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Sechzehntes Kapitel

Im Oktober war Marian in Sark auf Besuch im Hause eines Bruders von Hardy McQuench, der sich in Australien ein Vermögen erworben hatte und jetzt nach England zurückgekehrt war. Conolly, der das ganze Haus in Holland Park für sich allein hatte, richtete sich ein leeres Zimmer als Laboratorium ein und arbeitete dort jeden Abend. Eines Nachmittags kurz vor fünf kam er allein nach Hause, ging in sein Laboratorium und begann gerade mit seiner Arbeit, als ihn Armanda, das Hausmädchen, unterbrach.

»Mistreß Leith Fairfax, Herr.«

Conolly war wenig mehr mit Mrs. Fairfax zusammengetroffen, seit er ihr kurz vor seiner Hochzeit das Arbeiten der Erfindung in Queen Victoria Street gezeigt hatte. Marian hatte aus Unwillen über ihren Anteil an Douglas' zweitem Antrag ihre Gesellschaft gemieden, soweit sie das ohne offenen Bruch tun konnte. Und so war jetzt dieser Besuch eine Überraschung. Conolly blickte Armanda finster an und ging schweigend in das Gesellschaftszimmer.

»Wie geht es Ihnen, Mister Conolly?« fragte Mrs. Fairfax, als er hereintrat. »Ich brauche eigentlich nicht zu fragen: Sie sehen so gut aus. Habe ich Sie gestört?«

»Ja – in der angenehmsten Weise. Bitte, nehmen Sie Platz.«

»Ich weiß, Ihre Zeit ist kostbar. Ich hätte es nie gewagt, herzukommen, aber ich wußte sicher, Sie würden gerne alle Neuigkeiten von Sark hören. Ich war die letzten zwei Wochen dort. Marian bat mich, Sie gleich nach meiner Rückkehr zu besuchen.«

»Ja«, sagte Conolly, überzeugt, daß das nicht wahr war. »Sie schrieb mir dasselbe in ihrem letzten Brief.«

Mrs. Fairfax, die im Begriff war, noch einige Unwahrheiten zur Ergänzung hinzuzufügen, stockte jetzt und sah ihn mißtrauisch an.

»Die Luft in Sark ist Ihnen augenscheinlich gut bekommen«, sagte er, als sie schwieg. »Ihre geistigen Arbeiten schaden Ihren sonstigen Reizen, die Sie selbst ja verachten, die aber andere an Ihnen zu schätzen wissen. Kurz gesagt und ohne Ihnen ein Kompliment zu machen, Mistreß Leith Fairfax, Sie sehen sehr gut aus – ich möchte fast sagen, bezaubernd gut.«

Mrs. Fairfax blickte ihn von oben herab an und sagte: »Unsinn! Aber die Reise war für mich dringend nötig. Ich wäre schwerlich noch am Leben, wenn ich so weiter gearbeitet hätte. Und der arme Willie McQuench wollte mich nun einmal da haben.«

»Man hat ihn mir als eingefleischten Löwenjäger beschrieben, und seine Lieblingslöwen sollen berühmte Schriftsteller sein.«

»Ich kann Ihnen versichern, es ist keineswegs angenehm, wenn man von Leuten mit Einladungen verfolgt wird, weil sie einen wirklichen, lebenden Romandichter sehen wollen. Aber William McQuenchs Wohnsitz in Sark ist ein wirklicher Palast. Sie können sich nichts Vollendeteres denken. Sie nennen ihn Sarcophagus wegen seines Reichtums. Eine große Menge von seinen Bekannten hielten sich auf der Insel auf, außer denen, die mit uns im Hause selbst wohnten. Marian war die Schönheit des Platzes. Wie sie jeder bewundert! Warum gehen Sie nicht hin, Mister Conolly?«

»Ich habe zuviel zu tun. Und dann wird es auch Marian angenehm sein, wenn sie mich für eine Weile los ist.«

»Unsinn, Mister Conolly! Sie sollten sie da nicht so sich selbst überlassen!«

»Sich selbst überlassen! Aber es sind doch eine Menge Menschen dort?«

»Ja, aber das meine ich nicht. Niemand, der zu ihr gehört.«

»Sie vergessen Miß McQuench, ihre Busenfreundin. Ferner Marmaduke, ihren Vetter, und seine Mutter, ihre Tante Dora. Dann ist da nicht auch Mister Sholto Douglas, einer ihrer ältesten und vertrautesten Freunde?«

»Oh, soll Mister Douglas sie behüten?«

»Zweifellos wird er sie behüten, wenn es notwendig ist. Sie wissen, da sie die Würde einer verheirateten Frau erlangt hat, braucht sie nicht mehr behütet zu werden. Und es liegt wohl kaum die Gefahr vor, daß sie sich einsam fühlt.«

»Nein, davor wird sie Sholto Douglas bewahren.«

»Ihre Ansicht bestätigt mir die Berichte, die ich von anderer Seite erhalten habe. Es scheint, daß Mister Douglas sehr aufmerksam gegen meine Frau ist.«

»Wirklich, sehr aufmerksam, Mister Conolly. Sie müssen nicht denken, daß ich etwas befürchte – etwas –«

»Etwas?«

»Nun – oh, Sie wissen, was ich meine. Etwas Unrechtes. Weniger etwas wirklich Unrechtes, aber –«

»Etwas Unpassendes.«

»Ja. Sie wissen, Marians Lage ist eine sehr schwierige. Sie sieht so jung und schön aus, daß sie viel bemerkt wird. Und es erscheint seltsam, daß sie da ohne ihren Gatten ist.«

»Über hübsche Damen, deren Gatten man niemals sieht, wird in der Gesellschaft viel geredet. Nicht wahr?«

»Das meine ich ja gerade. Wie fein Sie alles aus mir herausziehen, Mister Conolly. Ich bin hierhergekommen ohne die geringste Absicht, auf – Marians Lage anzuspielen, und nun haben Sie mich verleitet, alles mögliche zu sagen. Welch ein Glück würden Sie als Anwalt gemacht haben.«

»Ich muß um Verzeihung bitten. Natürlich wollten Sie mich nicht wegen Marians besorgt machen.«

»Das ist das allerletzte, was ich tun möchte. Aber jetzt, da ich es einmal gesagt habe – Sie sollten wirklich nach Sark gehen.«

»Tatsächlich! Aber dadurch bewirke ich nur, daß ich sehr im Wege sein werde.«

»Um so mehr Grund für Sie, hinzugehen, Mister Conolly.«

»Durchaus nicht, Mistreß Leith Fairfax. Die Aufmerksamkeiten eines Ehemanns sind schal und passen nicht in die Erholungszeit. Stellen Sie sich selbst vor, ich komme nach Sark mit der zärtlichen Versicherung auf den Lippen: ›Marian, ich liebe dich.‹ Sie würde antworten: ›Das ist deine Pflicht. Dafür bin ich deine Frau!‹ Dieselben Worte von einem andern gesprochen – von Mister Douglas zum Beispiel – würden sie ganz anders berühren und viel angenehmer.«

»Mister Conolly, ist dies Gleichgültigkeit oder äußerstes Vertrauen?«

»Keine von diesen beiden ehelichen Redensarten. Ich wünsche einfach, daß Marian das Leben dort soviel wie möglich genießen möchte, und je mehr eine Frau bewundert wird, desto glücklicher ist sie. Vielleicht denken Sie, ich würde, weil das nun einmal in solchen Sachen Mode ist, eifersüchtig werden?«

Wiederum sah ihn Mrs. Fairfax mißtrauisch an. »Ich werde überhaupt aus Ihnen nicht klug, Mister Conolly«, sagte sie zurückweichend. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht beleidigt.«

»Nicht im geringsten. Ich fasse es so auf, Sie schließen aus verschiedenen Beobachtungen, daß Marians Glück, welches Ihnen, wie ich weiß, sehr teuer ist, eines Tages ernsthaft bedroht werden könnte. Ihre Befürchtungen haben Sie wider Ihren Willen im Laufe eines Gespräches mir gegenüber geäußert.« Conolly machte ihr eine Verbeugung, als ob er glaubte, er habe sich sehr genau ausgedrückt.

»Ja, gewiß so. Aber ich möchte nicht gesagt haben, daß ich etwas Bestimmtes bemerkt hätte.«

»Gewiß nicht. Dann halten Sie es wohl für das beste, wenn ich Marian einfach schreibe, ihr Benehmen hätte Ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und –«

»Gott im Himmel, Mister Conolly, Sie dürfen mich doch nicht in der Sache erwähnen! Sie sind in diesen Dingen so unschuldig – wenigstens so offen, so wie ein Mann aus dem Volke, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ich möchte um alles in der Welt nicht, daß Marian etwas von meinen Andeutungen erführe – ich habe auch wirklich gar nichts bemerkt. Es ist besser, wenn Sie überhaupt nicht schreiben, sondern ruhig hinfahren, wie um sich zu amüsieren. Und lassen Sie in keinem Falle Marian vermuten, daß Sie etwas gehört haben. Der Himmel weiß, was Sie für ein Unheil anrichten würden in Ihrer – Ihrer Genialität.«

»Aber ich dächte doch, die Ansicht einer alten und erprobten Freundin, wie Sie es sind, würde ein besonderes Gewicht für sie haben.«

»Sie wissen gar nichts über so etwas. Sie sind ein perfekter Ingenieur, aber Sie verstehen nicht die kleinen Räder, durch die die große Maschine der Gesellschaft angetrieben wird.«

»Sie haben recht, Mistreß Leith Fairfax. Ich bin nur als gewöhnlicher Techniker erzogen worden, und die feineren Beziehungen des Lebens sind mir fremd. Ich verlasse mich in dieser Hinsicht gewöhnlich auf Marian, aber da Sie es für unverständig halten, wenn ich mich in diesem Falle an sie wende –«

»Ganz außer Frage, Mister Conolly.«

»– so muß ich mich in der Angelegenheit Ihrer Führung anvertrauen. Was raten Sie mir nun?«

»Können Sie nicht sofort nach Sark hinunterfahren? Ihr richtiger Platz ist an Marians Seite. Ihre Anwesenheit wird sie zurückhalten und beschützen.«

»Aber ich will sie nicht zurückhalten; und was das Beschützen angeht, so glaube ich, daß sie selbst für sich sorgen kann. Ich vermute, daß die Dinge nicht sehr schlimm liegen.«

»Aber ich behaupte doch gar nicht, daß die Dinge überhaupt schlimm liegen. Aber es könnte so kommen.«

»Es kommt mir so vor, Mistreß Leith Fairfax, als ob ich den Sachverhalt noch nicht so richtig begriffen hätte. Marian wohnt fern von mir in Sark. Sie wissen zufällig, wie es ihr dort geht. Sie haben bemerkt, daß die Männer sehr hinter ihr her sind. Ist das so?«

»Ja«, antwortete Mrs. Fairfax und schöpfte wieder Verdacht. »Natürlich wird sie bewundert. Das ist nicht ihre Schuld.«

»Natürlich nicht. Und es ist kein Umstand, an dem Sie Anstoß nehmen. Aber Sie glauben, daß sie so von ihren Bewunderern zum Flirten verführt wird, bis sie sich schließlich selbst daran beteiligt.«

»O nein. Das habe ich nie gesagt.«

»Was denn?«

»Sie müssen keine Kreuzfragen stellen, Mister Conolly.«

»Ich bitte Sie deshalb um Verzeihung. Ich suche nur Klarheit zu gewinnen. Offenbar hat Marian etwas getan, was Sie für unschicklich halten.«

»Nein, nein. Das müssen Sie nicht sagen.«

»Wenn nicht, warum soll ich denn nach Sark gehen? Ich habe hier wichtige Arbeit.«

»Ich kann Sie nicht zwingen, auf Ihre eigenen Interessen zu achten, Mister Conolly. Ich habe viel mehr gesagt, als ich beabsichtigte; und Sie dürfen nicht versuchen, mich zu Anschuldigungen gegen Marian zu verleiten. Ich versichere Ihnen, ich habe nichts Unrechtes in ihrem Betragen bemerkt.«

»Sie glauben einfach, daß sie sich zuviel in Gesellschaft von Mister Douglas bewegt.«

»Ja, vielleicht. Ich muß jetzt gehen, Mister Conolly. Ich esse um halb sieben, und es wird schon spät.«

»Wollen Sie nicht eine Tasse Tee nehmen?«

»Nein, danke. Ich muß wirklich wegeilen.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis um Marian, die Sie mir gegen Ihren Willen verraten haben.«

»Wirklich sehr gegen meinen Willen. Lassen Sie nicht das geringste über meinen Besuch verlauten, besonders nicht gegen Marian. Es würde das arme Kind schmerzen. Und es ist wirklich nicht ihr Fehler, es ist ganz natürlich. Und machen Sie sich keinen Kummer.«

»Vielleicht auch um meinetwillen sage ich ihr lieber nichts über Ihren Besuch«, bemerkte Conolly, indem er sanft ihre Hand drückte. »Marian ist sehr gut, aber auch manchmal etwas eifersüchtig. Ihre Schönheit macht sie nicht blind gegen geistige Vorzüge, in denen sie sich nicht mit Ihnen vergleichen kann.«

»Still!« sagte Mrs. Fairfax, indem sie ihre Hand wegzog und lächelte. »Wie kalt es geworden ist! Guten Abend.«

Bevor sie fünfzig Meter vom Tor aus fortgegangen war, traf sie den Pfarrer, der seinen Hut zog und stehenblieb.

»Sind Sie es, Mister Lind?« fragte sie. »Ich dachte, Sie wären in Schottland.«

»Ich komme gerade von da, Mistreß Leith Fairfax. Ich berühre London auf der Durchreise nach Sark.«

»Ach, und ich bin erst vor zwei Tagen von Sark zurückgekommen.«

»Wirklich! Welch ein seltsames Zusammentreffen! Ich will Mister Conolly besuchen. Wenn ich mich nicht irre, kommen Sie von ihm.«

»Ja. Ich war wegen eines Buches dort, das ich Marian geliehen hatte und das ich notwendig brauche. Welch ein merkwürdiger Mensch Ihr Schwager ist! Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich glaube nicht, daß er außerhalb seines eigentlichen Berufs viel Verstand hat.«

»Wahrscheinlich nicht; sehr wahrscheinlich nicht. Dem Menschen ist es nicht gegeben, in allem groß zu sein.«

»Er hat keinen Takt. Er kann Takt nicht verstehen. Ich versuchte ihm begreiflich zu machen, daß er Marian nicht allein lassen dürfte in Sark unter den vielen müßigen Männern. Es war zwecklos. Er begriff gar nichts und setzte mich durch die Fragen, die er stellte, in die größte Verlegenheit. Wenigstens würde er es getan haben, wenn ich weniger geschickt gewesen wäre. Es freut mich, daß Sie hingehen. Es wird dort so viel über Marian geredet; und jeder kann es deutlich sehen, daß Sholto Douglas in sie vernarrt ist. Wirklich, sie müßte jemand um sich haben.«

»Das ist sehr bedenklich, Mistreß Leith Fairfax. Ich bin sicher, daß Marians eigenes Benehmen unangreifbar ist. Aber sie ist so gutmütig, daß sie eine Führung nötig hat. Wem von uns tut das nicht not?«

»Es handelt sich nicht so sehr darum, was Marian tut oder denkt, sondern was die Leute glauben, das sie tut oder denkt. Ihr Benehmen ist selbstverständlich tadellos – etwas anderes würde ich auch nicht von dem lieben Mädchen behaupten –; aber sie ist jung, und ihr Mann scheint sich nicht soviel um sie zu bekümmern, als er sollte. Erwähnen Sie um alles in der Welt ihm gegenüber nichts von dem, was ich Ihnen gesagt habe, überhaupt ist es am besten, wenn Sie gar nicht erwähnen, daß Sie mich getroffen haben.«

»Sie können sich auf meine Diskretion verlassen. Ich wollte erst einige Tage in London bleiben, aber ich werde jetzt doch sofort nach Sark weiterfahren.«

»Oh, so dringend notwendig ist das nicht. Lassen Sie sich durch meine Besorgnisse nicht ängstlich machen.«

»Ich muß sofort hingehen – sofort. Ich könnte nicht eine Nacht mit dem Bewußtsein schlafen, daß ich mich einer doppelten Pflicht entzöge. Die Angelegenheit geht mich sowohl als Bruder wie als Priester an.«

»Sie haben recht, Mister Lind; und Sie müssen mir als Weltkind verzeihen, wenn ich an ein Zögern dachte. Adieu. Es ist sehr kalt; und ich muß eilen, daß ich zur Essenszeit zu Hause bin und meine Füße wärme.«

»Verzeihen Sie, wenn ich Sie aufgehalten habe, Mistreß Leith Fairfax. Guten Abend. Noch ein Wort. Ich hatte vergessen, Ihnen zu Ihrem letzten Buch zu gratulieren. Ihre Erzählungen sind die einzigen erfundenen, die ich Gott sei Dank ohne Furcht in den Händen meiner Gemeindemitglieder sehen kann.«

»Ich schätze Ihre Worte höher als die zwei Spalten Schmeichelei, die mir der ›Satirist‹ letzten Monat spendete, obgleich er noch niemals früher mehr als eine Viertelspalte auf die Besprechung eines Buches verwandt hat. Ich könnte kein unwürdiges Buch schreiben, Mister Lind, und Sie am nächsten Sonntag treffen. Adieu.«

Als der Pfarrer in dem Hause anlangte, wurde er ins Laboratorium geführt, wo er Conolly in Hemdärmeln und mit seinen Apparaten beschäftigt fand. Das flackernde Feuer, bequeme Stühle und Vorbereitungen zu einer Abendmahlzeit erfreuten ihn mehr als die Anwesenheit seines Schwagers, in dessen Gegenwart er sich niemals ganz behaglich fühlte.

»Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich während unserer Unterhaltung etwas mit diesen Maschinen beschäftige?« fragte Conolly.

»Nein, durchaus nichts, durchaus nichts. Ich werde Ihre Operationen mit großem Interesse verfolgen. Sie müssen nicht glauben, daß mir die Wunder der Wissenschaft gleichgültig sind.«

»Sie gehen also nach Sark, sagten Sie?«

»Ja. Kann man Sie nicht überreden, mitzukommen?«

»Nein, gewiß nicht. Ich habe hier Wichtigeres zu tun.«

»Ich dächte, es würde Ihre Gesundheit etwas auffrischen, wenn Sie ein paar Tage herauskämen.«

»Ich bin immer gesund, solange ich zu tun habe. Trafen Sie draußen Mistreß Fairfax?«

»Ach – ja. Ich begegnete ihr.«

»Sie haben vermutlich auch mit ihr gesprochen?«

»Ein paar Worte. Ja.«

»Wissen Sie, warum sie hierherkam?«

»Nein. Doch halt, ich vergaß. Sie erwähnte ein Buch, das sie Ihnen geliehen hatte.«

»Sie erwähnte etwas, was nicht wahr war. Sie kam hierher, um zwischen mir und meiner Frau Unfrieden zu stiften. Douglas' Aufmerksamkeiten gegen Marian gaben ihr dazu willkommene Gelegenheit. Sie hat es vermutlich auch Ihnen gesagt und Sie um Ihre Diskretion gebeten. Nicht wahr?«

»Nun, ja – allerdings. Sie sagte, es sei vielleicht gut, wenn ich sofort nach Sark ginge, da Marian ganz allein sei.«

»Genau so. Nun ist es wahrscheinlich, daß sich Douglas ziemlich viel mit Marian abgibt. Da hat nun irgendein geschwätziger Mensch ihr erzählt, die Leute redeten über sie. Das würde ihr die Ferien verderben. Darum bin ich nun wirklich froh, daß Sie hinunterfahren. Kein Mensch wird es wagen, etwas über sie zu reden, wenn Sie dort sind. Und sollte man Ihnen wirklich so etwas sagen, dann lassen Sie das in das eine Ohr herein und durch das andere wieder heraus gehen.«

»Das versteht sich von selbst, außer wenn ich sähe, daß sie wirklich unpassend handelte.«

»Ich will Ihnen lieber im voraus erzählen, was Sie sehen, wenn Sie Ihre Augen aufhalten. Sie werden offenbar bemerken, daß Douglas, der sie nicht versteht, in sie verliebt ist. Ferner, daß sie, die niemanden versteht, weiß, daß er sie liebt. Sie hat es mir selbst erzählt. Weiter, wenn Sie tief genug blicken, daß sie es gern hat, von ihm geliebt zu werden, und daß sie an diesem romantisch aussehenden Spiel von Gefühlen hängt wie der Negerknabe an einer alten Uniform mit ein paar Messingknöpfen, selbst wenn er vorher die bequemste Kleidung getragen hat.«

Der Pfarrer George starrte ihn an. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe – ich bin dessen sicher – so unterschieben Sie Marian die Sünde, Gefühle zu hegen, die sie pflichtgemäß unterdrücken müßte.«

»Ich unterschiebe ihr keine Sünde. Sie können ebensowohl einem Bettler erzählen, er habe kein Recht, hungrig zu sein, als einer Frau, sie müsse so oder so fühlen.«

»Aber Marian ist so erzogen worden, daß ihre Gefühle sich stets nach ihrer Pflicht richten.«

»Und was ist das Resultat dieser Erziehung?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Conolly fort: »Ich will nicht leugnen, daß sie die Folgen dieser Erziehung zeigt. Sie treten leider bei jeder bewußten Handlung, die sie vollführt, zutage.«

»Ihre Worte überraschen und schmerzen mich. Das ist die erste Andeutung von Ihrer Seite, daß Sie sich über irgend etwas bei Marian zu beklagen haben.«

»Unsinn! Ich beklage mich nicht über sie. Aber was Sie ihre Erziehung nennen, scheint, soweit ich herausfinden kann, darin bestanden zu haben, daß Sie sie mit Lügen angefüllt und es ihr zur Ehrensache gemacht haben, daran gegen alle Vernunft und Empfindung zu glauben. Das Pflichtgefühl, das auf solchem Boden wächst, ist schlimmer als ein vollständiger Mangel an Grundsätzen. Ich will Ihnen, die Sie die feine Gesellschaft bilden, nicht das Recht bestreiten, alle häßlichen Tatsachen des Lebens zu überdecken. Aber wenn Sie Ihre Töchter glauben machen, daß sich unter der Decke gesundes Leben verbirgt, so ist das ein Verbrechen. Die arme Marian glaubt, ein Zimmer sei rein, wenn aller Schmutz unter die Möbel gefegt ist, so daß man ihn nicht mehr sieht. Und wenn ein ehrlicher Mensch ihn hervorkehrt, um ihn denen zu zeigen, die ihn beseitigen müßten, dann ist sie über ihn entrüstet und klagt ihn in neun von zehn Fällen an, er hätte selbst den Schmutz verursacht. Sie hat gar keine Ahnung, in was für einer Welt sie lebt, dank den falschen Darstellungen derjenigen, die sie erzogen haben. Wenn sie einmal Kinder bekommt, wird sie sie genau so täuschen. Hätte man ihr in ihrer Kindheit die Wahrheit gesagt, so wüßte sie der Welt gegenüberzutreten und wäre ebensosehr eine starke wie eine liebenswürdige Frau. Aber das ist jetzt zu spät. Die Wahrheit erscheint einem Kinde ganz natürlich, aber einer erwachsenen Frau oder einem Mann ist sie eine bittere Aufgabe, wenn er sie lernen muß, obgleich sie ihn nur stärken kann, wenn erst die Schwierigkeiten überwunden sind. Und Sie wissen wohl, wie selten eine harte Aufgabe, wenn man sie einem widerstrebenden Schüler auferlegt, von diesem gut bemeistert wird.«

»Was ist Wahrheit?« sagte der Geistliche mit gehobener Stimme.

»Alles, was wir wissen, Master Pilatus!« entgegnete Conolly lachend. »Und wir wissen manches. Es mag zwar wenig sein, wenn wir es mit dem vergleichen, was wir nicht wissen, aber es ist doch trotz alledem mehr, als irgendeiner von uns erfassen kann. Wir wissen zum Beispiel, daß die Welt nicht von einem gefühlvollen Landschaftsgärtner ersonnen wurde. Wenn Marian das je lernt – was ich wohl wünschte, obgleich ich ihr es weder lehren kann noch will –, dann wird sie es denen wenig danken, die sie zwangen, über soviel Falsches umzulernen. Bis dahin, fürchte ich, wird sie sich nur ein ganzes Lager von Enttäuschungen sammeln.«

»Das ist sehr seltsam. Wir haben Marian immer für ein außergewöhnlich liebenswürdiges Mädchen gehalten.«

»Leider ist sie das. Da gibt es keine noch so verruchte Einrichtung, die sie nicht verteidigt; keine noch so drückende Tyrannei, der sie sich nicht aus Pflichtgefühl unterwirft; kein noch so giftiges soziales Geschwür, das auszuschneiden sie nicht zurückschreckt – lieber verteidigt sie es als die angenehmste und beste Sache von der Welt. Sie weiß, daß sie ihrem Vater den Gehorsam verweigerte und daß er es nicht besser verdiente; und doch verdammt sie andere Frauen, die dasselbe tun, und verteidigt Nelly McQuench gegenüber die Selbstlosigkeit der elterlichen Liebe. Sie weiß, daß die größere Bewegungsfreiheit, die sie als verheiratete Frau genießt, ihr nur gut getan hat. Trotzdem blickt sie mißbilligend auf andere junge Frauen, die ihr Recht auf Freiheit ausnutzen und sich nicht fürchten, über die Straße zu gehen, auch wenn kein menschlicher oder wirklicher Schäferhund als Wache hinter ihnen herläuft. Sie weiß, daß die Ehe nicht das ist, was sie erwartete, und daß es hart ist, für immer an mich gekettet zu sein – und sie weiß außerdem, daß unsere Ehe glücklicher ist als die meisten andern. Trotzdem wird sie andere Mädchen zum Heiraten ermuntern und behaupten, die Kette, die an ihren eigenen Händen wie Blei herabhängt, sei eine Blumenkette. Und wenn eine Frau sich an einer öffentlichen Bewegung beteiligt, um über diese Fesseln Aufklärung zu verbreiten, so hält sie diese Frau für unwürdig, in anständiger Gesellschaft zugelassen zu werden. Es gibt keine einzige Lüge, an der sie hängt, die ich nicht bei der Gurgel fassen und vernichten möchte, und das weiß sie auch. Selbst hierbei hat sie nicht die Festigkeit zu glauben, ich habe unrecht. Denn dem Gatten nicht zu glauben ist unpassend und verträgt sich nicht mit den Blumenketten. Damit sie ihre eigenen Widersprüche nicht bemerkt, muß sie in einem rosenfarbenen Nebel leben. Aber da ich gegen meinen Willen immer wieder den Nebel fortblase, und da ferner die nackten Tatsachen ihrer täglichen Erfahrung im klaren Sonnenlicht vor ihr liegen, so verbringt sie die halbe Zeit damit, sich zu fragen, ob sie krank ist oder vernünftig. Zwischen ihrem Verlangen, das Richtige zu tun, und ihren Entdeckungen, daß sie gewöhnlich dazu kommt, das Falsche zu tun, verbringt sie ihr Leben in einer grübelnden Trauer, die ich nicht zerstreuen kann. Ich kann sie nur bemitleiden. Ich glaube, ich könnte sie verhätscheln, aber ich hasse es, eine Frau wie ein Kind zu behandeln. Damit gibt man alle Hoffnung auf, sie zur Vernunft zu bringen. Vielleicht nimmt sie eines Tages als Tröstung ihre Zuflucht zur Liebe oder zur Religion, und zu ihrem eigenen Besten hoffe ich, daß sie das erste wählt. Von zwei Übeln geht es am schnellsten vorüber.« Und Conolly nahm, nachdem er sich so Luft gemacht hatte, seine Arbeit wieder auf, ohne daß er auf irgendeine Bemerkung des Geistlichen zu warten schien.

»Nun ja,« sagte Pfarrer George vorsichtig, »ich glaube nicht, daß ich Ihren Ansichten ganz gefolgt bin. Ihre Meinung scheint mir derartig auf dem Kopf zu stehen, als ob sie auf die Netzhaut Ihres geistigen Auges – um ein glückliches Wort Shakespeares zu gebrauchen – wie auf den Lichtschirm einer Camera obscura geworfen sei. Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß Ihre Ansicht über Marian eine durchaus falsche ist. Sie scheinen zu glauben, daß sie nicht streng an den Geboten der Kirche hängt. Das ist eine Sache, die Sie – wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen – nicht verstehen.«

»Das können Sie ruhig«, unterbrach ihn Conolly schnell, »hier ist der Tee. Lieben Sie Kuchen?«

»Ich weiß es nicht. Ich bin mit allem – selbst mit der einfachsten Speise zufrieden.«

»Ich auch, wenn ich nichts Besseres bekommen kann. Bitte, greifen Sie zu.«

Conolly setzte sich nicht hin zu der Mahlzeit, sondern arbeitete, während der Geistliche aß. Nach kurzer Zeit kam der Pfarrer George, erwärmt durch das Feuer und angeregt durch das Essen, auf die häuslichen Angelegenheiten seines Wirtes zurück.

»Sehen Sie,« begann er, »ich bin sicher, daß ein paar vernünftige Worte zu einer Verständigung zwischen Ihnen und Marian führen würden.«

»Ich glaube auch, daß es ein paar Worte tun würden, aber es wären keine vernünftigen.«

»Warum nicht? Kann es unvernünftig sein, die Harmonie im Haushalt wiederherzustellen?«

»Nein, aber das würde nicht die Folge einer Auseinandersetzung sein, weil uns die Wahrheit kaum miteinander aussöhnen würde. Wenn ich die Angelegenheit einem Mann erklären müßte, würde er mit mir streiten. Aber Marian würde mir nur vorwerfen, ich verachtete sie, und die Folge unserer Auseinandersetzung wäre nicht Harmonie, sondern Elend für sie, Ungerechtigkeit gegen mich.«

»O nein – Gott bewahre uns. Ein paar freundliche Worte, ein Appell an ihr gutes Herz, ein wenig Nachgiebigkeit auf beiden Seiten –«

»Das ist alles ausgezeichnet für ein Paar, das sich in aufgeregter Stimmung entzweit hat, für eine Schwiegermutter, für einen Anfall von Eifersucht, für den häufigen Besuch des Mannes im Klub, für zu häufiges Tanzen der Frau mit einem Verehrer, aber es taugt nicht für uns. Wir haben nie unfreundliche Worte miteinander gewechselt, wir brauchen uns gegenseitig keine Entschuldigungen zu machen, ihr Benehmen ist fehlerlos. Übrigens sind diese paar freundlichen Worte, die in allen häuslichen Angelegenheiten solche Wunderwirkungen haben sollen, meist nur gutgemeinte Lügen. Wenn ich Marian damit käme, würde sie sie mir auch gar nicht glauben. Noch viel weniger kann man aus solchen Lügen einen dauernden Frieden aufbauen. Nein, die Lage ist viel schlimmer, als Sie denken. Nehmen wir einmal zum Beispiel an, Sie versuchen, die Harmonie, wie Sie das nennen, wieder herzustellen – was würden Sie ihr sagen?«

»Nun, das hängt von den Umständen ab.«

»Aber Sie kennen die Umstände, von denen es abhängt. Wie würden Sie beginnen?«

»Da gibt es so kleine Wege, um sich Frauen gegenüber einem bedenklichen Gegenstand zu nähern. Ich würde zum Beispiel gelegentlich sagen, es sei doch schade, daß ein Paar, das in einer so glücklichen Lage ist wie Sie beide, nicht vollkommen übereinstimmte.«

»Sie würden nicht weiterkommen, denn Marian gibt niemals zu, daß wir nicht vollkommen übereinstimmen. Sie weiß nicht, worüber sie sich beklagen soll, und darum fühlt sie sich bei ihrer Ehre verpflichtet, zu sagen, sie habe sich über nichts zu beklagen. Sie ist nicht die Frau, mir Vorwürfe zu machen wegen einer Unzufriedenheit, die sie sich selbst nicht erklären kann. Oder wenn sie es wirklich könnte, würden Sie dadurch klüger werden? Ich habe es Ihnen erklärt, und Sie haben mich, wie Sie zugeben, nicht verstanden. Die Uneinigkeit zwischen uns ist weder ihre noch meine Schuld, und alle Erklärungen von der Welt werden sie nicht beseitigen.«

»Wenn Sie mir erlauben, sie an ihr religiöses Pflichtgefühl zu erinnern –«

»Religion! Sie glaubt nicht daran.«

»Was!« rief der Geistliche wirklich erschrocken aus. »Sicherlich, sicherlich –«

»Hören Sie mich an. Für mich ist die Hand aufheben und ›Credo‹ sagen noch nicht dasselbe wie an eine Lehre auch wirklich glauben. Man handelt nur im allgemeinen so, als ob man an diese Lehre glaube. Marian hält es für unrecht, nicht in die Kirche zu gehen, sie erhebt ihre Hand und bekennt ihr ›Credo‹ zur Unsterblichkeit der Seele und zu jedem Vers im Neuen Testament. Die Aktionäre in unserm Geschäft in der City werden dasselbe tun. Aber werden sie oder Marian jemals wirklich nach dem Glauben handeln, sie seien unsterblich, oder Reichtum sei etwas Schmutziges, oder Klassenvorurteile seien eine Sünde? Niemals. Sie glauben es gar nicht. Die Hand erheben und ›Credo‹ sagen heißt nicht glauben. Es heißt nur zur Kirche gehen, und das tut man, weil es achtbar ist und weil Achtbarkeit eine Gewohnheit der höheren Klassen ist. Aber Kirchgang ist Kirchgang, und Geschäft ist Geschäft, wie Marian Ihnen bald zeigen wird, wenn Sie sich in ihr Geschäft einmischen. Aber wir wollen uns darüber nicht streiten, wir kennen jeder des andern Ansicht, und wir können uns dabei beruhigen, wenn wir nicht immer übereinstimmen.«

»Es würde gegen meine Pflicht als christlicher Priester sein, wenn ich mich beruhigte.«

»Vielleicht ja. Ich glaube aber doch, Sie haben in Ihrem Leben schon mancher Ketzerei nachgegeben. Also, was ich sagen wollte, folgen Sie meinem Rat und lassen Sie Marian in Frieden.«

»Aber was haben Sie denn vor, zu tun?«

»Ich werde abwarten. Die Erfahrung wird einige von ihren Illusionen abschleifen, bis sie schließlich findet, daß es ihr nicht schlimmer geht als andern Frauen und daß sie es eher besser hat. Wir können die Sache nicht ungeschehen machen und müssen versuchen, sie zum besten Ende zu führen. Ich hoffe selbst das beste. Trinken Sie etwas Grog?«

»Ich trinke sehr selten,« sagte Pfarrer George lächelnd, »aber dieser Sessel und der Kamin sind so ungewöhnlich gemütlich –«

Conolly klingelte und ließ etwas Whisky bringen. Er selbst trank Selterwasser.

»Sind Sie Abstinent?« fragte Pfarrer George beschämt, weil er Alkohol trank.

»Keineswegs«, sagte Conolly. »Ich würde eine Tonne Whisky trinken, wenn ich sie nötig hätte. Augenblicklich brauche ich nichts. Wie geht es mit Ihrer Kapelle? Ich hörte, die Predigten Ihres Nachfolgers brächten die ganze Gemeinde zum Schlafen.«

»Er ist nicht der Beste auf der Kanzel. Ein guter Mensch – ein sehr liebenswürdiger Mann, aber nicht imstande, eine große Versammlung zu fesseln. Schließlich muß ich gestehen, daß das sehr wenige von unserm Stande können. Die Fähigkeit zu predigen ist eine sehr ungewöhnliche. Sie ist eine Gabe und ein anvertrautes Pfand. Man kann sie nicht erwerben. Ich spreche natürlich nicht von mir selbst, aber ich versichere Ihnen, ich weiß nicht, wodurch ich den Eindruck erziele, nach dem andere immerzu ohne den geringsten Erfolg trachten. Es ist mein demütiger Glaube, daß die Macht der Zunge durch eine höhere Weihe kommt als durch die des Bischofs.«

Der eigentliche Grund, weshalb der Geistliche Conolly besucht hatte, war – wie sich jetzt herausstellte –, sich einen Koffer zu leihen. Über Marian wurde nichts mehr gesprochen. Als er gegangen war, setzte sich Conolly an seinen Schreibtisch und schrieb folgenden Brief:

 

»Meine liebe Marian!

Ich habe gerade zwei unerwartete Besuche gehabt, einen von Mrs. Fairfax und einen von George. Mrs. L. F. sagte, Du hättest sie gebeten, mich zu besuchen, um mir Neuigkeiten mitzuteilen. Als ich ihr, ohne zu erröten, erzählte, Du hättest mich schon brieflich auf ihren Besuch vorbereitet, geriet sie sehr aus der Fassung, da sie richtig vermutete, daß ich ihr kein Wort glaubte. Da das mindestens die sechsunddreißigste Falschheit ist, auf der Du die gute Mrs. F. ertappt hast, so wirst Du, hoffe ich, dazu kommen, trotz Deines Grundsatzes, von allen Leuten nur das Beste zu glauben, sie in Zukunft nicht als eine durchaus vertrauenswürdige Person zu betrachten. Sie kam hierher, um mich auf Douglas eifersüchtig zu machen. Ich sollte nach Sark kommen, Du seist so jung und so viel bewundert, Mr. Douglas sei so aufmerksam, Du dürftest nicht ganz allein gelassen werden und so fort. Sie machte mir einige Komplimente, die ich nach Art der arbeitenden Klasse errötend annahm. Zum Dank stellte ich mich in sie verliebt und schmeichelte ihr wegen ihres Aussehens. Sie nahm meine Huldigung ganz ernsthaft auf und verließ mich mit dem Gefühl, wie dumm ich sei und wie unendlich taktvoll sie selbst sei. Da sie nur durch ihren natürlichen Hang, Unheil zu stiften, zu ihrem Besuch veranlaßt war, hatte sie wenigstens nur selbstlose Absichten. Ganz anders verhielt es sich mit Deinem geistlichen Bruder. Sein Koffer war ihm auf der Reise von Edinburgh hierher geplatzt, und so kam er her, um sich meinen zu borgen, da er offenbar fest entschlossen war, erst sämtliche Koffer seiner Bekannten zu verschleißen, ehe er sich einen neuen kaufte. Unglücklicherweise traf er Mrs. F. unten auf der Straße, und sie hatte Zeit, den Rest des Giftes, das sie verspritzt hatte, an ihn loszuwerden. Da nun George als Geistlicher ebensowenig wie eine Frau seinen Mund halten kann, wenn er es tun sollte, so bin ich sicher, wenn ich Dir nicht erzähle, was Mrs. F. sagte, daß er es tut. Sonst würde ich es vor Deiner Rückkehr nicht erwähnt haben aus Furcht, es möchte Dich kränken und Dir Deinen Aufenthalt in Mr. McQuenchs Hause verleiden. Wenn also Seine Hochwürden mit Andeutungen kommen, so verstehst Du, was er will, und brauchst nicht darauf zu achten. Mrs. F.'s Ausstreuungen sind natürlich nicht mir allein anvertraut worden, aber ich würde an Deiner Stelle mich dadurch nicht zu dem kleinsten Wechsel in meinem Verhalten bewegen lassen. Solltest Du Dir aber jetzt plötzlich eine größere Zurückhaltung gegenüber Douglas auferlegen, so sage ihm den Grund, weil er sonst die Veränderung Deiner Koketterie zuschreibt.

Ich habe das leere Zimmer im ersten Stock in ein Laboratorium verwandelt und sitze jetzt dort. Ich habe vor, es wie ein Atelier auszustatten und dort eine Privatausstellung meiner Erfindungen zu halten, wie Scott das mit seinen Gemälden tut. Parsons Diener kam dieser Tage mit einigen Blumen und erzählte mir, daß in unserem Hause, während ich fort war, drei Bälle stattgefunden hätten – auf dem ersten sei er selbst anwesend gewesen. Eine oder zwei kleine Beschädigungen und die Tatsache, daß sich jemand bemüht hat, die Verschlüsse am Klavier und an der Orgel zu öffnen, verleiten mich dazu, an seine Erzählung zu glauben. Parsons Diener sagt, er sei zu anständig gewesen, auch die beiden letzten Unterhaltungen zu besuchen, nachdem er gefunden, daß die erste eine unerlaubte war. Doch ich glaube, er betrug sich nicht zum besten und wurde nicht mehr eingeladen. Offenbar hat er sich mit einem militärischen Verehrer Armandas gezankt, denn er erging sich in besonders scharfen Ausdrücken über die Tatsache, daß sich ein gewöhnlicher Soldat im Hause eines Gentlemans breitmachen dürfte. Ich habe den beiden Missetäterinnen nichts gesagt, aber ich habe durchblicken lassen, ich wüßte alles, und sie tun jetzt mit zitterndem Eifer ihre Pflicht. Es hat jemand auf dem kleinen Tisch von Nußbaumholz gesessen und ihn zerbrochen, sonst ist aber kein erwähnenswerter Schaden entstanden. Der Tisch war lächerlicherweise mit einem Stück Bindfaden zusammengebunden und in den leeren Raum zwischen der Orgel und dem vorderen Fenster gestellt. Ich mache mir jetzt öfters das Vergnügen, ihn an das helle Tageslicht zu ziehen. Abends, wenn ich zurückkomme, ist er dann immer wieder fortgestellt.

Wie bist Du mit Geld versehen? Madame sprach letzten Montag vor und fragte Matilda, die die Tür aufmachte, wann Du zurückkämest. Daraufhin ließ ich sie zu mir kommen. Ich muß sagen, sie ist sehr loyal gegen ihre Kundinnen, denn ich hatte die größte Schwierigkeit, von ihr die Rechnung zu bekommen, obgleich sie natürlich nur deswegen gekommen war. Sie ist offenbar von der Notwendigkeit überzeugt, Ehemänner über solche Angelegenheiten im Dunkeln zu lassen. Ein Posten war für die Spitzen an Deiner makkaronifarbenen Taille, die Du, wie ich zufällig wußte, selbst zugeliefert hattest. Nach kurzem Kampf gab sie das zu, und ich bezahlte dann alles mit etwas über fünfundzwanzig Pfund.

Ich habe dieser Tage siebzig Elektro-Motor-Aktien von dem alten Mr. Woodward zum Ausgabepreis gekauft. Ein Freund hatte ihm gesagt, die Gesellschaft wäre dabei, zu fallieren. Ich sagte ihm, wie töricht er handelte, aber er war zu schlau, um mir zu glauben. Ich wollte nur fünfzig Aktien, nahm aber gern die andern zwanzig dazu, da der Preis ein reines Glücksgeschenk für mich war. Du magst von dem Nutzen, soviel Du willst, auf der Insel verschwenden.

Wann kommst Du wieder zurück? Deine Triumphe in Sark und die fröhliche Gesellschaft dort werden Dir, wie ich fürchte, das häusliche Leben etwas langweilig machen. Trotzdem würde ich Dich gerne Wiedersehen. Komm jedenfalls vor Weihnachten.

Dein vereinsamter
Ned.«

 

Die Antwort kam zwei Tage nach wendender Post und lautete:

 

Melbourne House, Sark,
Sonntags.

Mein lieber Ned!

Ich bin so aufgebracht über die Dienstboten! Von Matilda halte ich ja gar nichts, aber ich dachte, ich könnte mich auf Armanda verlassen in Anbetracht all des Guten, das ich ihr erwiesen habe. Ich könnte es schwerlich glauben, daß sie so schlecht gehandelt hat, wenn sie nicht durch Matilda verführt wäre, die ich sofort entlasse, wenn ich nach Hause komme. Mit Armanda will ich es noch einmal versuchen, aber ich werde ihr eine Lektion geben, die sie so bald nicht wieder vergißt. Ich weiß ganz bestimmt, daß viel mehr Unheil angerichtet worden ist, als Du bemerkt hast. Wenn sie drei Nächte durch mit schweren Männerstiefeln auf dem Teppich getanzt haben, muß er in Fetzen sein. Es ist wirklich schlimm. Geld brauche ich nicht. Selbst die zwanzig Pfund, die Du mir zuletzt gesandt hast, waren überflüssig, da ich fast noch sechzehn übrig habe. Welch eine Spitzbübin Madame ist, daß sie versucht, sich von Dir meine Spitzen bezahlen zu lassen! Es tut mir leid, daß Du die Rechnung bezahlt hast. Sie hatte kein Recht, wegen ihres Geldes zu fragen, kein Mensch bezahlt ihr so schnell. Wir haben viel Spaß gehabt hier unten. Es war eine ununterbrochene Gartengesellschaft die ganze Zeit, und das Wetter ist noch immer prächtig. Mr. McQuench ist sehr exotisch, aber ich glaube, sein Benehmen macht das Haus gemütlicher, als wenn er noch wie ein Engländer wäre. Sunbury ist einfach stumpfsinnig im Vergleich mit diesem Platz. Ich habe mehr getanzt wie je in meinem Leben, aber wir sind jetzt dieser gewöhnlichen Vergnügungen so müde, daß wir alle protestieren, wenn nur jemand einen Walzer auf dem Klavier anschlägt. Wir machten auch einmal einen Versuch mit Choralmusik, aber er mißlang. Freitag wurde George, den man hier als einen großen Mann ansieht, gebeten, aus Shakespeare vorzulesen. Er war nur zu erfreut darüber, denn er hatte eine Vorlesung des Schauspielers Simonton auf einem Basar in Schottland gehört und war natürlich voll von Richard dem Dritten. Er trug gar nicht so schlecht vor, aber seine Nachahmung Simontons war so unverkennbar und so seltsam gemischt mit seinem eigenen Kanzelstil, daß er mir sehr langweilig und unnatürlich vorkam. Wenigstens glaubte ich so. Ich fühlte mich während der Vorlesung schrecklich geniert wegen Marmadukes, der sich skandalös aufführte. Es waren einige Schulbuben anwesend, und er ermutigte sie nicht nur zu schlechtem Betragen, sondern war noch schlimmer als sie. Zuletzt gab er vor, er sei durch die Hitze überwältigt, und ging zu meiner großen Erleichterung hinaus. Aber als die Stelle von dem früh erwachten Dorfhahn kam, krähte er draußen vor der Tür, wo er absichtlich deshalb gewartet hatte. Niemand konnte sich des Lachens enthalten, und die Buben kreischten so, daß Mr. McQuench zwei von ihnen beim Kragen nehmen mußte. Er war, glaube ich, froh, daß er einen Grund hatte, hinauszugehen und selbst zu lachen. George war böse – kein Wunder! Er wird kaum noch einmal mit Marmaduke sprechen, der natürlich leugnet, von der Unterbrechung etwas zu wissen. Aber George weiß es besser. Alle von der Familie Hardy McQuench sind hier unten. Onkel Hardy ist ganz gekrümmt vom Rheumatismus. Nelly ist jetzt die Hauptperson in der Familie, Lydia und Jane gelten nichts neben ihr. Sie sind gutmütige, kräftige Mädchen, aber sie machen nicht viel aus. Ich hoffe, es ist nicht Tante Doras Nußbaumtisch, der zerbrochen ist. War es nicht gemein von Parsons Diener, daß er das über Armanda erzählt hat? Ich denke, da Du solches Glück mit den Aktien gehabt hast, so könnten wir solch eine Garnitur Vorhänge, wie wir sie bei Protheroes sahen, für unser Gesellschaftszimmer versuchen? Ich kann die alten sehr gut als Portieren gebrauchen.

Du mußt nicht denken, daß ich das alles auf einmal geschrieben habe. Ich kann heute zu Ende kommen, da es Sonntag ist und ich mir einen Grund gemacht habe, um nicht zur Kirche zu gehen. George predigt, und ich habe niemals so die richtige Andacht, wenn er Dienst hat. Ich weiß, Du lachst darüber.

Dem ersten Teil Deines Briefes muß ich einen besonderen Abschnitt widmen. Ich weiß wirklich kaum, was ich sagen soll. Nie hätte ich geglaubt, daß Mrs. Leith Fairfax sich so benehmen könnte. Ich war zuerst so zornig, daß ich mich fast eine Stunde lang krank fühlte, und ich habe George den Tag nach seiner Ankunft eine sehr böse Antwort gegeben, als er mir sagte, Sholto hätte mich besser nicht zum Diner herunterführen sollen, obgleich dieses nur zufällig geschah. Du glaubst mir sicherlich, daß ich nichts davon wußte, daß er ungewöhnlich aufmerksam gegen mich war. Ich war auch dabei, Dir entrüstet zu antworten, als ich Nelly Deinen Brief zeigte, die mir zu meiner Bestürzung sagte, sie hätte dasselbe beobachtet. Wir haben uns fast deswegen gezankt. Aber sie zählte mir auf, wie oft ich mit ihm getanzt und an seiner Seite beim Diner gesessen hatte, und ich begreife, daß ein schlechtdenkendes Weib wie Mrs. Leith Fairfax so was sich einbilden konnte, das ist aber keine Entschuldigung für sie. Sie weiß, daß Sholto und ich von Kind auf vertraut waren, und es ist besonders häßlich, daß sie vor allen Menschen sich stellt, als mißverstände sie das. Am schlimmsten aber ist es, daß sie während der ganzen Zeit ihrer Anwesenheit besonders freundlich und zutraulich gegen mich war, und obgleich ich anfangs versuchte, mich von ihr fernzuhalten, es doch durchsetzte, sich mit mir zu versöhnen, indem sie mich überredete, Douglas habe das, was sie damals sagte, gänzlich mißverstanden. Wer hätte es erwartet, daß sie im Augenblick, da sie mich verlassen, umherging, um mich zu verleumden! Wie kann ein Mensch so etwas tun? Hoffentlich treffen wir sie nicht noch einmal, denn ich werde nie wieder mit ihr sprechen. Ich habe Douglas nichts gesagt. Wie konnte ich das tun? Er würde nur Unheil angerichtet haben. Ich glaube, das richtige ist, wenn ich so bald als möglich nach Hause komme und ihm inzwischen, soweit ich es kann, ausweiche. Du kannst mich deshalb nächsten Sonntag erwarten. Mr. McQuench ist sehr mißvergnügt, weil ich abreisen will. Er sagt, es würde das Signal für einen allgemeinen Aufbruch sein, aber ich kann es nicht ändern. Ich werde natürlich froh sein, wenn ich wieder zu Hause bin. Trotzdem tut es mir leid, den Platz zu verlassen, an dem wir alle so fröhlich waren. Ich schreibe Dir noch, mit welchem Zug ich komme, aber Du brauchst mich nicht abzuholen, wenn Du keine Lust hast. Ich kann ganz gut allein nach Hause kommen. Schließlich ist es auch gleich, ob ich jetzt hier fortgehe. Es war sehr hübsch, aber jetzt habe ich gegen alles und jeden eine Abneigung. Ich glaube, ich muß schließen. Sie kommen gerade aus der Kirche zurück, und ich muß hinuntergehen … Bitte, sage Armanda, sie sollte in dem Zimmer, wo der Leinenschrank steht, Feuer anmachen. Ich habe Angst vor diesem feuchten Nebel, der in die Zimmer kommt.

Deine Dich herzlich liebende
Marian«


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