August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Neununddreißigstes Capitel.

Schwach in der Nacht – der einsame Gang eines Gefühlsmenschen – ein lustiges Haus und ein trauriges Haus – die vermißten Personen, die er entdeckt – deutsche Heimat voll Reis uns Schmerz.

Schwach hatte eines Abends die Kinder, Liese und Brunk besucht.

Als Zuckerwerk und Spiele des »guten, guten Onkels« erschöpft und die Kleinen zu Bette gebracht waren, saß Schwach noch mit dem Invaliden, und ließ sich von Krieg und Frieden und Allerlei so lange erzählen, bis die späte Stunde zum Entfernen mahnte.

Nach dem Scheiden ging nun Schwach, in der Nacht, allein auf der Straße. Sie war leer, verlassen, und in dem rothen Schein der spärlichen Lampen sah man nur selten eine Gestalt wie einen Schatten vorüber huschen.

Die Nacht that Schwach wohl. Weiche Menschen ergreift es oft unwillkührlich in der Einsamkeit der dunkeln Stille, und die glitzernden Sterne sagen ihnen so Vieles, so Vieles, was keine Worte hat und keine Worte wiedergeben!

Es ist eine eigene Wonne in solcher Nacht zu wandeln! – Die Häuser stehen so stumm und mit ernsterer Starrheit, als bei Tage. Aber trotz dieser Starrheit scheinen sie, an und für sich, einzelne lebendige, ungeheuere Wesen! – Die schwarz aus den Mauern hervortretenden Scheiben sind wie Augen, sie starren hinaus in die Nacht und deuten eine stumme, aber beredete Sprache. 257

Welche Träume gaukeln jedoch hinter diesen Scheiben? Ist es ein edles Herz, welches hinter jenen Gläsern pocht, und pocht es vielleicht jetzt doppelt freudig über die entzückenden, hoffnungslächelnden Bilder der Träume? Liegt eine Mutter selig mit dem Säugling in dem Arme, oder zählt sie bang die Herzensschläge des siechenden Lieblings? Wachen oder schlafen jene Augen, welche bei Tage durch diese Scheiben geguckt; ist es Furcht, Liebe, Haß, Glück, frohes Zukunftslächeln, Gram und Kränkung, langes Siechen, einsame Trauer, Erinnerung süßer Stunden, Mahnung an ein vergeudetes Leben und ein unbedauert oder gar schrecklich Ende, was sie wach hält? Wodurch sind jene Augen ermattet gesunken, und zu welchem Schauspiele, zu welchem Schicksale werden sie morgen sich wieder erheben?

Wer wollte nicht an die Sage von jenem Unglücklichen denken, der den gewaltigen Geist gebeten, ihn in die Herzen aller Menschen blicken zu lassen, und der dann flehend rief, daß ihm dieser Fluch genommen werde?

Wer Alles wissen könnte!

Kein Sterblicher wird es, möge es erreichen! Aber ein eigenthümlicher, wonniger Schauer, eine edle Selbstqual ist es, mitten in der Nacht durch die einsamen Straßen zu wandeln und seine eigenen Tritte hallen zu hören – sonst aber nichts. – Da schließen sich die ungeahntesten Herzenswelten auf. Unser eigenes Selbst tritt wie ein Schatten vor uns hin; und Vorsätze, Reue, Lebenshoffnung, Selbsterkenntniß, Trauer oder Muth, sind dann die Folgen.

Wenn doch die Menschen häufiger solche einsame Gänge in stiller Nacht unternähmen. Von manchen verknorrten Herzen lösete sich die Rinde, mancher wüste Fleck des Innern 258 würde wieder blühen, auf manches verdorrte Gemüth würde ein befruchtender und kühler Thau – vielleicht in Thränen – wie vom Himmel fallen!

So wandelte Schwach dahin. – Die Einsamkeit, die Stille der Dunkelheit hatten etwas schauerlich Reizendes, Verlockendes für ihn, wie der Abgrund, der uns manchmal entgegenstarrt und geheimnißvoll uns in seine Tiefe ziehen will. – Er ging vorwärts, ohne recht zu wissen wohin. Die kühle Nachtluft that ihm wohl; er sah sich verhüllt vor der Welt, die Welt verhüllt vor ihm; die Poesie, die darin lag, und die Gedanken, die in ihm auftauchten, waren die Genüsse, in denen er sich gefiel.

Die ruhige Seligkeit mit den Kindern, das gemüthliche Still-Leben mit Liese und dem Invaliden hatten diese Stimmung in ihm angeregt. War er ja doch, des Tags über, den Trullemaiern, Schnepselmännern, den Briefen und Drängern aller Arten ausgesetzt! Darum genoß er jetzt doppelt; die Ruhe war ja sein Element.

In den dunkeln, gewundenen, ihm größtentheils unbekannten Gassen, in denen er ziellos umherzog, kam er nun an ein Haus. Merkwürdig prachtvoll und nett stach es von den niedern, schmutzigen Baracken ab, die rings als Wohngebäude umherstanden. In all den elenden Hütten war es finster; meist lagen die Fensterbrüstungen an der Erde; die Straße mußte aufgeschüttet worden sein und die alten elenden Häuser sanken dadurch noch tiefer in die feuchte Erde hinein, Dunst und Nebel von doppelter Stärke in ihrem Innern nun erzeugend. – Das elegante einstöckige Haus war in mehreren Fenstern der obern Reihe erleuchtet, das helle Licht drang durch die feinen buntgemalten Rollvorhänge, welche theils reizende Landschaften, theils durch 259 Arabesken gaukelnde Genien in prächtigen Farben zeigten, und die Töne eines Klaviers klangen lebhaft und fröhlich durch die Nacht.

Schwach stand, überrascht von diesem plötzlich auftauchenden, in dieser elenden Umgebung unvermutheten Hause, und sah an ihm empor. Er war neugierig zu wissen, wem es gehöre? Und siehe da, aus der mit gußeisernen Zierathen überschmückten Glasscheibe, welche den Bogen ober dem Thore schloß und nach neuestem Geschmacke dazu dient, bei Tage das Licht in die Thorhallen und bei Nacht die Strahlen der Laterne auf die Straße dringen zu lassen, stand in goldenen Buchstaben der Name des Eigenthümers. Die Laterne, die dahinter brannte, ließ denselben deutlich sehen. Es war der Name und Titel eines Herrn, dessen dienstwillige Feder ihn jeden augenblicklichen Grundsatz Reicher und Mächtiger im State heute vertheidigen und morgen verwerfen, oder heute bekämpfen und morgen eifrig vertreten ließ, wie es eben gefordert ward. Der fertige Schreiber erschrieb sich eine Stelle, ein Vermögen, ein Sommerhaus, dies war es, und fröhliche Töne drangen daraus hervor!

Schwach ging um den Umfang des Hauses, neugierig lugend, und er fand eine lange Garteneinfriedung, welche ihm den sommerlichen Zweck des Gebäudes erkennen ließ. Der Name war ihm aus Tagesschriften wohl bekannt.

Die Umfriedung hatte ihn in eine von ihm nie betretene elende Gasse geführt, und er schritt, seine Wanderung fortsetzend, darin vorwärts. Die fröhlichen Töne geleiteten ihn.

Er kam wieder an eine Garteneinhegung; aber sie hatte nicht das stolze Ansehen der frühern, aus morschen Brettern bestehend, zerfallen und an einzelnen Stellen 260 durchbrochen, bot sie Einblick in einen Raum, der einst bessere, blühendere Tage gesehen haben mochte und jetzt, nur theilweise, zu einem Gemüsegarten benützt war. Die frühere Pracht merkte man an einzelnen Baumgruppen und einer stolzen, aber zerfallenen Villa, die fern, im tiefen Hintergrunde, finster und öde stand.

Rings herrschte die düsterste Stille; nur das leise Rauschen der Wipfel durch die Nacht, und die Klänge aus dem Hause des reichen Schriftstellers, unterbrachen sie zuweilen. Kaum drei Schritte hinter der Planke, gerade wo sie morsch eingesunken war, stand ein kleines Gartenhaus. Es war in dem altfranzösischen Stile gebaut; aber bereits senkte es sich auf einer Seite in die Erde, so daß es schief stand und von Balken und Brettern, die angestemmt waren, gestützt werden mußte, um mindestens noch einige Zeit nothdürftig auszuhalten. Das ganze Gartenhäuschen war nur aus Holz gebaut, dies zeigte das Schilfrohr, das sich, vom Kalke entblößt, längs den bretternen Wänden herabzog. Doch in der Nacht wäre das nicht sichtbar gewesen, hätte nicht aus dem einen schiefen, dem Boden nicht gar zu fernen Fenster ein Lichtlein, roth wie ein verweintes Auge, herausgelugt, und hätten nicht die Streiflichter aus dem prachtvollen Hause in der Ferne, einige, wenn auch schwache Helle hieher geworfen.

Schwach stand abermals stille. Dieser Grund, der die Spuren eines ehemaligen Lustparkes trug, mit seinem schauerlich-ironischen Aussehen, der die Vergänglichkeit des Prunkes ernst und schweigend predigte, fesselte ihn. Dazu das einzige Lichtlein in der Runde, wo alles Elend im Dunkel lag und im Schlummer Vergessenheit suchte.

Die einzig wachen Töne des Reichen und Glücklichen, 261 die über diese düstere Stille hinschwebten, wie die Töne einer glücklichen Lerche über einen finstern erstorbenen Abgrund – dies Alles hielt Schwach an dem Orte und erfaßte sein Herz, seine Gedanken! Ihm war so weh, und im Wehe so wohl, da er sein eigenes Ich ungehemmt wieder fühlte, daß er nur gerne hätte gleich wohlthun mögen, um sich selbst hier ganz zu genügen!

Eine Weile stand er stille und betrachtete das Alles. Dann trieb es ihn, wie mit unendlicher Neugierde, nach dem verfallenden Gartenhäuschen hin, als müßte er sehen, ob er nicht helfen könne, um Menschen überhaupt zu sehen! Denn nie drängt sich das Herz so an ein anderes Menschen-Herz, als wenn ihm sehr wohl, oder sehr wehe ist!

Er trat leise hinzu und lugte in die Scheiben. Ein schlichtes, lockeres Tuch verhing sie, und es war so sorglos, oder eilfertig aufgehängt, daß ein Blick in den armseligen Raum dem neugierig Forschenden vergönnt war.

Das Ganze bildete eine elende Hütte im Innern, wenn man die schiefen Wände, die rohen Balken der Decke sah. Aber trotz dieser Nacktheit und Zerfallenheit war alles Aermliche so zierlich gehalten, standen die wenigen alten Möbel der Hütte so rein und nett an ihren Plätzen, daß man nicht ohne Wehmuth diese Schätze der Armuth betrachten konnte. Auf dem Fensterbrette standen einige Blumen; das Licht entströmte einer der kärglichsten Oel-Lämpchen. Es warf seine Strahlen auch an die Hinterwand; und dort, auf dem Rande eines Bettes, saß eine Frauengestalt. Schwach konnte sie im ersten Augenblicke nicht genau wahrnehmen; aber als sein Auge mehr das Licht gewohnt ward und er einen günstigen Standpunkt gefunden hatte, konnte er sie ganz sehen. 262

Sie war ein junges Mädchen, oder eine kleine, liebreizende junge Frau. Ihr Har war aufgelöst, und in reichen, goldenen Flechten und Strähnen goß es, wie eine goldene Welle, sich herab über die Wangen, auf den Nacken und die weißen Schultern. Sie strich es mit beiden kleinen, weißen Händchen zurück von der schneeigen Stirne und dem blassen Gesichte. Wenn je Hände einer Erwachsenen kindlich und nichts Uebles vollbringen zu können scheinen mußten, so waren es die ihren. Die Weiße dieser Hände wäre unvergleichlich gewesen, hätten die Wangen nicht Gleiches geboten. Und über diese Wangen war ein mildes Licht von zwei herrlichen blauen Augen gegossen, die wie ein zurückgelassen Stück vom klarsten Sommerhimmel, wie das meist kristallene Fleckchen eines wellenlosen blauen See's sahen. In diese Augen schauen und nicht an eine herrliche Seele glauben, wäre eine bedauernswerthe Stumpfheit gewesen! Der fein geschnittene schmale Mund, der schön gebildete Hals, machten sie vollends liebreizend, und ihre Kleinheit formte sie desto mehr zu einem trauten, herzerquickenden und niedlichen Geschöpfe. Nichts Majestätisches, Prunkvolles lag in ihr; aber etwas Schmuckloses, Zierliches und Zartes, das fast den Schutz des Mannes herausforderte, ja daß ein starker Mann fast bedauern mochte, diese liebliche kleine Gestalt nicht umfassen und an Herz und Mund heben zu können!

Sie saß auf dem Rande eines Bettes. Es war, als wollte sie, ermüdet von dem Tage, Ruhe suchen. Aus dem blauen, züchtig nur halb geöffneten Ueberröckchen, auf das die goldenen Harsträhne herabhingen, drängte sich um den Busen ein schneeig weißes Hemd, in wenigen schönen Falten vor, und gab ihrem ganzen Wesen einen noch reizenderen, 263 kindlichen Ausdruck, während ihre zierlichen Füßchen zudem den Boden nicht berührten.

Sie sprach etwas, so schien es Schwach, der ganz im Schauen versunken war; denn sie machte eine Bewegung mit den Händen, und auch ihre Lippen regten sich, während sie ihr seelenvolles Auge nach der Höhe hob. War es ein Gebet vor Schlafenszeit, das sie sprach, waren es Worte für eine zweite Person? Schwach konnte dies noch nicht unterscheiden.

Da regte sich ein Schatten auf dem vorgehängten Tuche, der Schatten strich darüber hin, wie im Gehen – die Gestalt war sichtbar, war ein Mann.

Diese bleichen, hagern Züge, dieses dunkelbraune, lockige Har, diesen schmächtigen, doch wohlgebauten Körper, dieses dunkle, lodernde Auge, hatte sie Schwach nicht schon irgend wo gesehen?

Schwach fuhr sich mit der zitternden Hand über die Stirne, sein Herz pochte gewaltig.

Himmel! war es nicht . . . . ist es nicht . . . Ernst . . . . Ernst Aster?

Bei Gott, er ist's! –

Schwach wich einen Augenblick ergriffen und verwirrt zurück, es drängte ihn aber gleich wieder an die Scheibe, an sein früheres Späheplätzchen.

Da saß jetzt Aster auf dem Boden, zu Füßen der weiblichen Gestalt, legte sein reiches, braunes Har in den Schoß ihres blauen einfachen Kleides, ihre weißen Finger gleiteten in seine dunkle Locken, und sie neigte sich zu einem Kusse auf seine heiße Stirne.

Wer konnte sie anders sein, als Adele?

Da stand nun eine Welt vor Schwach, eine Welt von 264 Elend und Entzücken; er hätte weinen, er hätte jauchzen mögen und eigentlich Niemandem sagen können, warum!

Wäre er rasch, ungefügig gewesen, er hätte, sogleich nach der Entdeckung, den Eingang gesucht und wäre unversehens in die Stube getreten, oder hätte pochend Einlaß verlangt. So aber bebte sein Herz, er war schüchtern und zaghaft. Und so sehr er die Beiden hätte, aus vollster Seele, augenblicklich glücklich machen mögen, so wenig hätte er es um Vieles gewagt, sie zu stören und vor sie zu treten.

Schon seine gewöhnliche Scham, als ein Gutthäter zu erscheinen, hätte ihn daran gehindert.

Da stand er nun wieder und lugte hinein in die Hütte. Adele hob ihr Gesichtchen wieder von Ernst's Stirne. Ihr Auge sah so seelenvoll-innig nach ihm. – Und wenn sein Herz von Dämonen besessen gewesen wäre, vor diesen blauen, kindlichen, feuchten Blicken hätten sie bezähmt weichen müssen!

Sie sprach. Schwach preßte sich fast an die Scheiben. Bebend, bewegt in den innersten Tiefen seines Herzens, wie nie, horchte er.

»Laß es gut sein, Ernst,« sagte sie mit einer weichen,. klingenden, zu Herzen dringenden Stimme; »gräme Dich nicht. So lange Du mir bleibst, so lange Du noch mein bist und so wie jetzt Dich innig an mich schmiegst – so lange bin ich nicht unglücklich!«

Der Walzer aus des reichen Schriftstellers Sommerhause tönte vernehmlich herüber.

»Adele, Adele!« rief Aster erregt, faßte ihre Hand, drückte sie zwischen beiden seinen und küßte die Fingerspitzen. »Wie kann ich Dir je vergelten, wie kannst Du mir je verzeihen?« 265

»Ich Dir verzeihen? Verzeihen – sprich von Dir-Vergelten! Brauche ich mehr als eine Welt für mich; und bist Du nicht meine Welt?«

»Eine arme, elende, blüthenlose, freudenleere Welt! Wo ist mein Frühling, mein Sonnenschein?«

»Nanntest Du mich nicht oft so, und bin ich nicht noch Dein?«

»Das bist Du! Aber was kann ich Dir geben?«

»Dich selbst!«

»Und Armuth, Elend, Noth, Entbehrung. Thränen und Qualen dazu!«

»Hast Du mich schon weinen sehen?«

»Das nicht. Aber Dein Herz bricht im Stillen, Dein Inneres weint schwere, bittere Thränen!«

»Wie Du Dich wieder selbst quälst! Du siehst wieder, was nicht ist; und könntest Du in mein Herz sehen, wie Du in mein Gesicht siehst, Du würdest Dich überzeugen, daß Du Dich nur selbst quälst.«

»Adele! Ich quäle mich, ja ja, ich verheimliche es Dir nicht! Es reißt mir mit Geierskrallen an meiner Brust und an meinem Herzen: warum gerade ich elend, warum gerade ich, und mit Dir?«

»Böser, Du magst nicht still-zufrieden und glücklich mit mir sein!«

»Täusche mich nicht, Adele, nein nein; sage es mir nur offen, es ist Mitleid mit mir, das Dich so sprechen macht! Ich bin elend, und Du bist es mit mir; ich Unglücklicher habe Dich elend gemacht! – – Mitleid? Mitleid mit mir – – es ist furchtbar! So süß Du mir bist, so sehr ich für Dich sterben könnte, tausendmale nicht einmal, so quält es mich bis zur Raserei, daß selbst Du, 266 ja selbst nur Du, mit mir Mitleid haben solltest! Ich will, ich bedarf keines Mitleides! Schreie mit mir auf, wie ich selbst über dieses schreckliche, unverdiente Elend; schreie mit mir auf, wie ein wildes, gehetztes, angeschossenes Thier im Walde; und es wird mir leichter werden. Aber Mitleid ist eine Klinge, die stets nur langsam, tiefer mir ins Herz gedrückt wird, und so, ohne entfernt zu werden, mich allmählig still und jämmerlich nach innen verbluten läßt!«

»Ernst, Ernst, kannst Du noch immer nicht Deinen Ungestüm legen?«

»Nenne es Ungestüm, nenne es Zorn, Raschheit, Raserei, Wahnsinn, nenne es wie Du willst – ich kann nicht! Habe ich einmal das überwunden, gehe ich still über die Erde, liege ich klaglos und nicht so wie jetzt in Deinem Schoße, dann suche nicht mehr Deinen Ernst in mir, dann suche einen Stumpfsinnigen, dann geleite den Blöden in ein Irrenhaus, wo sie mich ruhig in einer Krankenzelle werden sterben lassen, denn dann habe ich ausgebrannt wie ein Licht, dann bin ich nur mehr noch ein wenig Kohle, und bald darauf – Asche!«

»Mein Ernst, rede nicht so! Wird die Zeit nicht Deinen Schmerz abhärten, und kannst Du nicht noch glücklich werden?«

»Ich? Nie, Adele, nie!«

»Das sagte Dir nur Deine augenblicklich erregte Fantasie.«

»Nein nein, glaube das nicht! Ich habe Nächte darüber gewacht, ich habe Tage lange darüber gegrübelt. Das ist mein Unglück, nicht daß ich nicht glücklich bin, aber daß ich es nimmer werden kann!« 267

»Nimmer werden kannst?« – Und sie blickte ihm doppelt innig und mit theilnehmendem Schreck ins Gesicht.

»O sehe mich nicht so an, Adele! Dein süßer Blick ist mir ein Vorwurf! Mußte gerade ich in Deine friedlichen Wege treten, wie ein Dorn, an dem Du Dich wund rissest? Ich kann Dich nimmer glücklich machen, denn ich selbst werde es nie! Gebe mir keine Hoffnung; Deine Widerreden würden mich nur noch tief schmerzlicher herausfordern. Ich werde es nimmer! Es gibt Menschen, welche von früher Jugend an einen entzückenden Traum der Größe und des Wirkens hegen. Die Jünglingsjahre stören ihren Traum nicht, er scheint immer mehr zur Wirklichkeit werden zu wollen und verwächst mit ihnen und ihrem Selbst zur Bedingniß ihres Daseins. Nun aber scheidet die Zeit zwei Theile. Die Glücklichen, die in rechter Zeit gelebt, erlangen als Männer, was sie gehofft, erstrebt, tief in dem Innersten ihres Herzens getragen. Der andere Theil ringt in der Kraft seines Wollens, aus voller Seele; und das Leben enttäuscht, verwirft und verstoßet die Unglücklichen. Sie sind vernichtet, geistig und körperlich! Wohl Denjenigen von Diesen, zu früh oder zu spät Geborenen, die den Muth haben zu sterben, oder das Glück: siechend bald zu vergehen. Wahnsinn, Blödsinn, der die Welt nicht mehr sieht, ist auch ein Glück. Aber wehe Denjenigen, die nicht sterben, nicht wahnsinnig und blöd werden, sondern mit rechten fünf Sinnen die Welt um sich sehen und in ihrer Seele nicht mehr anders werden! Sie sind Gespenster einer andern Zeit, Fremdlinge des Daseins; und siehst Du manchen blassen, schweigsamen, schüchternen Mann, glaube nicht, er sei schwachsinnig, muthlos, unfähig; er ist ein Gebrochener an Leib 268 und Seele, ein Gewesener. – Was von ihm wandelt, ist nur Asche, die noch zusammenhält!«

»Aber bist Du nicht noch Ernst Aster, der Dichter, der Stolz Deiner Freunde und mein Entzücken?« sagte sie, ihn sanft streichend.

»Arme Unschuld! – Dein Entzücken? Ist Dein Herz ein kritischer Richter? – Der Stolz meiner Freunde? Gewesen! Asche! Asche! – – Was schreibe ich? Kann ich, darf ich schreiben was ich will? Gebe mir die Zuversicht, die ich einst gehegt, das Vertrauen in die Menschen, den Glauben an den Sieg für Hohes in ihnen, und ich will wieder ein Dichter sein! – Mein Gott, mein Gott! was habe ich gethan, um so elend zu sein? – – Was wollte ich? Die Einheit, die Größe Deutschlands, die Herrlichkeit und Kraft des Volkes! Und darum, darum ein Verbrecher? – Bin ich ein Wahnsinniger, bin ich ein Elender, wenn ich das verwerfe, was dagegen strebt, und im heiligen, eigennutzlosen Zorn meine Worte entgegen schleudere? – Ist mein Gegner stark; was fürchtet er mich? Ist er gerecht; hat er nicht die Waffe, die ich habe, das Wort, und noch mehr Mittel, sich Hörer zu verschaffen? – – Was habe ich gethan?«

Die Klänge aus dem Sommerhause waren sehr lebhaft und schäkerten fröhlich durch die Nacht.

»Ich habe Lieder, begeisterte Worte für die Herzen meines Volkes gedichtet, und in manchem Gaue tönen sie nach. Ist das ein Verbrechen? Als Knabe schon saß ich auf der niedern Schulbank und horchte bebend den Worten meines Lehrers, wenn er von Deutschlands Geschichte, von Deutschlands Größe sprach. Wie flammte mein Auge, wie glühte mein Herz bei den Namen der deutschen Helden und 269 Männer! Ich war stolz, von diesem Volke zu stammen, schon als Knabe. Und jene Helden und Männer meine Väter nennen zu können, war meine Freude! – Ich ward erwachsen. In den Hörsälen der Universität lauschte ich wieder der Geschichte meiner Voreltern. Ich war nun ein Jüngling. Voll hatte ich das Herz, voll die Seele. Vom Katheder tönten die Worte eines greisen Professors mit ehrfurchtgebietender Wärme, sagend vom alten deutschen Reich, als von einem der ersten der Welt; und ich träumte einen Traum der erhabensten Größe! Wie sollte nicht in mir eine Welt aufgehen, eine Welt der Hoffnung, der Träume, der Wünsche? Ich war Jüngling, zu einer Zeit, als Greise glaubten, das Gewesene verjüngt wieder hervortreten zu sehen; als sie eine Morgenröthe aufgehend erblickten, aus der bald der lichte, volle Tag für unsere alte theuere Heimat, helle und glänzend wieder strahlen sollte! – Da war es, als ich meine ersten Lieder sang, daß die Gesänge aus meinem Herzen strömten, wie ein Blutstrahl springen würde, wenn es ein Schwert getroffen hätte! – Die Studenten sangen mir nach; und schon das Rektorat mißgönnte unsere Vereinigung, die wir gegründet, um uns an all dem Schönen und Herrlichen, was das Vaterland bot und bietet, innig zu ergötzen! – Will man uns als stille Greise schon in der Jugendzeit? – Soll der Most nicht einmal gähren, woher soll der Opferwein fürs Vaterland kommen? – So verließ ich, ein Unmuthiger, die Universität. Ich hatte doch die Welt noch vor mir, und ein Rektorat war nimmer meine Welt. – Nun sang ich wie der Vogel im Walde, frei, sich selbst zum Entzücken, der Schöpfung zur Freude, und voll vom Liebereichthum mein Böses nicht ahnendes Herz. – Die Zeit war damals günstig, mein Name flog von Blatt 270 zu Blatt, von Mund zu Mund; ich war beseligt; und der poetische, duftige Schleier, in dem ich Welt und Menschen schon früher reizend sah, wob sich nur noch reizend dichter. – Wie wehe, wie wehe ist mir nun!«

»Und bin ich Dir nichts?«

»Du bist meine süße, süße Adele, mein einzig Wesen, das mich noch auf Erden hält. Du hast für mich gedarbt, geweint, gebetet, gesorgt und gearbeitet! Ich habe Deine sorglose Jugend vernichtet; von Deiner Lebensblume habe ich die duftigen Blätter gewaltsam abgeschüttelt, und nun starrt der dürre, kahle Stengel armselig und traurig Dir entgegen!«

»Doch, Du liebst mich, Du liebst mich!« rief sie beseligt. –

»Ja, ich liebe Dich!« Und er schlang seine Arme um ihren Nacken und preßte sie küssend an sich. – Dann fuhr Aster fort:

»Ja, Adele, ich liebe Dich; aber das Vaterland ist mir noch süßer, heiliger als Du! Und wenn es Dich heute von mir fordern würde, als Opfer für sein Wohl, ich risse Dich blutend von meinem Herzen los und gäbe Dich hin! – Das Vaterland ist meine wahreste Braut, meine Geliebte, sie ist mir das hoheste, herrlichste Weib, tausendfach mehr als der Inbegriff aller andern! – Sehe mich an; ich bin elend, verhetzt und verfolgt. Wie ich zu Deinen Füßen hier bin, wo ich mich selbst niedergelassen, so bin ich zu Boden gedrückt von Andern, auf die nackte, kahle Erde meines Vaterlandes – geworfen! Aber trotzdem liebe ich es, liebe ich es unsäglich, unaussprechlich!« –

»Und es wird Dir lohnen!«

»Lohnen? Womit?« Er lachte bitter. »Siehst Du 271 diese Wände, meine Arme, Gute? Siehst Du unsere Herrlichkeit? – Aber ich verlange nichts, nichts; ich hoffe und erwarte nichts; ich will nur Ruhe, Ruhe! Bin ich nicht gehetzt wie ein wildes Thier? Wenn ein Angeber jetzt in unser Fenster sieht und mich erkennt, verbringe ich nicht den Rest der Nacht im Gefängnisse der Polizei? Und müßte ich nicht fort von Dir, selbst von dieser elenden Hütte, wie ein Dieb, wie ein Räuber, wie ein Landstreicher? – Lohn und Dank, Adele? Schmach und Leiden und Härte und Unbill! – Was habe ich gethan? – – Ich bin mißliebig! Mißliebig, weist Du, was das heißt? Doch, Du weist es, Du hast mir ja Deine abgesparten Bissen ins Gefängniß gebracht!« –

Der Walzer ließ sich jetzt wieder recht lustig hören.

»Aber, Du wardst ja nicht verurtheilt.«

»Das ist es; nicht verurtheilt und doch gestraft! War ich nicht von früherer Zeit schon auf der Liste der Behörde notirt, als ein »Wühler« und »Umstürzler?« Die einfache Anklage, der lange Verdacht genügten – ich bin nun, nur durch die vollendete Thatsache der politischen Gefangenschaft, ganz verloren. Fort muß ich von jeder Stadt, die eine sendet mich zur andern; so weit die deutschen Gemarke reichen, bin ich verfehmt, gebrandmarkt, mit dem Kainszeichen gestempelt! Ein Ahasver, noch ärger, wandle ich durchs Vaterland, das ich mit Stolz, glücklich einst zu durchschreiten gedacht! Was that ich? Frage ich dies die Behörde – man zuckt die Achseln – die Stadt ist nicht meine Heimat und keine Pflicht ist vorhanden, mich zu dulden. Fort mit ihm, fort! Und ich wandle wieder, und wieder zuckt man die Achseln, fort mit ihm, kreuzigt ihn! Das ist das deutsche Heimatsrecht! O der Hohn zerschneidet mir das deutsche 272 Herz! – In die elenden Hütten des Dorfes, das mich zufällig geboren, soll ich zurück. Dort soll ich dem Wissen, der Zeit, dem Fortschritte, meinem Brode leben! – Wäre ich ein Verbrecher, ich neigete mein Haupt unter jeder Strafe, dem Tode selbst, und duldete still. Aber so brennt der Schmerz wie ein lodernd Feuer in mir, und ich möchte brüllen wie ein wildes Thier, um mein Weh zu leichtern! – Da muß ich leben, verborgen, unter fremdem Namen, und kümmerlich mein elend Brod erwerben! Mein Geist ist gedrückt, mein Körper ist zerstört, mein Menschenvertrauen erschüttert, fast wollte ich ein Hasser sein, und meine süße, freudige Poesie ist so zu Ende! Nur mein Schmerz lebt; und diesem Schmerz kann ich wol in Liedern Worte geben. Aber wehe mir, wenn ich sie dem Papiere vertraue! Wer weiß, ob das, was ich im tiefsten Wehe gesagt, nicht ein sorglich, dienstfertig Deutender zum Verbrechen stempelt? Gebe ich ferner Zeugniß meiner Gesinnung, so bin ich als ein verstockter Sünder betrachtet, und die Last der Verfolgung drückt noch ärger auf mich! – Der Stat und das Privatleben sind heute so vielfach Eins, daß erster in die tiefsten Fäden des Hauses und der Familie greift. Der Geschäftsmann will leben, der Stat langt selbst in sein Geschäft: der Mann scheut mich! Freunde, die mich vielleicht gerne umarmen würden, scheuen meine Blicke, meine Hand: elend, einsam, verlassen gehe ich dahin! – Poesie, Poesie, beseligende Himmelsgabe und herzzerreißender Fluch! – Wäre ich still, unbehindert geblieben, das ganze Gebiet der Dichtkunst hätte sich mir allmälig vielleicht erschlossen, das rein Schöne und blos künstlerisch Angenehme hätte mich in Momenten still beseligt; aber so habe ich tausendfach gelitten für meine erste Idee, die mir die heilige Poesie 273 erschlossen, und ich bin ihr Märtirer geworden. Sie allein erfüllt darum nun meine Seele, erregt mein Denken Tag und Nacht; ich habe in mir ein Heiligthum zu wahren, und ich strebe mechanisch stets gegen den Druck, der sich stets neu auf mich einsenkt. War es nicht von jeher so? Sind nicht selbst aus Schwächlingen Männer geworden, wenn sie eine Idee vertheidigen gemußt? Hat nicht jedes Volk doppelte Kraft in Leiden entwickelt, haben nicht immer Unglückliche sich enger an einander geschlossen und die Wurzel ihres eigenen Unglückes nur noch liebevoll-schmerzlicher gepflegt? Das ist das alte, urewige Gesetz, tief und heilig und wahr! Wehe, wehe mir, daß ich kein Gemüth, weich und schmiegungsfähig wie Andere habe!«

Ein neuer Walzer begann im Sommerhause.

»Wehe mir, daß ich fest und starr halte an Dem, was ich erst geträumt, dann gehofft, dann erkannt, erstrebt, und zuletzt gebüßt habe! Bei Gott, ich bin ein Dichter! Nicht nur die Freunde, die Feinde haben es anerkannt und mir ihre lockenden Schranken geöffnet. Aber ich kann nicht, ich kann nicht eintreten! Noch bin ich nicht so weit gesunken, um mich selbst und mein Heiligstes zu verleugnen! Ich kann nicht anders! Der Vogel kann nicht im Meere leben und kein Geschöpf außer seinem Elemente. Es gibt Menschen, die gebunden sind an ein Element ihres Herzens, ihrer Seele, ihres tiefinnersten Wollens, heiße es Thatendrang, Patriotismus, Rache, Ruhm, Liebe; und sie müssen zu Grunde gehen ohne Erfüllung ihres Willens. Adele, ich werde zu Grunde gehen!«

»Nein nein, Du wirst leben!« schrie sie auf. 274

Jetzt siehst Du mich noch vor Dir – meine Gesundheit ist geschwächt, mein Gehirn fiebert, mein Gemüth ist gereizt, die elende Tagesschreiberei für niedrige Tagesblätter richtet mich vollends zu Grunde. Dazu das Bewußtsein meiner Verfolgung, Deines Elends durch mich – es ist genug! – O könnte ich leben, leben um mein Vaterland einig, blühend, zufrieden und groß zu sehen! Wo ist ein Volk, das kräftigere Wurzeln hat, wo ist eines, das schöner, herrlicher blühen könnte? Nach Süd und Nord, nach Ost und West erstreckt es die mächtigen Flanken; das Meer ist sein und das Festland; der Himmel hat es gesegnet mit den schönsten Gaben; ein Garten ist es; eine einige unvergängliche Sprache schließt ein heilig Band um alle Stämme; groß und erhaben steht es da in Wissen und Künsten; der Lehrmeister aller Welten könnte es sein und war es schon oft; sein Name ist eine Bezeichnung gegen Unrecht; Germanenthum war Freiheit, wie Römerthum Sklaverei! – So blühend, so herrlich und schön es sein könnte; – sehe ich um mich – zerspalten und in Fehde liegen die einzelnen Stämme des großen Ganzen; Glaube, Ursprung, Meinung, Stolz hält sie in Fehde; und rings um uns erfüllt sich ein traurig Geschick! Wo ist das Reich, das einst gewesen? Die Sprache wird in einzelnen seiner Theile ausgerodet, ungestraft, die Nationalität sinkt, Bruderhände werden uns entrissen! – Das Aufraffen der Besten, in Höhen und Tiefen, thut noth! – Nicht will ich alles Alte beleben; aber erinnern darf der Schmerz an die entrissenen, von uns getrennten Provinzen, an das, was unsere eigene Zeit gesehen, an die alten, herrlichen Gemarken im Norden! – Darf ich in poetischer Begeisterung fragen? darf ich? Es widerspricht dem Bestehenden! – Darf ich eine schöne, 275 schöne Zukunft in dichterischer Gluth malen? Es widerspricht dem Bestehenden! – Darf ich dem Volke seine Größe recht vorhalten? Es widerspricht dem Bestehenden! – Alles, was dem Bestehenden widerspricht, ist Aufreizung, Aufwiegelung. Kreuzigt ihn, Kreuzigt ihn! ist stets der Ruf!«

Adele zerpreßte Thränen in ihren sanften liebevollen Augen.

Ernst sprang nun empor. Größer als sonst, erhaben, mit aufgereckter Gestalt stand er vor ihr; das röthliche Licht warf einen sonderbaren Schein über sein eigenthümliches Antlitz. »Siehst Du, Adele, ich bin ein Verfehmter, Gehetzter, ein an Leib und Geist gebrochener Feind des Gesetzes. – Feind des Gesetzes nennen sie mich! – Stolz und unbiegsam bin ich, das ist es, das ist mein Unglück! Eine ungefügige Seele! – Vielleicht fühle ich auch die Pflicht, mich nicht zu demüthigen und mit meiner Demuth meine heiligsten Gedanken, die Gedanken der Nation in den Staub zu zerren, mit der Reinheit des Trägers, die Reinheit der Idee zu verderben! Nein nein, das will ich nicht! – Aber so wahr ich hier stehe, gehaßt. verfolgt, unglücklich und elend gemacht, ein Feind des Bestehenden genannt, so zittere ich bei den leisesten Zeichen vom Sturme, der in unserem Innern droht. Nicht Blut, nicht Bruderkampf ist es, woraus der Segen erblüht; aus dem ruhigen, fleißigen, steten und sorgsamen Pflegen der edelsten Keime der Menschheit, erblüht die Blume wahrhaft schön! – Und so wahr ein Himmel über mir ist,« –er erhob die Rechte schwörend und streckte die zwei Finger zur Höhe – »so wahr eine ewige Gewalt ist, die mich in der Nacht hört, so wahr meine Augen in die Deinen sehen – möge ich blind sein, wenn ich lüge, und Deine Hand noch zur Führung entbehren – 276 so schwöre ich Dir, daß unter all Jenen, die den Thron, geschmückt, lächelnd und beglückt umgeben, kein Einziger ist, der es wahrhafter, ehrlicher mit seinem Landesfürsten meint, daß Keiner von ihnen sein Leben mehr beglücken, seinen Thron auf bessere, festere und sicherer-schöne Stützen stellen wollte, als ich, der Aufwiegler, der Arme, Verfolgte, Gehetzte, der verfehmte Dichter Ernst Aster, der hier verborgen lebt, kränkelt, verdirbt und zu Grunde geht, elend wie ein Wild, das in seinem heimlichen Baue bei seiner Hindin verendet!«

Bei diesen Worten stürzte Aster wie erschöpft, oder vom Schmerze überwältigt zu Boden, und sein Haupt sank in Adele's Schoß.

War er groß und erhaben dagestanden, hätte ihm nur die Toga gefehlt, um ein Heroe der alten Welt, ein Themistokles zu scheinen, den der Ostracismus vom Vaterlande verbannt; so lag er nun, wie ein weinend Kind an dem Schoß der Mutter.

Adele schloß ihre Arme um ihn und weinte auf seinem Haupte.

Aus dem Gartenhause des federfertigen und bereitwilligen Schriftstellers klangen die Töne recht lustig herüber. Ob er nicht saß und bei dieser tönenden Erheiterung, von Gemalin oder Tochter, den Artikel für morgen schrieb, der Das heftig bekämpfen sollte, was er vor einiger Zeit selbst mit eisernem Ernste aufgestellt?

Schwach traten schwere heiße Tropfen in die Augen und netzten selbst seine Wangen. Er hätte fast schluchzen mögen, wie ein Kind, und sich auf den Rasen legen, um 277 sein Herz einmal recht auszuweinen. Es war ihm eben so um das Unglück der Personen, die er hier gesehen, als noch um ein unaussprechlich weitergehendes Etwas, das in seiner Brust lag, dem er keine Worte geben konnte, doch um das er hätte lange, lange weinen mögen, damit die unerklärliche Last von seiner Brust sinke.

Es war ihm, als müßte er alle Sorgen, alle Verwirrung und Bedrängniß der Tage hier von sich wälzen und einmal wieder nichts als reiner, guter, edelstrebender Mensch sein! –

Als er durch die Thränen wieder in das Fenster sah, auf die Beiden, die sich wie vorhin innig umschlossen hielten, zuckte der rothe Schein des Lämpchens noch einmal auf und heraus in die Nacht – es war verlöscht.



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