August Silberstein
Herkules Schwach. Zweiter Band
August Silberstein

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Vierzigstes Capitel.

Dr. Ziesewitz, der humane Advokat, dessen Eigenschaften, dessen Besuch, dessen Praxis, dessen überraschende Mittheilungen und dessen Anträge bei Schwach.

Wenn Herr Karolus Ziesewitz, oder wie er ausführlicher und rechtlicherweise hieß: Herr Advokat Dr. Karolus Magnus Ziesewitz, bisher nicht ganz deutlich vor unseren Blicken stand, so war dies der Fall, weil er in seinem Bureau emsig mit der Feder saß, oder eifrig, 278 durch eine Brille in Akten lugend – wenn er nicht seine Weisheit, seinen Witz und seine Gelahrtheit vor Gericht entfaltete, oder auch vor allerlei Klienten, die uns nichts angingen, wir mithin kein Recht oder keinen Anlaß hatten, zu ihm zu treten!

Obwol er Schwach sehr dringend, bei seinem einst denkwürdigen Besuche, eingeladen, ihm einen Besuch zu entgegnen, und wäre es nur des pikanten, angenehmen Zeitvertreibes wegen, ein Prozeßchen zu führen, so hatte doch Schwach, geschlagen mit unerklärlicher Blindheit, von dieser ausgezeichneten und seltenen Gelegenheit nicht Gebrauch gemacht und wollte weder die Stempel-Maschinen, noch die Schreiber, noch die Aktenschränke, noch irgend welche andere derart harmlose Leute und Gegenstände in ihrer Weise beirren oder in Anspruch nehmen.

Wenn aber Herr Karolus Magnus, Dr. und Advokat, uns selbst entgegenkommt, augenblicklich in unsere, d. h. in Herrn Schwach's Stube tritt, so ist dies eine so ausgezeichnete Gelegenheit, um eine denkwürdige Persönlichkeit näher kennen zu lernen, daß wir uns nicht zu enthalten vermögen, ihn genauest zu betrachten.

Herr Advokat Ziesewitz, obschon er Karolus Magnus, das heißt Karl der Große hieß, war doch nur ein Mann mittlerer Größe, dafür aber mit etwas dickem Leibe und sehr dünnen Füßen. Das starke, runde Haupt war mit dichten, schwarzgrauen, steifen Haren besetzt, die wol nicht lange, aber sorgfältig von der Stirne und den Schläfen nach dem Hinterhaupte gekämmt waren, was ihm ein sehr gelahrtes Ansehen geben mußte. Das Gesicht war etwas vergilbt und voll feiner Runzeln. Er war stets in schwarzem zugeknöpften Fracke, dessen Kragen eng an einem 279 besonders dicken, weißen Halstuche lag, das nirgends einen Knopf oder ein Ende zu haben schien. In dieses umfangreiche Halstuch, nebst krönenden steifen Vatermördern, zog er das Kinn sehr häufig zurück. Das gab ihm zuweilen das Aussehen, als würde er mit dem Kopf über einen frisch geweißten Festungsthurm, oder eine Gartenmauer hervorsehen. Das Halstuch war bedeutend weiter und dicker geschlungen, als es ein Mensch gewünscht hätte, der keine Würde und keine Gerichte als tägliches Mittel bedurfte, und darum ließ es dem Kinne stets sehr vielen Raum zum beliebigen Zurückziehen innerhalb den Ringmauern übrig. Diesen würdevollen Hinterhalt benützte Ziesewitz sehr häufig; und wenn er sein Kinn, bei solcher wirkungsvoller Haltung, in das Innere der Mauer zurückzog, konnte man ihn sehr gut mit einer Nachteule in einer Mauernische vergleichen. Die gläsern starrenden Augen und die hakenförmige scharfe Nase forderten umsomehr dazu auf.

Ziesewitz hatte die Gewohnheit, bei aller humanen Freundlichkeit, die einzunehmen suchte, doch im Allgemeinen sich ein so würdiges Aussehen zu geben, als hätte ihn der liebe Herrgott mit allen Geheimnissen, wie er die Welt mache, ordne und leite, belastet, und als trüge er, Ziesewitz, an diesen Geheimnissen sehr schwer! Wenn er die Augenbrauen in die Höhe zog, eine Pause machte, das Haupt innerhalb der weißen Gartenmauer nach rechts und links drehte, sorgfältig um sich sah und seinen Nebenmenschen an der Hand nahm, so konnte man sicher sein, es komme etwas Geheimnißvolles nach! Keineswegs waren die Geheimnisse solcher Art, daß sie kein anderer Sterblicher hätte erforschen können; aber Ziesewitz gab ihnen den Anschein der dunkelsten Misteriosität, flüsterte und zog die Augenbrauen dabei 280 so bedeutungsvoll in die Höhe, als hinge von der Mittheilung das Wohl und Wehe des gesammten Sternensistems ab und namentlich des Planeten, auf dem wir das Glück oder Unglück haben, zu wandeln. Wenn er die Person, mit der er eben sprach, an dem Arm fassen, langsam in einen Winkel ziehen und leise mit ihr daselbst sprechen konnte, war er auf der Giebelhöhe seiner wichtig gemachten Persönlichkeit.

Mit diesem geheimnißvollem Gesichte, den sorgenvoll gerunzelten Augenbrauen, und einem humanen Lächeln um die Lippen, saß er vor Schwach, nach den ersten unbedeutenden Einleitungen eines Besuches, und wartete ihm mit einer Prise aus einer goldenen Dose auf.

Ziesewitz's Dosen bildeten zusammen einen eigenthümlichen Barometer. Er hatte stets deren mehrere in der Tasche, oder rüstete sich zu einem bestimmten Gange mit einer bestimmten Dose. Hatte er einen Klienten, dem er einfach, bescheiden, ganz geringe Kosten in Aussicht stellend erscheinen wollte, so präsentirte der Advokat eine schwarze Pappdose, auf der nicht ein Pünktchen gemalt, oder Flitter war. – Wollte er in einer besser begüterten Familie auftreten, als ein stiller Bürger, der sein kleines Schäfchen im Trocknen habe und sorgfältig mit redlicher Sparsamkeit und Emsigkeit seine Arbeiten vollführe, so besaß der Advokat für diese Gelegenheit eine sehr charakteristische silberne Dose. – Feinen Leuten, die selbst gerne ein wenig flausten, zeigte er eine schlanke moderne Silberdose mit eingelegten Goldarabesken. – Und wenn der Advokat die goldene Dose aufklappte – wehe! dann mußte jede Prise schwer und theuer bezahlt werden!

Das war Schwach's Kategorie! – Und Ziesewitz 281 bewahrte seine Klientenliste auf derselben Platte, wo seine Dosen standen. Unter jeder Dose lagen die betreffenden Namen, oder auch, bei einem mehrseitigen Gange, klappte er die Listen in die Dosen ein, und diese waren das Archiv, das Repertorium seines Thuns.

Schwach schnupfte also aus der Goldenen und war mithin, schon im Vorhinein, geopfert. Ziesewitz dachte human: der Mann hat viel Geld; und als er im Zimmer umhergesehen hatte, fügte er gleich nach den ersten Augenblicken still hinzu: und thut nobel!

Der geistige Ziesewitz bestand, wie ein Wurm oder Käfer aus drei Kerben, aus drei geistigen Abtheilungen. Sein Gehirn war eine dreispaltig geordnete Zeitung, der Inhalt seiner Rede war immer ein gleichseitiges Dreieck und fügte sich, über drei regelmäßige Winkel, zu einem Ganzen. Er konnte sprechen, was und beginnen wie er wollte – wolgeordnet, erster Theil, mit sehr geheimnißvoll geflüstertem Tone vorgetragen: »die Welt ist schlecht;« zweiter Theil, etwas belebter gesprochen: »scharf muß man sein;« und dritter Theil, möglichst gewinnend und süßlich-bescheiden, aber nicht minder geheimnißvoll: »ich bin scharf und gut!« – Die tausendfältigen Variationen, unter denen dies wiederkehrte, konnten freilich nur von einem advokatischen Genie, wie Ziesewitz, durchgeführt werden, ohne daß ein Anderer leicht merkte, über welchen Leisten der Humanist seine Rede schlug. Es dient aber wirklich nichts so zum Schein der Beredsamkeit, als ein solches verborgenes Abrakadabra der Wortmacherei; und mancher Kammer-Redner stände wie ein beim Naschen ertapptes Knäblein da, würde man seine Reden entkleiden und das Gerippe, das darunter steckt, enthüllen.

»Nun, wie geht es Ihnen, theuerster, bester Herr 282 Schwach?« sagte Ziesewitz, indem er die Goldene wieder außer Thätigkeit setzte und Schwach's beide Hände erfaßte. Das Kinn suchte den bekannten Gartenmauer-Schutz. Ohne aber eine Antwort zu erwarten, fuhr Ziesewitz mit seiner flüsternden Stimme fort, als theile er eben Schwach ein sehr großes Geheimniß mit:

»Habe Sie lange, lange, eine traurige Ewigkeit nicht gesehen! – Tausendmal hatte ich mir vorgenommen Sie zu besuchen, als meinen ehemaligen Nachbar, dem ich Jahrelange still in Schmerz und Freude gefolgt; aber es war mir unmöglich, immer ward ich verhindert. – So wenig Zeit mein Bester!« Hier drückte er Schwach den Arm, zog die Augenbrauen in die Höhe und lispelte: »Sollte man glauben die Welt werde täglich besser, aufgeklärter, vermeide von Tag zu Tag mehr die Gerichtsstuben, unnöthige Händel, böswillige Anklagen; nein, im Gegentheile, ich kann es Ihnen wol aus bester Quelle sagen, es vermehren sich die Prozesse, die Gerichtsstuben füllen sich immer stärker, die Akten wachsen an; es ist sehr traurig! Glauben Sie aber, die Gerichte werden humaner, klarer, kürzer?« Er sah sich wieder sorgfältig um. »Nein, die Richter werden täglich härter, die Gerichtshöfe verwickeln, häufen Schwierigkeiten, die Menschheit leidet! Die Menschheit leidet sehr!« – Ziesewitz seufzte. – »Darum, in dieser Fluth der Verderbniß, muß es wieder, zum Gegensatze, Menschen geben, welche sich derselben gegenüberstellen, welche die Dinge klar durchschauen und sie scharf von einem festen Standpunkte durchdringen. Dieses scharfe Durchdringen ist ein Präservativ gegen Alles! – Als Advokat muß ich vorsichtig sein, und, bester Herr Schwach,« Ziesewitz flüsterte, »wenn ich Ihnen mittheile, daß ich meinen Stand ergriffen aus reiner ursprünglicher 283 Feindschaft gegen die Gerichte, ja aus humaner Feindschaft gegen Mitglieder meines Standes, welche durch ihre gewissenlose Praxis die Sache noch verschlimmern, so sind Sie der Mitwisser, ich muß es sagen, des nicht kleinsten Geheimnisses meines Lebens;« – er nahm einen noch geheimnißvollern Ausdruck an, als spräche er nun das Schauerlich-Misteriöseste – »und ich bitte Sie, der Sache ja nirgends zu erwähnen!«

»Macht Ihnen alle Ehre, alle Ehre!« sagte Schwach, erbaut von dem eben so scharfen als humanen Ziesewitz, dessen Visite er von keinem andern Gesichtspunkte aus betrachtete, als dem, von welchem er bereits so viele Unnöthige in seiner Wohnung gesehen.

Doch des Advokaten Visite war nicht ohne Zweck.

Schwach konnte auch nicht rasch genug eine abermals gebotene Prise aus der goldenen Dose des edlen Advokaten nehmen, mit dem Ausdrucke, als ob diese Kleinigkeit, von einem so humanen Manne, schon einen unschätzbaren Werth besäße.

»Sehr erfreut, wirklich sehr!« sagte Schwach, im Herzen erquickt, einmal so etwas zu hören.

»Ich bitte Sie, ich bitte Sie,« wehrte Ziesewitz ab, »behalten Sie das für sich, machen Sie keinen Gebrauch davon und verlauten Sie gegen Niemanden etwas. Ich will bei Manchen blos als prozessirender Advokat angesehen werden; und ich sage Ihnen, mit geheimem Vergnügen lasse ich oft die verkehrtesten, boshaftesten Urtheile über mich ruhig ergehen! Sie wissen, die Advokatur hat einmal ihre Geheimnisse, ihre Feinde und ihre besondere Praxis. Aber unter uns, werther Freund, ich bekenne Ihnen, im Allgemeinen steht es jetzt mit der Advokatie sehr traurig, sehr traurig! Geht es nicht mit den meisten Dingen in der 284 Welt so? Erwähnen Sie desselben nicht öffentlich, wenn ich Ihnen sage –« Ziesewitz sah um sich, beugte sich wieder vor, zog die Augenbrauen in die Höhe und flüsterte – »die Universität erleichtert die Examina, die Gewissenspflicht wird nur sehr geringe genommen, die Gewissenlosigkeit nimmt überhand, ja die Gesetzeskenntniß vermindert sich, und das gerüstete Entgegenstellen gegen die Gerichte fängt bei den Jüngern nach und nach an, zu den Chimären zu gehören. – Das bleibt unter uns!« Dabei tätschelte er zutraulich Schwach's Arm. »Woher kommt es? Im Allgemeinen, eine täglich sich verschlimmernde Menschheit, kann täglich nur schlimmere, gewissenslosere Advokaten aus sich erzeugen. – – Aber Gesetzeskenntniß! Bester Herr Schwach, dies ist das untrüglichste Mittel für humane Zwecke. Ist man mit Gesetzeskenntniß ausgerüstet, was scheert man sich um Protektion und Richter? Man stellt sich ihnen gegenüber mit dem scharfen Schwerte seiner Logik und Paragrafenkunde, und sie müssen zuletzt, bewältigt, das Recht ertheilen, wo man das Recht, zum Siege der Humanität, nicht außer Augen läßt!«

Schwach nahm noch eine gebotene Prise sehr zierlich und drückte wieder seinen Beifall über Ziesewitz's Grundsätze aus.

»Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen recht sehr!« sagte der Advokat wieder. »Ich sehe, ich habe mich in Ihnen nicht getäuscht, Sie sind einer der Wenigen, der Seltenen, mit denen man noch mittheilend sprechen kann. Darum bekenne ich Ihnen auch . . .« Ziesewitz sah im Zimmer sorgfältig um ». . . was die Arbeit eines Prozesses betrifft, macht sie mir im Allgemeinen keine Schwierigkeiten, durchaus nicht. Aber, es ist der Schmerz, der Schmerz, mein 285 Bester, der mich bei jedem Federzug ergreift, indem ich neuerdings eine Zwietracht entflammt sehe in der großen, einheitlichen Familie, Menschheit genannt, abermals die Humanität verletzt! Es tröstet mich dabei nur das Bewußtsein, dem Rechte zu dienen und dem Unrechte den Sieg zu entreißen. Aber wie schwer diese humane Pflicht gemacht wird, wie schwer!« – Ziesewitz sah Schwach in's Gesicht und zuckte die Augenbrauen. –»Herr! die Chikanen, Sie haben keinen Begriff davon! Glaubt man bei einem Prozesse die Höhe der Expensen erreicht zu haben, der nächste steigt noch höher. – Bei aller scharfen, klaren Einsicht kann man nicht die Chikanen ganz abwehren. Aber man kann sein Möglichstes gegen sie thun; und energisch muß man hierin sein, sonst erringt man nichts! – Was bleibt aber übrig, wenn man, trotz seinen Anstrengungen einsieht, daß der Böse dennoch etwas, wenn auch nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil, errungen? Man muß den Schmerz in seinem Busen bergen. Für einen Advokaten wie ich bin, bleibt nichts übrig, als die Feder in die Hand zu nehmen, seine eigene Arbeit noch geringer anzuschlagen, höhere Zahlen auszustreichen und kleinere hinzusetzen. Es ist das eine Schwäche, ich bekenne es Ihnen; aber ich kann nicht anders, ich muß meinem Drange nachgeben. Jeder Mensch hat eine Neigung in seinem Berufe; und wenn ich die Schwäche habe, Humanität zu vertreten, die gute Sache zur meinen zu machen und Andern nur die kleinsten Kosten zu verursachen, so ist das eine Schwäche, die von der einen Seite getadelt, aber von der andern verziehen werden muß. Jedoch, ich bitte Sie, erwähnen Sie nirgends etwas von dem Gesagten!«

»Schwäche, Herr Advokat? Das ist . . . das ist . . . .« 286 sagte Schwach, nach Worten suchend, »das ist . . . .«

»O, loben Sie mich nicht!« warf Ziesewitz ein, und half ihm dadurch aus der Verlegenheit. »Ich wollte nur, Sie nähmen Gelegenheit, meine Grundsätze, meine Dienstwilligkeit, meine wohlverstandene Humanität zu erproben!« – Er sah sich im Zimmer sorgfältig um, und nachdem er das Kinn innerhalb der weißen Mauer nach rechts und links gedreht hatte, befestigte er es daselbst.– »Haben Sie je schon einen Prozeß gehabt?«

»Niemals.«

»Niemals – Sie Glücklicher! Dann kennen Sie im Grunde die Chikanen noch gar nicht, die derlei verursacht?«

»Durchaus nicht.«

Desto besser! dachte Ziesewitz im Innern, und sagte laut, indem er seine Goldene hervorzog, eine Prise bot und die Worte sehr betonte: »Dann wissen Sie auch gar nicht, wie hohe und wie geringe Expensen in einer Sache gestellt werden können; sie lange man die Menschheit zu quälen im Stande ist? Dann wissen Sie nicht, wie lange man, trotz bestem eigenen Willen, Andere hinhalten in trauriger Weise, ärgern und anfeinden muß; wie lange überhaupt ein solcher Streit, bis zum gänzlichen Ende währen kann?«

»Aus eigener Erfahrung noch nicht.«

»Das thut mir leid; denn gerade von meinem jetzigen Standpunkte aus, hätte ich Ihr Erfahrensein gewünscht. Ich bin eigentlich gekommen, um Ihnen,« er sah sich um und flüsterte endlich, »ein Geheimniß mitzutheilen!« 287

»Ein Geheimniß?« Und Schwach dachte schon an seine Geburt und damit verbundene Angelegenheiten.

Ziesewitz nahm ihn an der Hand, sah sich sorgfältig um und flüsterte wieder, indem er sich fast ganz an Schwach's Ohr bog: »Machen Sie Niemandem eine Mittheilung, behalten Sie es ganz für sich; denn es ist noch nicht aus den Gerichtsstuben heraus . . .«

Schwach ward bald blaß, bald roth.

»Ein Prozeß ist gegen . . . gegen Sie anhängig.«

»Gegen mich?!« Und Schwach fuhr in seinem Sessel vor Schreck halb in die Höhe.

»Beruhigen Sie sich . . . pst . . . Verschwiegenheit!«

»Und wer . . .«

»Prozessirt gegen Sie . . .?« Ziesewitz sah um sich, machte eine ziemlich lange Pause und streckte endlich seinen Mund gegen Schwach's Ohr: ». . . Käsemenger!«

»Käsemenger!« Und Schwach fuhr von seinem Sitze nun ganz empor. Einen Augenblick stand er überrascht stille, dann rief er plötzlich: »O Schnepselmann, Schnepselmann!«

»Pst, ich bitte Sie, verlauten Sie vorläufig nichts davon!« sagte Ziesewitz, obwol es ein solches Geheimniß war, als ob die Glocke die Stunde geschlagen hätte, und Ziesewitz es am Besten wissen mußte, denn er und kein Anderer war Käsemenger's Advokat.

»Käsemenger . . . was will Käsemenger?« fragte endlich Schwach.

»Es betrifft . . .« hier flüsterte der humane Advokat, »eine Heirat.« Er zuckte die Augenbrauen. »Eine Heiratsangelegenheit, einen unterfertigten Kontrakt, Fräulein Esmeralda . . . .« 288

»Schnepselmann, Schnepselmann!«

»Nun, mein verehrtester, bester, betrübtester Freund! Hatte ich nicht Recht, wenn ich vorhin alles Betrübende über die Menschheit sagte? Was ist gegen solche Inhumanität zu thun? Rüsten müssen Sie sich, waffnen mit dem Rechte und der scharfen Waffe des Gesetzes! Sie sind trotzdem ein Glückskind, ein wahres Glückskind; denn im Vertrauen, im größten Vertrauen –« er zuckte die Augenbrauen – »den Prozeß hat ein Advokat in die Hände bekommen, der Ihnen wohl will. – Verschwiegenheit! Der Mann, der den Prozeß führt, ist ein Menschenfreund, er sucht blos die Wahrheit, seine Leidenschaft ist in Allem die Wahrheit zu finden; und wenn er den Prozeß angenommen, so hat er es nur gethan, um den Sieg des Rechtes und der Humanität desto eher glänzen zu lassen!«

»Wer ist er?«

»Stille . . . wir sind doch nicht belauscht . . . es ist Ihr Freund . . . der Advokat . . .«

»Wer ist er?«

Ziesewitz erhob sich, verbeugte sich sehr ehrfurchtsvoll, und sagte gemessen: »Ich bin es!«

Schwach that unwillkührlich einen langen Schritt von ihm zurück und sah Ziesewitz wie ein Gespenst an.

Ziesewitz rückte ihm gefaßt nach, faßte ihn bei der Hand und flüsterte wieder: »Ganz wie ich Ihnen sage; ich bin der Vertreter Käsemenger's. Aber nur verschwiegen, es bleibt Geheimniß!«

»Aber . . . aber . . .« stammelte der entsetzte Schwach.

»Ich weis, was Sie sagen wollen,« flüsterte Ziesewitz. »Sie wollen mir entgegnen: Wie können Sie eine ungerechte Sache annehmen? – Bedenken Sie aber den Stand 289 der heutigen Advokaten. Bedenken Sie! – Geht Käsemenger einen Schritt weiter, neben mein Haus, so findet er leider Gerichtsanwälte genug, welche nach dem Casus greifen, ihn mit Wonne auffassen und die monströseste Zwistigkeit daraus machen, die seit lange da gewesen ist! – Betrachte ich die Angelegenheit nicht von einem andern, von dem humanen Punkte, erkenne ich nicht gleich Recht und Unrecht, so lasse ich die Sache, ohne daß mein Gemüth bewegt wird, gleichgiltig fahren. – Ich griff aber darnach, mit aller Emsigkeit und Eiligkeit, die ich nur anwenden konnte, denn sie ist eine Gelegenheit, das Recht siegen zu lassen, schnelle Erledigung herbeizuführen, den Triumf der Menschlichkeit zu befördern und einer betrübten Partei die möglichst geringen Kosten zu verursachen!«

»Sie werden aber doch Käsemenger's Sache führen?«

»Allerdings, das werde ich.« Er sah sorgfältig um sich. »Ich werde mich ganz auf Käsemenger's fiktionären Standpunkt stellen. Ich werde seine Scheingründe, seine aus allen Möglichkeiten zusammengerafften Unterstützungen eines vermeintlichen Rechtes, in reiner Darlegung zusammenfassen, als wenn die Sache eine gerechte wäre. Diese klare Auseinandersetzung, dieses scharfe Ansichtigmachen des Rechtes und Unrechtes, meinen Sie, Wem kann das Alles zu gute kommen?«

Schwach wartete selbst, neugierig, auf die Antwort zu dieser Frage.

Ziesewitz flüsterte, indem er sich noch näher an ihn neigte und die Augenbrauen zuckte: »Dem Gerechten! Verstehen Sie? Dem Gerechten! – Ich diene also auch in dieser Art der Gerechtigkeit und Humanität!«

Schwach war unwillkührlich bei Ziesewitz's Flüstern 290 und Vorneigen noch mehr zurückgewichen. Der Advokat folgte aber sehr konsequent und gelassen.

»Und glauben Sie nicht,« sagte endlich Schwach in seiner Gemüthserregtheit, »daß ich der Gerechte bin?«

»Allerdings, mein bester Freund! Aber es bleibt unter uns. Denn hätte ich sonst den Prozeß angenommen? Hätte ich ihn nicht den andern, gewissenlosen Anwälten überlassen können, die Alles nehmen, selbst den Sieg der Ungerechtigkeit mit verhärtetem Herzen herbeizuführen bereit sind – welche die Prozesse verlängern, verwickeln, die Kosten verdreifachen? Das erkannte ich! Und ich nahm den Prozeß, aus Freundschaft für Sie, aus Aufopferung und Menschenliebe! – Aber,« flüsterte er und zuckte wieder die Augenbrauen, »nur verschwiegen, ich bitte Sie, es bleibt Geheimniß!«

»Und Sie haben schon Schritte gegen mich gethan?«

»Indem ich mit Ihnen spreche, ist die Angelegenheit bei Gerichte anhängig gemacht, und die Verständigung muß nächster Tage an Sie erfolgen.«

»Schnepselmann, Schnepselmann!«

»Sie nannten bereits wiederholt den Namen dieses Herrn, der, da ich in die Sache nun genau eingeweiht bin, Sie mißleitet hat. Erlauben Sie mir, Ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit einen humanen und wohlwollenden Rath zu geben. Lassen Sie sich in dieser Angelegenheit nicht von jenem Herrn führen. Ich will ihm nicht gerade mißtrauen; aber . . . die Welt ist heute . . .« Er zuckte die Augenbrauen. »Kurz, schärfen Sie Ihren Geist. – Ich will mit meiner Erfahrung und meinem in Schmerzen gestählten Geiste das Möglichste für Sie thun!« 291

»Da muß ich mich ja ebenfalls von einem Advokaten bei Gerichte vertreten lassen.«

»Das ist es,« flüsterte Ziesewitz, »das ist mein Rath, auf den ich zu sprechen kommen wollte! Sie brauchen einen Mann. Sie müssen einen Advokaten zum Vertreter nehmen, der die Sache mit humaner Theilnahme auffaßt, und doch mit scharfem Blicke dem trüben Wasser auf den klaren Grund sieht. Ich wüßte Ihnen einen Mann, für dessen wahren Menschensinn, für dessen humane Leidenschaft bezüglich der guten Sache, die zahlreichsten Beweise vorhanden sind, und der, in geringer Berechnung von Kosten, einen Ruf genießt.«

»Wie heißt er? Ich bitte!« fragte Schwach eifrig.

Ziesewitz nahm ihn bei der Hand und sah sich sorgfältig in der Stube um, indem er den Kopf in der weißen Rotunde hin und her bewegte. Endlich heftete er das Kinn fest, zuckte die Augenbrauen, neigte sich vor und flüsterte: »Er heißt . . . Dr. Karolus Magnus Ziesewitz!«

Schwach wich entsetzt abermals einen langen Schritt zurück, und starrte dem Eigenthümer dieses Namens sonderbar ins Gesicht.

Ziesewitz rückte nach. »Ziesewitz . . . ich . . . allerdings!«

»Aber wie können Sie . . .?« Schwach rückte unwillkührlich noch mehr zurück. Der Advokat ließ ihm die Distanz nicht, und so waren sie endlich Beide fest in einen Winkel gedrängt. – Das war der Punkt, in dem sich Ziesewitz sehr behaglich und Schwach sehr unbehaglich fühlte. »Das ist der ernste Moment,« flüsterte Ziesewitz, mit einem sehr starken Zucken der Augenbrauen, und indem er Schwach 292 an dem Arme nahm, »zu dem ich gelangen wollte. – So schlimm ist die Welt heute bestellt, daß man die seltsamsten Wege betreten muß, um zu dem Ziele des wahrhaft Guten und Humanen zu gelangen! – Käsemenger ist mein Klient, er ist es! Ich diene dem Rechte, der Humanität, der Wahrheit, indem ich den Prozeß den andern, gewissenlosen und gefühlsleeren Advokaten entreiße. Indem ich den Prozeß so selbst in die Hand nehme, feiert die Humanität einen Sieg! – Käsemenger will prozessiren. Wolan, wird die Sache besser wenn ein Anderer den Prozeß hat? Nein, sie wird schlimmer! Ich nehme sie also, mein Herz betheiligt sich an einem edlen Werke, die Führung geht rascher, die Absicht ist humaner, die Auslagen sind kleiner. – Nun komme ich noch zu Ihnen, gedrungen von einem vorherrschenden Gefühle der Humanität, im Vertrauen, daß Sie der Mann sind, der Geheimnisse bewahren kann, und sage: Freund, hören Sie, dieses Unrecht soll Ihnen zugefügt werden, diese Unbill sollen Sie erleiden! – Geben Sie einem andern Advokaten Ihre Angelegenheiten, so haben zwei Personen sich zu verständigen; das erfordert Zeitaufwand und höhere Kosten. Habe aber ich Ihre Sache auch in Händen, so weiß ich im Rechtseifer, was gegen das Eine oder das Andere einzuwenden ist, und ich erfülle nur die gerichtlichen Formen! Die Form der Vertretung, unter verschiedenen Namen, so daß meine Betheiligung beiderseits nicht Jedem klar werde, das überlassen Sie nur mir, das ist bei den Inhumanen eine alte, häufige Praxis! – Fürchten Sie nicht das Schwierige für mich. – Haben die Philosophen des Alterthums nicht das Gleiche gethan? Haben nicht Sokrates, Aristoteles, Cicero Streitschriften abgefaßt in Gesprächs-Form, worin sie sich alle Mühe geben das 293 Schlechte ebenso zu vertreten als das Gute? Doch das Gute siegt! – Das ist die rechte Art, den Humansten nachzustreben. Und ich bin der Mann dafür, Advokat Dr. Carolus Magnus Ziesewitz! Nichts ist mir zu schwer, wenn es das Recht gilt, wenn die Humanität herausgefordert wird! Ich opfere meine Nächte, ich erschöpfe meinen Geist gerne für Sie, Herr Schwach. Recht und Humanität müssen siegen, werden siegen, die Prozeßdauer muß von der größten Kürze sein und die Expens-Note so gering, daß ein Mann von Ihrem Vermögen wohlwollend lächeln soll! – Herr Schwach, aus Aufopferung für die Menschheit, für die große Sache der Humanität – wolan« – er neigte sich fest an sein Ohr – »ich bin Ihr Advokat! –«

Ehe noch Schwach erstaunt, überwältigt, verwirrt von dieser Logik und überfließenden Suada etwas einwerfen konnte, faßte Ziesewitz neuerdings dessen Hand und lispelte vertraulich, indem er alle seine Gestikulationen des Geheimnisses machte: »Aber . . . können Sie schweigen? – Also Stillschweigen, unverbrüchliches Geheimniß, morgen oder längstens übermorgen haben Sie Ihre erste Vertheidigung! – Verschwiegenheit – Alles unter uns – ich habe die Ehre mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen!«

Somit schnellte er eilends zur Thüre hinaus, ohne eine Entgegnung abzuwarten. 294



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