August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Fünfundzwanzigstes Capitel.

Wir gelangen in ein Amt und zu Beamten – hören wie Einer in Statsgeheimnisse eingeweiht, und klar bewiesen wird, daß ein Beamter immer, ein Unterthan aber nie Recht hat.

Das betreffende Amt hatte in seinem Innern heute einen stillen, aber doch in einer Weise ausgezeichneten Tag. Ein Tagschreiber, der schon drei Jahre dies wichtige, hochpolitische Amt versehen hatte, trat heute in den wirklichen Dienst letzten Grades.

Ganz in das feierlichste Gewand gesteckt, mit großartigen Vatermördern, sehr feuchten und pomadisirten Haren, und sehr engen weißen Handschuhen, wartete er, schon vor der bestimmten Amtsstunde, um seinen Bureauchef ehrerbietigst zu empfangen und ihn ja nicht zuvorkommen zu lassen.

Es schlug die Amtsstunde. Kaum war der letze Glockenschlag der Uhr noch verhallt, da öffnete sich schon 70 die landesfürstliche amtliche Thür, und der landesfürstliche amtliche Bureauchef trat, würdevoll-melancholisch herein.

Wenn je ein Mensch, mit Brust und Schultern oben, den Hüften rechts und links unten, gleichsam mit vier Ecken, einem großen Einschreibe-Buche auf Beinen glich, so war es der langgestreckte Bureauchef Grütze, »von« Grütze. So flach war seine Brust, so breit und wölbungslos, so eckig sein ganzer Oberkörper, daß nichts Anderes zu denken war, als: hier wandelt ein lebendiges Einschreibebuch mit Beinen unten und einem Kopfe oben. Dazu war selbst das Gesicht so breitgedrückt, so flach, daß nur die Nasenspitze sich etwas daraus hervorwagte, gleichsam als wäre der Kopf, wie bei den Schildkröten, eingerichtet sich bequem in das Innere der Deckel zurückziehen und gelegentlich wieder herausstrecken zu lassen. – Eine große, radrunde Goldbrille brachte, durch Verdeckung der Augenhöhlen, an denen sie fest saß, eine noch größere Ebenheit und Flachheit in dem Gesichte hervor. So ausgerüstet, so liebenswürdig, stand der Bureauchef von Grütze, dem neuen »Wirklichen« gegenüber.

Dieser verneigte sich sofort, so weit es die Dielen und seine Rückenmarkgelenke zuließen, während ihm das Herz im Leibe ticktackelte, wie eine alte Taschenuhr.

»Ah, Sie, Plemper da?« sagte Herr von Grütze, sehr herablassend; aber noch immer in Ton und Würde den Protektor nicht verleugnend. »Schön, das freut mich. Ich hoffe, Sie werden sich der hohen Ehre, die Ihnen unser gnädigster Landesfürst in der Ernennung zu diesem Amte zu Theil werden zu lassen geruhte, sicherlichst würdig zeigen.«

»Hohe Ehre . . . würdigen . . . Möglichstes thun . . . 71 bestreben . . . Fleiß . . . Pünktlichkeit . . . Befehlen . . . nicht unterlassen,« stammelte der junge, sehr schmächtige und im ganzen Thun und Wesen sehr grüne Mann hervor.

»Gut, gut, ich glaube Ihnen. Und zum Beweise daß ich Sie freudig empfange, daß Sie jetzt eine bedeutende Stufe höher stehen und ich Sie als wirklichen landesfürstlichen Beamten schätze – reiche ich Ihnen die Hand zum, zum – kollegialischen Empfange!«

Das war eine ungeheuere, unerhörte, kaum glaubliche Herablassung. Der neue landesfürstliche Beamte fühlte sich so geschmeichelt und beglückt, daß er über die hingereichte Hand stürzte und sie schüttelte, derart, daß der Herr Bureauchef einige Gelenkschmerzen spürte.

Daß die nimmer-enden-wollendsten Bücklinge nachkamen, versteht sich von selbst.

Nach diesem wahrhaft feierlichen Empfange, begab sich der Herr Bureauchef an die Wand, hing Hut und sonstige Gegenstände gewohntermaßen hin, und versetzte sich ganz in den amtlichen Habitus. Hierauf nahm er eine gewaltige Prise aus der Dose, ging wieder zum neugebackenen Plemper, stellte sich ihm gegenüber, reichte ebenfalls eine Prise diesem beglückten Individuum, das sie sehr zierlich und demüthig nahm, und begann:

»Mein lieber Plemper! Jetzt sind Sie landesfürstlicher Beamter, installirt, wirklich! Es braucht also die größern Rücksichten, die Fernhaltung von früher nicht mehr. Ich kann daher mit Ihnen reden, wie es ein wirklicher Beamter gegen einen wirklichen – wenn auch der Abstand noch immerhin vorhanden ist – doch derowegen kann. – Wir sind hier sehr Wenige, ich und Sie und Ihr Vormann, auch mein Untergebener, der heute auf Kontrolle ist, doch nicht 72 zu lange ausbleiben wird. Aber, so Wenige wir auch sind, so liegt es doch nichts destoweniger ganz, ja noch viel mehr auf unsern Schultern, die Würde des Landesherrn zu repräsentiren, und die Macht eines Amtes mit aller Energie aufrecht zu erhalten!«

»Sehr wohl, sehr wohl, ganz unterthänigst zu Diensten!« –

»Die Würde eines Amtes – verstehen Sie?« Eine Prise. »Die Macht des Landesherrn!« Prisenrest und Hebung des Zeigefingers gegen die Decke. – »Ich finde es für nothwendig und kann es nicht unterlassen, habe es auch bisher immer gethan, jedem neu eintretenden Beamten meine Meinung über das Wesen eines Amtes, über das nothwendige Thun und Lassen, Empfinden des Beamten, das – ich möchte mich so ausdrücken, und es ist der richtige Ausdruck – das Verschmelzen, Ineinanderaufgehen des Beamten und des Amtes, auseinanderzusetzen.«

Plemper spitzte die Ohren und heftete die Augen unterthänigst erwartungsvoll auf den Redner.

»Keine Stunde, keine Sekunde, darf ein Beamter, ein guter Beamter, vergessen wer er ist. Ich meine dies für das allgemeine, für das Privatleben; umsomehr, wenn er in den Räumen ist, die ein Amt bedeuten, ein Amt sind! Da endet alles Andere, da gehört er ganz dem Landesfürsten, der Macht, der Würde des Oberhauptes an! So hoch der Angestellte sei, so nieder er sei, es bleibt sich gleich, er ist ein Glied des Ganzen, und muß fest daran halten und sich nicht um das Geringste davon loslösen!«

»Sehr wohl, sehr wohl!«

»Ist er also ein Glied des Ganzen, nebst Unterthan noch ein Diener des Landesfürsten, was kann er 73 anders für eine Pflicht haben, – die Macht, die Würde desselben in sich aufrecht zu erhalten? – Das zu bewerkstelligen, ist eben die höchste Beamtenkunst, die wahreste bureaukratische Vollendung, die ich kenne! – Ein Landesfürst darf nie von seinen Unterthanen getadelt, bemängelt, kurz so betrachtet werden, als könnte er wirklich einen Fehler begehen und irren. Das Gegentheil würde nicht übel wühlerische, verderbliche, umstürzende Grundsätze im Volke verbreiten. – Ist also der Landesfürst unfehlbar, kann er nie irren, kann seine Regierung nie eine tadelswerthe sein, so muß auch der Beamte, als Theil der landesfürstlichen Macht und Würde, nie vom Publikum, von den Unterthanen getadelt, bemängelt, kurz so betrachtet werden, als könnte er einen Fehler begehen und überhaupt irren!«

»Sehr richtig, ganz richtig, durchaus Ihrer Meinung!«

»Ich sage nicht: er kann nicht irren; durchaus nicht; für seinen Tadel sind ja wieder die Höheren da; aber den Unterthanen gegenüber irrt er nie – hat er immer Recht! – Denken Sie einmal, was würde es für Folgen haben, wenn der Landesfürst den Tadlern, den kühnen Wühlern und Umstürzlern sagen würde: Ihr habt Recht und ich gefehlt? – Denken Sie!« rief er mit schauerlichem Tone.

»Oh!« rief unterthänigst-schaudernd der neugebackene Plemperlein.

»Also, da wir den Landesfürsten repräsentiren, seine Macht und Würde darstellen, Theile derselben als Beamte sind – so dürfen wir nie den Unterthanen einen Irrthum eingestehen, ihnen nie offen sagen: Ihr habt Recht – das hieße die ganze Regierung zu Grunde richten, auf amtlichem Wege unterwühlen! – Darum, wie gesagt, wir haben durchaus immer Recht, immer!« – 74

Nach dieser siegenden, glänzenden Auseinandersetzung räusperte er sich mit würdevollem Bewußtsein und fuhr fort: »Und ist im Grunde der Unterthan, in amtlicher Rücksicht, in amtlichem Wissen nicht beschränkt? Soll er es nicht sein? Wir sind die Mauern, an denen er anprellen muß. Prellt er nicht an, und drängen wir ihn nicht fest zurück, so gelangt er rasch desto höher, und die Destruktion, die allgemeine Auflösung, die gräulichste, entsetzlichste Anarchie – ist die unausbleiblichste Folge!«

»Sicher! Unzweifelhaft!«

»Jedoch vernehmen Sie weiter, was ich sage. Ein Landesfürst steht so hoch, so erhaben, so weit hinaus über Alle, daß seine Würde an und für sich schon imponirend und in jederlei Weise hochachtungsgebietend sich manifestirt!«

»Sicherlich!« sagte Plemper und diesen Satz hätten dem Bureauchef noch viele weit Vernünftigere als Plemper gerne zugestanden.

»Ein Landesfürst, der an und für sich so hoch steht, kann daher bei Gelegenheit freundlich, herablassend, gütevoll sein; denn er steht dann noch immer hoch genug, er erfreut die ihrer Niedrigkeit ihm gegenüber sich bewußten Unterthanen, und erhöht sich sogar selbst noch, zuweilen, moralisch dadurch. – Würden wir aber unserer Pflicht gewissenhaft nachkommen, wenn wir auch dieser Seite des Landesfürsten nachstreben, auch Theil daran nehmen wollten? – Hier kann ein oberflächlich denkender Beamte leicht, zum Schaden der ganzen Bureaukratie, in einen sehr verwerflichen Irrthum gelangen! Wir sind ein Theil der Macht und Würde und haben nur einen bestimmten Theil – diesen müssen wir also repräsentiren; wir sind aber kein Theil der freundlichen Herablassung des 75 Monarchen, die nur in seinem augenblicklichen persönlichen Belieben steht! – – Ihm gegenüber fühlt der Unterthan seine Nichtigkeit, uns gegenüber kehrt aber der Unterthan schon sein Ich heraus; denn wir stehen viel tiefer. Ließen wir also noch etwas nach – was bliebe uns dann, wohin kämen wir dann!? – Ja, ließen wir nach, wäre der Unterthan Herablassung gewohnt – wie könnte ihn die Freundlichkeit und Güte der weit Höheren im State überraschen? Wie könnte er die wahre Würdigung dieser Gnade fühlen, wenn er sich einbildete, es könnte gar nicht anders sein? – Darum haben wir, gerade im Gegentheile, die Pflicht, ihm, zum deutlichst erkennbaren Unterschiede, die Schwere einer Amtswürde fühlen zu lassen, stets in der Unfehlbarkeit, strengen Amtsmiene, unabänderlich so verstandenen Berufspflicht, gegenüber zu stehen, nie viel Federlesens zu machen und nie das Wappen ober dem Hause zu vergessen, in dessen Namen wir stehen, sprechen, schreiben, befehlen, abfertigen, Auskunft ertheilen – da sind!«

»Sehr wohl! – Ich bin ganz durchdrungen von diesen gediegenen Ideen; habe selbst schon geahnt . . .«

»Lassen Sie sich von dem Namen Bureaukrat, oder Bureaukratie, wie man es absichtlich böswillig gebrauchen will, nicht irreführen. Wir sind Bureaukraten, wir wollen es sein und werden es sein, und – gehören unfehlbar, ausschließlich zur Bureaukratie! Denn die Bureaukratie ist die Macht, die Würde, die Repräsentation des Oberhauptes, und hält den Stat, den Einzelnen, das Eigenthum, die ganze Menschheit aufrecht; und ohne sie, ohne uns – müßte die Menschheit unfehlbar zu Grunde gehen!«

»Unbedingt, unbedingt!«

»Also, Sie haben mich verstanden?« 76 »Strenge . . .« zählte Plemper resultirend auf. »Strenge . . .« wiederholte von Grütze. »Würde . . . Unfehlbarkeit . . .« zählte Ersterer auf und stimmte Letzterer befriedigt zu.

»Und Unterthänigkeit gegen die Obern!« schloß von Grütze gebieterisch.

»Unterthänigkeit gegen die Obern!«

»Natürlich, ohne dies geht es nie,« nahm der Bureauchef wieder das Wort. »Denn jenen Gehorsam, den ich von Ihnen fordere, fordert man von mir, und fordert dann wieder ein Höherer von meinem Vorgesetzten. Ein Keil treibt den andern, das muß sein; und wenn Sie einst höher kommen, werden Sie Dasselbe für sich wollen. Darum müssen Sie jetzt es auch üben – in einer Seite nach oben, wie in der andern nach unten!«

»Ganz unterthänigst zu Diensten!«

»Also – ich halte Sie jetzt für instruirt. Obwol Sie, durch entfernte Theilnahme am Amte, bereits von der Praxis mehr oder minder Kenntniß hatten, hielt ich es doch für nothwendig, Sie ins Innere des tiefsten Amtswesens blicken zu lassen. Um so mehr muß ich jetzt auf die strengere, gewissenhaftere Erfüllung der Amtspflichten dringen – und Sie werden gut thun, Ihrem Kollegen gelegentlich meine Meinung in Erinnerung zu bringen, so wie ich es selbst nicht unterlassen werde, da die Zeit sich immer mehr lockert, der Umsturz arbeitet, und wir desto fester, desto draller, abweisender und undurchdringlicher als Mauern dastehen müssen!«

»Ganz gewiß!«

»Ihr Vordermann ist noch nicht da. Sie werden vielleicht und sicher noch heute, während seiner Abwesenheit, 77 Gelegenheit bekommen, Parteien, Unterthanen gegenüber zu stehen. Ich überlasse Ihnen die Amtsthätigkeit, werde sie Ihnen absichtlich überlassen; zeigen Sie Ihre Tüchtigkeit, ich hoffe das Beste!«

»Sehr schmeichelhaft, und werde mich unfehlbar bemühen, Ihre hohe Zufriedenheit . . . .«

»Und sollten Sie höher kommen – Sie werden es nur meinen Grundsätzen verdanken und sicher an mich zurückdenken!«

Plemper war endlos in Verbeugungen, höchst erquickt, erschöpfte sich in Komplimenten; und da der Bureauchef an seinen Tisch ging und sich amtsmäßig beschäftigte, hielt er es endlich für seine unterthänige Pflicht, sich ebenfalls an den eigenen Platz zu setzen, und begann unter Büchern und Schriften herumzustöbern.

Es währte nicht lange, so klopfte es an der Thüre.



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