, sicher!« 15



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