August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Einunddreißigstes Capitel.

Spiritismus – der geheimnißvolle Geistmagnetismus ragt in unsere Welt herein.

»Sie haben entschiedenes Unglück gehabt mit Ihren Amtsideen,« sagte Schnepselmann zu Schwach. »Ich war im Vornhinein dagegen, ein Beweis, wie richtig meine Vermuthungen und Voraussetzungen sind! – Und wie gesagt, wenn Sie heute durch größte Höflichkeit und Zuvorkommenheit alle möglichen und unmöglichen Stempelpapiere in Händen hätten – könnten Sie Ihr Herz, Ihr Gemüth, Ihre Zweifel und Besorgnisse stempeln? – Könnten Sie, mit Dokumenten, die Vorgänge und Personen, die lebendige Gegenwart und die hingeschiedene Vergangenheit bedecken? – Gewiß nicht! Oh – ge – wiß – nicht!« preßte er jede Silbe einzeln, mit tiefem Nachdruckstone heraus.

»In einer Zeit, wie die unsere,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »die so viel Merkwürdiges, Ungeahntes, Erstaunliches und Unbegreifliches gesehen, so daß selbst die Wissenschaft zuweilen wie ein Kind voll unschuldiger Einfalt da stand, darf man über nichts rasch und mit Vorurtheilen 172 absprechen! Hören Sie daher mit Wohlwollen, und noch mehr mit bereitwilliger Aufmerksamkeit, wenn ich zu Ihnen von dem Spiritismus spreche!«

»Spiritualismus meinen Sie wol?« sagte Schwach.

»Spiritualismus und Spiritismus verhalten sich gegenseitig zu einander, wie Most zu Wein, wie Maische zur klaren Flüssigkeit. Spiritismus ist die höhere konzentrirtere Erscheinung des nebelhaften Spiritualismus. Was einst als Dunst, als kaum faßbarer Begriff, in dem Endlosen herumschwebte, ist nun körperlich geworden, hat Name und Gestalt bekommen. Die Geister tragen den Taufschein mit sich, geben Geburtsort und Vaterland, gegenwärtigen Aufenthalt und Zeitvertreib an, sie greifen mit fühlbaren Händen, und Fußtritten sogar, in die Geselligkeit unseres Jahrhunderts ein!«

»O! o!« rief Schwach.

»Od! wollen Sie sagen und zugleich herbeiziehen,« warf Schnepselmann ein. »Ich kenne die wissenschaftlichen Abhandlungen sehr gut. Aber die ›Odognostik‹, die körperlichen, wesenhaften, in allerlei buntgefärbten Lichtern sich den Auserlesenen und Berufenen manifestirenden Erscheinungen, darin liegt ein weit höherer unbegreiflicherer Fortschritt! – Der Verkehr der Geisterwelt mit der Menschenwelt wächst täglich. Der Sensualismus und Sensitivismus, welche früher nur sprungweise, wie eine seltene Laune des Schicksals. auftauchten, ergreifen jetzt massenhaft und begaben ganze Gegenden und Gesellschaften, ohne Unterschied des Ranges. Salon, Küche und Keller sind ganz gleich. – Sie haben von den wunderbaren Erscheinungen in Amerika gehört. Die drehenden Tische waren das Erste, und das heißt in der neuen Wissenschaft ›Chiroelektromagnetismus‹. Die Geister begannen dabei gleichzeitig, wie Kinder 173 zuerst stammeln, mit der sehr unzulänglichen Klopferei, gleich den Gefangenen, welche sich an der Wand das ABC, der Nummer nach, vorklopfen. Das waren die einfachen Manifestationen. – Aber die höhere Geisterschule brachte es endlich zum Schreiben, das ist der ›Psichographismus‹ oder die ›Emanuelektorologie‹. Gottlob, die Geisterprotokolle können bereits nicht nur Bücher füllen, wie es geschieht, sondern ganze riesige Archive!«

Schwach bewegte denkend den Kopf hin und her.

»Der ›ätherische Universal-Welt-Nerven-Geist‹, so heißt das vermittelnde Unfaßbare, mit dem eigentlichsten Ausdrucke, in dieser Wissenschaft und Lehre, die bereits kolossal vorgeschritten ist. Wir sind davon unterrichtet, daß eine Anzahl von Personen als ›Medien‹ aufgetaucht sind und berühmt wurden. Sie sind der lebendige Tunnel, durch den die Geisterwelt in die Menschenwelt ein- und durchgeht; sie sind das Hotel, das ein Spiritus für kurze Zeit bewohnt; sie sind das Uhrwerk, um mich ganz begreiflich zu machen, in denen der Spiritus, der Geist, als Perpendikel hin und her geht und ihre Zeiger auf Ziffer und Buchstaben treibt. – Im Großen und Ungeheuerlichen haben Amerikaner zuerst das spiritistische Wesen, oder die ›Phänomenologie‹, betrieben. Hume, der Luftschweber, hat den französischen Hof und dadurch Europa in Staunen versetzt. Die Missis Fox in Boston, Mac Allan, Squire in Amerika leben mit den Geistern im Verkehre, wie die Sperlinge untereinander, so weit ist es gebracht. Dupotet in Paris bespiritet ganze Säle. In Deutschland, wo der Berliner pensionirte Rendant Hornung zuerst an die Spitze trat, ist die Geisterwelt am Schnürchen gehalten – 174 sagen wir es mit Stolz für unser Vaterland und Jahrhundert – wie ein Hampelmann!«

»So alltäglich als dies klingen mag,« fuhr Schnepselmann fort, »so liegt gerade darin der wichtigste Schwerpunkt! – Die Kraft, wodurch sich die Geister manifestiren, phänomenisiren, heißt ›Vitalismus‹, und die Medien sind ›vitalistisch‹! Ich habe mich in der Wissenschaft, für unsere Zwecke, sehr genau umgesehen. Die Geister, welche sich aus dem unenthüllten Jenseits phänomenisiren, sind gute und böse, saubere und unsaubere, ja sogar zarte und grobe. Sie haben mehr oder minder Talent, auf Alter kommt es nicht an; denn ein Kind, welches in der Welt nur so viel Athem schöpfte, um durch einen Aufschrei den Schmerz über sein Dasein oder Abziehen erkennen zu geben, ist genügend als Geist unterrichtet, um über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges Aufschluß zu geben. Stunden, Tage und Wochen alte Kinder, sind sehr talentirte, als Geister berühmte Manifestanten! Es ist wahr, Medien haben durch den Psichographen, den Geisterschreibapparat, das drehende Schreibstifttischchen, zuweilen sehr geringe Kenntniß der Orthographie entwickelt, aber gerade, daß die schreibenden, die Hand auf den Apparat legenden Personen selbst, und nicht die Geister, unorthographisch waren, scheint mir ein sehr schätzenswerther Beweis! – Hingegen haben auch geistvolle Begeistigungen stattgefunden. Heinrich Heine hat Gedichte, auf Befehl, aus dem Jenseits gemacht. Ebenso Johann Fürchtegott Gellert. – Hahnemann, der große Entdecker der Homöopathie, hat Dezillion-Heilmittelchen aus dem Jenseits diktirt und, wie Sie es durch Zeugen bestätigt lesen können, eröffnet, daß Gott selbst ein Homöopath ist!« – 175

Schwach lächelte mitten im Staunen.

»Das Lächeln hat von jeher die ernstesten Dinge begleitet, und wenn ich selbst lächle, so bleiben mir die räthselhaften Erscheinungen, von hohen Würdenträgern, sogar Generalen! bescheinigt, immer eine im Grunde ernste Sache. Man muß mit dem Zeitgeist gehen! Der Psichograph dichtet nicht nur spiritistisch, er komponirt sogar. Walzer, Regimentsmärsche und Kirchenkompositionen verrathen gleich schätzenswerthen Spiritus. Klaviere werden in den spiritistischen Gesellschaften von unsichtbarer Geisterhand gespielt, ebenso Drehorgeln; ja ein Herr Jonathan Coons in Ohio hat, kraft seiner spiritischen Gabe und Zitationsmacht, den Geist Napoleons bei sich auf kurze Zeit gefangen und ihn als Trommler zu wirken gezwungen! Die Geister zupfen, zerren, kneifen, schlagen, stoßen, zausen, ziehen den Personen Röcke aus, entknoten Stricke, gleich den geübtesten Matrosen, werfen aus der Luft Steine, Kochtöpfe, Eisenfeilen, Besen und Kleiderbürsten als tellurisch-kristallisch-magnetisch-spiritognostische-phänomenale Kristallisationen. Schränke und Bettstellen tanzen, Semmeln, Schwarzbrode und Glocken wandeln, sprechen durch ein Stuhlbein, reden Sprachen, die kein Mensch versteht, das Medium selbst nicht, aber als eine lebende oder todte Sprache von diesem, in visionärem Geisterrapport, erklärt wird. Die Geister zeichnen ihre Stammbäume, Portraite ihrer Vorahnen; ein Schreibtischlein erklärte sich selbst als die Großmutter eines anwesenden Gastes – kurz es gehen die wunderbarsten Dinge vor!«

»Aber . . .« begann Schwach.

»Aberglaube wollten Sie vielleicht sagen? Oder aber etwas Anderes? Es ist gleich; ich kenne alle möglichen Einwürfe; ich habe sie selbst gemacht. Aber von meinem 176 Standpunkte, vorsichtig nichts außer Acht zu lassen, was auf der Höhe der Zeit erscheint, und wenn es auch unbegreiflich ist; – von dem einzig wahren Gesichtspunkte eines wahren Fortschrittsmenschen, der Zukunft immer voranzugehen und Höheres zu vermitteln; – von all diesen Ursachen ausgehend, die Ihnen bei mir nicht neu sind, bleibt mein Zweck: gebührendste Beachtung des Spiritismus! – Die einst verbrannten Hexen leuchten sehr vortheilhaft in diese Wissenschaft und Zeit herein! Die odisch-gnostisch-sensitiv-magnetisch-vitalistisch-spiritistisch-psichographisch-phänomeisch-kristallisch-visionistisch-manifestistischen Schriften bilden bereits eine ganze Bibliothek, und keine Fakultät darf sich rühmen, nicht ihre Vertreter unter den Autoren zu haben; ja es existiren eigene Zeitschriften in allen Sprachen. Die Medien machen Rundreisen, von ihren unsichtbaren Schutzgeistern überall begleitet. In Tübingen hat man Nachgrabungen auf solche Anweisungen gehalten, und derlei mehr! – Ich kann es daher vor Ihnen nicht verborgen halten, daß auch unsere Stadt ihre bezüglichen Kreise hat, und der Verkauf von drehenden Schreibtischchen, oder Psichographen, eine würdige Kommerzialbeschäftigung bildet. Ja bereits höchst merkwürdige Medien haben wir, und eine sehr angenehme, Ihnen wohlbekannte Dame, deren Name ich vorläufig nicht nenne, entwickelt die erstaunlichsten Gaben hiebei! Sie erhält nicht nur Mittheilungen aus der übersinnlichen Welt, ja sie schreibt und spricht in Sprachen, die sie gewöhnlich nicht versteht. Das Chinesische ist sogar darunter, und es durfte kein Zweifel obwalten, daß die Dame weder bisher in China gewesen, noch mit Eingeborenen aus China hier zu Lande sehr viel verkehrt hat, oder je mit derartigen philologischen Studien sich befaßte. – Also mein Rath ist und bleibt, da wir durch 177 alle bisherigen Bemühungen auf gewöhnlichem Wege über unser Geheimniß nichts Wesentliches erfahren, es mit dem Außerordentlichen, Uebersinnlichen zu versuchen, einer spiritistischen Sitzung beizuwohnen!«

Schwach machte abermals Einwürfe.

Schnepselmann bewies aber, daß eine derartige Sitzung an und für sich so interessant sei, daß der kleine Betrag für die Erhaltung des Verkehres mit der übersinnlichen Welt, in gar keinen Betracht kommen könne.

»Und wenn wir unser Geheimniß entdeckt erhalten, dann, sicherlich, können wir mit den Ergebnissen uns sehr zufrieden erklären!«

So schloß er. Und dagegen war in der That nichts einzuwenden.



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