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Neunzehntes Kapitel

Dienstags gegen Abend empfing Mrs. Douglas einen Besuch von der Gräfin von Sunbury und von Lady Constance.

»So ist also«, sagte sie, als sie sich schon eine Weile unterhalten hatten, »der verlorene Sohn wieder heimgekehrt. Nun, das freut mich sehr.«

»Es freut mich ebenfalls dieses törichten Kindes wegen«, sagte Lady Sunbury. »Es ist keine besonders brillante Partie für sie, aber er hat sich so anhänglich gezeigt. Sie hat ihn sehr schlecht behandelt, nach meiner Meinung zu schlecht. Als sie ihn vor drei Jahren von Sunbury wegschickte, glaubte ich nicht, er würde jemals wiederkommen. Aber sie kannte ihn besser als ich, und jetzt hat sie endlich ja gesagt.«

Lady Constance errötete und hatte auch allen Grund dazu, wie Mrs. Douglas dachte.

»Übrigens«, fuhr die Gräfin fort, »freut es mich auch Marmadukes wegen. Er steht sich sehr gut dabei. Er wird Briars bekommen und eine große Farm. In Anbetracht, daß Constance die jüngste Tochter ist, ist es wirklich ein seltener Glücksfall, daß sie ihm Land einbringt.«

»Hoffentlich werden Sie ihn jetzt besser behandeln, da Sie ihn solange haben warten lassen«, sagte Mrs. Douglas, sich zu Constance wendend. »Wenn er Sie geheiratet hat, darf er sich nicht länger wie ein großer Junge aufführen.«

»Ich werde ihn mit einer eisernen Rute regieren«, sagte Constance. »Er ist leicht lenkbar.«

»Seien Sie dessen nicht zu sicher, meine Liebe«, sagte Mrs. Douglas. »Selbst die besten Männer verlangen viel gute Laune. In der Ehe kommt es mehr als bei andern Dingen auf Geben und Empfangen, Leben und Lebenlassen an. Wann soll die Hochzeit stattfinden?«

»Anfangs Frühjahr, denke ich«, sagte die Gräfin. »Marmaduke wünscht noch ein früheres Datum. Ich weiß wirklich nicht, wie wir rechtzeitig fertig werden sollen. Aber es muß sein. Ich werde Constance sehr vermissen.«

»Zweifellos. Aber Sie haben auch Grund, auf Ihre Töchter stolz zu sein.«

»Sie haben alle wundervolle Partien gemacht, ich weiß gar nicht wie. Heutzutage gehen die hübschesten und vollkommensten Mädchen von einer Saison zur andern – und niemand beachtet sie. Meine Kinder bin ich schon losgeworden, ehe ich mich richtig ihrer Begleitung in der Gesellschaft erfreuen konnte. Aber für die schüchterne, kleine Constance hätte ich wer weiß was getan. Weil wir gerade von Kindern reden, Mistreß Douglas, was macht denn Ihr Herr Sohn jetzt?«

»Er weilt in der Stadt, aber ich weiß nicht viel von seinen Arbeiten. Er vertraut selbst mir nichts davon an. Er studiert.«

»Ach, ich habe oft gedacht, wenn doch Jasper nur so wäre wie er! Sholto ist ein so tiefer Mensch und doch so höflich. Er ist bei weitem der ansehnlichste und würdigste Mann in London. Er macht auf mich so den Eindruck von verhaltener Kraft! Wann will er heiraten? Ich weiß so viele ausgezeichnete Mädchen, die über ein Wort von ihm stolz wären. Aber er ist so streng. Er steht auf einem so hohen Standpunkt, daß ich fürchte, er wird sich nie herablassen, eine Wahl zu treffen.«

»Ich wollte, er würde es tun«, sagte Mrs. Douglas. »Ich fühlte, daß ihm etwas Verantwortlichkeit mehr Halt geben würde. Er ist so zartfühlend, das Leben trifft ihn viel härter als andere Menschen. Er hat sehr hohe Ideen über die Gefühle, die man gegen die Frau empfinden muß, die man heiraten will. Sich aus Verstandesgründen zu verheiraten, würde ihm unehrenhaft erscheinen; und er ist nicht imstande, auch nur um Haaresbreite von seinem Standpunkt der Ehre abzuweichen.«

»Das meinte ich gerade, als ich sagte, er ist so streng. Er ist sicherlich ein Ehrenmann durch und durch. Noch neulich sagte der Graf, er sei ein so vollendeter Gentleman.«

»Das ist er – jeder Zoll an ihm«, sagte Mrs. Douglas.

»Es hat mir so leid getan, daß er nicht Marian Lind geheiratet hat. Sie schienen doch so füreinander geschaffen.«

»Marian dachte anders.«

»Natürlich hat sie wohl daran getan«, sagte die Gräfin. »Mister Conollys Stellung ist eine ganz hervorragende, und niemand kann seine Tüchtigkeit und sein Genie als Erfinder leugnen. Ich habe nie ein Wort gegen ihn gesagt und war immer froh, sowohl um seinetwillen als um Jaspers willen, wenn ich ihn in meinem Hause hatte. Aber ihn mit Ihrem Sholto zu vergleichen, wäre lächerlich.«

»Ich habe ihn nie gesehen.«

»Nie gesehen! Aber, mein Gott, ich dachte doch. Mister Douglas ist doch so oft in seinem Hause. Aber ich vergaß ja: Sie gehen niemals aus.«

Mrs. Douglas blickte schnell auf, als ob sie irgendeine verborgene Gefahr gewittert hätte. »Oh, da irren Sie sich«, sagte sie nach einer Pause. »Sholto geht niemals zu den Conollys. Er hat dort einmal gespeist, Ende der vorigen Saison. Aber er hat es vermieden, wieder hinzugehen. Mister Conollys Gesellschaft ist ihm denn doch nicht passend.«

»Wirklich«, sagte die Gräfin höflich. »Liebe Constance, es ist Zeit, wir müssen gehen.«

»Ja, Mama«, sagte Lady Constance. »Adieu, liebe Mistreß Douglas.«

Mrs. Douglas küßte sie und wünschte ihr Glück. Als sie gegangen waren, saß sie eine Weile da und dachte an ihren Sohn und wie unglaublich das alles war, was die Gräfin leise angedeutet hatte über die Besuche in Holland Park. Sie fuhr auf, als das Mädchen eine Karte hereinbrachte.

»Ein Herr fragt, ob er Sie sprechen kann, Madame.«

»Conolly!« sagte Mrs. Douglas, als sie die Karte las. »Ist es möglich –? Ja, Holland Park.« Einen Augenblick dachte sie nach und bat dann das Mädchen, den Besuch hereinzuführen. »Ich glaube, der Mann will mir seine Aufwartung machen«, sagte sie und setzte sich in ihrem Stuhl zurecht, indem sie sich vornahm, so herablassend und gütig zu sein, wie sie nur konnte. Aber diese Absicht und das Gefühl, das sie dabei hatte, verschwanden aus ihrer Seele, als Conolly eintrat. Eine unbestimmte Vorstellung, er sei ein berühmter Arzt, der eine schreckliche Operation an jemand vornehmen will – vielleicht an ihr selbst –, kam über sie. Sie schüttelte sie ab, und es gelang ihr, ihn mit hinreichender Würde zu empfangen; aber sie fühlte sich ganz hinfällig und hilflos und wäre davongelaufen, wenn das möglich gewesen.

»Wie die meisten unerwarteten Besucher«, sagte er entschlossen, als er Platz genommen, »bringe ich Ihnen üble Nachrichten.«

»Über – über –?«

»Über Ihren Sohn? Ja. Bitte, beunruhigen Sie sich nicht. Er ist lebendig, wohl und glücklich. Aber er hat etwas getan, was Ihnen, wie ich fürchte, Schmerz bereiten wird.«

Mrs. Douglas fand, als sie von ihrer ersten Befürchtung eines Unglücksfalles befreit war, ihren ganzen Stolz wieder, mit dem sie über ihren Sohn zu Lady Sunbury gesprochen hatte. »Ich bin sicher, daß er nichts getan hat, worüber er nicht eine völlig ausreichende Erklärung geben kann«, sagte sie.

»Ich weiß, Sie hängen sehr an ihm«, sagte Conolly sanft. »Aus diesem Grunde komme ich selbst zu Ihnen, um es Ihnen zu erzählen, weil es Ihnen sonst in roher Weise von Leuten mitgeteilt würde, mit denen es Ihnen vielleicht nicht angenehm wäre, über das Betragen Ihres Sohnes zu diskutieren.«

»Ich wünsche mit niemand – gleichgültig, wer es ist – darüber zu diskutieren«, sagte sie klagend, indem ihr Stolz etwas sank.

»Mister Douglas ist seit letzten Sommer sehr oft mein Gast gewesen«, fuhr er fort. Er schwieg einen Augenblick; denn Mrs. Douglas, die jetzt überzeugt war, daß ihr Sohn sie getäuscht hatte, war heftig betroffen. »Es scheint, daß er sich während seiner Besuche in meine Frau verliebt hat. Am Sonntag, während ich in Glasgow war, sind sie miteinander fortgegangen, und ich habe seitdem nichts mehr von ihnen gehört.«

Mrs. Douglas sah ihn einen Augenblick in stummem Schmerz an. Dann sagte sie mit gebrochener Stimme: »Sie war geboren, sein Untergang zu sein.«

Conolly sagte nichts. Er hatte keine Sympathie mit ihr, aber sie tat ihm leid.

»Sie hat ihn zuerst verführt. Wenn alle so etwas tun könnten, ihn hätte keine außer ihr mit diesem Schimpf bedeckt. Sie hat ihren Vater betrogen, sie hat mich betrogen. Und Sie natürlich auch.«

»Ich fürchte, sie hat sich selbst betrogen.«

»Ich hoffe es. Sie wird es eines Tages einsehen. Sie sollte sich vor sich selber schämen. Mein Sohn ist einer unehrenhaften Handlung nicht fähig, mein Herr. Ich bin es nicht allein, die das sagt. Gerade bevor Sie kamen, waren Lady Sunbury und ihre Tochter hier, und sie sagten aus sich heraus dasselbe. Der Graf, einer der ersten Gentlemen des Landes, wird für ihn zeugen. Er war von Sinnen – verblendet. Marian hatte kein Recht, ihn nach ihrer Hochzeit zu sehen oder zu sprechen. Keine brave Frau würde so gehandelt haben. Ich sagte es ihr selbst; sie kann nicht sagen, sie sei nicht gewarnt worden. Sie hing sich an ihn, weil sie ihn zugrunde richten wollte. Sie ist ihrer Mutter noch über.«

»Es ist zu spät, jetzt dem armen Mädchen Vorwürfe zu machen.«

»Ja, das ist das, was ihr Männer sagen werdet. Ich will Sie nicht tadeln, Herr. Aber wenn Ihre Frau meinen Sohn ruiniert hat, glauben Sie, daß ich dann über sie schweigen kann?«

»Mistreß Douglas,« antwortete Conolly ernst, »Ihr Sohn hat meine Frau ruiniert. Habe ich es für nötig gefunden, ihm auch nur einen einzigen Vorwurf zu machen?«

»Er konnte nicht dafür. Wenn Sie verstehen, was ein Gentleman ist, dann wissen Sie auch, daß mein Sohn verführt sein muß, bis er nicht mehr Herr seiner Sinne war.«

»Sie werden wenigstens zugeben,« sagte Conolly mit geduldigem Lächeln, »daß Mister Douglas wider Willen in gewissem Sinne den Verführer gespielt hat. Ein hübscher, distinguierter und galanter Gentleman und Poet hat schon als solcher ebensoviel Einfluß über Frauen, wie Marian durch ihre Schönheit über Männer.«

»Warum hat sie denn nicht – aber Sie kennen nicht ihre Vergangenheit. Es tut mir leid, daß Ihre Ehe einen so unglücklichen Ausgang genommen hat. Ich weiß, es ist nicht Ihr Fehler, Mister Conolly.«

»Sie sind sehr gütig«, sagte Conolly, sich erhebend. »Es ist niemands Fehler, Mistreß Douglas. Kann ich Ihnen sonst in irgend etwas zu Diensten sein?«

Eine Angst beschlich sie bei diesem Aufbruch, den sie nicht erwartet hätte. Sie erhob sich ebenfalls und sagte verwirrt: »Ich billige es nicht, was mein Sohn getan hat. Niemand kann es tiefer fühlen als ich. Aber ich muß ihn gegen ungerechte Angriffe verteidigen.«

Conolly sah sie einige Sekunden traurig an, wobei ihre Unruhe wuchs. »Habe ich ihn angegriffen?« fragte er.

»Nein, das behaupte ich nicht. Aber Sie fühlen vielleicht –«

»Ich könnte vielleicht gegen ihn fühlen, was er ohne Zweifel gegen mich fühlen würde, hätte ich ihm etwas Derartiges angetan. Fürchten Sie nichts, Mistreß Douglas«, fügte er hinzu, als er sah, daß irgend etwas in seinem Ton sie erschreckt hatte: »Ich bin kein Gentleman, und ich blicke nicht so auf das Leben, wie Ihr Sohn das tut. Ich würde noch weniger gesagt haben, als ich es tat, aber es scheint mir hart, daß Sie alle Schuld auf Marian schieben, die, wie ich denke, von Ihnen milder beurteilt werden müßte als von irgend jemand anders. Ich kenne sie gut, und ich bin überzeugt, daß eine vorbedachte Hintergehung ihr unmöglich ist.«

»Und ich, mein Herr, die ich meinen Sohn sein ganzes Leben lang kenne, wiederhole Ihnen, daß er nicht imstande ist, mit Absicht die Ehre seines Wirtes zu beschmutzen.«

»Seien Sie versichert,« sagte Conolly, indem er seinen Kopf neigte, »meine Ehre habe ich schon bewahrt, ich habe nur meine Frau verloren. Doch die Welt wird sagen, daß er mein Weib bekommen und seine Ehre verloren hat. Ich wiederhole aber solche Phrasen nicht, sie sind für mich ohne Bedeutung. Aber auch so würde ich Sie in Ihrer Ansicht nicht stören, wenn ich glaubte, daß sie Ihnen irgend etwas für die Zukunft nützen könnte. Was kann es Sie trösten, wenn Sie über die Schwäche Ihres Sohnes und die Arglist meiner Frau brüten? Beides ist ja gar nicht vorhanden. Sie sind geflohen, weil sie glaubten, sie würden zusammen glücklicher sein. Wenn sie sich darin täuschen, werden sie um so klüger sein. Wenn nicht – schön und gut, dann wird Marian Ihre Schwiegertochter.«

»Niemals.«

»Im Falle ich, wie es möglich ist, Mister Douglas binnen kurzem treffe, soll ich ihm sagen, daß Marian sich auf keinerlei Verzeihung von Ihnen Hoffnung machen darf?«

»Hoffentlich«, sagte Mrs. Douglas zitternd, »verbirgt sich hinter Ihrer Ruhe nicht irgendein abscheuliches und nutzloses Verlangen, an meinem unglücklichen Sohn Rache zu nehmen.«

»Ich bin glücklich, daß ich jetzt, da ich es zu beweisen habe, mich frei von solchen Leidenschaften finde.«

Es entstand eine Pause, während der Mrs. Douglas ihn in sprachloser Verwirrung ansah. »Ich weiß nicht, was Sie meinen,« sagte sie endlich äußerst ängstlich, »aber ich flehe Sie an, gehen Sie nicht zu ihm. Er ist heißblütig und sehr empfindlich. Sie wissen nicht, was geschehen könnte.«

»Ich kann Ihnen versichern, wir werden nicht versuchen, einander zu töten. Gestatten Sie mir, daß ich nochmals mein Bedauern ausdrücke, daß ich Ihre Bekanntschaft nur machen durfte, um Ihnen Schmerz zu bereiten. Wenn ich Ihnen noch mit etwas dienen kann, bitte, sagen Sie es mir. – Guten Morgen.«

Mrs. Douglas erwiderte seine Verbeugung, war aber nicht imstande, noch ein Wort zu sprechen. Er wollte gerade gehen, als das Mädchen Mr. Lind meldete.

»Wenn Sie erlauben, warte ich noch einen Augenblick«, sagte Conolly. »vielleicht wünscht er mich zu sprechen.«

Als Reginald Lind Conolly sah, vergaß er, die Wirtin zu begrüßen, und stand wie versteinert da.

»Guten Morgen, Mister Lind«, sagte Conolly.

»Haben Sie Mistreß Douglas von dem Schimpf erzählt, den ihr Sohn über uns gebracht hat?« sagte Mr. Lind drohend.

»Ich habe ihr erzählt, was geschehen ist. Da ich mich selbst nicht beschimpft fühle, habe ich das auch nicht gesagt, und ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß ich auch sonst nichts Unfreundliches hier über Mister Douglas gesagt habe.«

»Das ist sehr schön, mein Herr. Niemand kann mehr Bedenken tragen, eine Dame zu verwunden, als ich, aber der gegenwärtige Augenblick ist nicht geeignet für Komplimente. Wenn Sie als Gatte gleichgültig sind gegen die Schmach, die Sie erlitten haben, ich als Vater bin es nicht. Madame, ich habe immer auf Mister Sholto als einen Ehrenmann geblickt. Er behauptete, es zu sein, und ich glaubte es ihm. Ich betrachtete ihn fast als Sohn. Zu meinem Schmerz habe ich eingesehen, daß ich mich geirrt habe. Seine jüngste Aufführung kann ich nur als eine solche bezeichnen, die eines Gentlemans unwürdig – sehr unwürdig ist.«

Mrs. Douglas, die nicht imstande gewesen war, Conolly etwas Stichhaltiges zu erwidern, fühlte sich nicht mehr so wehrlos, als Mr. Lind den Gegenstand auf eine niedrigere Stufe brachte. »Wirklich!« rief sie in wachsender Erregung aus. »Was halten Sie denn von der Aufführung Ihrer Tochter? Würde irgendeine Dame Sholto so behandelt haben, als sie es tat? Würde irgendeine anständige Frau ihn veranlaßt haben, sie zu besuchen, nachdem sie mit einem andern verheiratet war? Sie sagen, Sie hätten ihn als Sohn betrachtet. Ich kann Ihnen in Gegenwart von Mister Conolly versichern, daß ich sie wie meine Tochter behandelte, und daß sie als Mädchen öfter mit mir zusammen lebte als mit Ihnen. Sholto brauchte Gott sei Dank keine Elternsorge von Fremden! Und jetzt, da sie zum Dank für meine Güte meinen Sohn ruiniert hat, dürfen Sie alle Schuld auf ihn werfen.«

»Ich – ich bemäntele Marians Torheit nicht. Aber Ihr Sohn mußte sie als Gentleman beschützen. Statt dessen verführte er sie.«

»Sie ermutigte ihn. Sie bat ihn, sie zu besuchen.«

»Er hatte kein Recht, hinzugehen. Ich bin überzeugt, er drängte sich ihr auf und vergalt dann die erschlichene Gastfreundschaft damit, daß er das Weib seines Wirtes verführte.«

»Auf ein Wort«, sagte Conolly. »Mister Douglas war unser regelmäßiger Sonntagsgast, und er war in meinem Hause willkommen. Erlauben Sie, daß ich jetzt gehe, Mistreß Douglas. Ich glaube, daß ich bei dieser Auseinandersetzung über elterliche Gefühle nicht am Platze bin. Guten Morgen.« Er verneigte sich nochmals und ging hinaus. Sein ruhiges Dazwischentreten ernüchterte die beiden und beschämte sie sogar etwas. Aber als er gegangen war, gerieten sie wieder in die frühere Aufregung.

»Da haben Sie es, Ihre Anschuldigung, Sholto habe sich eingeschlichen, ist falsch!« sagte Mrs. Douglas. »Ich bin sicher, er betrat das Haus nicht, ohne dazu gedrängt zu sein.«

»Je willkommener er war, desto niederträchtiger hat er gegen die gehandelt, die ihn so aufgenommen haben. Meine Tochter war eine Dame von fleckenlosem Ruf, und es ist für mich klar, daß Ihr Sohn ihre Grundsätze in schimpflichster Weise untergraben hat, um sie soweit irrezuleiten, wie er es getan hat. Seine Handlungsweise zeigt es ja.«

» Marians Handlungsweise zeigt, wer den andern auf Abwege geführt hat. Wenn Sie nicht durch Ihre Gefühle verblendet wären, Mister Lind, würden Sie der erste sein, der das zugäbe.«

»Mistreß Douglas, Sie sind es, die sich Mühe gibt, mich blind zu machen. Ich traf gerade Lady Sunbury und hörte von ihr, daß Sie nicht einmal etwas von den fortwährenden Besuchen Ihres Sohnes bei Marian wußten. Er hat seit Monaten regelmäßig jeden Sonntag in Holland Park gegessen. In Sark benutzte er die Gelegenheit, daß Marian allein war, um ihr in einer Weise nachzustellen, daß sie nach Hause kommen mußte. Mistreß Leith Fairfax klärte Mister Conolly über die offene Nachstellung auf, der seine Frau ausgesetzt war, und er schrieb ihr und verlangte ihr sofortiges Zurückkommen. Sie erzählten Lady Sunbury, Sie wüßten gar nichts davon. Können Sie leugnen, daß Sholto Sie getäuscht hat? Das zeigt seine böse Absicht. Wenn er nicht von Anfang an den Plan zu der schlechten Tat gehabt hätte, die er jetzt ausgeführt hat, dann würde er – würde er Ihnen die Dinge nicht falsch dargestellt haben.«

Mrs. Douglas konnte das nicht leugnen und war darüber mehr bekümmert als über sonst eine Einzelheit in der Aufführung ihres Sohnes. Sie setzte sich nieder und begann zu weinen. Mr. Lind sah sie unschlüssig an und ging einige Augenblicke im Zimmer auf und ab. Dann setzte er sich in ihre Nähe und bedeckte sein Gesicht mit einem Taschentuch.

»Andern Leuten machen die Kinder Freude«, sagte er. »Meine sind mir ein Fluch. Reginald hatte alle günstigen Aussichten, die ein junger Mann nur haben konnte, und er ist ein Verschwender geworden. George mußte erst aus der Hochkirche austreten, bevor er sich eine Position erringen konnte. Und Marian, auf die ich alle meine Hoffnungen vereinigt hatte, wie erfüllt sie sie? Sie heiratet den allergewöhnlichsten Menschen und beschimpft mich dann vor der Öffentlichkeit durch eine skandalöse Flucht.«

»Ich kann sagen, ich habe für Sholto mein Leben hingegeben«, sagte Mrs. Douglas schluchzend. »Ich glaubte nicht, daß er das Herz haben könnte, mich zu täuschen.«

»Sie sind alle gleich. Sie denken nur an sich selbst. Wir schenken ihnen das Leben und erhalten sie durch jahrelange Sorge und Mühe, bis sie sich ohne uns helfen können. Sobald ihr eigenes Wohl auf dem Spiele steht, werden wir geopfert.«

»Der Himmel vergebe mir, was ich sage, aber keine Selbstsucht und keine Grausamkeit ist so groß wie die Selbstsucht und Grausamkeit eines Kindes.« Hier war Mrs. Douglas ganz überwältigt, dann aber fügte sie hinzu: »Wir müssen es tragen, so gut wir können.« Sie trocknete ihre Augen und richtete sich auf.

»Ich würde es nicht so schlimm nehmen,« sagte Mr. Lind, indem er sein Taschentuch wegsteckte, »wenn die Folgen vor der Öffentlichkeit nicht wären. Der Name Conolly wird auffallen. Jeder weiß, daß seine Frau meine Tochter ist. Wenn die unglückliche Geschichte vor Gericht kommt, werden unsere Familien durch den Kot geschleift.«

»Gericht! Es darf nicht vor Gericht. Kann das auch nur möglich sein –? Oh, Mister Lind, das muß auf alle Fälle verhindert werden.«

»Wie denn, bitte? Was liegt diesem Radikalen an der Ehre einer alten Familie? Glauben Sie, er wird auf eine Entschädigung verzichten, selbst wenn man ihn dazu bringen kann, auf seine Aussicht zu verzichten, uns und unsere Klasse mit in den Schmutz zu ziehen? Bevor sie noch eine Stunde fort war, hat er schon seinen Entschluß, sich scheiden zu lassen, ausgedrückt.«

»Und werden unsere Namen in die Zeitungen kommen?«

»Natürlich werden sie das. Conolly contra Conolly und Douglas wird für einige Wochen dick auf den Reklamen für die Zeitungen stehen. Meine Tochter wird die Beklagte, Ihr Sohn der Mitbeklagte sein. Dieser Mann, der sich in unsere Kreise hineingedrängt hat, wird als Kläger auftreten. Und die Hefe von London wird dem Sieger in dem Streit zujubeln. Diese verwünschten Familienblätter werden überhaupt nichts anderes mehr enthalten. Ich gerate außer mir, wenn ich daran denke.«

»Es schmerzt mich, daß ich so etwas erleben muß. Und was kann ihnen geschehen?«

»Sie werden vermutlich geschieden werden, und Sholto wird Conolly wer weiß wie viele tausend Pfund bezahlen müssen.«

»Und dann?«

»Es ist sehr gleichgültig, was dann geschieht«, sagte Mr. Lind verdrießlich. Einen Augenblick darauf fand er aber sein gewöhnliches würdiges Benehmen wieder und fügte hinzu: »Dann, möchte ich sagen, ist Mister Douglas in der Lage, die Sache wieder in Ordnung zu bringen, indem er sie heiratet.«

Mrs. Douglas schloß ihre Lippen fester zusammen und faltete die Hände auf ihrem Schoß. »Es ist alles in allem eine sehr häßliche Geschichte«, sagte sie nach einer Pause.

»Es ist eine schreckliche Affäre – schrecklich! – Aber –!«

»Es kann natürlich nichts daran geändert werden«, sagte Mrs. Douglas mit einem tiefen Seufzer. »Ich habe kaum geglaubt, unsere Pläne für Marian würden solch ein Ende haben. Der Mensch denkt, und Gott lenkt.«

Mr. Lind schüttelte ernst seinen Kopf und erhob sich. »Es ist besser, wir reden jetzt nichts mehr darüber«, sagte er. »Es ist ein schmutziger Gegenstand.«

»Ja«, sagte sie. »Wir sehen uns doch wieder.«

»Gewiß. Ich werde Sie im Laufe dieser Tage noch einmal besuchen.«

»Es wird mich sehr freuen. Adieu, Mister Lind.«

Sie gaben sich die Hand und schieden. Dann sagte sie zu dem Mädchen: »Wenn Mister Lind – der Herr, der jetzt gerade gekommen ist – im Laufe der Woche noch einmal vorsprechen sollte, sagen Sie ihm, ich sei zu unwohl, um irgend jemand zu sehen. Sagen Sie niemand – gleichgültig, wer es ist, ich sei zu sprechen, bevor Sie mich nicht gefragt haben.«

»Ja, Madame.«

Übrigens beschloß Mr. Lind, als er Mrs. Douglas verlassen hatte, von selbst, in Zukunft nicht mehr auf Chester Square vorzusprechen. Auf seinem Wege dorthin hatte er Lady Sunbury getroffen und ihr Marians Flucht mitgeteilt. Die Gräfin, begierig auf genauere Nachrichten, fuhr sofort zu Mrs. Fairfax und beglückte sie als besondere Freundin der Familie mit den Neuigkeiten über Lady Constance und Marmaduke. Als das besprochen war, setzte sich Lady Sunbury näher an ihre Wirtin heran und brachte das Gespräch auf die Entweichung. Sie sprach in gedämpftem Tone, als betrachtete sie ihre Tochter, ein unverheiratetes Mädchen von sechsundzwanzig Jahren, noch nicht für berechtigt, über Eheaffären etwas zu wissen. Darum blätterte Lady Constance in einem Album und lauschte.

»Oh,« flüsterte Mrs. Fairfax, »haben Sie je so etwas Schreckliches gehört?«

»Wo sollen wir hinkommen, meine liebe Mistreß Leith Fairfax? Wem kann man denn noch trauen, wenn man Marian Lind nicht trauen kann? Natürlich ist es jetzt mit ihr vorbei, aber es tut mir sehr leid, wir hatten sie so gern.«

»Und sie gerade! Mir hat es solch einen Stoß gegeben – ich kann gar nicht sprechen. Aber was sollte man anderes erwarten?«

»Ja, das ist wahr. Ihre Mutter war eine schlimme Person, glaube ich.«

»Ihr Mann, meinen Sie. Sie können sich keine Vorstellung machen, was das unglückliche Mädchen gelitten hat. Und nun zwang man sie, einen solchen Mann zu heiraten!«

»Ich dachte immer, sie bestand darauf, ihn zu heiraten gegen den Willen –«

»Unsinn! So hat Reginald Lind erzählt. Sie war wahnsinnig verliebt in Sholto Douglas – ihr ganzes Leben lang. Sie wußten es selbst – ich wußte es – jeder wußte es, daß sie heimlich verlobt waren. Dann erschien dieser unbekannte Conolly mit seinen Erfindungen, die er irgendwo gestohlen hatte – natürlich, er kann sie ja auch selbst entdeckt haben, ich weiß das nicht. Dann wurde die Gesellschaft gebildet, und Reginald Lind, der so wenig vom Geschäft verstand wie von der Luftschiffahrt, ging in die City, wie das so heute Mode ist, und war bald ein Herz und eine Seele mit Conolly. Ich sah selbst, wie Marian durch ihren Vater auf der Kunstausstellung diesem Menschen vorgestellt wurde, wie es dann weiter kam, werden wir ja vielleicht dieser Tage erfahren, und verschiedenen Leuten werden die Augen aufgehen, das versichere ich Ihnen. Entweder wollte Reginald Lind festeren Fuß fassen in dem Geschäft, oder es gab irgend etwas Schlechtes, das die beiden verband. Oder es war auch pure Narrheit – was weiß ich? Aber das arme Mädchen wurde direkt aus den Armen von Sholto Douglas gerissen – beachten Sie wohl, daß er gerade von einem jahrelangen Aufenthalt auf dem Kontinent zurückkam – und verkauft, offen verkauft an einen amerikanischen Arbeiter, von dem nichts bekannt war, außer daß seine Schwester offenkundig das verworfenste Frauenzimmer auf dem Londoner Theater war. Ich versichere Ihnen, ich kann das nachfühlen. Ich war in die Liebesgeschichte eingeweiht. Douglas pflegte sich bei mir Trost und Hilfe zu holen, die ich ihm törichterweise gab. Auch Marian machte mich zu ihrer Vertrauten. Und was war die Folge? Douglas in seiner Raserei über ihren Verlust, klagte mich an, ich hätte ihn getäuscht. Marian, die wußte, daß ich die Wahrheit über ihre Neigung kannte, mied mich nach ihrer Heirat. Ich wurde zum Sündenbock gemacht.«

»Aber Reginald hat sich doch immer für Sholto erklärt. Er hat mir wiederholt angedeutet, er hoffe, Marian bald als Mistreß Douglas zu sehen.«

»Wenn ihm das Ernst war, warum wurden sie denn nicht Jahre vorher verheiratet?«

»Man sagte, Marian wollte nicht.«

»Das hat man allen gesagt. Ich glaube nicht, daß man jetzt, da diese Geschichte vorgekommen ist, noch viel darüber hören wird. Meine liebe Lady Sunbury, ich kannte die Wahrheit schon lange. Natürlich habe ich nichts gesagt. Ich durfte nicht andeuten, daß Mistreß Conolly einen andern Mann ihrem Gatten vorzog. Aber ich fühlte, was kam. Ich hoffte und betete, daß es nicht kommen möchte, aber –! Es ist schrecklich, daran zu denken.«

»Lebten sie schlecht zusammen? Ich meine, Marian und ihr Mann.«

»Schlecht! Wie konnte eine fein erzogene Frau mit einem solchen Mann auskommen?«

»Natürlich. Ich glaube, er hat auch einen zweifelhaften Charakter.«

»Sein Charakter ist durchaus nicht zweifelhaft. Nicht im geringsten zweifelhaft. Ich kenne die Welt. Ich bin eine arme, arbeitende Frau, eine Schriftstellerin, und ich muß alles kennenlernen, zum großen Teil auch solches, das ich besser nicht wüßte. Conolly ist der gefährlichste Mann in London – einer der gefährlichsten in Europa. Seine Vergangenheit ist ein Geheimnis. Es genügt, wenn man ihn ansieht, er ist ein verschlossener Mensch. Wenn er nur ein einfacher Arbeiter wäre, wie könnte er so Französisch und Italienisch sprechen, wie könnte er seine Manieren und sein Weltwissen erworben haben? Er verliert nie ein Wort, das in seiner Gesellschaft gesprochen wird. Fangen Sie eine Unterhaltung mit ihm an – er ist anfangs der unwissendste und bescheidenste Mann, und in zehn Minuten hat er Sie übervorteilt.«

»Gewiß, ich habe auch etwas Seltsames an ihm bemerkt; aber ich glaubte, das käme, weil er Erfinder ist.«

»Es steckt mehr dahinter, verlassen Sie sich darauf. Sehen Sie auf Sir Paxton Phillips, den Entdecker von zwei neuen Fixsternen, der, das brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, unvergleichlich höhersteht als ein technischer Erfinder. Welch ein vollendeter Gentleman ist er, gerade wie die andern Gentlemen! Ich möchte wirklich gerne wissen, woher Mister Conolly seine Fruchtbarkeit in elektrischen Erfindungen hat. Ich werde nie eine ganz besondere Sache vergessen, die er mir eines Tages in seinem Laboratorium in der Stadt zeigte. Sie werden sich erinnern, ich ging dorthin auf besonderes Bitten von Lord Jasper. Conolly hatte unter anderm eine komplizierte Maschine ausgestellt, an der ein Draht angebracht war. An der Maschine befand sich ein kleiner Elfenbeinknopf, auf den er mich bat, zu drücken. Ich tat es, und der Draht wurde weißglühend. ›Das‹, sagte er – bedenken Sie wohl, ich wiederhole seine eigenen Worte –, ›ist der Weg, auf dem man eine Höllenmaschine in einem Wagen, in einer verdeckten Schüssel oder einem Thronkissen zur Explosion bringen kann, wenn man sich des Zaren oder eines andern Potentaten entledigen will.‹ Er sagte es ganz ruhig, als ob es mehr amüsant als was anderes wäre. Und nun bedenken Sie! Es ist wohlbekannt, daß die Nihilisten wissenschaftliche Geheimnisse kennen, von denen wir keine Ahnung haben. Glauben Sie wirklich, daß das Gift der Borgia verlorengegangen, oder daß diese Dynamitexplosionen in Rußland das Werk ungeübter Hände seien? Dieser Mann würde Marlborough House ebenso ruhig in die Luft sprengen, wie er einen Truthahn zerlegt.«

»Wirklich, er ist ein sehr interessanter Mensch!«

»Pah! Ich danke für solche interessanten Menschen!«

»Aber es schien gar nicht, als ob er Marian schlecht behandelte.«

»Ach, Sie kennen die Wahrheit schlecht. Er ist zu gescheit, um den Pferdefuß öffentlich zu zeigen. Aber ich habe Marian beobachtet. Ihre Angst in seiner Gegenwart, ihre Besorgtheit, ihm zu gefallen, ihr stummer, unterwürfiger Gehorsam, ihre Abneigung, über ihr eheliches Leben zu sprechen! Solche Zeichen sagen mehr als Worte. Ich habe sie wunderschön singen gehört, als er nicht im Zimmer war. Plötzlich trat er herein, und ihre Stimme veränderte sich sofort. Sie wurde sichtlich nervös und verwirrt. Zu Hause war es dasselbe: sie wagte sich kaum in seiner Gegenwart zu rühren.«

»Ich glaubte, er liebte sie.«

»Er – sie! Männer von seiner Art bewahren all ihre Liebe für sich selbst. Er heiratete sie, weil sie eine Dame und weil sie hübsch war. Er konnte hinter ihrem Wappen seine dunkle Herkunft verbergen. Verkauft an einen Abenteurer; welch ein Schicksal für eins der schönsten und feinsten Mädchen von London! Ich wundere mich gar nicht, daß sie ihn verlassen hat. Er benahm sich unanständig gegen jede Frau, die ihn anhörte. Er pflegte mit Mistreß Saunders in Marians Gegenwart zu flirten. Was Elinor McQuench angeht, so mußte sogar die arme, schwache Marian darauf bestehen, daß sie das Haus verließ. Man kann wohl kaum einen Mann mit einer solchen Frau schlecht machen, aber es waren ebenso viele von dieser wie von jeder anderen Sorte. Er hatte sogar die Kühnheit, mir solche Dinge zu sagen.«

»Himmel! Das ist doch nicht wahr?«

»Aber sicher! Doch ich will Ihnen etwas erzählen, was Ihnen den ganzen Charakter dieses Mannes klarlegt.« Mrs. Fairfax, deren Stimme sich nach und nach zu ihrem gewöhnlichen Tone erhoben hatte, flüsterte jetzt wieder. »Dieses Weib, seine Schwester.«

»Ja«, sagte die Gräfin und neigte sich zu ihr, um zu lauschen.

»Conolly selbst hat Marmaduke Lind bei ihr eingeführt und all die schlimmen Folgen dieser unglückseligen Verbindung verursacht.«

»Unmöglich.«

»Es ist nicht nur möglich, sondern sicher. Ich war selbst dabei. Es ist schon lange her, auf einem Konzert in Wandsworth, als George Lind dort Pfarrer war. Marian und Marmaduke sangen, und Conolly, der sich damals für einen gewöhnlichen Mechaniker ausgab, sang auch. Das war das erstemal, daß sie sich trafen. Er war sehr ruhig – er kann sich benehmen, wenn er will, wie Sie ja wissen –, und wir sprachen freundlich zu ihm. Schließlich bot er Marmaduke Theaterbilletts an. Marmaduke, unüberlegt wie gewöhnlich, ging mit ihm. Er wurde hinter die Bühne gebracht und vorgestellt. Sie wissen das Weitere.«

»Wie schrecklich! Ich glaube, wenn Jasper das wüßte, er würde seine Meinung über Mister Conolly etwas ändern.«

»Erwähnen Sie, ich bitte und beschwöre Sie, mich nicht als Quelle hierfür. Es gibt keinen Menschen in London außer Ihnen, dem ich ein Wort über die Sache sagen würde. Es ist viel besser, nicht darüber zu reden. Ich glaube, zwanzig verschiedene Menschen haben mich schon danach gefragt, seit ich heute früh die Nachricht erfuhr. Zu jedem habe ich dasselbe gesagt – ich wüßte nichts.«

»Oh, ich versichere Ihnen, Mistreß Leith Fairfax, ich trage nie etwas weiter. Das ist nicht meine Art. Und es ist auch wirklich kaum ein passender Gesprächsgegenstand. Liebe Constance, bist du bald mit dem Album durch? Wir haben uns lange aufgehalten, und Mistreß Leith Fairfax' Zeit ist kostbar.«

»Eine wundervolle, kluge Frau, diese Mistreß Leith Fairfax!« sagte die Gräfin, als sie fortfuhren. »Sie scheint alles zu wissen, und sie kann eine Sache so klarmachen! Sie hat mir erzählt, daß Mister Conolly ein schrecklicher Charakter ist.«

»Ja, ich verstand ein wenig von dem, was sie sagte, aber ich verstehe es nicht ganz, Mama. Zweifellos hat Marian unten in Hall Cottage diesen Herbst mit Conolly geflirtet.«

»Offenbar hat man ihm die Idee, sie zu heiraten, in den Kopf gesetzt.«

»Oh, Mama!«

»Was?«

»Hier geht er, zur rechten Hand auf der Straße. Sollen wir ihn grüßen?«

»Ich denke. O gewiß, gewiß. Man nimmt doch nicht an, daß wir alles wissen.«

»Es macht nichts«, sagte Lady Constance, als Conolly vorbeiging, ohne nach ihnen zu sehen. »Er gibt sich nie die Mühe, jemand auf der Straße zu sehen. Er sieht genau so aus wie immer. Er macht sich nicht viel daraus.«

»Er ist ein ganz hübscher Mann«, sagte die Gräfin. »Ich muß ihn mir genauer betrachten, wenn wir ihn wieder treffen. Es ist schade, daß er so gewissenlos ist, denn man muß interessant mit ihm plaudern können.«

Inzwischen ging Conolly in das Haus, das sie gerade verlassen hatten, und wurde in Mrs. Fairfax' Studierzimmer geführt, wo sie vor einem Haufen Korrekturen und Manuskripten saß. Als er hereintrat, wandte sie sich mit düsterem Ernst zu ihm hin.

»Ich habe Sie hierherführen lassen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Sie werden hier nicht gestört. Ich lasse sonst nie einen Menschen in mein Arbeitszimmer. Bitte, setzen Sie sich in den Sessel.«

»Sie sind sehr gütig, Mistreß Leith Fairfax«, sagte Conolly, als sie nach einem langen Druck seine Hand losließ.

»Oh, Mister Conolly, ich bin ganz verstört. Ich darf mir kaum vorstellen, was Sie fühlen müssen. Ihre Trauer ist auch meine Trauer. Ich liebte sie wie meine Tochter. Und jetzt –! Was soll geschehen?«

»Wissen Sie, wohin sie gegangen sind?«

»Nach Bermuda, von allen Plätzen auf der Welt. Zeigt das nicht die Verrücktheit der ganzen Sache?«

»Bermuda! Ah, ich danke Ihnen, das wollte ich wissen. Wodurch ist es bekannt geworden?«

»Wirklich, das wußten Sie nicht? Er stellte eine Menge Fragen im Klub und gab einige Geldorders, die seine Absichten deutlich genug zeigten. Sie wissen, ich warnte Sie, Mister Conolly.«

»Ja, wenn ich mir nur Ihre Warnung zu Herzen genommen hätte.«

»Ich hätte Ihnen noch mehr erzählen können – viel mehr, aber ich wollte kein Unheil anrichten. Lady Sunbury ist soeben hier gewesen. Sie hatte es gerade erfahren. Sie tun ihr so leid. Lady Constance war bei ihr, und sie wollte etwas über das Wie und Warum wissen. Natürlich habe ich nichts gesagt.«

»So sind Sie«, sagte Conolly. »Wie schade, daß Marian sich Ihnen nach der Hochzeit nicht freundschaftlicher angeschlossen hat! Sie hätte vielleicht in diesem Fall anders gehandelt.«

»Sie wissen, daß ich mir in Sark alle Mühe gab, ihr Vertrauen zu erringen. Ich hatte schon lange vorher meine Bedenken und Sorgen. Und dabei waren Sie so gut zu ihr, so geduldig mit ihr, so nachsichtig trotz ihrer unglücklichen Art, niemals gutgelaunt zu sein, wenn er nicht dabei war. Ich hätte nie geglaubt, sie könnte Sie verlassen.«

»Von allen Frauen gleicht doch keine Ihnen, Mistreß Leith Fairfax.«

»Ich glaube sicherlich, es gibt keine häßlichere Eigenschaft an einer Frau als Falschheit. Aber ich muß bekennen, daß mich meine eigene Aufrichtigkeit immer in Ungelegenheiten bringt. Marian zürnte mir, weil ich das Unheil kommen sah und es aussprach.«

»Ja, in solchen Augenblicken muß man Ihre Aufrichtigkeit schätzen. Solche Momente wiegen tausend nebensächliche auf.«

» Sie schätzen sie, Mister Conolly. Aber Sie sind auch scharfsinniger als die andern. Ob wohl Mistreß Douglas schon die Nachricht weiß? Sie wird sie töten.«

»Glauben Sie das?«

»Sicherlich. Sie betet ihren Sohn an und hat nicht den geringsten Verdacht, daß er ebenso unwissend wie eingebildet ist. Wenn sie erfährt, daß er außerdem noch ein Schurke ist, wird sie unter dem Stoß zusammenbrechen. Merken Sie sich mein Wort, es wird sie töten.«

»Nicht auf einmal. Sie weiß es und lebt noch. Ich habe sie gesehen.«

»Sie! Aber wie denn?«

»Ich besuchte sie und erzählte ihr, was geschehen war.«

»Ernsthaft?«

»Wirklich. Sie sympathisierte sehr warm mit ihrem Sohn und klagte Marian an, sie hätte ihn zugrunde gerichtet. Während ich da war, kam Reginald Lind herein und begann über das Unrecht zu klagen, das seine Tochter erlitten habe, und Douglas aufs heftigste anzugreifen. Darum ging ich weg und ließ die beiden ihren Streit allein zu Ende bringen.«

»Sie sind wirklich ein seltsamer Mann«, sagte Mrs. Fairfax und sah Conolly mit wachsendem Mißtrauen an. »Es tut mir nicht leid, daß Reginald Linds lächerlicher Familienstolz einen Stoß erlitten hat – das heißt es würde mir nicht leid tun, wenn es in anderer Weise geschehen wäre.«

»Er ist sehr zornig und besonders niedergeschlagen wegen der eigenen Schande, wie er das nennt.«

»Er sollte es sein! – Angenommen, Sie wollen –«

»Ich will –?«

»Ich vergesse, was ich sagen wollte. Haben Sie irgendwelche Pläne gefaßt?«

Conolly zuckte mit den Schultern.

»Nein, natürlich nicht. Sie haben kaum Zeit gehabt nachzudenken. Aber Sie müssen sich nicht niederdrücken lassen. Sie sind so verständig, und Ihre Arbeit ist ein solcher Trost für Sie, daß ich sicher bin, Sie werden es männlich ertragen.«

»Ich will es versuchen«, sagte Conolly und erhob sich. »Und ich werde dabei, wenn ich so sagen darf, in Ihrer Wertschätzung gewinnen. Gestatten Sie mir, daß ich manchmal an Sie denke, wenn ich mich sehr bedrückt fühle?«

»Still,« sagte Mrs. Fairfax, »Sie dürfen so was nicht sagen. Mister Leith Fairfax kann jeden Augenblick kommen.«

»Sie haben recht,« sagte Conolly, »ich darf ihn nicht vergessen. Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.«

»Ja, gehen Sie jetzt. Kommen Sie wieder, aber nicht zu bald, und nur – wenn Sie wollen.«

Sie gaben sich die Hand, und Conolly ging lächelnd fort. Vor dem Hause schüttelte er sich ungeduldig und schritt schnell nach Holland Park zu.


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