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Viertes Kapitel

Am nächsten Morgen erwachte Marian um sechs Uhr, als ein schwerer Wagen an dem Fenster ihres Zimmers vorbeirasselte, der ein ganz anderes Geräusch machte als der Müllwagen in Westbourne Terrace. Sie lugte hinaus nach ihm und sah, daß er mit Waren von unregelmäßiger Form beladen war, die sie nach den seltsam aussehenden Metallstäben, die aus der Verpackung herausragten, als Apparate für Lord Jaspers Laboratorium erkannte. Von dem Wagen mit seinem geduldig fortschreitenden Pferd und dem stumpfblickenden Kutscher ließ sie ihre Augen über den Rasen schweifen, auf dem die feuchten Schattenflecke der Zedern das sonnenbeschienene Gras erfrischten. Der Morgen sah zu prachtvoll aus, um ihn im Bett zu verbringen. Hätte Marian die duftende Landluft einatmen und empfinden können, sie würde nicht einen Moment gezögert haben. Aber sie war an den Glauben gewöhnt, frische Luft während der Nachtzeit sei ungesund, und wie sie nichts dazu verleitet hätte, sich in schmutzigem Wasser zu waschen, so hielt sie auch nichts davon, schädliche Luft einzuatmen; und so blieb das Fenster zu und das Zimmer geschlossen. Aber das Fenster verhinderte es doch nicht, daß das laute Singen der Vögel und der Sonnenschein hereindrangen. Sie versuchte, es ein wenig zu öffnen, nicht ohne das Gefühl, eine Torheit zu begehen. Zwanzig Minuten später war sie angekleidet.

Zuerst blickte sie in den Salon, aber er war dumpf und öde. Das Eßzimmer, das sie dann besah, machte sie hungrig. Als ein Diener mit einem Besen kam, sagte sie sich, es sei besser, der Hausreinigung aus dem Wege zu gehen. Sie beschloß, ins Freie zu gehen.

»Wann ist Frühstücksstunde?« fragte sie das Mädchen.

»Halb zehn, Miß.«

»Mein Gott!« sagte Marian und sah auf ihre Uhr. »In drei Stunden.«

Das Hausmädchen wartete mit respektvoller Gleichgültigkeit auf weitere Fragen. Marian bereute es halb und halb, aufgestanden zu sein. Während sie noch überlegte, wurde eine entfernte Tür aufgemacht, und man hörte das Singen einer männlichen Stimme. Irgend etwas an dem Gesang weckte bei ihr eine Erinnerung. Dann wurde die Tür zugemacht, und man konnte im Speisezimmer die Stimme nicht mehr hören. Sie nahm an, daß Lord Jasper der Sänger sei, und da er doch sicher nicht bis halb zehn fasten würde, hielt sie es für das beste, zu ihm zu gehen.

»Wo liegt das Laboratorium?« fragte sie.

»Das – was, Madame?«

»Das neue Laboratorium – das Arbeitshaus.«

Das Mädchen sagte, der kürzeste Weg dahin sei über den Rasen, wenn Marian sich nicht scheue, über das tauige Gras zu gehen. Dann zeigte sie den Weg rund um die Südwestecke von Hall Cottage zu einer Terrasse. Von dieser Terrasse gab es einen Zugang durch eine große doppelte Glastür, die jetzt weit offen stand und in einen luftigen, glasgedeckten Raum führte.

Marian entließ das Hausmädchen, ging leise weiter und schlich sich hinein. Ein Mann saß an einem großen Tisch in der Mitte des Zimmers und kehrte der Glastür den Rücken zu. Er hatte seinen Rock ausgezogen und war über einen kleinen runden Block geneigt, in den winzige Löcher hineingetrieben waren. Jedes Loch war mit einem zierlichen Messingpflock mit Ebenholzkopf versehen; und der Mann hob diese Pflöcke heraus und steckte sie wieder hinein, während er sorgfältig das Zeigerblatt eines Instruments beobachtete, das einer kleinen Uhr glich. Ein großer Strohhut bedeckte seinen Kopf und schützte ihn vor den Sonnenstrahlen, die durch das Glasdach und die offene Tür hereinfluteten. Die offenbare Unbedeutendheit seiner Arbeit und der Ernst, den er darauf verwendete, machten Marian Vergnügen. Sie stahl sich ins Laboratorium, trat dicht hinter ihn und sagte:

»Da Sie nichts Besseres zu tun haben, als mit sich selber zu spielen, so –«

Sie hatte leise seinen Strohhut aufgehoben und fand darunter statt Lord Jaspers dünnem grauen Haar einen Schopf von kastanienbraunen Haaren. Der Mann, der bei ihrer Berührung und ihren Worten erstaunt zusammengefahren war, vollendete trotzdem noch erst eine Beobachtung an seinem Galvanometer, bevor er sich ruhig erhob.

»Guten Morgen, Miß Lind«, sagte er und sah sich um nach seinem Hut.

»Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagte Marian, heftig errötend. »Ich dachte, es wäre Lord Jasper.« Sie schwieg, errötete und begann dann von neuem. »Ich habe Sie sehr unzart gestört. Ich –«

»Durchaus nicht«, sagte der Mann. »Ich verstehe Sie wohl. Ich spielte zwar nicht gerade, doch tat ich auch nichts sehr Wichtiges. Doch Sie wollen meinen Anzug entschuldigen, da Sie mich wirklich überrascht haben.«

»O bitte, das macht nichts. Aber ich hätte Ihre Arbeit nicht unterbrechen sollen!« Sie blickte ihm wieder ins Gesicht, doch nur für einen Augenblick, da er sie beobachtete. »Ich habe Sie schon einmal getroffen, ich glaube in – in –«

»Auf einem Konzert in Wandsworth. Ich begleitete Ihnen die ›Stillblühende Rose‹. Mein Name ist Conolly.«

»Wie geht es Ihnen, Mister Conolly? Wenn ich ein wenig nachgedacht hätte, würde ich schon von selbst darauf gekommen sein, Sie hier zu finden. Ich wußte doch, daß Sie Lord Jasper bei seinen Experimenten helfen. Erinnern Sie sich unserer Unterhaltung über Fachgespräche?«

Conolly nickte.

»Nun, ich bin jetzt gerade bei Ihrem Fach. Wollen Sie mir das alles hier erklären? Wozu sind diese Rollen mit grünen Seidendrähten?«

Dieser Wechsel des Gesprächs schien ihm nicht zu gefallen. Er zog mit der Miene eines Mannes, dessen Erholungsstunde vorbei ist, seinen Rock an und machte sich daran, sie durch einige einfache Experimente zu unterhalten. Marian hatte den Verdacht, er traue ihrer Begriffsfähigkeit nicht viel zu. Als sie auf Erklärungen drang, bekannte er, er verstände das selber nicht. Und als sie über die Idee lachte, daß es ihm mit diesem Bekenntnis Ernst sein könnte, bemerkte er mit einem leichten Sarkasmus, es freue ihn, daß sie das als eine so einfache Sache betrachte.

»Ich vermute, ich bin zu unwissend, um selbst die Anfangsgründe der Elektrizität zu lernen«, sagte sie endlich, ein wenig gedemütigt. »Ich darf Sie nicht mehr mit kindischen Fragen belästigen. Aber wirklich, ich möchte es gerne lernen.«

»Sie wissen soviel, wie ich früher wußte.«

Auf diese wie auf manche andere Bemerkung konnte sie keine Antwort geben, und doch war es nicht angenehm, ihnen zuzustimmen. Sie hätte gerne sein Interesse erregt, aber es war sehr schwer, mit ihm in ein Gespräch zu kommen. Sie schüttelte ihren Kopf und sagte:

»Wissenschaft ist eine wunderbare Sache.«

»Woher wissen Sie das?« fragte er lächelnd.

»Sicherlich muß es so sein«, antwortete sie zufriedener; denn sie dachte, er habe nun eine sehr dumme Bemerkung gemacht. »Ist Lord Jasper ein wirklich tüchtiger Wissenschaftler?«

Conolly machte ein ernstes Gesicht. »Das ist keine besonders diskrete Frage für mich«, sagte er.

»Ich weiß das, aber ich bin so neugierig über ihn, und ich weiß, niemand kann ihn besser beurteilen als Sie. Aber ich will von der Frage abstehen, wenn Sie solche Bedenken haben.«

»Er hat sehr viel über Wissenschaft gelesen. Tatsächlich ist er sehr tüchtig, wenn man nur seine Arbeitsmethode betrachtet: weniger tüchtig in Anbetracht der Mittel, über die er verfügt.«

»Was würden Sie tun, wenn Sie seine Mittel hätten?«

»Donnerwetter!« sagte Conolly eifrig, »ich würde –« Er unterbrach sich selbst und fügte dann hinzu: »Es ist unmöglich, zu sagen, was ich dann täte.«

»Aber ist denn Wissenschaft eine so kostspielige Sache? Ich dachte, sie wäre erhaben über alle Geldangelegenheiten.«

»Es ist das teuerste Ding auf der ganzen Welt. Es kostet unendlich viel Zeit und unendlich viel Geld. Zeit ist Geld; und so kostet es doppelt viel. Darum sind Leute, die wissenschaftliche Studien machen, die habgierigsten Menschen auf der Welt.«

»Sie zum Beispiel?« fragte Marian lachend.

»Ja, ich.«

»Warum entdecken Sie denn nicht etwas und erwerben sich ein Vermögen?«

»Ich habe schon etwas entdeckt.«

»Oh, was denn?«

»Daß es ein Vermögen kostet, all die Experimente zu machen, die zu einer Erfindung führen.«

»Sie übertreiben natürlich. Was nennen Sie ein Vermögen?«

»Acht- oder zehntausend Mark.«

»Ist das alles? Sie werden doch sicher keine Schwierigkeiten haben, zehntausend Mark zu erhalten?«

Conolly lachte. »Selbstverständlich«, sagte er. »Wieviel sind zehntausend Mark?«

»Einfach gar nichts – in Anbetracht der Wichtigkeit der Sache. Sie sollten sich wirklich nicht gestatten, mit solchen Bedenken Ihre Laufbahn aufzuhalten. Ich habe Leute gekannt, die soviel an einem Tag für die wertlosesten Dinge ausgeben.«

»Darin steckt etwas Wahres, Miß Lind. Ich denke, ich werde Ihrem Rate folgen.«

»Tun Sie es in jedem Falle.«

»Was würden Sie mir raten, zuerst anzufangen?«

»Zuerst«, sagte Marian mit Bestimmtheit, »entschließen Sie sich, das Geld auszugeben. Weisen Sie alle Bedenken über die Größe der Summe von sich. Lassen Sie es sich nicht leid tun, selbst zweimal soviel für die Wissenschaft zu opfern.«

»Das habe ich schon getan. Ich bin fest entschlossen, das Geld auszugeben. Was nun?«

»Nun, ich denke, das nächste ist, es auch wirklich auszugeben.«

»Entschuldigen Sie. Das nächste ist, es zu haben. Ich weiß, das ist nur eine Nebensache. Aber ich möchte das gerne in Ordnung wissen, ehe wir weitergehen.«

»Aber das kann ich Ihnen doch nicht sagen. Sie vergessen, daß ich in Geschäftssachen nicht bewandert bin. Sie sind ein Mann und verstehen sich auf Geschäftsangelegenheiten, was bei mir natürlich nicht der Fall ist.«

»Wenn Sie zehntausend Mark brauchen, Miß Lind, wie würden Sie es anstellen, sie zu bekommen? – wenn ich fragen darf.«

»Was? Ich! Aber ich sagte Ihnen doch, ich bin nur eine Frau. Ich würde meinen Vater darum fragen oder eine Quittung für die Bank unterschreiben oder etwas anderes tun.«

»Ja, das ist sehr einfach. Aber unglücklicherweise habe ich keinen Vater und keine Bank. Schlimmer noch, ich habe auch kein Geld. Sie müssen mir also einen andern Weg angeben.«

»Tun, was jeder andere auch tut unter solchen Umständen. Leihen Sie es sich. Lord Jasper würde es Ihnen sicher leihen.«

»Auch hiergegen muß ich eine Einwendung machen. Wenn ich die zehntausend Mark ausgegeben hätte, würde ich vielleicht nur die Gewißheit erlangt haben, daß ich einen falschen Weg eingeschlagen. Wie sollte ich denn Lord Jasper bezahlen?«

»Ach, der könnte sich leicht über den Verlust des Geldes hinwegsetzen. Er ist sehr reich.«

»Ohne Zweifel. Aber das hieße nicht mehr, das Geld borgen, das hieße, ihn dazu verleiten, auf meine Experimente zu spekulieren und ihm eine Art Eigentumsrecht darüber zu geben. Ich bin gegenwärtig zu ehrgeizig, als daß ich das haben möchte. Es tut mir leid, aber ich muß Sie um einen andern Rat bitten.«

»Dann sparen Sie sich all Ihr Geld, bis Sie genug haben.«

»Das würde eine Zeit dauern. Wir wollen einmal sehn. Da ich ein ungewöhnlich glücklicher und besonders geschickter Arbeiter bin, darf ich jetzt rechnen, daß ich siebzig bis achtzig Mark in der Woche verdiene. Sagen wir achtzig Mark im Durchschnitt.«

»Ach,« sagte Marian verzweifelt, »dann müßten Sie ja länger als zwei Jahre warten, um zehntausend Mark zu sparen.«

»Und inzwischen für Essen, Kleidung und Wohnung nichts mehr ausgeben.«

»Ach ja«, sagte Marian. »Natürlich, ich sehe schon, daß es Ihnen nicht möglich ist, etwas zu sparen. Und doch scheint es mir lächerlich, daß Sie nicht vorwärts können, weil Ihnen eine solche Summe fehlt. Ich habe einen Vetter, der gar kein Geld besitzt und keine Experimente zu machen braucht, aber er gab im letzten Frühjahr zwanzigtausend Mark für ein Rennpferd aus.«

»Der Turf, sehen Sie, bringt mehr ein als das Laboratorium.«

Marian fiel kein anderer Ausweg ein. Sie stand noch da und grübelte, während Conolly etwas Abfallzeug aufnahm und einen Messingzylinder polierte.

»Mister Conolly,« sagte sie schließlich, »ich kann es Ihnen nicht ganz bestimmt versprechen, aber ich glaube, ich kann Ihnen die zehntausend Mark besorgen.« Conolly hörte mit dem Zylinderputzen auf und starrte sie an. »Wenn ich selbst nicht genug habe, werde ich sicherlich den Rest durch einen Basar oder dergleichen zusammenbringen. Ich möchte gerne anfangen, mein Geld gut anzulegen; und wenn Sie eine große Erfindung machen, wie den Telegraphen oder die Dampfmaschine, werden Sie es mir leicht zurückzahlen können und mir sogar Geld leihen, wenn ich es brauche.«

Conolly errötete. »Ich danke Ihnen, Miß Lind,« sagte er, »ich danke Ihnen wirklich ganz außerordentlich. Ich – es würde undankbar sein, Ihr Anerbieten abzulehnen, aber ich bin noch nicht so weit, daß ich nun einfach mit meinen Experimenten beginnen könnte, wie Sie nach meinen Worten vielleicht annehmen. Meine Schätzung der Kosten war nicht mehr als ein bloßes Raten. Ich bin nicht ganz gewiß, ob nicht Mangel an Zeit und Ausdauer ein ebenso großes Hindernis ist wie der Geldmangel. Trotzdem will ich – ich werde eine – haben Sie irgendeine Vorstellung vom Wert des Geldes, Miß Lind? Haben Sie jemals mit Geld gewirtschaftet?«

»Natürlich«, sagte Marian und dachte heimlich, die Genugtuung, ihn aus der Fassung gebracht zu haben, so leicht erkauft mit zehntausend Mark. »Ich führe den Haushalt und besorge die Geschäftssachen.«

Conolly starrte vor sich hin und nahm das Stück Abfallzeug auf, als ob er danach gesucht hätte. Dann sammelte er sich und sah sie wie abwesend an. Die Ungewißheit, was er jetzt wohl tun werde, bereitete ihr ein äußerst angenehmes Gefühl: warum, das wußte sie nicht; es war ihr auch gleichgültig. Zu ihrem großen Mißvergnügen trat gerade jetzt Lord Jasper herein und riß sie aus diesem seltsamen, fast traumähnlichen Zustand.

»Das ist ein früher Besuch, Marian«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich nicht beizeiten hier war, um Sie selbst mit meinem Laboratorium bekannt zu machen; aber meine Abwesenheit ist Ihnen von Nutzen gewesen, da Sie inzwischen in besseren Händen als den meinigen gewesen sind.«

»Ich wollte mir in der Meierei etwas Haferkuchen ausbitten; denn wie die meisten Frühaufsteher bin ich sehr hungrig, und ich sterbe, wenn ich bis zum Frühstück warten muß.«

»Kommen Sie mit«, sagte Lord Jasper. »Ich werde Ihnen zeigen, wo Sie ein tüchtiges Frühstück finden.«

»Schön, wenn ich Sie aber auch wirklich nicht aufhalte. Guten Morgen, Mister Conolly.«

»Guten Morgen.«

»Was ist das für ein Mann, Ihr Assistent?« fragte Marian, als sie mit Lord Jasper querfeldein ging.

»Er ist ein tüchtiger Bursche und ein außerordentlich geschickter Arbeiter. Wenn er mehr lesen würde und genug Bildung hätte, um seine Gewohnheit abzustreifen, diejenigen zu verachten, die unendliche Arbeit und Wissen auf das Schreiben theoretischer Werke verwandt haben, würde er sich in seinem Fach hervortun. Er hat übrigens ein schönes männliches Aussehen, meinen Sie nicht?«

»Ich habe ihn nicht genau betrachtet«, sagte Marian, indem sie dieser Frage instinktiv auswich. »Sie sagen, er ist voreingenommen.«

»Es ist offenbar in gewisser Beziehung Klassenvorurteil. Er glaubt nur an das, was er sieht, und hält das Augenmaß für das einzig richtige. Glücklicherweise gibt er diesem Prinzip eine sehr weitgehende Auslegung. Aber man kann sehr leicht auf Gegenstände kommen, die das Fehlerhafte seines Maßstabes zeigen. Zum Beispiel –« Hier begann Lord Jasper eine Beweisführung gegen die Erfahrungsmethode, bis sie an der Meierei angekommen waren, wo er sich unterbrach, um für Marian ein Frühstück von Haferkuchen, Kresse und Milch zu bestellen.

»So gut hat es mir in diesem ganzen Jahr noch nicht geschmeckt«, sagte Marian. »Hungrig sein, auf dem Lande leben und wirkliche Milch trinken können, da verachtet man London und die langweilige Saison. Ich bin sehr böse auf Marmaduke, weil er nach dem Kontinent gegangen ist, statt hierherzukommen und mit uns ein gesundes Leben zu genießen. Ist es nicht schade?«

»Ich zweifle nicht, er fand es hier zu eintönig.«

»Nicht, solange Constance hier ist«, sagte Marian lachend.

»Ich bin dessen nicht so sicher. Ich habe niemals das leiseste Anzeichen bemerkt, wonach man vermuten könnte, Marmaduke wäre in Constances Nähe glücklicher als in sicherer Entfernung von ihr.«

»Oh, Jasper!«

»Ich versichere Ihnen, ich spreche ganz im Ernst.«

»Aber sie beten sich doch gegenseitig an. Sie würden auch die Dinge nie so weit haben kommen lassen, wie sie jetzt sind, wenn Sie das nicht ebensogut wüßten wie ich selbst.«

»Aber wodurch sind sie so weit gekommen? Sie sind weit genug auf unserer Seite und in jedermanns Munde, ausgenommen in Marmadukes, das versichere ich Ihnen.«

»Wie können Sie so etwas Schreckliches sagen, Jasper! Sie sind geradeso schlecht wie Nelly. Wirklich.«

»Dann hat also Elinor dieselbe Meinung?« fragte Lord Jasper schnell.

»Nein, nein, durchaus nicht«, antwortete Marian, die sich ärgerte, weil sie diese Bemerkung gemacht hatte. »Sie wissen, daß sie über alles scharfe Bemerkungen macht und vorgibt, sie glaubte an gar niemand.«

»Aber was sagt sie über Marmaduke und Constance?«

»Oh, gar nichts. Sie macht öfters boshafte Behauptungen über Marmaduke; aber sie meint sie nicht so. Ich bin jetzt ganz fertig mit Frühstücken. Wollen wir nicht lieber gehen?«

»Wie Sie es wünschen.«

Lord Jasper machte keinen Versuch, auf das Thema zurückzukommen, als sie von der Meierei kamen. Als sie sich aber dem Hause näherten, fragte er, ob Miß McQuench schon aufgestanden sei.

»Sicherlich schläft sie noch«, sagte Marian. »Das Landleben ist für Nelly etwas Neues. Sie wird gerade rechtzeitig zum Frühstück auf sein, nicht einen Augenblick früher.«

Darauf kehrte er ins Laboratorium zurück und ließ Marian in der Vorhalle zurück, wo sie bis zur Frühstückszeit las. Kurz vor dieser erschien Constance und begrüßte ihre Freundin herzlich. Dann kam Lady Sunbury. Miß McQuench erschien in aller Hast, als die Glocke halb schlug. Während des Frühstücks beschrieb Marian die Wunder des Laboratoriums und das Vergnügen, das ein ländliches Mahl in der Meierei bereitet.

»Zivilisation und Wildheit vereinigt«, sagte Elinor, indem sie schnell ein Ei auslöffelte. »Die Schönheiten der Natur auf den Feldern; die Großtaten des Menschengeistes im Laboratorium und den Triumph des Hungers in der Meierei. Ich hasse Milch, mit Ausnahme, wenn sie halb aus Sodawasser besteht.«

»Man denke nur, diese wundervolle frische Milch mit einem großstädtischen Erzeugnis wie Sodawasser zu verderben!« sagte Marian.

»Man denke nur, diese Magenverstimmung nach einem Glas Buttermilch! Ich muß dieses Laboratorium sehen. Ich bin neugierig, ob Jasper mehr als eine Frau an einem Tage hereinläßt. Warum kommt er nicht zum Frühstück?«

»Er fängt sehr früh an zu arbeiten und nimmt ein kleines Frühstück allein ein«, sagte Lady Sunbury. »Sie müssen ihn entschuldigen, Elinor.«

»Er zeigt seine guten Sitten«, antwortete Elinor kurz.

Die Gräfin sah mit höflicher Geduld auf ihren Gast, der eine Tasse heißen Tee nahm und sie auf einen Zug leerte. Von da ab richtete Lady Sunbury ihre Unterhaltung ausschließlich an Marian, bis am Schlusse der Mahlzeit Lord Jasper mit Briefen kam.

»Hier sind welche für dich, Mutter«, sagte er. »Hier ist einer für dich, Constance«, fügte er kurz hinzu und legte auf den Platz seiner Schwester ein mit französischen Marken beklebtes Paketchen hin, das sie eifrig ergriff.

»Komm, wir wollen das Gewächshaus durchstreifen«, sagte Marian, sich erhebend.

»Sollen wir Sie begleiten, Miß McQuench?« fragte Lord Jasper.

»Nein«, sagte Elinor. »Ich hätte gerne, wenn Sie mir das Laboratorium zeigten.«

»Mit Vergnügen. Wollen wir jetzt gehen?«

»Ja.«

Lord Jasper ging mit Elinor mit ebenso großer Lebhaftigkeit hinaus, als Constance soeben gezeigt hatte, als sie Marian folgte. »Es ist sehr schmeichelhaft für mich, daß Sie das Laboratorium dem Gewächshaus vorziehen«, sagte er.

»Marian hat ebensowenig Sehnsucht, das Gewächshaus zu sehn, wie ich das Laboratorium«, sagte Elinor. »Sie will nur Constance Gelegenheit geben, den Brief ungestört zu lesen.«

»Sie wissen wohl über Constances Liebesgeschichte gut Bescheid?«

»Jedermann scheint darüber gut Bescheid zu wissen, ausgenommen –« Sie unterbrach sich selbst.

»Ausgenommen wer?«

»Ausgenommen niemand. Ich meinte, von niemand vermutet man, daß er etwas weiß.«

»Was ist Ihre Meinung über die Verbindung, Miß McQuench?«

»Meine Meinung? Oh, ich habe keine Meinung, ausgenommen eine allgemeine, daß alle Verbindungen Unsinn sind. Marian hält sehr viel davon – von dieser Verbindung meine ich.«

»Unglücklicherweise«, sagte Lord Jasper, »vermengt Marian so sehr die Pflichten der Nächstenliebe mit ihrer Gewohnheit, alle Dinge durch eine Rosabrille anzusehen, daß ihre Ansichten mehr ein Beweis ihrer Freundlichkeit als ihrer Richtigkeit sind.«

»Nun, ich sehe alles grau; so kann man sich auf mich ebensowenig verlassen als auf sie.«

»Sie sind ohne Zweifel ein unparteiischerer Beobachter. Ich will Ihnen im Vertrauen sagen, ich bin von Marmadukes Aufführung nicht sehr erbaut.«

Elinor sagte nichts.

»Natürlich kann man nichts gegen ihn einwenden vom Standpunkt der Gesellschaft aus,« fuhr Lord Jasper fort, »aber ich, der ich in meinem Laboratorium begraben bin, fürchte oft, daß bei genauerer Betrachtung das Urteil anders ausfallen werde. Constance ist gerne bereit, Marmaduke zu heiraten. Glauben Sie, daß er sich ebensosehr danach sehnt, sie zu heiraten?«

»Ich kann es nicht sagen. Natürlich behauptet er, er täte es nicht. Das hat Constance davon, weil sie sich ihm an den Hals wirft. Übrigens ist das in jedem Falle ohne Bedeutung, wenn sie sich doch heiraten.«

»Verzeihen Sie, Miß McQuench. Ich glaube, es ist sogar von sehr großer Bedeutung, da das ganze Lebensglück meiner Schwester davon abhängen kann.«

»Leute, die glücklich sein wollen, sollten lieber ledig bleiben. Wie können sie wissen, ob sie sich leiden können, bevor sie nicht wirklich verheiratet sind? Constance hat ebenso gute Aussichten wie jede andere und würde sie auch haben, wenn sie Marmaduke niemals gesehen hätte.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz zustimmen«, sagte Lord Jasper etwas kühl.

»Ich sagte Ihnen ja schon, auf meine graue Brille dürfen Sie ebensowenig etwas geben wie auf Marians rosafarbene.«

»Ich möchte Sie gerne bitten, einmal Ihre graue Brille abzusetzen und mir offen zu sagen, ob Sie meine Bedenken teilen. Ich traue Ihrer Beobachtungskraft mehr als meiner eigenen. Ich weiß, mit welchem Widerstreben man bei solchen delikaten Angelegenheiten wie dieser die Wahrheit erzählt; aber es gibt doch Fälle, bei denen man die Befürchtung, Unheil anzurichten, an die Seite setzen muß, weil man die Pflicht hat, größeres Unheil zu verhüten.«

»Sagen Sie mir, welches Ihre Befürchtungen sind, und ich will Ihnen antworten, ob ich sie teile oder nicht. Sie können nicht erwarten, daß ich Ihnen Bedenken einflöße. Ich werde Ihnen ohne Überlegung sagen, was ich von Ihren Bedenken halte. Man richtet gewöhnlich doppelt soviel Unheil an mit Schweigen wie mit Reden.«

»Also offen gesprochen, ich fürchte, daß die Familie die Angelegenheit eingefädelt hat, und daß man Marmadukes Zustimmung für sicher gehalten hat, ohne genügenden Grund.«

»Ich bin sicher, daß es so ist.«

»Also Sie glauben das auch!«

»Jawohl. Er würde vielleicht von selbst darauf gekommen sein, wenn man ihn in Ruhe gelassen hätte – und ich denke, das hätten sie tun sollen; aber seine Familie mischte sich in seine Angelegenheiten hinein und nahm ihm den Antrag aus dem Munde. Die Familien lassen sich nie eine Gelegenheit entgehen, ihre Kinder unglücklich zu machen.«

»Sie meinten es gut.«

»Sie hatten kein Recht, es mit anderer Leute Angelegenheiten gut zu meinen. Die Leute glauben, mit ihrer guten Absicht könnten sie sich in alles hineinmischen. Warum konnten sie Marmaduke und Constance sich nicht selbst überlassen?«

»Ich glaube auch, daß sie unvernünftig gehandelt haben,« sagte Lord Jasper vorsichtig, »aber ich hoffte, die Dinge lägen nicht so schlimm, wie Sie andeuten.«

»Nein, ich will nicht behaupten, daß die Dinge gerade in diesem Falle so schlimm liegen. Ich sprach von Familie und Verwandten im allgemeinen. Ich wenigstens würde in Constances oder Marmadukes Fall sehr ärgerlich sein. Sie scheinen ja nicht soviel daraus zu machen, und so ist alles in Ordnung.«

»Oh, ich habe Sie mißverstanden. Sie glauben, obgleich Marmaduke noch keinen Entschluß gefaßt hat, daß man doch seine Gefühle gegen Constance nicht falsch verstanden hat.«

»Was gehen mich Marmadukes Gefühle an! Warum fragen Sie ihn nicht danach? Es hat keinen Zweck, mich zu fragen.«

»Ich glaube, Sie haben recht. Das ist der beste Weg.«

»Natürlich ist es der beste.«

»Ich denke, ich spreche auch einmal mit Constance.«

»Warum?«

»Nun, weil es bei ihr genau so wie bei Marmaduke das richtigste ist.«

»Ich sehe das nicht ein. Constance hat nichts zu erklären.«

»Ich denke, ich muß sie warnen, daß sie nicht zu sehr der Zukunft vertraut. Sie achtet kaum noch ihrer Würde, indem sie sich so behandeln läßt, als sei sie schon verlobt. Sie soll begreifen, daß sie ganz frei ihre Zuneigung jemand anders schenken kann, wenn sich dazu eine Gelegenheit bietet.«

»Ich rate Ihnen, mit ihr gar nicht über den Gegenstand zu sprechen.«

»Aber warum denn nicht?«

»Weil Sie nicht dürfen.«

»Das sind Damenansichten. Ich sehe, Sie ziehen die umständliche Auseinandersetzung mit einem Mann der einfachen mit einer Frau vor. Aber, haben Sie keine Furcht. Ich werde mich besonders in acht nehmen, sie zu verletzen.«

»Es tut mir leid, daß ich überhaupt mit Ihnen darüber gesprochen habe.«

»Ich versichere Ihnen, daß Sie dazu keinen Grund haben. Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Offenheit. Sie haben mich zu einem Entschluß in der Sache gebracht. Mein Gehilfe ist hier drinnen; daher wollen wir jetzt die Familienangelegenheiten fallen lassen. Ja, wir gehen durch die Glastür.«

Sie betraten das Laboratorium und fanden Conolly bei der Arbeit. Miß McQuench, die durch Marian von seiner Anwesenheit wußte, bot ihm einen guten Morgen.

»Sind das nicht komische Gegenstände?« fragte Lord Jasper lächelnd, indem er mit einer Handbewegung auf den Apparat wies.

»Ich kann natürlich gar nichts davon verstehen«, antwortete Elinor, indem sie sich geringschätzig umsah.

»Wir müßten es Ihnen erklären. Wollen Sie einen elektrischen Schlag haben?«

»Nein. Wenn Sie mir gütigst sagen wollten, wie man sich davor schützen kann, würde ich Ihnen verbunden sein. Sie können doch nicht von vernünftigen Menschen erwarten, daß sie zu Ihrem Vergnügen sich den Ellenbogen verrenken lassen.«

»Nun, Sie nehmen alles sehr ernst. Das sicherste ist, wenn Sie überhaupt nichts berühren. Haben Sie schon mal elektrisches Licht gesehen?«

»Ja. Bitte, zünden Sie es nicht an. Es ist sehr unangenehm, wenn man nicht dabei durch eine blaue Brille sieht.«

»Ich fürchte, das Laboratorium interessiert Sie nicht«, sagte Lord Jasper verzweifelt.

»Es interessiert mich wohl. Aber ich will nicht, daß ich mir weh tue, daß meine Haare zu Berge stehen oder daß ich behandelt werde, gerade als wenn ich eine Armenschule wäre bei einer Vorlesung. Woran arbeiten Sie? Was haben Sie für Pläne? Was macht man mit all diesen Maschinen?«

Lord Jasper gab ihr einige Erklärungen. Sie hörte ihn mit argwöhnischer Miene an, die ihn verlegen machte. Schließlich sagte sie: »Ich bin Ihnen sehr verbunden für die Erklärung, die Sie mir gegeben haben; aber ich bin jetzt so klug wie zuvor. Ich begreife, daß ich nichts von Elektrizität verstehe.«

»Untersuchen ist der erste Schritt zum Verstehen.«

»Wirklich? Marian glaubt, sie habe sehr viel gelernt heute morgen in einer halben Stunde; aber von diesem ersten Schritt sagte sie nichts. Wenn sie unterscheiden kann zwischen Ihren positiven und negativen und Introduktionsströmen –«

»Induktionsströmen«, sagte Lord Jasper.

»Miß McQuench machte den Schnitzer absichtlich«, bemerkte Conolly ruhig.

Elinor sah ihn gereizt an. Lord Jasper war verwirrt. Conolly ging wieder an seine Arbeit.

»Was es auch ist,« fuhr sie fort, »ich sah nichts von den Schwierigkeiten, von denen Sie mir erzählen. Ich werde einmal mit Marian hierher kommen und mir von ihr die Wissenschaft erklären lassen. Ich will jetzt gehen und sie im Gewächshaus suchen. Sie und Constance werden inzwischen fertig geworden sein. Machen Sie sich keine Mühe, mitzukommen.«

»Wissen Sie denn den Weg?«

»Vollständig, danke sehr.«

Sie verließ das Laboratorium und hörte vom Gärtner, daß die jungen Damen im Obstgarten seien. Als sie dorthin kam, fand sie Constance in einem Sommerhaus sitzen, die Arme um Marians Taille geschlungen. Sie setzte sich ihnen gegenüber auf einen Tisch von rohem Eichenholz.

»Ein Brief, Nelly!« sagte Marian. »Ein Brief! Ein Brief von Marmaduke. Ich hab' es mit Gewalt durchgesetzt, daß du ihn liest, hier ist er. Aber bitte, behandele ihn vorsichtig.«

»Hat er einen Antrag gemacht?« fragte Elinor, als sie ihn nahm.

Constance wechselte die Farbe. Elinor öffnete schweigend den Brief und las:

 

Meine teure Constance!

Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Ich habe hier ein schrecklich lustiges Leben. Wie schade, daß Sie nicht hierher kommen. Ich habe mich gestern im Louvre nach Ihnen gesehnt, als wir einen hübschen Tag damit verbrachten, die Bilder anzusehen. Ich sende Ihnen den gewünschten Seidenstoff, und es hat mich viele Mühe gekostet, ihn zu bekommen, da ich in einem halben Dutzend Läden danach fragen mußte. Nicht als ob mir das unangenehm gewesen wäre, ich will Ihnen dadurch nur meine Ergebenheit zeigen. Sonst weiß ich nichts Neues, es ist auch fast Postschluß. Grüßen Sie alle von mir.

Ihr stets ergebener
Duke.

P. S. – Wie werden Nelly und Ihre Mutter miteinander fertig?

 

Während Elinor sprach, kam der Gärtner am Sommerhaus vorbei, und Constance ging hinaus, um ihm etwas zu sagen. Elinor warf Marian einen bezeichnenden Blick zu.

»Nelly,« entgegnete Marian in leisem, vorwurfsvollem Tone, »du hast die arme Constance ins Herz getroffen, als du ihr sagtest, daß Marmaduke sich nie erklären werde. Deshalb ist sie hinausgegangen.«

»Ja,« sagte Elinor, »es war roh. Aber ich dachte, da ihr solch ein Wesen um den Brief machtet, er hätte endlich doch angehalten. Ich kann nichts dran ändern. Ich habe jetzt eine Feindin mehr, das ist alles.«

»Was hältst du von dem Brief? Es war doch schön von ihm, daß er schrieb – da er doch sonst darin so nachlässig ist.«

»Hm! Hat er die richtige Seide gewählt?«

»Ganz genau. Er muß sich wirklich einige Mühe gegeben haben. Du weißt, wie dumm er sich anstellte, als er für uns letztes Jahr in Coventry das Einfaßband kaufte.«

»Daran denke ich gerade. Erinnerst du dich, wie er sich nach seiner ersten Reise nach Paris über den Louvre lustig machte und schwor, nichts könnte ihn verleiten, ihn noch einmal zu betreten?«

»Er ist jetzt vernünftiger geworden. Er sagt in dem Brief, er habe gestern den Tag dort verbracht.«

»Nicht ganz. Er sagte, wir verbrachten einen schönen Tag, indem wir uns die Bilder ansahen! Wer ist ›wir‹?«

»Irgendein Bekannter von ihm vermutlich. Warum?«

»Ich dachte gerade, es könnte wohl dieselbe Person sein, die auch die Seide so gut eingekauft hat. Dieselbe Frau, meine ich.«

»Oh, Nelly!«

»Oh, Marian! Glaubst du, Marmaduke würde einen Nachmittag im Louvre verbringen mit einem Mann, der ebensogut allein hingehen könnte? Verstehen Männer etwas von Seide?«

»Natürlich tun sie das. Jeder Maulaffe kauft besser ein als eine Frau. Wirklich, Nell, du hast eine häßliche Einbildung.«

»Ja – wenn meine Phantasie häßlichen Dingen folgt. Nichts bringt mich zur Überzeugung, daß Marmaduke sich nur einen Strohhalm aus Constance macht. Er will sie gar nicht heiraten, obgleich er viel zu feige ist, um es einzugestehen.«

»Warum sagst du das? Ich gebe zu, er ist unmanierlich und gleichgültig. Aber er ist so gegen jeden.«

»Ja, gegen jeden, den wir kennen. Weshalb soll man die Dinge von der freundlichen Seite betrachten, wenn die skeptische Betrachtung offenbar die einzig richtige ist. Du hast es darin selbst Jasper gegenüber schon zu weit getrieben. Er hat mir soeben gesagt, du hättest eine so rosenfarbige Brille, daß du schon gar nichts mehr dadurch sehen könntest.«

»Es schadet nichts, wenn man den Leuten Gutes zutraut.«

»O ja, nämlich, wenn die Leute nicht gut sind, was sehr oft der Fall ist. Man hat dabei nicht nur tatsächlich unrecht, man setzt auch wirkliche Tüchtigkeit im Preise herab. Wenn Marmaduke ein vornehmer und warmherziger Mann ist, und Constance ein liebliches, unschuldiges Mädchen, dann kann ich nur sagen, daß es nicht der Mühe wert ist, vornehm oder lieblich zu sein. Wenn Liebenswürdigkeit darin besteht, zu behaupten, Schwarz sei Weiß, dann kann jeder diese Eigenschaft erwerben, indem er lügt und bei der Lüge bleibt.«

»Aber ich behaupte doch nicht, daß Schwarz Weiß ist. Nur scheint es mir, daß du in bezug auf Weiß farbenblind bist. Wo ich Weiß sehe, siehst du Schwarz, und – still! Da ist Constance.«

»Ja«, flüsterte Elinor. »Sie kommt schnell genug zurück, wenn es ihr einfällt, daß wir über sie sprechen können. Ach ja!« fuhr sie laut fort, als Constance hereintrat. »Ich wollte, ich hätte auch einen Liebhaber, der inmitten der Zerstreuungen von Paris mit Sehnsucht an mich denkt und sich seines Vergnügens beraubt, indem er für mich Seide einkauft.«

Constance beachtete diese Stichelei nicht, und sie kehrten nach dem Hause zurück. Marian machte ein paar Bemerkungen über das Obst und über das Wetter, auf die Elinor einsilbig antwortete. Constance sprach überhaupt nicht.

»Ich glaube, ich muß jetzt auf mein Zimmer gehen«, sagte Marian. »Ich muß nicht nur schreiben, sondern auch mit dem Auspacken fertig werden. Nelly wird mir helfen. Du nimmst es uns doch hoffentlich nicht übel, daß wir dich bis zum Lunch allein lassen?«

»Oh, tu ganz, was dir beliebt«, sagte Constance. »Du brauchst dich an mir nicht zu stören.«

»Das war zuviel für das zärtliche Gemüt meiner Lady Constance«, sagte Elinor, als sie mit Marian fortgegangen war. »Sie ist so voll Kummer, daß sie sich nicht einmal für die Gelegenheit, allein zu sein, bedankt, trotzdem sie so sehr danach verlangt hat. Das arme, kleine Geschöpf! Hoffentlich habe ich ihr nun nicht den letzten freundlichen Sinn aus dem Brief ausgeredet.«

Lady Constance ging in das Arbeitszimmer ihres Bruders, in dem ein bequemer Schreibtisch stand. Ohne sich lange zu besinnen, fing sie an zu schreiben, und ihre Feder flog über das Papier, bis sie zwei Briefbogen vollgeschrieben hatte. Dann schrieb sie noch einmal, anstatt einen neuen Bogen zu nehmen, quer über die Linien. Als sie ihren Namen unter den Brief gesetzt hatte, las sie ihn noch einmal durch und fügte zwei Nachschriften hinzu. Dann fiel ihr ein, daß sie noch etwas vergessen hatte. Aber es war kein Platz mehr auf den beiden Bogen, und einen dritten wollte sie nicht hinzufügen, weil er sonst Übergewicht bekommen hätte. Während sie noch überlegte, trat ihr Bruder herein.

»Bin ich dir im Wege?« fragte sie. »Ich bin im Augenblick fertig.«

»Nein, ich will nicht schreiben. Übrigens, du sagtest mir, du hättest heute morgen einen Brief von Marmaduke bekommen. Hatte er etwas Besonderes mitzuteilen?«

»Nichts Besonderes. Er ist in Paris.«

»Wirklich? Du antwortest ihm wohl?«

»Ja«, sagte Constance, durch seinen verächtlichen Ton beunruhigt. »Warum nicht?«

»Du kannst natürlich tun, was du willst. Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich ihn die Annäherung machen lassen. Ich fürchte, er ist ein Taugenichts.«

»So? Dann muß ich sagen, du kennst ihn sehr genau.«

»Ich bin nicht sehr über ihn beruhigt worden durch Leute, die ihn wirklich genau kennen.«

»Und wer sollte das sein? Die einzige Person deiner Bekanntschaft, die ihn oft gesehen hat, ist Marian, und die macht ihn nicht hinter seinem Rücken schlecht.«

»Du redest Unsinn. Seine Genossen werden ihn besser kennen, als Marian es tut. Und dann gibt es auch Leute, die ebensoviel von ihm wissen wie Marian, die aber keine sehr günstige Meinung von der Stetigkeit seines Charakters haben.«

»Ich wußte es. Ich wußte es sofort, als du zu sprechen begannst. Du hast Nelly McQuench über ihn ausgefragt.«

»Angenommen, es wäre so. Ihre Meinung ist doch auch etwas wert.«

» Ihre Meinung! Jeder weiß, wie es sich mit ihrer Meinung verhält. Sie platzt fast vor Eifersucht über mich.«

»Eifersucht!«

»Was sonst? Marmaduke hat sie niemals im geringsten beachtet, und sie liebt ihn wahnsinnig.«

»Das zeigt die Sache in einem ganz neuen Licht. Constance, bist du sicher, daß du nicht aufschneidest?«

»Aufschneiden! Sie kann ja ihre Bosheit gar nicht verbergen. Sie verhöhnte mich heute morgen im Gartenhaus, weil Marmaduke mir niemals einen formellen Antrag gemacht hat. Nur der Brief war daran schuld. Frage Marian.«

»Ich kann es kaum glauben. Sie schien mir – das heißt, nach dem, was ich beobachtet habe, sollte ich gar nicht glauben, daß sie sich etwas aus ihm machte.«

»Du würdest es nicht nach dem geglaubt haben, was sie sagte: Das meinst du doch? Es ist mir gleichgültig, ob du mir glaubst oder nicht.«

»Nun, wenn du deiner so sicher bist, dann darf man es Elinor nicht so übelnehmen. Man muß sie mehr bemitleiden als tadeln.«

»Ja, jedermann bemitleidet Elinor, weil sie ihre Wünsche nicht erfüllen kann und mich deshalb elend macht«, sagte Constance und begann zu weinen. Hierauf verließ Lord Jasper sofort das Zimmer.


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