August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Dreiunddreißigstes Capitel.

Eine Kostfrau wird besucht – Näheres über Kostfrauen und Kostkinder.

Dem nach einem wohlweislich gefaßten Plane verabredeten und beabsichtigten Besuche bei Frau Lampe, ging noch eine Konferenz mit Frau Liese und Brunk voraus.

Brunk's Farbe röthete sich während der eigenthümlichen Mittheilungen, er strich seinen weißen Schnurbart lebhaft und konnte Poll nicht oft genug freudig auf die Schulter klopfen.

Madame Lampe bereitete heute großen Kaffee in einer äußerst umfangreichen Kanne.

Die liebenswürdige Dame harrte, es war Nachmittags, sehr freudig und vergnügt, auf zwei auserlesene, hochwillkommene Gäste.

Madame Trullemaier und Herr Kunibert Apollonius Hinze, ganz in dem berühmten Kostüme des klassischen »ausgegangenen Sonntags«, wandelten Seite an Seite durch die Straßen, mit denselben, allen Vorübergehenden wohlthuenden Bürger-Mienen und derselben würdevollen Haltung.

Sie langten in dem alten, mufflig riechenden Hause an, in dem Frau Lampe wohnte und dessen Hof ein aus morschen Balken und meist kalkentblößten Ziegeln zusammengesetztes enges Viereck bildete. Die beiden zu Besuche Gehenden stiegen die finstere, hölzerne, schmale und schmierige Treppe hinauf und standen an der, Poll aus näheren Berührungen wohlbekannten Thüre. 191

Sie durften weder klopfen noch läuten, wie durch Zauber öffnete sich, beim Anlangen, die geheimnißvolle Pforte eine Spanne weit, und Madame Lampe's Kopf ward in derselben sichtbar.

Herr Hinze und Madame Trullemaier gingen, auf das einladende Nicken und Grinsen, vorwärts, durch den kärglichst geöffneten Thürraum. Und kaum waren sie hinter der Thüre, klappte Madame Lampe dieselbe so rasch zu, und schob so rasch den Riegel vor, als hätte sie zwei Ratten in einer Falle gefangen. Dann bugsirte sie die Gäste vorwärts, in die Stube, und hier erst begrüßte sie dieselben mit aller für nothwendig gehaltenen Förmlichkeit.

Die Trullemaier, obwol bereits von Vielem im Voraus unterrichtet, war doch von diesem seltsamen, geheimnißvollen, fast unheimlichen Thun derart überrascht, daß sie ihre gewohnten Komplimente mit den Feuerfarbigen nicht ganz wirken lassen konnte. Jedoch die Gastgeberin besah sie sich, aus aufgestachelter Neugierde, diesmal sorgsamer, da sie dieselbe früher nur flüchtig gesehen und die Kenntniß über sie, Poll, Brunk und Liese zu verdanken hatte.

Frau Lampe erschien bei dem ersten Anblicke als eine kleine, sanfte, gottergebene, alte, runzelige Frau, die mit ihren innig gefalteten Händen und ihren süßlich demüthigen Blicken keine Milbe beleidigen könnte. Doch wenn sie sich mit Willen aufreckte und die Augen unverstellt belebte, war sie eine ganz andere, keineswegs mehr kleine, sondern fast jüngere, entschiedene, knochige Frau, die mit derbem Griffe den Kindern einen blauen Fleck kneifen, oder den zarten Leib so derb durcharbeiten konnte, daß den armen jammernden Kleinen aller Frohsinn auf lange verging! – Das war dann die rechte Lampe! – 192 Poll führte ihr sehr würdevoll Madame Trullemaier vor, als die »bewußte Frau«; und Madame Lampe schüttelte sehr erfreut Hand mit ihr und grinste mit dem ganzen Gesichte und unzählbaren Falten.

Die einleitenden, gleichgiltigen Gespräche dauerten nicht lange, und Alles ging sofort an ein ernstes, vorbereitetes Geschäft, nämlich – Kaffeetrinken. Stube und Einrichtung nur flüchtig besehen, hielten die Mitte zwischen bürgerlich und erbärmlich. Ein Klumpen von allerlei Kindern lag hie und da in verschiedenen kahlen, ja kahlesten Betten herum. Die Beachtung derselben vorerst, lag jedoch wohlweislich außer dem Plane der Besuchenden.

Poll trank ohne Umstände und rascher als gewöhnlich die erste Tasse, als wollte er Alle familiär machen.

Madame Lampe schlürfte sehr lebhaft ihr Erzeugniß und sagte dann in äußerst süßlichem Tone:

»Ich war sehr begierig, Sie kennen zu lernen, meine Beste; und ich muß Ihnen sagen, meine Beste, Sie gefallen mir sehr, sehr! Ich hoffe, daß wir einig werden, meine Beste!«

»Hoffe ich auch,« sagte die Trullemaier mit möglichst freundlichem Gesichte und schüttelte die Haubenkrause.

»Also sehen Sie,« sagte Poll zur Lampe, »wie ich Ihnen gesagt: die Madame will endlich das Wirthschaften für fremde Leute aufgeben und selbst für sich einmal Haushalten. Sie hat Allerlei überlegt, was zu thun wäre. Ob sie nicht eine Speiseanstalt halten, oder einen kleinen Laden unternehmen solle? Das braucht aber entweder zu viel Geld, oder zu viel Arbeit, und paßt nicht, paßt überhaupt nicht! Da habe ich ihr den Rath gegeben und gesagt: Die Frau 193 Lampe draußen in der Vorstadt, die ich kenne, gefällt mir . . .«

Madame Lampe nickte ihm sehr wohlgefällig zu.

»Die Frau Lampe,« fuhr Poll, nicht im Geringsten aus der Fassung gebracht, fort, »ist ein forsches Weib, obschon nicht Jeder sie dafür halten könnte – und versteht die Welt. Sie erzieht Kinder und lebt davon. Lebt sie davon, warum sollte denn auch eine Andere nicht davon leben können?«

»Natürlich,« sagte die Lampe schmunzelnd und mit ihrer fein näselnden Stimme.

»Arbeit, so viel ich sah,« sprach Poll weiter, »gibt das wenig.«

»Sehr wenig, wenn man will, mit den Bälgen!« warf die Lampe entschieden ein.

»Wie wär's,« sagte ich also, »wenn die beiden Frauen sich verbinden thäten – so ein Kompagnie-Geschäft, halb und halb.«

»Ganz redlich!« sagte die lebendige Kleinkinderbewahr-Anstalt.

»Die Madame Lampe,« fuhr Poll fort, »versteht das Kindergeschäft aus'm ff; Sie, beste Madame Trullemaier, sagte ich, haben ein Bischen Geld, und wenn man das Geld mit der Kenntniß zusammen gibt, so kommt ein großartiges Geschäft heraus, und die einzelne Lampe wird dann eine ganze große Illumination!«

Beide Damen lachten, besonders that sich Madame Lampe darin hervor, welche wackelte, wie ein angestoßener Tisch mit ungleichen Beinen.

»Versteht sich, versteht sich!« sagte die Lampe, nach 194 dem Lachen noch kichernd. »Und nun, beste Freundin, sagen Sie, was Sie meinen?«

»Ich,« sagte die Trullemaier, indem sie heimlich einen Blick nach Poll warf, der es für gerathen fand, fest und würdevoll auf die Kaffeetasse zu sehen und diese möglichst leer zu trinken, »ich wäre nicht abgeneigt; aber nur müßte ich wissen, daß die Sache nicht viel Geld kostet, und sich so billig als möglich mit dem größten Gewinn thun läßt.«

»Und das ist der Fall!« rief die Lampe jetzt heftig aus und schlug auf den Tisch, mit ihrer braunen, eigenthümlich glänzenden und gefurchten Hand, so daß sämmtliche Tassen klirrten. »Das ist es! – Sehen Sie mich an; ich habe nur sechs Kinder da, und lebe, lebe – Ihnen kann ich es schon sagen – gut. Ich kann täglich meine Kaffeeschälchen trinken, und auch meine Gläschen guten Trunk – und habe meine gute Kost, und weiß woran ich bin. Wenn wir nun zusammen das Zwei-, Drei-, selbst Vierfache an Kostkindern bekommen, und es nobler geben können, dann leben wir herrlich und können auch noch was zurücklegen!«.

»Das sagte ich auch,« sprach Poll; »aber Sie müssen der Frau Trullemaier Alles genau auseinandersetzen, denn das sagte ich Ihnen schon, sie ist schwergläubig und geht gerne sicher.«

»Der Hinze hat ganz Recht,« sagte die erwähnte Dame.

»Nu . . . im Vertrauen gesprochen . . . und nur für Sie . . .«

»Noch ein Schälchen, bitte!« sagte Poll. »Und trinken Sie erst selbst noch, ehe Sie ganz losgehen.« 195

Dame Lampe that den Willen; und der bereits genossene Kaffee regte sie schon zu Zungeläufigkeit und Mittheilsamkeit an.

Poll bat hier, sich einen Augenblick entfernen zu dürfen, und kehrte rasch wieder zurück. »Also? . . . .« sprach er, kaum zurückgekommen, zum Gespräche auffordernd.

»Also das Erste ist,« begann nun die Lampe, mit ihren freundlichen, rollenden Blicken, »das bedungene Kostgeld. – Haben Sie draußen zugesperrt?« fragte sie, abbrechend, Poll.

»Versteht sich!«

»Das Erste also ist das bedungene Kostgeld,« fuhr sie fort. »Einen festen Preis gibt es nicht; der kommt auf die Verhältnisse, auf die Umstände an. Zu hoch kann er niemals sein, und zu tief trauen sich die Leute selbst schon nicht zu gehen. Der Profit ist also nicht eigentlich festzustellen. Das Erste was man verlangt, sind Windeln, Bettzeug, allerlei Kleider, Hemdchen, Strümpfe, Häubchen, so viel als man nur erlangen kann. Hat man das, so ist schon der Profit da. Ist das Zeug fein, so frage ich Sie, muß das Kind, das von fein und grob nichts weiß, auf feinem Zeug liegen? Nein! Das feine Zeug wird verkauft, und wenn die Leute darum fragen, so ist es zerrissen, längst verbraucht, schlechte Leinwand, und was derlei mehr ist.«

»Sehr gut!« sagte Poll mit ernstem Gesichte. Madame Trullemaier bekam einen gewissen Krampf in den Fingern, den zurückzuhalten ihr sehr viele Anstrengung kostete.

»Das ist schon der erste Profit, und er ist größer oder 196 kleiner,« näselte die Lampe, »je nachdem die Leute sind, von denen das Kind kommt.«

»Wenn aber Jemand nachsieht?« fragte die Geschäfts-Gründungslustige.

»Ein Stück oder zwei, oder gleichartige zerrissene Lappen, behält man immer, und weiß man den Tag voraus, wann ein solcher zudringlicher Besuch kommt, so thut man was das Gescheidteste ist, und Alles ist in Ordnung! – Ist das nicht sehr klug?« fragte sie triumfirend.

»Sicherlich!« sagte Poll. Und die Dame fuhr fort.

»Es könnte aber auch Jemand unerwartet kommen. Nicht? Daran haben Sie nicht gedacht. – Ich aber denke an Alles!« sagte sie mit schlauem, selbstbewußtem Ausdrucke. »Bei mir ist die Thüre Tag wie Nacht geschlossen, immer geschlossen; und ich lasse Niemanden ein, ehe ich nicht durch das vergitterte Guckloch gesehen, durch das man sehr gut hinaus, aber gar nicht herein sehen kann. – – Stille dort!« rief sie mit erschreckender Wucht ihrer Stimme einem kleinen Mädchen zu, das in einem der schmutzigen elenden Betten lag und sich eben gerührt hatte. »Legst Du Dich gleich wieder stumm nieder!? Oder!« Und sie runzelte die Augenbrauen so wild, und blickte so erschreckend das Kind an, daß dasselbe rasch wieder unter seine zerschlissene Decke kroch und sich abermals nicht rührte. Sämmtliche Kinder lagen so in Betten und Wiegen, auf schlechten, schmutzigen Lagern herum, Madame Lampe nannte es »ein Nachmittagsschläfchen machen.«

»Ich lasse also Niemanden eher ein,« fuhr sie ruhig fort, als hätte sie eben einem armen Kinde ein Almosen gegeben, »bis ich weiß, Wer da ist. Ist es nun so eine unnöthige 'Rumguckerin, oder ein Er, so rufe ich sehr 197 höflich hinaus: thut mir leid, bitte gedulden Sie einen Augenblick, ich bin eben entkleidet, gleich, meine Wertheste, oder mein Werthester! – Und was indessen geschieht, können Sie leicht denken. – Ist das nicht ausgezeichnet?«

»Sehr, Sehr! Pfiffig! Klug!« waren die Antworten, und Madame Lampe fuhr sehr geschmeichelt fort.

»Das ist das Eine. Nun kommt der Profit in der Verköstung.«

»Das ist die Hauptsache!« sagte Poll. »Da muß es stecken, das habe ich schon der Madame gesagt. Und fürchten Sie nicht,« fuhr er fort, »daß sie etwa eine Kindernärrin ist und glaubt, man müsse die schreienden Mäuler Tag und Nacht stopfen, wie frische Matrazen. Wenn ich den Schreimäulern was Ueberflüssiges gethan, so war es nicht für mein Geld, und ich wollte einmal für anderer Leute Geld meinen Spaß haben. Aber im Allgemeinen: geben was sie brauchen gerade um zu leben, und ein guter Profit!«

Madame Trullemaier nickte; und wenn Poll ihr nicht einige Male absichtlich auf die Zehen getreten hätte, wäre sie vielleicht schon, vor Ungeduld, mit dem ganzen, angehäuften Grimme hervorgebrochen.

»Ganz meine Meinung, hihi!« lächelte die Lampe vergnügt. »Wir werden Eins werden, das ist sicher und sehe ich schon; denn Sie haben die rechten Ansichten! – Ja, was die Kinder brauchen. Und was brauchen sie? Sind sie groß und haben viel Fleisch und Knochen zu füttern? Sind sie alt und müssen sie ihre Jährchen verlängern, und dem abgeplagten Körper wohl thun, wie wir? Nein! So ein Kind lebt fast von Luft, das ist von der Natur schon so eingerichtet! – Ein Kind thut nichts und 198 braucht daher sehr wenig, fast nichts. Je mehr man die Kinder stopft, desto mehr verlangen sie; und je mehr man sie auf's Ruhigsein und Nichtsverlangen gewöhnt, desto weniger brauchen sie; es kommt Alles nur auf die Gewohnheit an!«

»Was geben Sie ihnen?« fragte die Trullemaier nun, aus selbstständiger Neugierde.

»Ich fürchte, es kommt doch zu hoch!« sagte Poll schlau.

»Zu hoch? – Nun rechnen Sie! – Ich kaufe Milch, die wohlfeilste blaue Milch, dazu schütte ich noch die Hälfte Wasser, und nun nehme ich schwarzes Mehl und rühre es ein. Das gibt ein ganz gutes Päppchen und füllt die Kinder recht auf, daß sie keinen Hunger verspüren bis Mittag.«

»Und wenn sie doch Hunger spüren?«

»So binde ich sie an das Tischbein,« sagte die Lampe, vom Kaffee bereits sehr erhitzt, »und lasse sie so lange dort, bis sie bitten loszukommen und sagen, daß sie nichts mehr essen wollen. Denn das gehört zu meinem Geschäft, so gut wie der Kaufmann Sirup in den Honig, oder Brod in den Pfeffer, oder gekohlte Rinde in den Kaffee gibt, oder derlei; denn jedes Geschäft hat seine Mittelchen oder Vortheile.«

»Schreien die Bälge denn nicht?« frug Poll.

»Und wenn sie schreien, was thut's? Ich nehme das große, dicke, wollene Tuch dort . . . sehen Sie's dort hängen? . . . Sie sehen die Stelle ganz schmutzig, wo's auf die Schreimäuler zu sitzen kommt . . . und binde es ihnen um's Maul fest 'rum, dann sollen sie schreien!«

Madame Trullemaier wollte losplatzen. Rasch sagte Poll: »Das ist recht, das Schreien macht noch hungriger.« 199

»Wollen Sie sehen, wie ich die Kinder abzurichten weiß? Na, passen Sie auf! Mittags haben sie eine Brodsuppe erhalten, sonst nichts, und jetzt geht's schon hübsch gegen Abend. Passen Sie auf.«

»Mine!« – rief sie mit heftiger Stimme, eilte an ein Bett und rüttelte, mit ihrer mageren knochigen Hand, derb das kleine Mädchen. das sich vorhin geregt hatte. »Mine! Bist Du hungrig? Sag's wenn Du glaubst!« – Das Kind, von dieser über ihm donnernden Anrede erschreckt und aus dem Halbschlummer gerissen, bebte, und mit schwacher, ängstlicher Stimme preßte es ein dünnes »nein« hervor. Madame Lampe sah triumfirend – und kehrte zu ihren Gästen zurück.

»Sehr gut gewöhnt!« sagte Poll, nachdem er mit Mühe seinen Grimm hinabgewürgt hatte. Er erkannte nur noch mehr die Pflicht, weiter zu forschen und Madame Trullemaier so viel als möglich Worte zu ersparen.

»Aber schreit und lärmt das Kindervolk nicht dann erst, wenn Sie nicht zu Hause sind?« fragte er weiter.

»Das wäre mir erst das Rechte! Damit die Nachbarn zur Thüre kommen und fragen, und diese Plappermäuler allen Unsinn schwätzen! – Das kenne ich! Das ginge mir ab und könnte ich brauchen! – Da habe ich meine Mittelchen . . .« sagte die Lampe schlau und kichernd.

»Mittelchen? Wirklich? Und die sind?«

»Hm!« sagte sie und wollte nicht heraus damit. Aber Poll sprach ihr zu und meinte, was die Trullemaier betreffe, seie sie ganz sicher, er selber gestehe ihr vertraulich, er sei der Zukünftige der Madame Trullemaier und halte mit im Geschäfte, wenn er Alles wisse. Er sei der Mann für so was, er habe stets mit Brunk und Liese, die den 200 Kindern dummes Zeug brachten, gezankt; und wenn er sich mit den alten Leuten nicht ganz verfeindet, so sei das nur aus alter Bekanntschaft geschehen. Solche Leute, wie Brunk und Liese, müsse man Schwachköpfe, Kindernarren heißen; und wenn die Lampe eine gesicherte Zukunft haben wolle, so solle sie mittheilsam sein, oder es sei besser, sie breche gleich ab und das Geschäft habe ein Ende! – Er erhob sich dabei, rückte scheinbar entschlossen den Stuhl, als wollte er gehen, und errang richtig den beabsichtigten Erfolg, daß ihn die Kindererzieherin nämlich neuerdings zum Sitzen einlud und fortfuhr:

»Nun, sehen Sie, so ein dummes Gebälge schreit und macht den Leuten den Kopf voll und schadet sich selber; es kriegt mehr Hunger und doch nichts zu essen, und kann noch die Lungensucht vom Schreien kriegen. Es ist daher besser, man ist mitleidig und thut ihm, aus purem Mitleid, ein Gutes an. Was ist das aber? . . . Das ist . . . das ist . . . nun, wer kein Duselchen gehabt, ist kein braver Mann!« kicherte die Lampe.

»Ei nun,« suchte Poll möglichst scherzhaft zu sagen, »Sie geben doch nicht so viel Bier, oder Branntwein zu trinken?«

»I bewahre! Ist das Kind noch ein Wickelkind, so tunke ich ein Fetzchen in guten Branntwein ein, und schiebe es ihm in die Nase, und wär's auch nur mit verdünntem Spiritus gefeuchtet. Das Kind befindet sich dann so wohl, als hätte ich ihm, ich weiß nicht was Gutes gethan; es athmet Das ein und duselt und rührt sich nicht, bis ich es ihm weggenommen habe, wenn ich wieder nach Hause gekommen bin.« 201

»Gerechter Gott!« rief es im Innern der beiden Zuhörenden. Aber hätte Poll nicht so scharf seine Partnerin instruirt, und wäre diese, bei allem Schrecken und aller Verachtung, nicht neugierig gewesen, zugleich um ein voll angesammeltes, schweres Gewitter auf die Schuldige losbrechen lassen zu können – sie wäre nicht mehr an sich zu halten im Stande gewesen!

Der Alkoholdampf ist, für die jungen Leiber, ein langsam zerstörendes Gift. Das Gehirn wird angegriffen, Anschwellung desselben, Blödsinn, Stumpfheit des Gehörs, Starrheit des Blickes, sind die Folgen davon, und die Arbeiterwohnungen, in denen ein geheimer Mißbrauch solcher Mittel vorherrscht, selbst unter den dummen Müttern, die ihre Kinder, während ihrer Abwesenheit bei dem Erwerbe, beruhigen wollen, zeigen eine erschreckende Sterblichkeit unter Säuglingen. –

In Wien und Berlin sind thatsächlich ähnliche Anklagen vor die Schranken des Gerichtes gekommen.

»Und die größern Kinder?« fragte Poll, der die Pflicht erkannte, das Gespräch ohne Unterbrechung aufrecht zu erhalten.

»Die größern,« sagte die Medizinkundige Dame, »bekommen es mit ihrem Brode, das sie gewiß nicht übrig lassen und vor meinen Augen verzehren müssen! Denn das Brodgekrümel ist ja lästig überall.«

»Und sind sie dann auch ruhig?«

»Ganz ruhig – sie legen sich hin, wie die Schäfchen und Engelein!«

»Nun, sehen Sie, Madame Trullemaier,« sagte Poll, »sagte ich nicht, von dem schreienden kleinen Pack kann man sich Ruhe verschaffen und kann gehen, wohin man will?« 202

»Ganz gewiß!« sagte die Lampe. »Wenn ich sie einmal abgefüttert habe und ich müßte noch zu Hause bleiben, – das wäre mir so eine Sache! – Das könnte ich brauchen! – Da schlüge ich sie lieber so lange, bis sie aus Ermattung einschlafen, und das habe ich schon mehr als einmal in der Noth thun müssen!«

»Haben Sie?« sagte Poll. »Wie Sie sich zu helfen wissen!«

»Aber,« sagte nun die Trullemaier, die es endlich über sich gewonnen hatte, ruhig zu sein und zu sprechen, »man muß ihnen doch was zu essen geben, sonst geht es ja doch nicht in die Länge.«

»Ich gebe ihnen ja zu essen. Ich kaufe die altgebackenen Semmel, das alte harte Brod auf dem Markte, das um zwei Drittel billiger ist als frisches. Das weiche ich auf. Und sie bekommen allen Abfall vom Gemüse. Das gibt einen Leckerbissen! Die Knochensammler verkaufen ausgekochtes Fett; und ich sehe gar nicht ein, warum so ein Kindermagen, der nichts Besseres unterscheiden kann, das nicht so gut essen soll, als frisches Schweine-, oder Rindsfett!« –

»Gewiß, gewiß,« sagte Poll; »thut's auch; und wenn man zur Noth, wie die Russen, mit einem Kerzenrest abschmalzt, so schmeckt es für den Hunger auch!«

»Ganz bestimmt; man muß sich helfen; und zu so was kann man ja gezwungen sein in der Eile.«

»Aber ich kann nicht recht glauben,« sagte die Trullemaier, »daß derlei die Kinder gut aussehen macht.«

»Da hilft eben wieder ein Mittelchen. Man muß in jedem Geschäfte nur die Mittelchen wissen!«

»Sie wissen eines?« 203

»Allerdings. Wissen Sie, was Salep ist? – Das ist eine Wurzel, die weißes Pulver gibt; das Pulver macht fett, stopft, erwärmt inwendig und gibt den Kindern Hitze, daß sie recht frisch aussehen, wenn sie Einer anschaut. – Aber etwas ist noch wohlfeiler,« sagte die Lampe schlau, fast gierig, ihre tiefe Kenntniß in der Kindererziehung zu entwickeln.

»Und das ist?«

»Das ist . . . kann ich mich verlassen auf Sie?«

»Nun, ich glaube, wenn wir das Geschäft anfangen; und bis jetzt bin ich sehr dafür; so müssen wir Alles wissen.«

»Natürlich!« sagte die Trullemaier.

Madame Lampe stand auf, brachte ein Papier, sorgfältig zugewickelt und entfaltete es. Ein weißes Pulver lag darin. »Kennen Sie das?« fragte sie näselnd.

Madame Trullemaier streckte den Kopf hin – sie erkannte es nicht. Poll besah es und beroch es aufmerksam. Endlich sagte er: »Weiß der Geier, mir scheint es so was wie . . . Rattenpulver!«

»Das ist es, getroffen!« sagte die Lampe kichernd.

Die Trullemaier ward bleich und stammelte: »Wie . . . heißt . . . das? Was . . . ist . . . das?«

»Sie brauchen nicht zu erschrecken, meine Gute,« sagte die Lampe, »das schadet gar nichts, gar nicht das Geringste; und die Kinder befinden sich wohl dabei!«

»Wie heißt es?« fragte Erstere wiederholt.

»Senik, Arsenik!«

»Gott im Himmel!« rief Poll, Alles vergessend; »Gift!«

»Pst! erschrecken Sie nicht!« flüsterte die Lampe, 204 »thut's mir doch leid, Ihnen was gesagt zu haben. Gift – was Sie für einen Lärm machen! Hab ich schon Eines vergiftet? Davon bekommt das Kind 'nen Stecknadelkopf groß, nicht einmal das, das macht es fröhlich, lustig und es sieht roth aus wie ein Aepfelchen!«

In der That ist ähnlicher Mißbrauch in ganzen Gegenden, durch Hilfe gewissenloser Kutscher und Pferdehändler, welche den Arsenik benützen, um die Pferde für den Augenblick muthiger und schäumend zu machen, durch Krämer, Apotheker und Aerzte, der Fall. In Theilen von Oestreich und Steiermark ist Arsenikessen eine geheime Leidenschaft, und medizinische Schriften geben uns, nach Thatsachen, darüber wiederholt Aufschluß. Die Erwachsenen, die derlei mit freiem Willen unternehmen, beginnen mit äußerst kleinen Dosen, vergrößern sie allmälig, durch Gewohnheit, bis zu dem Umfange einer kleinen Nuß, sehen lebhaft, gesund und vollblütig aus, bewegen sich leicht, gehen aber sicher mit dem 40sten Jahre dem Ende ihres zerrütteten Leibes entgegen. Arsenik als Gebrauchmittel für Kutscher und Pferdehändler, als Pulver gegen Ratten, Arzneimittel für Thiere, und unter allerlei Vorwänden, für Färbe und Handwerksgebrauch, oder durch zweite Hand zu erhalten, ist leider nicht so schwer.

»Und die Kinder dort . . . haben Arsenik erhalten und schlafen davon?« frug Poll in seiner Verwirrung, bereits selbst bleich, und harrte bebend auf die Antwort.

Wäre die Lampe nicht so vom starken Kaffee angeregt gewesen, sie hätte die bleichen Mienen ihrer Gäste bemerken müssen. Nun aber hatte sie die Enthüllung schon gemacht und vergaß, durch die augenblickliche Nothwendigkeit des näheren Auseinandersetzens, so wie in der Lebhaftigkeit des 205 Triumfes über ihr Wissen, noch mehr in der Hoffnung einer schönen Zukunft, alle Vorsicht. Sie antwortete:

»Nein, sie haben nicht Arsenik erhalten; aber den Spiritus; denn wir brauchen doch Ruhe jetzt! – Der Arsenik ist auch nicht bei Allen nothwendig; der schwarze kleine Junge und die braune Mine dort, bekommen's nicht; denn wenn sie gut aussähen, das wäre mir gar nicht recht! Es hat sich lange gar kein Mensch um sie bekümmert; denn, Sie wissen es ja, ihre Mutter ist im Spital gestorben und hat keinen Heller hinterlassen, im Gegentheile noch Schulden dazu. Der Brunk hat sogar schon bei reichen Herren für sie gesammelt und mir das Geld gegeben.« – Poll und die Trullemaier kannten das Geld. – »Einigemal vorher schon ist ein Student gekommen und hat mir etwas gezahlt für sie; und wenn sie nicht so erbärmlich aussähen, hätte er mir gewiß nichts gegeben; denn die Kinder gehen ihn im Grunde nichts an, so wenig wie den Kindernarren, den Brunk. Und wäre ich vom Anfange her zufrieden gewesen mit dem Kostgeld des Studenten und hätte die Kinder dick gefüttert, er hätte sicher nichts zugebessert und Brunk hätte am Allerwenigsten was gebracht! Aber die Gören müssen Mitleid für sich und mich erwecken. Freilich, der Student mag wenig haben; aber ich brauche mehr wie er, denn er ist ein Mann und ich bin . . .«

»Ein elendes, niederträchtiges Weib!« schrie Poll, mit der vollsten Wucht seiner Stimme und im Grimme seines Herzens, indem er von seinem Sitze emporsprang.

Die Lampe blickte bleich und entsetzt auf Poll, der mit Blitzesraschheit empor geflogen war. Er riß hierauf rasch die Thüre auf, und zwei Gestalten schritten herein – es waren Brunk und Liese! 206

Poll hatte ihnen, als er unter einem Vorwande hinausgegangen war, die Außenthüre geöffnet, und sie, auf Verabredung, zu Zeugen des erhofften Gespräches gemacht.

Madame Trullemaier keifte nicht, gab kein einziges Schimpfwort, erst war sie bleich an die Lehne ihres Sessels zurückgesunken, dann schluchzte sie heftig aus der Tiefe ihrer Brust, sprang vom Sessel empor, eilte zum Bette hin, wo die Kindlein lagen, kniete davor nieder, preßte ihr Gesicht auf das erste beste der kleinen Unschuldigen – und weinte bitterlich, aber aus voller Seele!

Poll, als er dies sah, gingen die Augen über.

Das war nicht die eitle, zanksüchtige, heftige Haushälterin, das war ein Weib, eine Mutter! Und Madame Trullemaier gewann einen erhabenen Platz in seinem Herzen.

Liese eilte der Armen, Erschöpften zu Hilfe, und wußte sie nicht anders zu trösten, als daß sie selbst herzlich mitweinte.

Brunk und Frau Lampe standen sich gegenüber. Der Eine mit dem furchtbarsten Ausdrucke des Zornes und der Verachtung – die Narbe war ein blutrother Bogen – die Andere mit den schreckensbleichen Zügen einer auf der That ertappten Elenden.

Die Drei, nicht vom Weinen Uebermächtigten, beobachteten eine stumme Pause.

»Hab ich's nicht gesagt?« rief endlich Liese. »Ich fürchtete dieses Ungeheuer, ich glaubte lange nichts Gutes von ihr!«

»Donnerwetter!« rollte endlich Brunk hervor; »ich habe in meinem Leben meine Hand nicht unehrlich beschmutzt; aber hätte ich meinen Säbel hier, ich haute sie mit der flachen Klinge gleich in tausend Scherben!« 207

Jetzt ward die Lampe ganz ihrer Lage bewußt. Ihre bleiche Farbe wich, ihre Runzeln glätteten sich fast plötzlich, ihr Auge loderte und sie rief: »Was ist das für ein Spektakel da in meinem Zimmer?! Wer kann es mir beweisen, daß ich den Kindern was Unrechtes gegeben? Wenn ich Euch zum Besten hatte und in mein Geschäft locken wollte, so ist das noch kein Verbrechen!«

»Ho!« sagte jetzt Poll gefaßt. »Und was ist denn das da?« Er schwang das Papier mit dem weißen Pulver, das er gelegentlich gleich erfaßt hatte, vor ihren Augen.

»Und was ist das?« rief Brunk, der im Nu an ein Bett eilte und einem Wickelkinde etwas aus den zarten Nüstern zog. »Jetzt weiß ich was es ist! Hab oft gefragt, und die elende Kreatur hat mir gesagt, es wäre blos ein Leinwandläppchen und mache die Kinder eher schlafen, weil sie ein Bischen schwerer athmen. Was ist nun das? – Die Kriminal-Doktoren werden das kennen!«

Die Lampe brach jetzt zusammen und fiel auf ihren Stuhl entkräftet zurück. Das Wort »Kriminal« hatte sie ganz niedergeschmettert.

Bald erholte sie sich aber; und jetzt fiel sie auf die Knie nieder, weinte große schwere Thränen und flehte, um Gotteswillen, sie nicht unglücklich zu machen. Sie sei ein einsames, armes Weib – Erbarmen, Mitleid!

Trotz aller Schlechtigkeit der Person, wurden die erzürnten Männer bewegt.

»Nun,« sagte Poll endlich, »wäre sie bereit zu thun, was man von ihr redlich verlangen kann?«

»Alles, Alles! Ich bitte, nehmen Sie Alles – nur nicht ins Kriminal!«

»Ich weiß . . .« sagte Poll, »Sie hat Geld 208 verborgen; das muß sie 'rausgeben!« Poll wußte zwar kein Wort und hatte nicht einmal geträumt davon, aber er verstand die Praxis solcher Leute.

Die geistig zusammengebrochene Lampe war sanft wie ein Lamm. »Nehmen Sie Alles, Alles!« sagte sie. »Da, da!« Und sie eilte an ihr eigen Bett und griff aus dem Strohsacke ein Bündel heraus.

Poll nahm es, es waren Silbermünzen und Geldpapiere darin. »Gut gespart, wohlfeil gefüttert!«

»Nur nickt ins Kriminale!«

»So,« sagte Poll, nachdem er gezählt hatte, »die Hälfte erlegt sie als Kostgeld für die Kinder, als ordentliches Kostgeld, die Wohnung verläßt sie bis längstens übermorgen. Die Möbel kann sie mitnehmen, oder verkaufen; Frau Liese und Brunk, die Kindernarren, bleiben hier wohnen. Liese nimmt die Kinder in Kost. Und muckset sich die Lampe, so wandert sie ins Kriminale!«

»Nur nicht ins Kriminale! Um Gotteswillen, nur nicht ins Kriminale! – Nehmen Sie meinetwegen Alles!«

»Mehr brauchen wir nicht. – Ist es allen Anwesenden recht?«

»Alles, was Ihr wollt, mein guter Poll!« sagte Brunk. Die Frauen waren ganz mit den Kindern beschäftigt.

Madame Trullemaier hatte rothe Augen vom Weinen, und die Thränen waren auf ihren Wangen noch fortwährend sichtbar.

»Die beste Wäsche, die sie hat, gebe sie 'raus für die Kinder!« sagte Poll zur Lampe, da er sah, daß die Frauen die Würmer entkleideten und reinigten. Es war ein Jammer, die lieben, kleinen Geschöpfe zu sehen! Ihre Augen 209 stierten stumpf, ihre Köpfchen hingen kraftlos nach der Seite oder auf die Brust herab; so ein hilfloses jämmerliches Aussehen von Kindern, war ihm seit lange nicht, in solcher Zahl zugleich nie, vorgekommen.

Meist sind die Kinder, die zu Kostfrauen gegeben werden, Kinder der Liebe, oder Kinder von Witwen, die ihrem Erwerbe nachgehen müssen. Oder sie sind auch Kinder von Ammen, die aus ihren vollen, gesundheitsstrotzenden Brüsten die Säuglinge der Reichen sättigen, während ihr eigenes Kind, das sie unter ihrem Herzen getragen, meist elend verkümmert; so elend, während sie das Blutgeld – denn anders kann man den für Milch errungenen Lohn nicht nennen – ihr Blutgeld für ähnlichen Trug und schleichenden Kindertod hingeben! – Sollte man es aber glauben, daß auch zusammenlebende eheliche Eltern existiren, die ihre Kinder außer Hause geben, um bequem zu leben? Das ist in großen Städten, zur Ehre der Menschheit nicht häufig, aber leider dennoch der Fall.

Gesegnet seien jene gute Frauen, welche seit einiger Zeit, in manchen Städten, einen Kostfrauenaufsichtsverein, oder eine »Krippe«, mildherzig gründeten und den armen unschuldigen Kindern ein liebevolles, wachsames Auge widmen, ohne das sie verlassen, doppelt elend, vielleicht zum großen Theile schon in der Grube wären und moderten, anstatt wieder in ein menschliches Auge zu lachen und ihm Dank, Freude und Lebenslust ins Herz zu leuchten!

Gesegnet seien die Frauen; mögen sie jene Liebe wieder erhalten, die sie ausspenden und fühlen. Das ist der beste Segen für ein Weib!

Madame Trullemaier schimpfte nicht und zankte nicht, sie war wie umgewandelt, wie Wachs ans Feuer gebracht. 210 Sie dachte an ihren Alexi, wie sie ihn, selbst arm, gepflegt und mit Aufopferung erzogen, und sie sah dagegen diese Kinder an! – Ihr Herz weinte noch mehr als ihr Auge!

Liese schleppte kaltes, frisches Wasser zu und wusch und labte die Kinder; selbst die Lampe eilte demüthig in den Hof, brachte frisches Wasser und half in bescheidener Entfernung so viel sie konnte. Sie war vernichtet, ihre ganze Seele ging in dem Worte »Kriminale« auf.

»Ich weiß ihr was,« sagte Brunk endlich, düster aber ohne Heftigkeit zu ihr; »Lampe, gehe sie in die Kirche und bete sie dort. Oben ist Einer, der noch ein ärgeres Kriminale hat!«

»Gut gesprochen, Brunk,« sagte Poll. »Fürchte sie nicht, daß wir ihr etwas nehmen. Was ihr ist, bleibt ihr,« wendete er sich zur Lampe. »Die Kinder werden zu essen bekommen; und lege sie sich ein gutes Wort bei dem Richter ein, der die Sache schon lange kennt!«

Frau Lampe ging demüthig, als wäre sie ein Automat, der nur berührt zu werden braucht, um in Gang zu kommen, fort. – Sie betete einmal wirklich, denn Keiner kriecht so zu den Füßen der »Vorsehung« und windet sich so eckelhaft, vernichtet auf dem Boden, als es Diejenigen thun, die früher an keinen rächenden Tag, an keine niederschmetternde Stunde geglaubt.

Die Kinder feierten indessen daheim ein großes Fest, und Arthur fragte: »Die böse Frau, die immer wollte, wir sollen sie Mutter nennen und uns schlug, wenn wir's nicht thaten, kommt nicht mehr?«

»Nein, mein Engel, ich bin Deine Mutter jetzt, und Du bist – mein Edi!« schluchzte Liese und drückte seinen Kopf an ihre Brust. 211

Das Kind schlang die kleinen Arme um ihren Nacken, hob seine Lippen an die ihren und saugte sich fest an dem Munde.



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