August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Einundzwanzigstes Capitel.

Eine sehr tragische Dame, die Schwach's Schicksal äußerst dramatisch behandelt.

Madame Trullemaier, die bei jedem Erscheinen Poll zuvorzukommen, die eigene Besichtigung und nicht post festum-Nachrichten zu haben suchte, war schon an der Thüre und beaugapfelte, nicht mit den freundlichsten Blicken, eine lange, hagere, sehr stark verschleierte, wie die Ahnfrau gespenstig-schwarz dastehende Dame. Vielleicht hätte sie auf deren Fragen sehr pickirte Antworten gegeben, und es ist nicht stark daran zu zweifeln, wäre nicht Schnepselmann's Kopf durch die Zimmerthürspalte erschienen.

»Ah, Sie sinds, freut mich! – Herr Schwach ist bereit, Sie zu empfangen!« Mit diesen Worten schritt er vor, geleitete durch Blick und Bewegungen die Dame zur Zimmerthüre, und ließ sie vor sich eintreten.

Die Trullemaier, die schon wieder eine Heirat ahnte, ballte hinter Beiden die Faust und warf die Thüre in das Schloß und die Klingel, daß ein langanhaltendes und weithinschallendes Konzert folgte.

Schwach stand in der Mitte seines Zimmers, der Thüre gegenüber, wie versteinert da, wurde vor Verlegenheit blaß und roth, und wußte nicht, was er thun solle.

Die Dame stand an der Thüre, stumm, starr, gerade und gespensterhaft, wie die Ahnfrau des Hauses, und über ihrem Gesichte wallte ein Schleier herab. Schwach verbeugte sich, um doch etwas zu thun. Die lange, dünne, 16 schwarzbeärmelte Hand der Frau Thusnelda Blüthebusch streckte sich vorwärts, und eine tragisch-dumpfe, schauerlich durch Mark und Bein dringende Stimme rief deklamatorisch aus: »Er ist's, er ist's! – O meine Augen trügen mich nicht, und aus dem Dunkel vergangener Tage taucht ein entzückendes Bildniß vor meine schmerzlich bebende Seele! O Alfons, Alfons – laß mich bei Deinem süßen Namen Dich nennen! Alfons, gedenkst Du Deiner Thusnelda?!«

Dabei warf sie den Schleier zurück, trat tragisch einen Schritt vor und sah gespensterhaft in das Angesicht Schwach's, der bei dieser schauerlichen Anrede, bei diesem ganzen schicksalstragödischen Vorgange wie versteinert stand, wenn er nicht eben mit Beben und Schweistreiben in Anspruch genommen war.

Schnepselmann stand in einiger Entfernung und ließ dem Vorfalle den unbehindertsten Gang, indem er nur seine Augen von einer Person zu andern lenkte.

Als die Blüthebusch sah, Schwach ertheile noch keine Antwort, und erkenne weder eine Thusnelda, noch zeige er, daß süße Bilder seine Seele bewegen, oder mache in ihre Arme zu sinken Anstalt, hob sie wieder die Hand, aber diesmal ihm näher, und fuhr mit früherer Deklamation fort:

»O sagen Sie nicht, ich täusche mich, Alfons! – Jene blauen Augen, jene brüderlichen Lippen, jene Haltung und Geberde, Alles rief in mir beim ersten Anblicke schon: er ist – Sie sind – Du bist mein Bruder!« Und sie streckte beide Arme nach ihm.

Schwach fiel noch nicht hinein, stammelte und hustete und wollte eben etwas sagen, er wußte selbst noch nicht was.

Thusnelda enthob ihn der Verlegenheit, durch eilig 17 fortgesetzte Deklamation. Sie setzte einen Fuß neuerdings vor und begann nun im großartigen Monologtone.

Sie sprach von einem herrlichen Abende, einem Schlosse in der Sonne, sie war sieben Jahre alt, das Alfonsbrüderchen kaum drei, dann kam tragisch eine sehr reizende Kinderstube, ein grimmiger Mann und Vetter, ein Schlaf . . .

»Hm, hm, hm!« hustete Schwach, um doch einen Ton von sich zu geben, und er sah bald auf den Boden, bald auf die Dame, welche eben im Einschlummern war.

»Schlummere!« fuhr sie plötzlich wie eine unversehens abgedonnerte Kanone heraus. »O Gott, schlummre! Und als ich erwache,« fuhr sie fort, »da . . .« Nun kam eine rührende Geschichte von einer Postkutsche, von Alfonsischem Verschwinden, Kleiderwechsel, Sommeraufenthalt, und so ward sie endlich eine ländliche Bauerndirne.

»Schrecklich!« sagte Schwach, der einen Augenblick sich selbst vergessen und nur auf Thusnelda's Geschick gehört hatte. –

»Schrecklich! schrecklich!« bebte diese mit tragischen Thränen hervor. – »O Alfons, Alfons, mein süßer Bruder!« – Und sie fiel ihm um den Hals und preßte ihn, daß ihn drei Männer nicht losgebracht hätten von dieser schwesterlichen Umarmung. – Schwach mochte streuben, so viel er wollte, er mußte nicht nur herhalten, sondern vielmehr sich noch fest stemmen, sonst wäre er, sammt Thusnelda, zu Boden gekommen.

»O süßes, süßes, seliges Gefühl, nach einer fast dreißigjährigen Trennung an dem brüderlichen Herzen sagen zu können, es ist mein, mein, und kein Sterblicher auf Erden hat ein heiligeres Anrecht daran, als ich – ich!« Und dabei fühlte Schwach wieder ihre schwesterlichen Knochen stärker. 18

»Nehmen Sie Platz, meine Verehrteste!« sagte Schnepselmann, endlich Theil an der Szene nehmend. »Sie sind erschöpft, es wird Ihnen wohlthun. Ich habe keineswegs erwartet, daß die Thatsachen so rasch zum Abschlusse kommen, oder so weit vorgerückt seien.«

Schwach ließ nun, von dem gefälligen Herrn Agenten unterstützt, die Last auf einen nahen Stuhl nieder.

Thusnelda arangirte sich daselbst sehr tragisch und machte allerlei Bewegungen, welche wirklich herzbrechend waren und eine Galerie, um Einiges noch über den Eintrittspreis, gerührt haben würden.

»Sehr, sehr bewegend,« sagte Schwach, nachdem er einigemal verlegen gehustet hatte. Mit einigem gleichartigen Husten begleitete er auch die Worte hinterher: »Sind Sie aber . . .« hier hustete er, »von der Sache,« hier hustete er heftiger, »überzeugt, ganz überzeugt?«

»O schonen Sie, schonen Sie meine Gefühle!« Sie faltete flehend die Hände. »Alfons! – Doch, wozu rufe ich Sie bei diesem süßen Namen? Ihnen mußte er zu unbekannt sein, Sie waren gänzlich ein Kind, zu jung, um Eindrücke zu behalten. Aber ich, ich, meine Tage und Nächte! Ich ließ mich nimmer bereden, so viel ich gepeinigt, geschmeichelt, gezwungen wurde – meine Jugenderinnerungen hafteten – ich floh – ich wollte das Schloß meiner Heimath suchen, eine Schauspielertruppe nahm das verlassene Kind auf der Waldstraße an – o mein Geschick, mein dunkles Los des Lebens!«

»Sehr gefühlerregend, wirklich . . .« sagte Schwach, »ich setze nicht den geringsten Zweifel . . . . . aber Alfons . . .«

»Wäre nicht Herkules!?« – Kanonenlosgang. – »Wo 19 wäre mein Auge, meine Erinnerung, das Bildniß, das ich so lange unversehrt in meinem Herzen getragen? – Habe ich nicht gesucht, mein Heiligthum still bewahrt; und warum gerade, unter Millionen fremder Larven, dies einzige Gesicht, welches zu meinem Herzen sprach: er ist's, Alfons, Du bist's!?«

Schnepselmann hielt es hier für seine Pflicht, einzureden. »Wie vermuthen Sie jedoch,« sagte er, »daß Herr Herkules zu dem Namen Herkules anstatt Alfons gekommen?« –

»So großes Schicksal und so kleine Frage! – Wenn die Heimat entrissen, das väterliche Schloß, wie nicht auch der Name? Ich war zu erwachsen, um auch meinen Namen ohne Sorge für die Verbrecher zu verlieren!«

»Allerdings, nicht ohne Grund,« sagte Schnepselmann.

»Aber konnten keine Papiere . . . .«

»Papiere? Nennt mir alle Schrecken der Hölle, nur diese nicht! Papiere? Schein und Trug und Höllenspiel gaukelnder Buchstabenteufel, die mit den schwarzen Fratzen der Buchstaben den Himmel verkehren! – Buchstaben! Was sind sie? Papiere, ha – ha – ha!« Und sie brach in ein verzweifelndes Gelächter aus, welches die Papiere wirklich sehr herabsetzte.

»Erschüttern Sie sich nicht, meine Dame,« sagte Schwach, bewegt von der Verzweiflung und anstrengenden Gemüthsaufregung des Mitglieds des schwachen Geschlechtes, gegen das er keine Neigung, aber jenes Mitleiden hegte, welches die Schwäche beansprucht.

»Erschüttern? Meiner schonen? Sie meiner schonen? Alfons, der sein Herz dem meinen entzieht!?« 20

»Aber,« unterbrach Schwach den Fluß ihrer Verzweiflung, besänftigend, »Sie werden doch einsehen . . . .«

»Einsehen, was? Komme ich wie eine Liebende zu dem Geliebten? Werfe ich mich an das Herz, als Gemalin, und verlange Treue? Will ich einen Theil dieses Lebens mein nennen? Will ich eine Andere verdrängen, will ich einen Platz, den nur eine Andere einnehmen darf, als ich bin? Ich komme und sage, lassen Sie mich an diesem Herzen einen Augenblick meinen dreißig Jahre zurückgehaltenen Schmerz ausweinen; lassen Sie mich einmal von Deinen, Ihren Lippen das Wort Schwester hören, wie ich selig Bruder rufe, und ich will gehen in das Dunkel meines Lebens, will schweigen, dulden, – aber nur einmal – ich verlange ja nichts sonst! Doch Sie verweigern!« Kopfschütteln, Einpressen der Nase in ein weißes Sacktuch und dadurch entstehendes Verbergen der Sehgewerke sammt Thränenpumpen.

»Verweigern . . . .« sagte Schwach noch mehr bewegt von dieser edlen Uneigennützigkeit, »das ist nicht der richtige Ausdruck . . . wenn Sie mir erlauben . . . . ich sage nicht nein . . . . aber auch . . . . kann ich keineswegs . . . .«

»Ruhe, Herr Schwach braucht Ruhe, Ueberlegung, Klarheit,« sagte Schnepselmann, indem er sich durch die Hare fuhr.

»O mit Eurer Ruhe! Ihr kalten, selbstsüchtigen Männer! Träte die Seligkeit . . . . O Ruhe, Klarheit, mißbrauchte Namen! – Ich gehe,« sagte sie nun mit schauerlichem Grabestone, »ich gehe und kehre nimmer, nimmer wieder! – Wo mich mein Geschick hinführt? Es gibt Ströme, hohe Felsen, tiefe Abgründe . . . .«

»Oh, Sie werden doch nicht . . .!« rief Schwach entsetzt. 21

»Wie? Gefühl in diesem Busen? – Doch Alfons, er ists! An diesem Zuge erkenne ich Deine edle Seele!« – Und sie lag an seinem Halse abermals.

Madame Trullemaier, der die Visite schon etwas lange dauerte und in der die Neugierde wie ein brennendes Feuer tobte, war schon lange um das Zimmer herumgeschlichen und sah eben durchs Schlüsselloch, als Thusnelda in Schwach's Armen lag. –

»Wohlan,« erhob sich Blüthebusch wieder von der brüderlichen Brust, »ich werde leben! Nicht meinetwillen – Deinetwillen – es sei!«

Schwach athmete sehr erleichtert; ein Selbstmord seinetwillen wäre ihm zeitlebens schwer auf der Seele gelegen.

»Es sei – ich wiederhol's! Aber Alfons, wenn brüderliche Gefühle in Ihrem Herzen auftauchen – ein Wort, und ich werde kommen, zu Füßen stürzen. Nicht weil schnöder Mammon . . . o dieses elende Nichts, Gold, ich verachte es!«

Schnepselmann fuhr sich durch die Hare.

»Für mich hat Höheres einen Werth!« ahnfraute sie.

»Sehr edel!« rief Schnepselmann.

»Aber wenn eine Seele bedurft wird, o Gott, wenn Unglück – Unglück – dann, wie reich werde ich noch sein um Dich zu beglücken!«

»Meine Verehrte . . . . entschuldigen Sie . . . . ich könnte vielleicht . . . . ich dürfte vielleicht beleidigen . . . . einen Beweis meiner vorläufigen Theilnahme . . . . daß ich nicht kalt . . . . genehmigen Sie wenigstens . . . .« und hiebei griff Schwach nach seiner Brieftasche.

»Mammon! Mammon!! schnöder Mammon!!!« – 22 Dies sei der Preis? O Alfons, hätte ich nie . . . .« Das Schnupftuch mußte das Weitete wissen.

»Entschuldigen Sie . . . . nur die reinste Absicht . . . . bestes Gefühl . . . . Sie würden mich vorläufig verbinden . . . .«

»Wie, vorläufig? Es tauchen Ahnungen auf? Alfons, täusche ich . . . Tu . . . Sie wollten? . . . . . . Wolan!« ein kühner Griff nach dem Papiere, das Schwach schüchtern in der Hand hielt, vollendete den begonnenen Satz. »Es sei. – Als ein Zeichen zwischen mir und Alfons will ich es nehmen, und gerührt in der Erinnerung sprechen, er war doch nicht unbewegt! Den Armen will ich das theilen, was für mich keinen Werth hat. – Betet für ein Bruderherz, will ich, in ihre Hütten tretend, ihnen sagen, sprechet den Namen Alfons zu Euren Kindern, und lasset sie ihn segnen!«

»Ich danke sehr,« sagte »Alfons« gerührt.

»Und ich . . . ich . . . . Lebewohl! – Auf Wiedersehen? . . . Nein, nein, nie!«

»Ich hoffe, meine Geehrte . . . .«

»Lebewohl!« wiederholte sie, trat gegen die Thüre zu, da aber hielt Thusnelda wie ein Geist an, der im Begriffe ist, wieder ins Grab zu steigen. Ein Zuschauer hätte vielleicht gewartet, daß sich sofort das Podium öffne und die schwarze Gestalt, mit Brettergeschiebe, in die Unterwelt der Lampenputzer und Kelleresel hinabsteige. Einen Augenblick stand sie, dann trat sie rasch einen Schritt vor – und sie stürzte gegen Schwach. Schnepselmann fing sie aber auf und wäre durch die Eile der Bewegung, sowie die Wucht der spezifischen Schwere, bald mit den Dielen in die engste Berührung 23 gekommen. Ein Druck noch – Schnepselmann holte tief Athem – sie eilte zur Thüre und – ging davon! –

Schwach und Schnepselmann sahen einander stumm ins Angesicht.

Madame Trullemaier erwartete wüthend die Dame bereits im Vorzimmer.

Poll stand in zurückgezogener Ferne.

Ein niederschmetternder Trullemaier'scher Blick traf Thusnelda, und diese, welche vergessen hatte sich wieder zu verschleiern, that es sofort psichologisch und, als Schauspielerin, den Blick errathend.

Trullemaier sprach nichts. aber blickte Gartenmauern mit Glasscherben besteckt!

Poll sah die Dame an. Eben als sie im Verschleiern begriffen war, rief er überrascht ein Wort aus; – es mochte der Dame gelten. – Er sagte weiter kein Wort und schüttelte nur, mit sehr philosophischem Ausdrucke, einigemale das Haupt hin und her.

Die Dame war vor der Thüre – diese klappte hinter ihren Fersen donnernd zu – die Glocke erhob ein entsetzliches Geklingel und lärmte ihr lange nach. – 24



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