August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Siebenunddreißigstes Capitel.

Es geht äußerst schauerlich zu – handelt sich um Leben und Tod – und wir müssen für alle unsere Helden sehr zittern.

In der Nacht fand Schwach keine Ruhe. Schreckliche Träume drückten auf seine Brust, ja begannen einen Kampf mit seinen Athemwerkzeugen, so daß er um Mitternacht sich vom Bette erhob und im Nachtkostüme, mit schrecklich nach aufwärts ragender Schlafmütze, seinen letzten Willen verfaßte.

Nachdem dies mit vielen Seufzern und Bebungen geschehen, versuchte er wieder einzuschlafen.

Aber vergeblich scheuchte er die schrecklichen Gestalten von seinen geschlossenen, doch sehenden Augen.

Namentlich ein Kästchen, das in einem Winkel stand, schien der Hort aller Gespenster zu sein, noch mehr als Pandora's Büchse. Es barg ein Par Pistolen. Die höhnenden, lustig-grimassirenden und wehklagenden Gespensterlein, stiegen, trotz der pechschwarzen Finsterniß, darüber auf und nieder, machten leuchtend die sonderbarsten Purzelbäume und Gesten nach Schwach hin, so daß sich der Geängstete des Spiritismus entsann, ihm mehr Glauben als sonst 233 beimaß, und sich nicht enthalten konnte, aufzustehen, das Kästchen in ein anderes Zimmer zu tragen und dort unter eine Decke zu schieben.

Dann, nach langer Zeit, schlief er endlich müde und matt ein.

Jedoch die Worte: Käsemenger – Schnepselmann – Tod – Kirchhof – Pistolen – Duell – Testament und Blut – mochten mehr wie einmal im Schlafe über seine Lippen gegangen sein.

Mit der holden Aurora erwachte Schwach und mit der holden Aurora kam auch bald der holde Schnepselmann. Er war heute feierlicher, nachdrücklicher als sonst. »Unten steht Ihr Wagen,« sagte er entschieden, »steigen Sie ein, Alles ist in Ordnung!« Und wenn Schwach wieder um Gotteswillen zu bitten anfing, man möge sein Leben schonen, war Schnepselmann so unerbittlich, als irgend ein Heiliger in der Pagode zu Jagernaut.

»Lassen Sie uns nur nicht warten!« rief er bei der Thüre. »Um 8 Uhr präcise ist das Treffen festgesetzt!« – Und als ob er gemeldet hätte »das Diner ist servirt,« verschwand er rasch aus den Räumen.

Schwach seufzte tief auf, er sah sich als ein auf jedem Wege unentrinnbares Opfer des Mordes. Er griff zitternd nach der Handhabe des verhängnißvollen Kästchens, blieb noch einmal in seinem Zimmer stehen, warf einen Blick nach Decke und Wänden, schüttelte den Kopf und ging stumm, aber mit unendlichem Wehe, aus seiner Wohnung und hinab zu dem Wagen.

Dieser hatte Weisung und rollte mit ihm, wie zu einer Richtstätte, hinaus aus der Stadt, in ein kleines Gehölz, vor ein einsames leeres Sommerhaus, und nachdem der 234 Gast vor der Thüre desselben abgesetzt war, wieder zurück in die Stadt.

Dieses leere Haus war eine der Schnepselmann'schen Vormundschaft übergebene Waise, die derselbe, oder seine Agentur, an Mann zu bringen hatte. Den willkommenen Zufall benützte Schnepselmann mit großer Geschäftskenntniß, um ein passendes Rendezvous für ungehinderten Mord und Todtschlag, für Menschen und Generationsvernichtung zu haben.

Das einsame Haus mit den geschlossenen Läden machte auf Schwach den Eindruck, als hätte es bereits die Augen zugedrückt – eine sichere Vorbedeutung für ihn selbst. – Schwach wußte bereits, er dürfe nur an dem Schlosse des Einganges drücken und dieses werde sich öffnen. Er that es, und seine Schritte hallten ihm schauerlich von den Steinplatten der sonst sterbensstillen Vorhalle wieder. Sie endete mit einem zweiten Ausgange nach dem Garten, und dieser – von einem Pavillon begränzt – sollte der Tournierplatz, die Richtstätte, der Blutort, die schauerliche Löwengrube gemeuchelter Unschuld werden.

Schwach setzte seine Instrumente, die ihn ohne Losgehen bereits hinlänglich peinigten, auf die erste Bank des erstbesten Gartenplätzchens und harrte.

Er hatte sich kaum dem genügenden Angstschweiß hingegeben, als abermals ein Wagen rasselte, auch Säbel klirrten und die Steinplatten der Vorhalle widerhallten.

Hilf Himmel! Nun war kein Zweifel, alle möglichen Kombinationen, daß denn doch Einer krank werden könne, oder mittlerweile sterben, oder zurücktreten, waren vergebens, das Verhängniß war da, von Angesicht zu Angesicht.

Aber Schnepselmann fehlte! der Hauptagitator, das 235 belebende oder vielmehr vernichtende Prinzip der ganzen Menschenvertilgung.

Käsemenger und Gabelsdorff sollten, nach Schnepselmann's wohlbedachtem Plane, heute über die eigentlichsten Zwecke ihres Daseins getäuscht werden und unvermuthete Aufklärung empfangen. Er hatte sie blos zu einem letzten Friedensversuche hieher geladen; aber zuverläßiges Erscheinen erbeten. Und da die beiden Helden auf Urlaub, vorläufig einen Kampf mit Braten und verkorkten Flaschen – auf fremde Unkosten natürlich – vermutheten, fanden sie es gegenwärtig nicht für gut, den Ton und das Benehmen anders einzurichten. Käsemenger spreizte sich daher wo möglich noch mehr als das vorigemal, ein städtischer Schuhmacher schien höhere Absätze oder Korksohlen vermittelt zu haben.

Schwach, starr und steif von dem Anblicke, schien hiedurch im ersten Momente eine imposante Haltung angenommen zu haben. Käsemenger beschloß sofort, ihn niederzudonnern, blieb stehen, mit Gabelsdorff hinter sich und zirpte, indem er einen Handschuhzipfel grüßend nach seiner Kopfbedeckung warf: »Nun, Herr Schwager!?«

In demselben Augenblicke raschelte ein Gebüsch vis-à-vis und Schnepselmann trat leibhaftig daraus hervor. Beim Auseinanderbiegen der Zweige sah man das Gartenpförtchen, durch das er gekommen war.

Dieses Intermezzo wendete alle Augen auf sich und erlöste vorzüglich Schwach von der schweren und wahrscheinlichen Mißgeburt einer Antwort. Er seufzte tief auf.

»Guten Morgen!« rollte Schnepselmann in seiner Weise hervor. »Meine Herren, ich bin entzückt, Sie hier zu treffen. – Herr Käsemenger, Herr von Gabelsdorff! Es bedarf zwischen uns keiner weiteren Auseinandersetzungen. 236 Sie kennen meine Meinungen. Sie haben den Wunsch ausgesprochen, Herr Käsemenger, die Angelegenheit Ihres Fräulein Schwester entweder durch eine Hochzeit, oder durch Blut abgemacht zu sehen. Ich habe mich im Namen meines Freundes genügend ausgesprochen. – Von einer Hochzeit kann nicht die Rede sein!« sagte Schnepselmann plötzlich entschieden; »und ich selbst, der ich das Mißverständniß genau kenne, der ich Theil und Schuld daran habe, bin entrüstet über den Gedanken, Herr Schwach solle eine gezwungene Heirat eingehen! – Sprechen Sie nicht, Herr Schwach!« unterbrach er sich wieder plötzlich, mit scheinbarer Heftigkeit sich nach diesem wendend. Schwach dachte nicht daran, den Mund aufzuthun. – »Sprechen Sie kein Wort! Ihre Aufregung, Ihre Wuth, in der Sie sind, könnte Sie nur zu beleidigenden Worten hinreißen, und – man kann aus dieser Welt in Güte scheiden!«

Die beiden Angekommenen sahen sich etwas verduzt bei diesen noch nicht ganz erklärlichen, aber halbwegs verständlichen Worten an.

Schnepselmann fuhr fort: »Herr Lieutenant Käsemenger! Sie wünschen ein Duell. So sehr ich Ihr Leben, als das des einzigen Stammhalters Ihrer werthen Eltern, schätze und eventuell bedauere; so kann ich doch nicht anders, als endlich zustimmen dem Wunsche meines Freundes, des Herrn Schwach, die Sache, ende sie wie sie wolle, schließlich mit den Waffen abgemacht zu sehen! Herr von Gabelsdorff ist Ihr Sekundant – und ich – bin der des Herrn Schwach!«

Käsemenger junior hustete verlegen und wußte nicht, was er sagen solle. Er war blos auf die Fortsetzung des billigen Privatspasses von früher und einen Schluß gefaßt, wie ihn Schnepselmann Herrn Herkules Schwach angedeutet hatte. 237

Schnepselmann, einmal in begonnener Thätigkeit und als – wie er sich selbst nannte – »alter Hase«, ersah sehr psichologisch die geübte Wirkung; er fuhr daher lebhaft fort: »Sie werden verzeihen, wenn Herr Schwach wenig spricht. Es geschieht dies eines gegebenen Wortes wegen, das ich Herrn Schwach auf Ehre abzufordern mich gezwungen sah. – Sprechen Sie nicht, Herr Schwach! – Sprechen Sie nicht! Denken Sie Ihrer Worte! Halten Sie zurück! Ich bitte Sie, um Gotteswillen, keine Beleidigung! – Ich erfülle meine Pflichten, Sie sehen und hören ja! Ich spreche für Sie! Erst dann, wenn ich nicht die Wahrheit und Ihre Gefühle mittheile, dann strafen Sie mich Lüge; aber nur keine Heftigkeit! Sie sind blaß vor Wuth – und das Gedenken an den Jugendfreund, den Sie im Duelle morden mußten, erschüttert Sie. – Ich bitte Sie, Herr Schwach, setzen Sie sich, die Ueberwindung kostet Sie Anstrengung; wenn Sie den Tag überleben, werden Sie einer Krankheit anheimfallen – ich bitte, schonen Sie sich!«

Schwach machte mit der Hand eine Bewegung – sie genügte Schnepselmann, der sich selbst übertraf und dessen Thun eines Hofkomödianten würdig war.

»Ich bitte auch Sie, mein tapferer Herr Käsemenger, sich zu setzen. Die Sache ist im Gange; der Kampf ist angenommen; das Duell, so tief ich es bedauere und so sehr ich dagegen gearbeitet, wird vorbereitet; ich und Herr von Gabelsdorff, als Sekundanten, haben also das ausschließliche Recht der Verhandlung.«

Käsemenger, überrascht und getäuscht von Schnepselmann, mochte einige Schwäche in den Beinen fühlen, er fand es gerathen sich mit nonchalanter Miene niederzusetzen und die 238 Arme über die Brustwattirung zu kreuzen, wie ein großer Held vor oder nach dem Triumfe.

»Also, Herr von Gabelsdorff, ich unterrichte Sie und wiederhole, Ihr geehrter Freund hat, wenn er bei seinem Willen hartnäckig beharrt und die Angabe eines Mißverständnisses durchaus nicht gelten lassen will, sich des Duelles mit meinem geehrten Freunde nicht zu schämen; und wenn die Angelegenheit einst zu den Zeitungen dringt, werden sie Beide mindestens mit dem gleichen Ruhme genannt werden. Es ist ein gleicher Kampf! Mein geehrter Freund, von jeher ein Liebhaber der Jagd, der Waffen, des Schützenlebens, Mitglied des hiesigen Jagd- und Schützenvereines, Besucher der Nationalschützenfeste, ist fertig im Klingenkampfe und ein ausgezeichneter Zieler! Ein Preis vom Nationalschützenfeste hängt in seinem Schlafgemache.«

Schwach wischte sich den Schweiß von der Stirne.

»Ach, ich weiß,« sagte Schnepselmann, als hätte Schwach eine Bewegung zum Sprechen gemacht, »was Sie sagen wollen. Seit dem schauerlichen Unglücke, das Sie betroffen, als Sie Ihren Gegner einstens an der belgischen Grenze todt hinstreckten, seitdem hassen Sie die Waffen und verabscheuen den Kampf. Aber die Ehre und Herr Käsemenger fordern trotzig alle Ueberwindung. Nun denn, kein Säbelkampf, wie Sie sich ferner ausdrückten; nur Pistolen! Allerdings – wenn Sie noch beharren darauf und die Herren nichts einzuwenden haben, so wird es wol bei den traurigen Pistolen bleiben!«

»Was meinst Du, Käsemenger? Pistolen?« fragte Gabler.

»Pistolen«, tremulirte nicht unmerklich Lieutenant Käsemenger's Fistel. 239

Für Schwach war jedoch die Stimme stark genug, um ihm wie Donner des jüngsten Gerichtes zu tönen. Er wünschte alle Schnepselmänner und Käsemenger 3000 Klafter tief in die Hölle, und dachte an sein junges Leben.

»Also angenommen, Pistolen,« fuhr Schnepselmann gefaßt fort. »Distanz . . . .«

»Was meinst Du, Käsemenger?«

Käsemenger befand sich sehr unbehaglich. Dieser Schwach ist ein schrecklicher, ungeahnter, überraschender Wütherich! dachte er mit Herzbeben. Man sieht es diesem Menschen gar nicht an! Wie gelassen, wie ruhig er beim ersten Zusammentreffen war und sich Alles gefallen ließ! Aber so sind die guten Leute alle! Erst weich wie Wachs, und dann sind sie die unbändigsten, barbarischsten Ungeheuer! Ist unser Major Ritter von Wille nicht ebenso? Lange glaubt man, der Mensch habe keine Galle in sich; wenn er aber endlich losfährt, dann Gnade Gott! Und wenn Dieser da gar einst Jemanden todt geschossen hat, dann erkläre ich mir die erste Angst, das ursprüngliche Zurückziehen, diese eigenthümliche Niedergeschlagenheit und Scheu. Dieser verdammte melancholische Schwach ist im Stande und schießt mir, um sich gleichzeitig mit mir zu tödten, mitten durch den Leib. Diese Zivilisten haben es auch zuweilen abgesehen auf uns Militärs! Sie wollen neuester Zeit sich ein besonderes Renommee verschaffen. – Doch . . . macht es der Pfiffikus nicht vielleicht ebenso wie ich? Er steckt blos die Fahne 'raus . . .« Und sofort rief Käsemenger, mit scheinbar ungeheurem Grimme, dem fragenden Gabler zu: »Fünfzehn Schritte sagten Sie? Gut!« –

Schwach war nahe daran, über den Wütherich Käsemenger von der Bank zu fallen. 240

Herrn Schnepselmann verwirrte die Antwort nicht im Geringsten; er hatte derlei erwartet; und gerade daß Robert Käsemenger eben so entschieden auftrug als er, das ließ ihn die Situation ganz erkennen.

»Wenn Sie also die fünfzehn Schritte annehmen, so sind alle Wünsche erfüllt und die Sache ist abgemacht!« sagte er.

»Verdammter Schwach!« rief es in Käsemenger, der nun die Ruhe der Gegner zu erkennen glaubte.

»Ich habe ferners noch eine Bitte,« fuhr Schnepselmann fort. »Mein Freund Schwach hat sein Testament gemacht und es ist bereits in meinen Händen. Wollen die Herren also, nebst auf seine Intentionen, auch einige besondere Rücksicht auf mich, als kinderernährenden Familienvater nehmen, so – bitte ich Sie – sofort das Duell stattfinden zu lassen! Denn heute war es mir möglich, ungesehen, mit Vorsicht und auf Umwegen hieher zu kommen; – wer weiß, ob das jemals wieder so gelingt. Alle möglichen Zeugen sind entfernt, die Gelegenheit ist vorzüglich, keine Entdeckung zu fürchten. Wenn Sie also, Herr Käsemenger, ebenso bereit sind – so kann – so muß, in Rücksicht auf mich als Familienvater, das Duell auf der Stelle stattfinden!«

Käsemenger wechselte die Farbe und hustete. Er wendete sich unwillkührlich nach Gabler, und Gabler von Gabelsdorff sah ihm starr ins Gesicht.

Schnepselmann erkannte im Augenblicke den Eindruck und die Lage der Dinge. Gabelsdorff, der letztere bisher noch nicht für so ganz gefährlich gehalten hatte, ward von dieser Plötzlichkeit und diesen Gründen denn doch überrascht. Als der klügere der beiden Gegner fand er es angemessen, endlich hervorzustoßen: »Ja . . . aber . . . die Waffen . . .« 241

»Waffen!« fiel Schnepselmann rasch ein und hob mit Einem Zuge das Kästchen von der Bank, hart bis unter Käsemenger's Nase. »Hier zwei Pare, vortreffliche gezogene Doppelläufer neuesten Sistemes. – Sie sind mindestens so sachverständig als Herr Schwach . . .«

Das machte furchtbare Wirkung.

»Ja!« sagte Käsemenger überschnappend, nur sich nicht ganz bloszugeben.

»Wir, die Sekundanten,« fuhr Schnepselmann fort, »werden uns vorher überzeugen, einigen und das Par wählen. – Es gibt keinen bessern Ort, keine bessere Zeit und Gelegenheit. Der Glückliche kann ungestört fliehen, der Unglückliche ruhig verenden, oder wenn Hilfe möglich ist . . .«

»Sie erlauben,« sagte endlich Gabler, »daß wir uns zu einer kleinen Besprechung zurückziehen.«

Schnepselmann machte eine großmüthige Bewegung mit der Hand, und schon drehte sich Käsemenger um und zog seinen Freund in einen Winkel.

»Verteufelter Kerl, dieser Schwach, sammt seinem Sekundanten!« rief Käsemenger, mit überschnappender Angststimme, leise aus. »Hättest Du das von diesem Filister gedacht? – – Ich sterbe gern den Heldentod,« sagte er, sich aufreckend, um selbst noch seinen Freund zu täuschen; »aber hier in dieser stillen, miserablen Grasschule einsam zu sterben, nicht öffentlich, und von solch einer Filisterhand, das . . .«

»Mir sieht der Kerl auch so tückisch, verschwiegen – boshaft aus. Das sind die ingrimmigsten Bursche, diese Stillen! Er besitzt Pistolen und noch dazu sehr feine. Er war vielleicht Handlungsreisender, und diese Kerls machen Alles mit! Ja das Duell ist in neuester Zeit grassirend, selbst unter dem Filisterthum. – Doch, denkst Du nicht, 242 daß dieser Schnepselmann aufstreicht und ein energisches Gegenübertreten unsererseits ihn zurücktreiben könnte?«

»Es . . . . es ist möglich,« sagte Käsemenger nach einigem Nachdenken, mit der Stimme abermals ausgleitend; »aber mich sollte es kanaillös ärgern, gerade jetzt erschossen zu werden, hier . . . von diesem Filister . . . da Fräulein Zäzilie . . . Doch, weißt Du was? Wir thun unser Bestes in recht grimmigem Drauflosgehen; der Kerl muß weichen . . . Und weicht er nicht bis zuletzt, dann . . . .«

»Dann läßt sich sehen, was zu thun sei. – Aber er wird weichen, gib Acht!«

Auf seinem frühern Punkte stand Schnepselmann mit Schwach.

»Schnepselmann, Schnepselmann, Sie führen mich meinem Ende entgegen! . . . Es wäre doch gut, noch die letzten Bemerkungen zu meinem Testamente zu machen.«

»Beruhigen Sie sich, ich bitte Sie, sonst sind Sie verloren! Jetzt ist das Duell eingeleitet; und wenn Sie zurücktreten, dann ist dieser übermüthige Käsemenger erst recht im Stande, Ihnen eine Kugel in den Leib, wenigstens in die Wade, zu jagen. Jetzt halten Sie aus, halten Sie aus, ich bitte Sie! Machen Sie nur ein recht grimmiges Gesicht, stellen Sie sich bärbeißig, kneifen Sie die Lippen übereinander, meinetwegen aus Angst und Schrecken; aber machen Sie nur, daß es nicht darnach aussehe.«

»Sie sind ein Wütherich!«

»Gut; seien Sie es jetzt nur auch; und geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie nicht zurücktreten, und sich auf mich verlassen. Sie werden wol denken. daß ich keinen Mord mit ansehen und solche Dinge nicht zulassen werde? Daher treten Sie auf keinen Fall zurück. Versprechen Sie mir es?« 243

Ein tiefer Seufzer rang sich aus Schwach's Brust los, der Schweiß stand ihm auf der Stirne. »Sei es . . . in Gottes Namen! Und ist es mein letztes Ende, so trete ich unschuldig in den Himmel!« –

Die Parteien kamen nun wieder auf dem frühern Punkte zusammen. Gabelsdorff meldete, mit sehr grimmigen Blicken und Worten, daß sein Freund seine weltlichen Dinge abgemacht habe und dessen Zustimmung zum sofortigen Duelle. Schnepselmann langte nach dem Kästchen, nahm die zwei sehr eleganten Pistolen-Pare hervor und präsentirte sie. Dem armen Schwach entfiel das Herz nun ganz in die Stiefel.

Käsemenger besah die Pistolen sehr bleich, rief aber: »Gut! – Einen von uns werden sie todt machen!«

Schwach nickte beistimmend, denn er war gewiß, er werde der Todte sein.

»Wir haben den ersten Schuß, natürlich,« sagte Schnepselmann, »wir sind die Herausgeforderten. Sie, Herr von Gabelsdorff, sind waffenkundig, laden Sie gefälligst.«

Gabelsdorff ließ die Hähne spielen, sah mit einem Auge in die Läufe hinein, streckte jede leere Pistole wie zum Schuß, abwiegend, in die Luft, nickte beistimmend, als wäre er mit der Probe vollkommen zufrieden, und lud nun das erlesene Par mit besonders grimmigem Ausdrucke. Käsemenger seufzte tief im Innern, gleich Schwach, aber sie hielten Beide an sich, im Aeußern.

Fünfzehn Schritte, mit Hilfe Gabelsdorff's länger, wurden abgemessen. Schnepselmann stellte entschieden seinen Mann an einem Zwetschkenbaum auf und flüsterte ihm zu: »Geben Sie nur um Gotteswillen Acht, daß es nicht von 244 ungefähr losgehe! Und treten Sie nur jetzt nicht zurück, denn Sie haben ja den ersten Schuß!«

»Herr Schwach,« sagte Gabelsdorff, scheinbar sehr düster; »ich als Sekundant habe die ernste Pflicht, Sie aufzufordern, noch einmal zu bedenken. Und wenn Sie, vor den gesammten Kollegen im Regimente, um Vergebung bitten und Ihren Fehler gut machen wollen . . . .«

»Keine Vergebung, keine Heirat!« rief Schnepselmann grimmig. »Ich fordere im Gegentheile Herrn Käsemenger auf, zurücktreten, denn keine Heirat . . .«

»Keine Heirat!« rief Schwach. – Das hatte er endlich über sich vermocht, denn, statt Fräulein Casomini's Gemal, schien es ihm doch besser: todt zu sein.

Käsemenger ward der Rock sehr enge und die Luft sehr schwül.

»Herr Gabler von Gabelsdorff,« sagte Schnepselmann sehr feierlich, »wir geloben unter allen Verhältnissen Stillschweigen? Ich bin Familienvater!« Und dabei reichte er ihm mit großer Rührung die Rechte hin. Gabelsdorff nahm sie, schüttelte sie und sagte im tiefen Tone: »Stillschweigen!«

»Also . . . fertig?« rief Schnepselmann, mit sehr bedeutungsvollen Blicken nach allen Seiten, aus der Schlußlinie tretend.

»Fertig!« rief Käsemenger noch zur letzten Anstrengung eines Muthversuches, an eine Berberitzenhecke sich stützend.

»Ich habe, als Sekundant des Herausgeforderten, das Recht des Kommandirens. Also Achtung, meine Herren . . . !« Er hob die Hände zum Klatschen.

»Eins!«

Käsemenger reckte die Brust noch einmal entschieden vorwärts. Nun müsse, dachte er, der Komödie spielende 245 Gegner zurücktreten. Schwach hielt, bleich und entsetzt, noch immer an seinem Worte, er hatte ja den ersten Schuß, er konnte noch immer zurücktreten, wenn auch schon das Halten einer geladenen Pistole ihm eine Zeitlebens gedenkbare, schwere Hochnothspein war.

»Zwei!« – Eine grausige Stille folgte.

»Käsemenger!« rief Gabelsdorff plötzlich sehr dramatisch. »Tirann! kaltblütiger Todtschießer! Hast Du kein Erbarmen, keine Achtung vor solcher edlen Tapferkeit, wie sie Herr Schwach beweist? – Ich denke, er zeigt einen Heldenmuth, daß er verdienen würde – selbst unser Freund zu sein!«

»Was sagst Du, Gabelsdorff?« entgegnete Käsemenger sofort eifrigst, die zugeschobene Idee völlig begreifend. »Du findest Herrn Schwach heldenmüthig? . . . Wolan denn! . . .« Er ging aus der Stellung heraus und auf den Zwetschkenbaum zu, wo Schwach stand, eine großartige Haltung annehmend. – »Halten Sie ein!« erhob er die Stimme mit kunstvoller aber fistelnder Extase. »Sie haben sich würdig benommen, sehr würdig!« Hier fand er seinen Baß wieder. »Ich finde bei Ihnen den Heldenmuth, den ich selbst besitze und liebe! Es wäre Schade, wenn wir uns gegenseitig beschädigten; wahrhaft, jetzt sehe ich ein, Sie sind würdig, mein Freund zu sein!«

Schwach hob die Arme, ließ die Pistole mechanisch zur Erde fallen und warf sich erschöpft an des kleinen Käsemenger's Brust, der unter diesem Gewichte fast zu zerbrechen drohte.

»Sehr großartiger, edelmüthiger Mann, dieser Käsemenger!« rief Gabelsdorff. 246

»Und ich bewundere Schwach, daß er so leicht versöhnt ist,« sagte Schnepselmann, mit sehr gravitätischer Miene, wobei er, gleichsam mit dem Ausdrucke »unglaublich aber doch wahr!« das Haupt schüttelte.

Kaum hatte Käsemenger sein Lob aus dem Munde Gabelsdorff's vernommen, reckte er sich so lange und so dünn als möglich und sprach in seinem ausgleitenden Fistel und Basse: »Es war von jeher die Eigenschaft wahrhaft grroßer und tapferrer Männer, das Grroße und die Tapferrkeit auch bei den Gegnern anzuerkennnen. Ich sehe, daß Herr Schwach zu den wenigen Zivilisten gehört, welche ein Herrz im Leibe haben! Und da man diese Männerr so selten findet, so wärre es ein Verbrrechen, eine Barrbarrei, an ihnen die Waffen zu üben! – Nicht wahr Gabelsdorff?«

»Du hast Dich so großartig benommen, Käsemenger, daß Du ein Beispiel edelmüthiger Tapferkeit bist! Herr Schwach, meine Achtung! Ich stimme der Ansicht meines Freundes ganz bei, daß Sie erhalten werden müssen!«

»Und es ist fortan keine Rede von Heirat?« rief Schwach, fast außer sich vor Wonne.

»Bei einem Manne, der, so wie ich, tapferr und lebensverrachtend fühlt, kann die Verlobung nur ein wahrhaftes Mißverständniß gewesen sein und ist durch diesen Heldenmuth ehrenvollst gesühnt – ich verrgebe!« sagte Käsemenger mit großartigem Air, indem er sich auf den Zehenspitzen reckte.

»Vivat!« rief Schnepselmann. »Und ich schlage vor, die Versöhnung solcher edler und tapferer Männer, durch ein Frühstück mit gutem Wein zu feiern!«

Gesagt – gethan – große Lustbarkeit, auf Schwach's 247 Kosten, in einem Separatgemache des erstnächsten Hotels – Käsemenger aß und trank sehr viel zur Erhaltung seines heldenmüthigen Seins, sang Soli und auch Duette mit Gabelsdorff, gab mimische, Bauchredner- und Tanzkunststückchen zum Besten – Schnepselmann glänzte in seiner vollen Laune – und so kam der Abschied der versöhnten Todfeinde und Helden heran.

Sehr großartiges Scheiden – unausgesetztes Valet-Trinken – In-die-Hare-fahren von Schnepselmann – niegefühlte Freude von dem erschöpften Schwach.

»Was sagen Sie nun?« sagte Schnepselmann, nachdem er endlich mit Schwach allein war, sich mit auseinander gespreizten Beinen mitten ins Zimmer gestellt hatte, wo rings die Trümmer der Schlacht sich zeigten, und indem er unter seiner langen dünnen Nase, die schmalen Lippen so breit als möglich zog.

»Was sagen Sie nun? – Bin ich der Mann im Monde, oder – Hugo Schnepselmann!?«

»Sie sind der Retter meines Lebens, und was Sie sagen, ist mir fortan ein Orakel!«

Große Umarmung. 248



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