August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Achtundzwanzigstes Capitel.

Weihnacht bei Krimpler und den Seinen.

»Gehorsamst zu bitten, Herr,« sagte Poll, und stellte sich mit devoter Steifheit, in seiner ganzen kurzen Größe, an die Thüre.

»Nun, Poll, welche Bitte?« fragte Schwach wohlwollend.

»Möchte sehr bitten, heute, da der Weihnachtsabend ist, einen kleinen Ausgang machen zu dürfen. Möchte sehr gerne noch vor Abend einem Freunde was bescheren, und 104 da dächte ich, wenn Sie die Güte hätten, nachdem ich Alles auf Befehl zu Herrn Krimpler getragen . . .«

»Zu dem Freunde gehen zu dürfen?«

»Aufzuwarten!«

»Darf ich wissen, wer der Freund ist?«

»Allerdings; es ist Brunk der Invalide, der erst dieser Tage hier war, und sein Weib und . . .«

»Nun, weiß der Poll was . . .« hier dachte Schwach noch ein Bischen nach, ». . . gehe er nur zu seinen Freunden, ich werde Abends die Sachen schon besorgen lassen. Und wenn der Besuch zu Ende ist, so denke ich, noch immer bei Herrn Krimpler zu finden sein.«

»Tausend Dank! Und ich will gleich selbst Jemanden bestellen!«

»Gut, ganz gut.« Und da Poll schon das Vorhaben in's Werk zu setzen lief, rief ihm Schwach nach, »Poll! zwei Flaschen von dem alten Rheinwein nehmt noch mit, und sagt meinen Gruß!«

Poll stürzte zurück und wollte eine Dankrede halten, Schwach aber eilte, erröthet wie eine Jungfrau, in das Nebenzimmer.

Poll wendete sich wieder, schüttelte den Kopf, und sagte zu sich selbst: Wenn ich nicht die Philosophie gehabt hätte, von den Kindern zu schweigen, er hätte mir auch noch die Freude genommen und mir Spielzeug zu kaufen befohlen. Aber das ist meine Sache! Lange lebe Herr Schwach; eine Million Kaninchen und Rosinchen sind nicht seine Fußspitze werth!

Des Abends läutete es an der Glocke der Krimpler'schen Wohnung. Innerhalb derselben huschte es, zischelte, wie wenn man eiligst spräche: »er ist da, er ist da!« – 105 Man eilte an die Thüre, und Schwach mit einem tüchtig bepackten Träger stand vor derselben.

Ein liebliches, vierzehnjähriges Mädchen erröthete bis über die Augen, wußte, verlegen, nicht was es sagen solle, und stammelte, vor Herzklopfen nur halb vernehmlich, den »guten Abend« hervor.

Schwach, der selbst Jemanden bedurft hätte, der ihm in seiner Schüchternheit beigestanden wäre, blickte ebenfalls sehr verlegen umher, lüftete den Hut, und wäre sicher noch einige Zeit zwischen Thür und Angel gestanden, wenn nicht die nahe Zimmerthüre sich geöffnet hätte und Krimpler, im schwarzen Feiertags-Gewande, begleitet von einem jungen Manne, der das Ansehen eines Handwerkers hatte, herangekommen wäre.

Krimpler, sichtlich schwach, aber doch von dem Momente gekräftigt, eilte seinem Freunde und Wohlthäter entgegen, streckte beide Hände nach ihm aus und ergriff die seinen. »Seien Sie tausendmale, tausendmale gegrüßt in meiner bescheidenen Wohnung!« sagte er mit bewegter Stimme und zog den Angekommenen so in dem kleinen Vorhaus vollends vorwärts.

Der Träger stellte mittlerweile seinen Korb ab und verschwand eiligst.

Krimpler schob seinen Arm in den seines Freundes, und geleitete ihn in die Stube. Der junge Mann öffnete, voreilend, die Thüre. Schwach wünschte sich für den Augenblick überall hin, nur nicht hierher, und sein Herz pochte gewaltig. Doch Krimpler, der Schwach mit dem errathenden Herzen eines hochachtenden und liebenden Freundes kannte, hielt sein Versprechen und schwieg von allem Vorhergegangenen und allen Danksagungen. 106

»Wie Sie gut aussehen, wie Sie gut aussehen!« rief Krimpler innig erfreut.

»Und . . . Sie auch,« entgegnete Schwach, der in der Verlegenheit gar nicht wußte was er sagen solle und froh zu dieser allgemeinen Frase griff.

Krimpler lächelte, schüttelte das graue, halbkahle Haupt und sagte: »Nicht doch; das ist nur so eine Rede; ich weiß wie ich daran bin. – Nun nehmen Sie Platz, und ich werde Ihnen meine Familie und Gäste aufführen.«

Rose Marie, die Tochter, hatte bereits den Stuhl zurecht gestellt, und Schwach nahm Besitz davon. Als aber die Vorstellungen begannen, erhob er sich sofort wieder. Krimpler nahm den jungen Mann, der schon im Vorzimmer sich zeigte und jetzt in der Nähe stand, sanft beim Arme, und sagte: »Mein Sohn Otto, Maschinenarbeiter in der Philips'schen Eisenguß- und Maschinenfabrik, ein braver Junge!«

»Sehr erfreut, sehr!« sagte Schwach, und schüttelte dem jungen Manne innig die Hand, die etwas größer war als die eines feinen Herrn und viel heißer, aber so von der Arbeit geworden war. Die breite Brust des jungen, zwanzigjährigen Mannes, sein freier wohlwollender Blick, seine gesunde Farbe, sein reiches, kurz und rein gehaltenes braunes Har ober der kräftigen Stirne, nahmen für ihn gleich ein, und man sah aus seiner ganzen Haltung und Bewegung, hier sei ein ehrlicher, fester, seiner Kraft bewußter, doch bescheidener Mensch und Werkmann!

Dann kam ein zweiter junger Mann, blond, mit großen hellen, grauen Augen, markigen Lippen und weißen Zähnen, die bei jedem Lächeln gleich zum Vorschein kamen. Sein Benehmen, so leicht, so ungekünstelt es scheinen wollte, war 107 eckig; und die Verbeugung, als er vorgeführt wurde, sogleich eine, welche einen Sonderling oder Fremdling andeutete. Seine Kleidung zudem, mit dem leicht um den Hals geschlungenen Tuche, hatte etwas, da sich gleichsam zwang hierländisch zu sein und es trotzdem, man konnte sich eigentlich nicht Rechenschaft geben warum, nicht war. Doch Schwach war von seinem Anblicke angezogen. Er hatte etwas Gutmüthiges und Unbeholfenes in seiner ganzen, kräftigen, doch linkischen Gestalt, so daß Schwach simpathetisch eine Art von Herzensbruder in ihm erkannte und ihm die Hand entgegen hielt, ehe er dessen Namen wußte.

»Mister John Steady aus Birmingham, sagte Krimpler, »ein Kollege meines Sohnes in der Fabrik, der aus England herübergekommen zu uns, um ein bischen Welt zu proben, sein Geschäft vollends zu lernen, und in die Heimat zurückgekehrt, eine eigene Fabrik zu gründen.«

»Freut mich, freut mich!« sagte Schwach und drückte ihm die Hand. »Also wollen Sie bei uns lernen? Ich denke, wir könnten von Ihnen . . .«

Steady errieth den Sinn und antwortete in ziemlich geläufigem, jedoch immer seine Heimat nicht verleugnendem Deutsch: »O, ich selbst kann noch gut lern' und muß lern'! Mein Vater sagt: Frankreich gefährlich für jungen Mann, Deutschland gute Country, mehr englisch Charakter; sagt zu mir: geh, und ich geh und arbeit'.«

»Sehr wacker, sehr wacker,« sagte Schwach und schüttelte ihm abermals die Hand, was mit der ganzen Herzlichkeit erwidert wurde, die ein Engländer besitzt für eine Person, die er liebgewonnen. Mister John Steady war ebenso gebildet als wohlhabend, so daß er bereits die Grundlage der deutschen Sprache besaß, ehe er über die See kam. 108 Der alte Vater, der sein Vermögen, von unten auf, als Arbeiter errungen, schickte den Sohn in die Welt; er lerne und arbeite, um sein Brod verdienen und Andere lehren zu können. Dann erst werde er des Vaters Gefährte, oder gründe selbst eine Fabrik. Das war die biedere Ansicht des alten Mannes. Der Sohn ging freudig in dieselbe ein und war ein Arbeiter, wie jeder andere, bei Philips, für sein täglich Brod. Er schloß da mit dem jungen Krimpler, zwar seit nicht lange, doch eine herzliche Freundschaft. Heute war Otto herübergekommen zu dem alten Vater, und der junge Engländer, dem die Furcht vor Einsamkeit in der Weihnacht, diesem so herzlich und rührend in England gefeierten Feste, die Brust beklemmt hatte, nahm um so mehr erfreut Otto's Vorschlag an, ihn in den Familienzirkel seines väterlichen Hauses zu führen. Krimpler empfing Steady mit aller Herzlichkeit, die den Mann kennzeichnete, dessen äußere Welt klein und arm, dessen innere aber groß und reich war. – John Steady war entzückt; denn wer es weis, was ein Englishman auf Familie, und gerade an diesem Abende hält, wird es erklärlich finden und ihm beistimmen.

Nun kam Rose Marie an die Reihe. »Meine Tochter, meine liebe Tochter!« sagte Krimpler sehr bewegt, indem er sie bei der Hand und von der Lehne eines Stuhles weg nahm, der seitwärts und ein wenig zurückstand. Dabei tastete er auf ihr braunes, reiches Har, das in einfachen, ungekünstelten Flechten um ihr liebes rundes Haupt geschlungen lag. Krimplers Finger zitterten bei diesen Betastungen. »Sie ist jetzt meine kleine Hausmutter, meine Wirthschafterin und Pflegerin, mein Alles! Denn mein Junge muß sein Brod und seine Werkstätte einige Stunden weit von hier suchen. Sie ist meinen düstern Augen ein Stern, mein 109 Licht, das mir diese Stube erhellt!« Er küßte sie gerührt auf die Stirne. Das Mädchen, das nicht erst jetzt erröthen durfte, schlang die schönen Arme um seinen herabgebeugten Nacken und barg das Haupt an seinem Busen. Schwach fühlte eine Welt in seinem Herzen aufgehen. Es war ihm, als müßte er alle seine Kostbarkeiten, das Geringste, was er überflüßig besaß, hier auf den Tisch legen und rasch davon gehen. Als die Beiden ihre Umschlingung lösten, ergriff Schwach Rose Marie's kleine Hand und hätschelte sie wohlwollend. Das Mädchen entwand sich sanft und eilte aus der Thüre.

John Steady folgte ihr mit festen Blicken und murmelte etwas zwischen den weißen, glänzenden Zähnen.

»Sie ist ein Engel, Herr Schwach, sie ist ein Engel! Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich sie nicht gehabt hätte. Sie ist noch so jung und doch so erfahren, so haushälterisch, so altklug möchte ich sagen, in Allem, daß ich oft meine, ich hätte die Selige, ihre Mutter noch, und selbe sei nur gegangen, um verjüngt wieder zu kommen. Es ist ein Segen, so ein Kind! Der Himmel muß ihr's lohnen; denn Freuden hat sie noch nicht gehabt!«

Rose Marie war ein werdendes Weib. Wie wenig gesagt und doch so viel! Es schließt das Wort eine Süßigkeit in sich, eine anders unaussprechliche. Alles Sanftere, fein Ahnendere, Sorgsame, Stillhäusliche, jenen großen Sinn für den kleinen Raum, die Weltschöpfungskraft innerhalb den Wänden, welche uns erst diese leeren Mauern zu einer beseligenden unerschöpflich reichen Welt macht – alle diese Eigenschaften, welche dem Manne abgehen und ihn um seine bessere Hälfte sehnend machen, besaß sie! Sie hatte sie nirgends gelernt, am wenigsten, in ihrem damals noch 110 unzurechnungsfähigen Alter, durch die Mutter; doch besaß sie dieselben, so wie der kleine Keim den Baum, die zahllosen Blätter, die Blüthen, den Duft, die Früchte allmälig aus sich entwickelt. Sie war ein werdendes Weib – ein Weib! –

Die Geisteskräfte waren den Jahren vorausgeeilt.

Draußen saß Sie und wischte mit der Schürze eine Thräne; denn das Wort Mutter hatte ihr noch bangere Gefühle im Herzen heraufbeschworen, und überhaupt ist dem vollen Weiberherzen nichts so wohlthuend, als eine Thräne. Diese einmal vergossen, ward ihr wieder leichter. Sie wusch mit frischem Wasser die treuherzigen Augen und nahm wieder jenes besorgte, bei den fast kindlichen Zügen so lieblich parodistische Mütterchen-Gesicht an, und schaffte und ordnete für den Festabend.

Im Zimmer setzte Krimpler seine Vorstellungen fort. Sie waren bald beendet. Er holte aus dem nächsten Zimmer den kleinen Anton, Toni, wie er ihn nannte, einen blassen Knaben, mit großen schwarzen Augen. Dies war das letzte Vermächtniß der Frau, die vor ihrem älteren Gatten zu Grabe gegangen war. Der Kleine streckte dem Gaste das Händchen entgegen. Schwach kosete ihn sanft und liebreich.

Zwischen Thür und Pfoste des Nebenzimmers stand ein kleines Mädchen, ungefähr von dem gleichen Alter Toni's, und sah schüchtern, doch mit kindlicher Neugier, in die Stube. Es war einer sehr armen Nachbarin kleine Anne, und da sie immer mit Toni spielte und seine sanfteste Gefährtin war, sollte sie auch heute dableiben und vom heiligen Christ beschert werden.

Das war der ganze Krimpler'sche Kreis. 111

Als man sich ein wenig, nach den Vorstellungen, behaglich in der Stube zurechtgefunden, sagte Krimpler, der das Ganze patriarchalisch leitete: »Nun, meine lieben Gäste, wollen wir die Kinder wieder in die Kammer zurückschicken; ich muß ja eine Bescherung machen! Und nichts ist so selig dem Kinde, nichts Jedem ein solcher Schatz von lebenslangen Freuden, als die Erinnerung an einen Christabend, da man noch Kind war und von den Eltern gerufen wurde, zu nehmen, was der »heilige Christ« gebracht! – Ich bin nun schon grau und meine Jahre sind gezählt; aber es geht mir immer das Herz auf, wenn ich denke an diese fernen, fernen Abende! Da sehe ich meinen seligen, vierzig Jahre todten Vater, meine gute Mutter, die ihm nicht lange darnach ins Grab gefolgt ist, auch jetzige Greise oder längst Gewesene, noch mit rosigen Kindergesichtern, so deutlich im Lichterglanze, als wäre es gestern gewesen! Ich würde noch heute den Puppenmann erkennen, den sie mir damals gekauft, mit feiner blauen Jacke und rothen Mütze; ja ich weis sogar noch, was ich da, vor mehr als fünfzig Jahren, selbst auf dem Leibe gehabt.«

»Mir geht es auch so, ganz so!« rief Schwach einstimmend und erfreut, daß Krimpler seiner innersten Meinung, für die er nicht Worte gefunden, so treffenden Ausdruck gab.

»Und wahrhaftig, wenn ich mich hätte dafür von dem mir Nöthigsten oder Werthesten trennen müssen, mein kleiner Toni hätte nicht seines Christbaumes entbehren und nicht um einen Freudenschatz fürs ganze Leben, um ein geistiges Andenken an seinen alten Vater, kommen dürfen!«

»Ganz recht; jedem Worte stimme ich bei,« sagte Schwach erquickt. 112

»D'rum, komme mein lieber Toni, komme! Ist wahr, Du gehst wieder hinein und spielst mit der kleinen Anne, bis ich Dich rufe, mein gutes Kind?«

»Willst Du's Vater?« sagte der kleine Toni und sah ihm recht lieb und treuherzig ins Gesicht.

»Ja Toni, Du bist ja immer so brav und folgest immer; ich will es.«

»Aber gibst Du uns Licht, Vater? Drin ist es jetzt so finster,« sagte der Kleine.

»Nein, mein Kind, Licht bekommst Du jetzt keines; halte Dich hübsch beim Fenster; denn der heilige Christ braucht jetzt alle Lichter, wenn er kommt, und dann sollst auch Du gerufen werden und die vielen, vielen Lichter sehen!«

»Viele?«

»O, daß Du sie wirst gar nicht zählen können!«

»Und sie gehören dann alle mir?«

»Alle, alle Dir und der kleinen Anne.«

»Das ist recht! Das ist recht!« Und der kleine blasse Knabe nahm beseligt seine stille Spielgefährtin und ging mit ihr, geduldig wie ein Lämmchen, ins dunkle Zimmer.

»Wenn er nur seine Mutter hätte!« – – seufzte Krimpler. »Und Du, Rose Marie, mußt auch hinein!« sagte er sogleich wieder heiter, und nahm die Tochter sanft an der Hand.

Diese sah ihn an und erröthete, als wollte sie in jungfräulicher Scham leise sagen: »bin denn ich auch noch ein Kind?«

Der zärtliche Vater errieth ihren Gedanken. »Du bist kein Kind mehr, meine Rose; aber Du mußt auch eine Freude haben, und sollst – sie haben. Geh' nur mein Töchterlein, unterhalte indeß die Kinder!« 113

»Geh', Rose Marie,« sagte Otto mit heiterem, brüderlichen Ausdrucke; »Du bist ja besser daran als ich; mich schafft der Vater nicht hinaus, und ich bekomme auch nichts. – Ich ginge gleich mit!« setzte er schalkhaft hinzu.

Steady hatte es auf den Lippen, zu sagen: »ich ginge auch mit Ihnen«; aber er ließ plötzlich die Blicke verwirrt herumschweifen und schwieg.

Rose Marie war mittlerweile, einen heiter-wehmüthigen Blick nach der Stube zurückwerfend, zu den Kindern gegangen.

Nun ging Krimpler langsam in eine Ecke, holte ein grünes Tannenreisig hervor, in einem Blumentopfe mit Erde befestigt, und stellte dieses herrliche Sinnbild, der thätigen, mitten im erstarrenden Froste des Winters nie rastenden, heiligen Natur, auf den Tisch.

»Was ist das?« frug der Engländer; denn die Sitte des Christbaumes ist nur in Deutschland und dem ihm angrenzenden, stammverwandten skandinavischen Norden zu Hause.

»Das ist der Christbaum,« sagte Otto. »Daran werden die Gaben gehängt, die, wie man den Kleinen sagt, das heilige Christkindlein, das heute gekommen, mitgebracht hat, und den man so glänzend ausziert als möglich.«

»Das wußte ich nicht,« sagte John Steady. »Bei uns sammelt sich heute Abend auch jede Familie und hat ihr gemeinsam frolik Fest, das sich selbst auf die Domestiques erstreckt. Da ist der berühmte, englische Pudding zu Haus, und ein Getränk, in dem Kessel gemacht, aus Ale, Gin, Aepfel und Gewürz. Trinkt Alles vom großen Kessel – viel Toaste und jeder Herr nimmt eine Lady und tanzt mit ihr. In der Mitte an dem Plafond hängt ein Mistelzweig, heiliges 114 alte Gewächs, und da führt jeder Herr seine Lady darunter und gibt ihr einen Kiß. – Groß' Feuer im Kamin, und recht komfortable, ist eine Hauptsach – sehr komfortable!«

»Ich habe gehört von diesen Festen,« sagte Schwach; »und mir scheinen sie recht gemüthlich; haben etwas patriarchalisch Altgermanisches in sich.«

»Aber das gefällt mir auch very good! Habe schon solche Zweige tragen sehen und nicht recht gewußt, was sie soll'. – Also sagt man jedem Kind, der heilige Christ sei selbst dagewesen?«

»Ja, das sagt man,« sprach Krimpler; »und es ist ein heiliger Trost für jedes Kinderherz. Keines ist so arm, so niedrig, so verlassen, daß man ihm nicht sagen könnte: der heut geborene Heiland, das Königskind der ganzen Welt ist dagewesen, in Deiner armen Hütte, an unserem armen Tische, und hat Dich gesucht, und hat Dir Gruß und Segen gebracht, so gut wie dem Fürstenkinde! Manches hat er gebracht, was Du erst später im Leben erfahren wirst; aber jetzt sieh die goldenen und silbernen Nüsse, die schönen herrlichen Dinge, die hundert Lichtlein, die er angezündet, und diese Pracht, diesen Glanz!«

»Very, very good!« rief enthusiasmirt Mister John. »Da sind Reich und Arm gleich, sehr gut! Das gefällt mir fein, very fine!« – Ein Engländer kann sich sein nachdrückliches »very« (sehr) nie abgewöhnen. – »Und auch der arme Mann hat heute einen Christbaum?«

»Der ärmste Mann kauft oder sucht ein noch so kleines Zweiglein und steckt darauf ein kleines Licht; und hätte er nur ein Brödchen daran zu hängen, er thut es, für sein armes, liebes Kind.«

»Bravo! Bravo!« rief John und klatschte, selbst wie 115 ein kleines Kind, freudig in die Hände, dabei seine glänzenden Elfenbeinzähne weisend. »Aber wie mancher Mann mag nicht haben den kleinen Baum?«

»O es gibt, es gibt solche,« sagte Schwach, mitleidig den Kopf schüttelnd.

»Aber,« sagte Krimpler, »das Herz der Menschen geht nie so auf, und ihre Hände sind nie so mittheilend für alle Bedürftige, als in dieser Zeit; und wenn es an jedem Abende Millionen Unglückliche gibt, für diesen Abend schmilzt ihre Zahl zusammen, und der heilige Christ glänzt und segnet fast überall.«

»Wie herzlich! O Deutschland, ist Angelsachsens Bruderland, unser Stammfreund!«

Allmälig hatte indeß Krimpler, mit Beihilfe Otto's, die kleinen Wachslichtlein angesteckt, manch kleines billiges Spielzeug und manigfache kleine bunte Leckerbissen an den grünen Aesten befestigt. Auch für die Gäste waren passende, zierliche Kleinigkeiten vorhanden. Für Rose Marie war ein Kleiderstoff gekauft, und dieser, einfach und geschmackvoll, prangte aus den kleinen Gaben besonders hervor.

Während die Andern alle beschäftigt waren, ging Schwach leise zur Thüre hinaus, faßte den großen, schweren Korb, den er mitbringen ließ, und schleppte ihn, so daß er von der ungewohnten Last ganz roth im Gesichte wurde, ins Zimmer. Die aufmerksam Ordnenden und Beschäftigten bemerkten ihn erst, als der Korb klirrend auf den Boden zu stehen kam.

»Was ist das?« rief Krimpler aus.

»Sie verzeihen schon . . .« sagte Schwach verlegen, »ich war so frei . . . eine . . . kleine Weihnachtsgabe für 116 Sie Alle mitzubringen. Sie werden mir doch nicht böse sein? Bitte . . .!«

Schwach war sehr roth im Gesichte, Krimpler's Blässe wurde dadurch noch rührender. Er schüttelte einen Augenblick stumm das Haupt, dann sagte er mit bewegter Stimme: »Schwach . . . es ist Sitte . . . daß der Gast . . .«

»O, ich bitte . . .« und Schwach faßte seine beiden Hände; »betrachten Sie mich nicht als Gast, nicht als Gast . . . rechnen Sie mich zu Ihrer Familie . . . nennen Sie mich ein Mitglied; und da darf ich mir doch eine Freiheit erlauben?«

Bei diesen herzlich gesprochenen Worten drückte Krimpler Schwach's Hände innig, fast krampfhaft, dann zog er ihn gerührt an seine Brust.

»Gott segne Sie! Und mein Sohn werde einst wie Sie!« sagte Krimpler. »Mehr kann mein Vaterherz nicht wünschen!«

Schwach suchte sofort diese Worte aus der allgemeinen Aufmerksamkeit zu verdrängen, indem er aus dem Korbe Flaschen und noch Flaschen nahm, deren Schimmer von dem Hauche der warmen Stube überthauet war, dann Kuchen in allerlei Formen, Bücher, eine nicht enden wollende Menge Spielzeugs und einen sehr warmen, hübschen Schlafrock, nebst Hauskäppchen und Schuhen, zuletzt brachte er eine Mantille für eine Dame zum Vorschein.

Schnepselmann's Genie waltete hier mit.

All' die Gaben legte Schwach auf den Tisch; jedes Packet trug eine Aufschrift; da stand in zierlicher Hand »Meinem lieben Freunde Krimpler,« dort »Herrn Otto,« hier »Fräulein Rose Marie,« das Spiel- und Naschwerk 117 trug keine Adressen, doch die Flaschen brüsteten sich mit ihren guten deutschen Namen.

Krimpler konnte keine Worte finden. »Sie erdrücken mich mit Gaben,« sagte er endlich, »das ist zu viel, zu viel; und wenn Sie gebeten haben – Vergangenes zu vergessen . . .« sagte er mit Thränen in den Augen und wollte und konnte nicht fortsetzen, denn dem alten Manne hatte lange, lange Niemand etwas mit Herzlichkeit beschert. Rübe's Neujahrsgabe, auf dem Komptoir, wog bei der Jahresbillanz dreifacher Aerger auf. »Wenn Sie gebeten, Vergangenes zu vergessen,« begann wieder Krimpler, »so durfte ich auch hoffen, Vergangenes nicht wiederholt zu sehen.«

Diese Worte verstand John nicht; aber Schwach sagte betrübt: »Sind Sie mir böse?«

Als Krimpler sah, Schwach habe einen so niederdrückenden Eindruck aus den Worten empfangen, als hätte er Böses gethan, so änderte Krimpler rasch wieder die Sprache und sagte: »Nein, nein; wäre es minder herzlich gegeben, es wäre minder herzlich empfangen. Nun doch meinen freudigsten Dank, mein lieber, lieber Bruder, Sohn Schwach! Seien Sie mir was Sie wollen; Sie sind ein willkommenes Mitglied meiner bescheidenen Familie!«

»Danke, danke recht sehr!« sagte Schwach erfreut. »Und Sie werden sehr gut in den Kleiderbagatellen aussehen. – Ihre lieben Kinder werden nicht böse sein?«

Otto schwieg noch, er mußte seinen Dank bis zur eigentlichen Bescherung bewahren, that auch als sähe er das Packet mit seinem Namen gar nicht und bewunderte und putzte den Baum.

Mister John machte, so innig erquickt er war, ein sehr ernstes Gesicht. Er schien nachzudenken. Endlich sagte 118 er schüchtern: »Mister Krimpler . . . werden Sie mir nicht böse sein . . . gar nicht böse?«

»Worüber, werther Herr Steady?«

»Ich hätte eine Bitte; aber sagen Sie nicht nein zu mir. Wollen Sie? Bitt', nicht nein!«

»Wenn ich zu Diensten sein kann – Alles was Sie wünschen.«

»Alles was ich wünsche? Werden Sie keine Offence . . . .«

»Offence, worüber?«

»Also kein' Offence! Geben Sie mir Ihre Hand!« Er ergriff Krimpler's Hand, und der noch immer neugierig harrende Alte ließ sie ihm. »Kein' Offence, kein Beleidigen?« fragte er nochmals lebhaft und schüttelte Krimpler's Hand, als hätte dieser eine Zusicherung gemacht.

»Gut!« rief nun John Steady, griff an die Brust – und im Nu hing, im Lichte herrlich glänzend, seine kleine niedliche, englische Zilinderuhr sammt langer Kette, an dem grünen Christbaume. »Das ist für Fräulein Rose Marie!« sagte er, und ging rasch vom Tische.

»Aber Herr Steady . . . das kann . . .«

»Sagen Sie nicht nein, ich halte Ihre Hand!« rief John Steady aus einer Zimmerecke energisch hervor.

»Sie kommen zu mir zu Gaste, und . . .«

»Und Herr Schwach kommt auch zu Gaste, und bei mir war heiliger Christ so gut wie bei ihm, haben Sie vorhin ganz selbst gesagt!«

Schwach und Otto lächelten über diese eigenthümliche Logik, und Krimpler konnte sich nicht enthalten, selbst mitzulächeln. »Aber das ist zu kostbar, das kann ich nicht zugeben.« – 119

»Sir!« trat jetzt entschieden John Steady hervor. »Ich bin ein english Gentleman und hab mein Property; und ich gebe es an Lady Rose Marie with all my heart!« – Da dies, »mit all meinem Herzen,« im Englischen, »wiß all mei Hart« gesprochen wird, konnte der Engländer leicht diese Worte, zur allgemeinen Verständlichkeit, in die deutsche Rede einfließen lassen. »With all my heart«, sagte er innig. »Hätt' ich gewußt von Bescherung, und hätt' früher gekannt Ihr Haus – o weit mehr! – Lady Rose Marie einen Berg solcher Uhren werth, und noch hunderttausendmal mehr!«

»Das ist sie, das ist sie!« rief Krimpler aus, da es das Lob seiner Tochter betraf. »Doch . . .«

»My friend Otto, wenn Sie nicht Ihren Herrn Vater besänftigen und für mich sprechen, sind Sie nicht mein gut' Freund. – Herr Schwach . . .!«

»Mein bester Herr Krimpler,« legte sich Schwach ins Mittel, »die ausgesprochene Absicht des Herrn Steady war so zart und gut gemeint, daß . . . . . und zuletzt ist Herr Steady unabhängig.«

»Vater,« sagte endlich Otto, »Herr Steady ist unabhängiger Mann, und weis auch das Seinige zu verdienen. Und zuletzt . . .« setzte er sein hinzu, »kein Gast darf, sowol nach deutscher als englischer Sitte, in dem Augenblicke Vorzug vor dem andern . . .«

»That is it, all right!« (das ist es, ganz recht,) rief der Engländer unwillkührlich im Englischen, da seine Nationalität erinnert wurde.

Krimpler konnte endlich nicht anders, als sich beschwichtigen. Steady sah seinen Willen erfüllt, und Krimpler schüttelte ihm die Hand, was er doppelt innig erwiderte. 120

Nun war lange Zeit genug in dem Vorspiele verstrichen, Alles legte Hand an bei dem Baume. Krimpler war selig, ging vor und zurück, besah das Arangement, als wäre er selbst ein Kind und wolle er sich selbst überraschen. »Ach wenn Sie lebte!« rief er, »das Alles den Kindern – meinen Kindern!«

Die Lichtlein flimmerten und glänzten, die Naschwaren wiegten sich so putzig bei der geringsten Erschütterung der dünnen Zweige, die Puppen spielten so sonderbar Versteckens in dem grünen Laub, die goldenen und silbernen Nüsse, die farbigen und goldglitzenden Papiere, strahlten die Lichtlein tausendfältig wieder, daß es eine Herzenslust für Große und Kleine war! Steady stand bewundernd und still entzückt, so daß ihm Deutschland und deutsche Sitte nochmals so lieb wurden.

Draußen fiel der Schnee in dichten Flocken, der Mond glänzte silbern, wurde aber überstrahlt von den hundert Lichtlein hier innen. Die Ansicht von der warmen, schimmernden Stube, hinaus in die bläulichweiße Luft, auf die scharf abgegränzten Dachfirste und die helleren Flächen, war eigenthümlich bewegend und ergreifend.

Jetzt stellte sich Krimpler in die Nähe der Nebenthüre, winkte den Anwesenden, hob die Hände und klatschte in dieselben. »Eins – Zwei – Drei!« rief er dabei, und die Thüre flog auf, Rose Marie in der Mitte und die beiden Kinder ihr zur Seite, kamen aus dem dunkeln Rahmen hervor.

Die Kleinen jauchzten unwillkührlich ein »Ah!« – dann schloßen sie, geblendet, die Aeuglein zu. Auch Rose Marie mußte einen Augenblick die Hand vor die Augen bringen, sie war lange in der dunklen Stube gewesen. Hatte sie von 121 dem Gespräche etwas vernommen, erhorcht? Toni und Aennchen rissen rasch wieder die Aeuglein auf, sahen in dieses Glanzmeer und schlugen in die Händchen, hüpften vor Freude und griffen mit den kleinen Fingern vor, in die Luft, als wollten sie Alles auf einmal erfassen.

Der alte Krimpler, selbst ein Kind geworden, nahm jedes an der Hand und reichte ihm vom Wunderbaume die Gaben. O welcher Jubel! Unbeschreiblich! – Unbeschreiblich – und doch erneuert sich das Schauspiel jährlich fast in jedem Hause. – Ein Kindesherz und das Herz eines großen edlen Mannes sind beide unerschöpflich! –

Toni starrte bald seinen Gliedermann mit Schellen, bald Anne's Puppe, bald sein Bilderbuch, bald ihre Puppenküche an; die beiden Kinder bezauberten sich gegenseitig, vergaßen die Erde und glaubten im Himmel bei dem guten, lieben, reichen Christkinde zu sein!

Rose Marie kniete zu ihnen hinab, eine reizende, jugendliche Erscheinung: wäre sie etwas älter gewesen, ein ewig junges Bild einer Mutter mit dem Kinde hätte sie geschienen. Sie küßte und herzte die Kleinen so selig gerührt, war so erquickt mit ihnen und wußte denselben Gegenstand so mannigfach, die ungeahnten Reize den Kindern so im rechten Lichte zur Anschauung zu bringen, daß man hätte müssen ein Bösewicht sein, um – von dieser Szene nicht tiefmenschlich gebessert zu werden!

Gesegnet sei die Sitte dieses herrlichen Abends für und für! –

Krimpler war bewältigt, ihm drängte sich ein Naß in die Augen, die er im Kosen mit den Kindern zu verbergen suchte. Otto beschäftigte sich ebenfalls mit denselben. Schwach hätte um keinen Preis jetzt ein Wort hervorgebracht. Ueber 122 Steady's Gesicht flogen Röthe, Blässe, bald zitterten seine – Lippen, bald setzte er seine weißen Zähne in die Unterlefze, er war verwirrt, trotzige Pläne fassend und kindliche Gedanken hegend.

Nun kam Rose Marie an die Reihe, und die Fülle der Gaben, die ihr genannten Namen, wälzten eine erdrückende Last auf sie. Zwei große, schwere Thränen fanden sich in ihren dichten seidenen Wimpern ein und zogen langsam über die tief errötheten Wangen. Es war ein Glück, daß Krimpler wieder ihren lieben, runden Kopf in seine Hände nahm, und sie sich an seiner Brust bergen konnte. Lange währte diese Umarmung, dann trocknete sie rasch die Wangen, stand einen Augenblick stille, ging hierauf schüchtern zu Schwach und reichte ihm leise die Hand, die er abermals hätschelte. Steady zog sich Anfangs eiligst in einen Winkel, dann kam er jedoch rasch wieder hervor. Rose Marie sah nicht auf, sie streckte die schwankende Hand vor sich, er erfaßte sie, preßte sie zwischen seinen beiden Händen – und kaum als er loslies und etwas sagen wollte, eilte Rose Marie aus dem Zimmer. – Erst nach einer Weile kam sie zurück und lächelte nun erst die ungeahnten, reich strömenden Gaben an. Sie heftete schalkhaft die Uhr an ihren Gürtel, drehte die Mantille nach allen Seiten, ordnete den Kleiderstoff in Falten, schlug die Bilder der Bücher auf und erquickte Alle durch ihr Erquicktsein! Otto dankte dem Geber, für die gespendete »Geschichte des deutschen Volkes,« in wenigen, aber männlich-gemüthvollen Worten. Er versicherte, daß er dem Guten und Schönen darin nachstreben wolle, und bedauerte gleichzeitig, daß er heute noch nicht als Hauptordner eines solchen Festes dastehen könne; aber er hoffe mit Geschick und Fleiß es bald zu werden! 123

Krimpler's kleine Gaben für die Gäste wurden von diesen mit Herzlichkeit angenommen. Steady rief, überwältigt von der Gemüthsfülle und Innigkeit des Abends, Englisch aus: »niver, niver in my life will I forget this!« (Nimmer, nimmer in meinem Leben will ich dies vergessen!)

Die Kleinen naschten bereits an dem Zuckerwerk, Köpfe, Beine und Hände allerlei süßer Persönlichkeiten wurden schonungslos in den Mund gesteckt, eine Katze aus Zucker ward bereits in der Puppenküche auf verschiedenen Schüsseln zurecht gemacht, und auch in Theilen roh gegessen.

Krimpler meinte nun: »Sollen wir den Kleinen nicht nachahmen?«

Die anwesenden Großen stimmten zu.

Der Baum, früher mit Mühe von den Kleinen erreicht, gelangte nun, zu ihrer Seligkeit, zu ihnen hinab; neue Arangements wurden da von ihnen sehr fantastisch getroffen, ein Lichtlein verlöschte, das andere ward angezündet, das dritte neigte seinem Ende zu, und so fort.

Als Alles vom Tische sorgfältig anderswohin geräumt und die Tafel von Rose Marie gedeckt war, die sich graziös, mit einem reizend kindlichen und gleichzeitig mütterlich besorgtem Gesichtsausdrucke, um sie herumbewegte, lud Krimpler zu den Plätzen ein.

»Väterchen, Du mußt aber den Schlafrock von Herrn Schwach umthun!« sagte lächelnd Rose Marie.

»Gewiß, gewiß!« stimmte Schwach freudig bei.

»Närrchen,« sagte Krimpler, »denkst Du denn nicht, daß ich Gäste habe; wie kann ich . . .« 124

»Die Gäste wünschen es. – Herr Steady ist's nicht so?« sagte Schwach, zu diesem gewendet.

»O nicht anders, wie Lady Rose Marie sagt, gewiß!«

»Bitte, Väterchen!« wiederholte diese.

»Wir Alle bitten!«

Und in wenigen Minuten ward Krimpler seines schwarzen Frackes entkleidet, ward ihm der prächtige, warme Schlafrock unter allgemeiner Beihilfe angethan, und Schwach krönte das Ganze, indem er das hübsche Sammtkäppchen ihm auf den Kopf setzte.

»Bravo, bravo, herrlich!« lauteten die Stimmen. Krimpler lächelte still vergnügt, dann ging er, so geschmückt, an seinen Platz zum Tische, stellte sich fest aufrecht, nahm das Käppchen mit ernster Miene ab, faltete die Hände und sprach ungehört ein »Vater unser«, mit brünstig nach oben gewendetem Blicke.

Alle standen auf ihren Plätzen, und sprachen wol leise im Innern ein erhebendes Wort. – Ob es »Vater Unser«, oder »our father«, oder wie immer geartet lautete: es ist der Gedanke aller Nationen und Erdtheile!

Brünstiger, inniger als hier, ward von den tausenden Bischöfen und Erzbischöfen sicherlich kein Gebet an keinem Orte gesprochen. – 125



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