August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Siebenundzwanzigstes Capitel.

Es fröstelt nun Außen sehr – im Innern von Menschenherzen aber thaut und geht es prächtig auf. – Invalide Brunk bringt einen Brief – sein Empfang und seine Nachrichten – der Inhalt eines Briefes – Einladungen und Schwach's Antwort auf den Brief.

Ein sehr heiterer bekannter Walzer, von einem altmodischen schrillen Leierkasten gespielt, tönte von der Straße herauf, in Schwach's Fenster.

Es war bereits Winter. Der Schnee deckte Dächer 88 und Wege, die Eiszapfen hingen in sehr melancholisch-fratzenhaften Gestalten umher und streckten ihre vielzackigen Hände von allen Seiten aus.

Die schrillen und doch lustigen Leiertöne mußten allerlei akustische Anstrengungen machen, um durch die gefrorenen Doppelfenster der Reichen durchzudringen und bei diesen, für ihren armen Urheber, ihre lieblich-rührende Stimme zu erheben.

Hie und da thränten die Scheiben schon unter dem Einflusse einer recht erquickenden Ofenwärme, und manche sorgsame Hand war beschäftigt, ihre Thränen zu trocknen. Wenn die Menschen nur immer bereit wären, die Thränen zu trocknen, welche folgen, wenn eine Welt von Blumen und zauberischen Gebilden zergeht! – – Aber sie kommen nur da mit ihren helfenden Thränentüchern, wo man ohnehin warm sitzt, und suchen dabei, wie bei den Scheiben, nur die besten Aussichten für sich.

Dieser Gedanke beschäftigte Madame Trullemaier durchaus nicht, als sie ordnend und reinigend in Schwach's Stuben sich bewegte. Sie hatte nicht die geringste Idee davon, daß die Blumenseelen des verstorbenen Sommers an den Scheiben waren und, vertrieben, wieder scheiden mußten, so daß sie einige Thränen zurückließen und dann weiter wallen im wehenden Winde. – Es fiel ihr nicht einmal ein, daß der schlafende Frühling eben einen Blumentraum gehabt, und dieser ihm überall nebelumschleiert vorschwebte, bis er wieder in nichts zerfloß. – Es fiel ihr all solches Zeug nicht ein, welches man manchesmal versucht ist, zu glauben, wenn man ein Bischen mehr Poesie hat, als allerlei andere Leute. Im Gegentheile, sie bewegte sich auf sehr prosaischem Boden, sie horchte wohlgefällig dem knisternden Feuer, sie 89 ließ sich von der behaglichen Wärme ganz durchdringen, und trippelte auf dem Teppiche nur herum, um sich von einem Möbelstücke zu dem andern zu begeben und ein weißes Tuch so lange in rastloser, putzender Thätigkeit zu erhalten, bis ihr das eigene, in das glatte Mahagoni hineinlächelnde Gesicht, klar und zufrieden zurücklächelte.

Da stand sie eben, hielt Revue über ihre glänzende Thätigkeit, und hatte die Zufriedenheit, welche nicht alle Generale erlangen: wenigstens in ihrer Gegenwart ihre Truppen von ihrem Vorbilde erfüllt zu sehen. – Da stand sie und blickte mit dem Auge eines sieggewohnten Feldherrn, das weiße Tuch wie eine Ruhmesfahne in der Hand haltend, umher. – Plötzlich tönten die Melodien des Walzers, gedämpft, aber doch vernehmlich, durch die Scheiben in ihr Ohr.

Sie horchte einen Augenblick, als sollte sie sich entsinnen, diese Töne schon gehört zu haben. – Dann eilte sie zum Fenster, nickte, lächelte, öffnete es, trotz der Winterkälte, und wehte die Siegesfahne, welche bei dieser Gelegenheit den eingenisteten Staub los wurde, hinab nach dem Manne, der den Leierkasten bewegte. Er war mit einem eisgrauen Schnurbarte, einer Narbe und einem Stelzbeine begabt.

Brunk, der Invalide, lächelte herauf, lüftete mit der einen freien Hand, indem er mit der andern, pelzgehüllten, fortspielte, seine Mütze, und grüßte und nickte, als feiere er ein sehr erfreuliches Wiedersehen.

Madame Trullemaier sparte die Grüße ihrerseits nicht im Geringsten; und wenn es auch mit Rücksichtslosigkeit gegen das Schwach'sche Holz- und Kohlenlager geschah, so erhöhte dies nur den Werth ihrer Freundlichkeit. Sie eilte, noch immer die Anstrengungen des Ofens verachtend, vom Fenster zur Thüre und rief: »Poll Poll!« so lange, bis 90 das gerufene Individuum erschien und sich ihr zur Seite ans offene Fenster stellte.

Poll, der die Töne sogleich vernahm und erkannte, begann rasch mit beiden Armen, Kopf, Augen, kurz allen nur halbwegs beweglichen Theilen seines sichtbaren Oberkörpers hinab zu grüßen.

Der Walzer erhob sich als zauberische Brücke zwischen den getrennten Freunden.

Poll setzte sofort seinen Hut auf und rannte die Straße hinab. Madame Trullemaier schloß endlich die Fenster, zum Bedauern der Holz- und Kohlenlieferanten, denn diese nützlichen Individuen sind tief überzeugt: der Herrgott habe den Winter nur gemacht, um ihnen bedeutenden Profit zu geben, und wenn bei milderer Witterung weniger Holzstöße verbraucht, geringere Preise erzielt und die Armen von der Nothwendigkeit des Heizens meistentheils befreit werden – so sei dies nur eine unverzeihliche Nachläßigkeit der Engel, welche den strengen Winter zu machen hätten und mithin gestraft werden sollten!

»Ei, wie geht's, Vater Brunk?« sagte Poll, als er dem Angeredeten derb die Hand schüttelte und mit seinen lebhaften, großen Augen recht ins Gesicht sah. »Sieht man Euch einmal wieder? Hätte bald im »Paradies« nachgeforscht! Wo steckt Ihr denn immer?«

»Grüß Gott!« entgegnete Brunk freudig, indem der Blitz durch seine Narbe über Stirn und Wange flog. »Daß Ihr immer der alte Neugierige seid! Ist's nicht genug, daß ich da bin? Wer wird sich um das Andere kümmern! Und daß Ihr's nur gleich wißt: die Liese läßt schön grüßen und ist gesund. Nun, in diesem Wetter kann ich sie doch nicht mitführen! – Was macht Madame?« 91

»Habt Sie ja gesehen; hält sich wie ein Häring!«

»Lottermaul!« sagte Brunk schelmisch. »Immer der Alte, wie ein Pelzhandschuh, das Rauhe außen und das Warme innen!«

»Ja, mein Vater hat mich oft gegerbt!«

»Gut gethan daran!« sagte Brunk. »Doch lassen wir das, Poll; mein Witz hat auch ein Stelzbein und lauft nicht so wie der Eure. Ihr seid gesund; was macht Euer Herr?«

»Ei seht, der Brunk will mit seiner Bekanntschaft leben. Warum kümmert Ihr Euch so plötzlich um meinen Herrn?«

»Poll, Ihr seid ja heute spießig wie ein frischer Eiszapfen. Darf ich doch um einen so guten, braven Herrn fragen, wie der Eure ist?«

»Gewiß, gewiß, und ich sage, damit Ihr Euch zufrieden gebt: er befindet sich sehr wohl!«

»Das ist recht! – Soll ich Euch kurz und gerade etwas sagen?«

»Nun, nur heraus damit. Ihr seid ja plötzlich ganz geheimnißvoll!«

»Ich habe was für ihn.«

»Ihr? für meinen Herrn? Der Tausend! Wie kommt Ihr dazu? Was wäre es denn?«

»Ein Brief ist's, kurz und gut.«

»Was Ihr sagt! Woher habt Ihr den?«

»Seid Ihr Verhörrichter?«

»Ich meinte nur . . .«

»Nun, fragt nicht, da nehmt und gebt ihn dem Herrn.«

»Kommt er von Euch?« 92

»Poll – geht aus der Kälte,« sagte Brunk mürrisch über die vielen unnöthigen Fragen, »sonst friert Euer Bischen Verstand. Seit wann schreibe ich Briefe an reiche vornehme Herren?«

»Ich dachte . . .«

»Ei, denkt nicht zu viel! Wenn ich was brauche, so spricht dieser da für mich.« Er zeigte auf den Leierkasten.

»Und wenn Ihr mit Eurer runden Stahlfeder ohne Dinte in der Luft 'rumschreibt,« sagte Poll und zeigte nach der Kurbel –»so können's alle Leute lesen und braucht's keinen Briefträger.«

»Getroffen! – Weiter schreib' ich nichts.«

»Von Euch ist er also nicht. Ihr wißt aber woher?«

»Weiß es und weiß es auch nicht.«

»Ihr dürft's also nicht sagen?«

»Dürfen, das gerade nicht.«

»Also warum gebt Ihr ihn nicht selbst?«

»Was soll ich da viel Federlesens machen. Ihr habt ihn und damit ist es hollah!«

»Aber möchtet Ihr nicht den Herrn kennen lernen?«

»Kenn ihn schon, das heißt sein Geld; und wenn Unsereins kommt, so glauben die Reichen immer, man komme, um ihr Geld nur noch besser kennen zu lernen; das hält den armen Mann gar oft ab.«

»Doch Er ist nicht so. Geht nur selbst. Er hat sicherlich noch 'ne Freude davon. Madame Trullemaier hat ihm ohnehin den Kopf vollgeschwatzt und von Euch Wunderdinge erzählt. Ich mußte auch mithalten. Er sagte, wenn Ihr komme, so . . .«

»Die Weiber! Und die Männer, die wie die Weiber sind!« sagte Brunk gutmüthig grollend. 93

»Na, Ihr kommt?«

»Sei's!« Brunk packte mit Hilfe Poll's seinen Leierkasten, sie brachten ihn im Hause unter, und Brunk stelzte an der Seite Poll's in die Wohnung ein.

Der Empfang von Seite der Madame war großartig. Ein Kriminalgericht hat nicht so viele Kreuz- und Querfragen für den schlauesten Inkulpaten, als Madame Trullemaier für ihren Bekannten hatte. Sie frug um Alles und noch etwas darüber, und Brunk hatte Noth, ihr zu entkommen.

Endlich, nachdem er seinen Schnurbart glatt gestrichen und die Narbe von selbst sich purpurn geröthet hatte, trat er mit seinem Stelzbeine, jedoch trotz seines Alters und seiner Schwäche gerade, wie ein Baum, aufgeführt von Madame, vor Schwach.

Dieser empfing ihn so wohlwollend als möglich und war schon im Vorhinein verlegen bei dem Gedanken, wie er zuletzt Brunk ein gutes Geldstück einhändigen werde.

Endlich rückte Brunk mit dem Briefe heraus.

»Woher haben Sie diesen?« frug Schwach sehr freundlich, indem er Aufschrift und Siegel besah, ohne sie gleich zu kennen.

»Es ist 'ne eigne Geschichte,« sagte Brunk. »Es war schon einige Zeit her, da spielte ich in 'nem Hofe meinen Leierkasten, und ein langer magerer Herr, der da wohnte, rief mir plötzlich! Ich humpelte hin. Sagt er, ob ich ihm einen Brief bestellen wolle? – Es war ein anderer als dieser Brief. – Warum nicht? sage ich. Wißt Ihr, guter Freund, sagte er, der Brief soll von unbekannter Hand kommen, versteht Ihr? – Verstehe, sage ich. – Sagt er wieder: Ihr müßt ihn abgeben, dürft nicht sagen woher. 94 von wem, was u. s. w., es liegt mir viel daran. – Ganz gut! antworte ich. – Ihr seid ein Invalide, habt das Kreuz, sagte er, man kann sich auf Euch verlassen? – Ordre pariren, Herr! dem Lande keine Schande machen! sage ich. – Gut; er gibt mir ein Geschenk im Voraus, ich gehe! Und wenn Sie mir heute ein Generalspatent dafür geben, so kann ich Ihnen den Namen, der auf der Adresse stand nicht mehr sagen. – Was kümmerte es mich auch weiters? Ich suchte die Straße, das Haus, das Stockwerk; Alles gefunden, Brief übergeben, und rasch aus dem Staube gemacht! – Ich leiere wieder in der Gegend herum, das Mädel, das damals in der mir bezeichneten Wohnung den Brief von mir nahm, erkennt mich, und will mit aller Ueberredung wissen, woher jener Brief gekommen sei? Es liege ihrem Vater sehr viel daran. Ich sage ihr: wenn sie nicht mehr wisse als ich, so wüßten wir Beide nichts, und ich kenne den Briefschreiber gerade so viel als Sie, weil ich ihm blos auf der Straße begegnet. – Ich leiere wieder zu 'ner andern Zeit, das Mädel kommt wieder, und wir werden wieder nicht eins. Nun leiere ich gerade heute Morgens dort in der Gegend 'rum – jeden Tag 'nen andern Stadttheil – da ruft mir das Mädchen aus ihrem Fenster, sagt, ich käme ihr wie gewünscht, ob ich nicht auch ihr einen Brief besorgen wolle? Ganz gerne, sage ich. Sie liest mir die Adresse vor, ich lese diese selbst. Herr Herkules Schwach? sage ich, kenne ich ja ganz gut! – Das heißt, verzeihen Sie, weiß sehr gut wo der Herr wohnt, sage ich. Das glaube ich! sagt sie und lächelt ganz schlau; so habt Ihr Euch doch nun verrathen, daß der Brief, von ihm kam! – Den Brief, den ich gebracht, sage ich, der war nicht von ihm, ganz gewiß nicht! Sie aber läßt sich's 95 nicht ausreden. Und so ging ich hierher und leierte unten auf der Straße und dachte gleich 's wird sich Jemand zeigen. Haben's Beide gethan, Poll und Madame. Der Poll, der kam gar zu mir hinab. O, der Poll, Herr Schwach, der Poll . . . 'ne Kanonenkugel soll mich hier gleich niederreißen, wenn . . . doch das geht mir zu viel zu Herzen, muß mich an manches Traurige erinnern, wenn ich ihn loben will!« – Und Brunk hielt einen Augenblick an. »Kurz, der Poll ist ein guter Kamerad!« sagte er bieder, »und eher geht die Welt zu Grunde, als daß er was Schlechtes thut. – Nun, er wollte den Brief von mir nicht nehmen, sagte, ich müsse selbst 'raus. Und da bin ich nun, verzeihen Sie mir's!«

Schwach bewies ihm viel Wohlwollen in Worten und zuletzt nicht weniger, schamhaft selbst erröthend, in Thaten. »So, mein lieber Alter! Weihnachten . . . lassen Sie sich's gut geschehen . . . denken Sie an mich und besuchen Sie mich öfter!«

Brunk war verlegen, dankte tausendmal und humpelte zur Thüre, von Schwach mit einer zarten Aufmerksamkeit dahin begleitet, als wäre Brunk ein General und Schwach hochgeehrt, einen solchen Besuch empfangen zu haben. – Das ist die rechte Weise des Wohlthuns, und Segen Jedem, der so handelt!

Draußen in der Küche war erst große Festivität, als Brunk wieder dahin angehumpelt kam. Madame Trullemaier hatte indeß einen Stuhl zurecht gestellt und eine schneeweiße Serviete über einen Tisch gebreitet. Das Bratenstück dampfte so appetitlich, daß Brunk den Einladungen endlich nicht widerstehen konnte. Poll hatte eiligst Bier geholt, und das frisch eingeschenkte Glas drohte schon seinen 96 ganzen Inhalt in eitel Schaum auf den Tisch zu rücken, wenn Brunk nicht schleunig durch einige tüchtige Schlucke abhelfen wolle. Solchen dringenden Aufforderungen konnte er nicht widerstehen, und so Saft als Schaum sahen ihre boshafte Absicht vereitelt.

Was da nun Alles gesprochen wurde! Ein ganzes Buch nähme den Inhalt der Fragen, Antworten und Erzählungen nicht auf. Liese'n war natürlich auch ein Theil gewidmet.

»Und wie werdet Ihr die Weihnacht zubringen?«

»Mein Gott, das ist 'ne traurige Weihnacht, kann's nicht verhehlen,« sagte Brunk. »Vor einem Jahre hatte ich meinen Edi!«

»Kommt Ihr wieder hierauf zurück, Brunk? Da wäre besser, Ihr dächtet an was Anderes!« sagte Poll.

»'s geht einmal nicht; und mir ist manchmal leichter, wenn ich's heraushabe was mir im Herzen liegt. Das Kind will mir zu solcher Zeit gar nicht aus dem Sinne!«

»Nun,« sagte Poll, »der Edi hat heuer einen schönern Weihnachtsbaum, als Ihr ihm hättet geben können, da hängen der Mond und die großen und kleinen Sterne als silberne und goldene Nüsse d'ran.«

»Und zu diesem werde ich auch emporsehen und mich trösten,« sagte Brunk. »Aber so arm und elend ich war, 's war mir doch eine innige, tiefe Herzensfreude, als ich dem kleinen Jungen vor'm Jahre was bescherte. Es war in einer elenden Baracke, in die der Wind pfiff; aber wir hatten das Beste d'raus gemacht und den heiligen Christ beschert. Das Kind freute sich wie ein Königskind, und ich selber war selig wie ein Fürst! Auf kurze Zeit. – Heuer habe ich schon mehr Geld, als vor einem Jahr; Euer 97 lieber Herr hat mich gut beschenkt. Meine Liese habe ich nun doch in einem Logis untergebracht . . .«

»Wo denn?« fragte Madame Trullemaier.

»Nun, bei einer Kostfrau, die Kinder in Kost nimmt. Dort war noch ein einzelnes Bett, in einer Bodenkammer, zu haben, wolfeiler gegen Mithilfe bei den Kindern, das habe ich ihr gemiethet; ich selbst wohne anderswo. Und wenn nun die Kostfrau nichts dagegen haben wird – ich hoffe, nicht – so will ich die Weihnacht still mit meiner Alten dort zubringen. Sind lauter arme Kinder dort; erinnere mich an's meine, das draußen im Kirchhof liegt.«

»Besser als die bei der Kostfrau,« unterbrach Poll.

»Wahrhaftig, Ihr habt recht! Aber es geschieht uns doch hart. Nun, vielleicht können wir den armen Würmern auch noch was bescheren.«

»Thut das, ja ja, ich bitte Euch!« fiel Madame ein. Und plötzlich fanden sich Kuchen- und Bratenreste, kleine Kompotgläser, um die es »gerade nicht zu thun wäre«, ein Bischen »überflüssigen« Zucker und Kaffee's fanden sich auch, und Madame Trullemaier empfahl das Alles für Liese's Brust. Schöne Grüße, sie möge bald zu Besuche kommen! Dann stopfte sie Alles in Brunk's Taschen, der darüber lachte, wie er vollbepackt heute nach Hause kommen werde. Und Poll litt nicht, daß Brunk unterlasse, der Flasche den Rest zu geben. Dann humpelte der Alte endlich, mit tausend Grüßen, Dank und Abschiedsworten hinaus, wünschte die gesegnetsten Feiertage, ward wieder bewünscht, und es brauchte eine lange Zeit bis beide Parteien auseinander kamen.

Unten nahm er wieder seinen Leierkasten und spielte, dem Hause gegenüber, seinen besten Marsch. Als dieser mit 98 seinen pfeifenden Tönen zu Ende ging, grüßte Brunk noch einmal nach den Scheiben, mit seiner Mütze, dann lud er seinen Kasten auf den Rücken, klappte das Gestelle zusammen und stelzte davon.

Schwach hatte mittlerweile den geheimnißvollen Brief erbrochen und las:

»Mein theurer, guter Herr Schwach!

Ihr Verbergen vor mir ist vergebens. Es kann kein Anderer mein Helfer, mein Retter sein. Wer sollte des Alten sich erinnern, der Niemanden hat als seine selbst bedürftigen Kinder, und der aus dem Verkehre mit der übrigen Welt seit lange ausgeschlossen ist? So geheimnißvoll Sie auch Ihre Wege wählten, so verschwiegen der Bote sein mag, so fremd die Schrift gewählt ist – kein Anderer ist der großmüthige Geber der Summe als Sie! Ich erkenne Sie gerade an dem geheimnißvollen Wege, an der Art und Weise wie Sie sich zu verbergen suchen; und jedes Läugnen wird Ihnen fortan nichts nützen. Sollten Sie sich weigern, noch jetzt meinen Dank zu hören, so werden Sie sich noch mehr diese Belästigung zuziehen. Also tausend Dank, und der Himmel lohne es Ihnen!

Werden Sie nicht fragen: Was dankt mir der Alte gar so sehr, und fiel es ihm denn nie ein, meine wenn auch gutgemeinte und zarte Spende zurückzuweisen? Es fiel mir ein, es war mein fester Wille. Die langwierige Krankheit meiner verstorbenen Frau hat mich schwere, schwere Opfer gekostet und mir herbe Ersparungen auferlegt. Kaum begann ich Hoffnung zu haben von meinem Gehalte meine Rückstände und Verpflichtungen zu lösen, da kränkelte wieder mein jüngstes kleines Kind, das seine Mutter zu früh 99 verlor; und die Erhaltung dieses theuern Wesens, dieses zarten Vermächtnisses meiner Seligen, war meine heiligste Sorge. Sie legte mir abermals Schweres auf. Rübe ist unerbittlich. Er wird nicht täglich besser gegen einen alten Diener, sondern härter, schroffer. Es ist gerade, als hätte er es darauf abgesehen mich zu ruiniren, mich früher als sonst in's Grab zu bringen. – Hat er ein Interesse meine alten Gebeine dahinzulegen und meinen Mund mit einer Hand voll Erde zu verstopfen? – Warum jagt er mich nicht davon und läßt mich gleich, elend zu Grunde gehen? – Will er mich in Abhängigkeit, in steter Beziehung zu ihm erhalten, so lange ich lebe? –

Mein guter, theurer Herr Schwach, ich spreche diese Worte nicht ganz ohne Gründe aus. Fast reut es mich schon sie geschrieben zu haben. – Oder soll ich sie nicht zu Ihnen, zu Ihnen sagen? Wem dann? Sie sind der Einzige, der Mitleid mit mir fühlt, mit mir empfindet, mich versteht. – Gott, mein Gott, es ist ein Elend ein solches Leben zu führen! Sie kennen es. Aber noch nicht ganz. Meine trübe Stimmung, mein fortwährendes Arbeiten, Rübe's dunkles Komptoir, der Mangel an Erholung, die mir noth that und die ich nicht haben konnte, sie haben noch zerstörender auf mich gewirkt. Und seit Monaten erhebe ich mich vom Bette nur, um in einigen Tagen neuerdings meine Zeit darauf hinzubringen. Meine Augen waren fortwährend im elendesten Zustande, und ich selbst hätte keine Hoffnung für Genesung, wenn sie der Arzt mir nicht rastlos zuspräche, mit der Meinung ich bedürfe nur Ruhe. Rübe hat mir im ersten Monate meinen Gehalt gelassen, im zweiten brachte er mir Vorschüsse, wol nicht große, in Erinnerung, die er mir schon geleistet; nach dem zweiten 100 reduzirte er den Gehalt auf die Hälfte; und wenn ich jetzt nicht bäte, er hätte mir vielleicht schon Alles genommen. Dabei hält er meinen Platz offen, wie er sagt, indem er jetzt nur erst einen Stellvertreter, halb von meinem Gehalte, halb aus seinem eigenen Sack, bezahle. Hat er nicht den grausamen Muth mich ganz zu verstoßen und will er doch mich an ihm gefesselt erhalten? – – Sie sind mein Retter! Wie ein Engel vom Himmel traten Sie ungesehen in meine Stube; aber Ihr Segen blieb mir zurück. Ich danke Ihnen tausend- und tausendmale. Ich habe die Barschaft zuerst nur eines Theiles angegriffen, in der Meinung, diesen bald rückerstatten zu können; jetzt habe ich sie ganz in Anspruch genommen; und ich sage es Ihnen offen, ich weiß nicht wie ich sie bezahlen werde. Rübe's Herz gibt mir keine Aussicht dazu. Genehmigen Sie meine Offenheit, Sie sehen ich mache keinen Rückhalt und ich irre mich nicht in Ihrem Gemüthe, wenn ich glaube, mit einer offenen Sprache Ihnen nach Wunsch zu sprechen. Das ist meine Lage, meine ungeschminkteste, offenste Darlegung derselben. Sie verdienen letztere als mein Freund und Gönner, wenn ich auch nicht weiß, wodurch ich Ihre Theilnahme in diesem Grade erregt, da ich nie Gelegenheit hatte, in meiner Ihnen gegenüber werthlosen Stellung, Ihnen nützlich zu sein. Jetzt fühle ich mich besser seit einigen Tagen. Der Arzt verbietet mir nur, mich der schneidenden Winterluft mit meinen Augen auszusetzen; ich hätte Sie so gerne zum heiligen Christfeste bei Ihnen selbst gesehen! Mit Neujahr trete ich wieder bei Rübe in Thätigkeit. Meine kleine Familie, mein Otto, will ein Genesungsfest feiern, und er ist von dem Fabriksorte herübergekommen. Ein Genesungsfest – das heißt soweit ich genesen kann! Ich weiß niemand 101 Liebern, den ich dabei wünschte, als Sie. Ihre Summe langt noch ganz gut aus; wir werden ein liebes kleines Weihnachtsfest im trauten Kreise halten. Kommen Sie zu mir. Sie sind ein einzelner Herr. Wenn Sie nicht zartere Bande haben, kommen Sie. Lieber werden Sie nirgends aufgenommen, freudiger nirgends empfangen werden, als bei mir. Und daß Sie kein Herz auf der Welt durch Ihre Anwesenheit mehr erquicken werden, als das meine, das schwöre ich Ihnen! Kommen Sie nur. Sagen Sie ja. Vielleicht ist es das letzte Weihnachtsfest, das ich armer Alter feiere. Geben Sie mir keine abschlägige Antwort. Ich harre mit tausend Bangen und Freuden. Ich drücke Ihnen warm die Hand, in der Hoffnung Sie bald zu sehen, und bleibe Ihr dankbar getreuester

Krimpler

Schwach ging, mit dem Briefe in der Hand, im Zimmer auf und ab. Er war gerührt von der schließlichen Anspielung des alten Buchhalters, daß dies vielleicht dessen letzte Weihnacht sein werde! Doch hielt ihn wieder von der Zusage die Furcht ab, Krimpler werde mit Danksagungen kein Ende nehmen wollen und ihn, für den Betrag, tausendfach erröthen machen.

Während er noch im Zweifel mit sich war, langte Schnepselmann an und machte ebenfalls dringende Einladung zu Weihnachten. Er hatte große Gesellschaft für den Abend geladen. Da waren mehrere einsam stehende Herren und einsam stehende Damen, ältere und junge; er stellte die Reize einer solchen Gesellschaft dar, in welcher, wie er sagte, wirklich eine Person liebenswürdiger sei als die andere, und Schwach auch schon bekannte Persönlichkeiten finden werde. 102 Er zählte sogar die einladenden Gerichte auf und ließ nichts Anlockendes unversucht.

Auch ein Brief des Herrn Chokolademachers Fliege, entfernten Verwandten, erinnerte Herrn Schwach sehr demosthenisch an »abgebrochene« freundschaftliche Beziehungen, und bot die Gelegenheit einer günstigen Anknüpfung dar.

Schwach entschied für den alten ersten Gastbitter und wies dankend, mit der größten Zartheit, die andern Einladungen ab, deren noch mehrere waren.

»Und was wollen Sie mit Ihrer wackern Haushälterin machen? Denken Sie nicht, daß es eine furchtbare Zurücksetzung ist, sie an diesem Abend ganz zu verlassen?« sagte Schnepselmann.

»Richtig, daran habe ich noch gar nicht gedacht. – Glauben Sie vielleicht, daß ich zu Hause . . .?«

»Das ist nicht nöthig. Ich wollte aber eben meinen großen Familienzirkel, angewachsen durch die Zahl liebenswürdiger Personen, die ich unter den Schutz meines Hauses genommen, und über die ich meine Familienfittige gerne breite, mit Ihrem Hauszirkel verbinden. Und da Madame Trullemaier durch Beziehungen näher zu mir steht, als sonst irgendwo, so dachte ich . . .«

»Nun, Sie werden mir einen Gefallen thun, sie für den Weihnachtabend bei Ihnen zu laden. Poll nehme ich mit mir, er wird nicht vom Ueberflusse sein und wird schon sein Plätzchen finden.«

»Sehen Sie wie Sie mit ihr abkommen,« sagte Schnepselmann achselzuckend.

Schwach, von Krimpler unwiderstehlich angezogen, setzte sich hin und schrieb: 103

»Mein lieber Herr Krimpler!

Nicht leicht kann ich Ihnen verzeihen, daß Sie sich so lange vor mir verbargen und ganz meinen Blicken entzogen. Daß ich jedoch geneigt bin diese Ihre Härte ganz zu vergessen und zu vergeben, will ich Ihnen dadurch beweisen, daß ich meine Weihnacht an Ihrem Tische und in Ihrem lieben Familienzirkel, Ihrer gütigen Einladung nach, zubringen werde. Aber Eines müssen Sie mir versprechen. Da ich bis dahin sicher ganz vergessen und vergeben habe, vergessen Sie ebenfalls alles Frühere, und reden Sie kein Wort davon! – Kann ich mich auf Sie verlassen? – Nur dann komme ich. – Ich grüße Sie herzlichst. Auf Wiedersehen, Ihr bestgeneigtester

Schwach



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