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Fünfzehntes Kapitel

Sonntag nachmittags ging Douglas nach Holland Park, wo er Mrs. Conolly, Miß McQuench und Marmaduke traf. Ein kleines Mädchen spielte im Garten. Sie waren alle so zwanglos, so ganz wie früher, daß Douglas sofort fühlte, Conolly sei abwesend.

»Ich muß Ned entschuldigen«, sagte Marian. »Er hat eine dringende Familienangelegenheit in Ordnung zu bringen.« Sie wollte noch eine weitere Erklärung geben, aber Marmaduke machte ein so unbehagliches Gesicht, daß sie innehielt. Aber sie war sofort wieder fröhlich und fuhr fort: »Ich habe Ned erzählt, er brauchte nicht so zeremoniell gegen Sie zu sein. Denken Sie, und das sagte ich von Ihnen, der es in allen Formsachen so genau nimmt.«

»Ganz recht. Es freut mich, daß Mister Conolly sich nicht durch mich in seinem Vorhaben stören ließ«, antwortete er mit einem Lächeln, das er wieder unterdrückte, als er sich umwandte und Miß McQuench mit seiner gewöhnlichen kalten Zurückhaltung begrüßte. Marmaduke aber, der einen sehr niedergeschlagenen Eindruck machte, gab er einen ermutigenden Händedruck. Nicht daß ihn Marmadukes Unglück gerührt hätte, aber er war durch die Schönheit Marians etwas aufgetaut.

»Wir werden einen angenehmen Abend haben«, fuhr Marian fort. »Wir wollen uns einbilden, wir wären wieder in Westbourne Terrace. Erinnerungen geben einem so ein entzückendes Gefühl von Alter und Schwermut. Wir stellen uns vor, dies sei einer unserer früheren Sonntagnachmittage. Sholto, bitte gehen Sie hinauf und rasieren Sie sich, damit die Täuschung vollständig wird.«

»Ich fürchte, der Anblick von Mister Conollys Rasiermesser würde meine Illusion eher zerstören. Wenn ich Sie Marian nennen darf, wie ich das früher tat, wird es wenig Punkte in unserer Unterhaltung geben, die uns nicht an die inzwischen verflossene Zeit erinnern.«

»Wenn Ned nichts dagegen hat, mir ist es sicher recht«, sagte Marian, ohne auf Elinors ängstlichen Blick zu achten. »Wir sprachen gerade über Nellys Ruhm, als Sie kamen. Eine billige Ausgabe ihres Buches ist gerade erschienen. Lesen Sie die Anzeige!«

Eine Zeitung lag ausgebreitet auf dem Tische, und Marian zeigte, während sie das sagte, auf eine der Spalten. Douglas nahm sie auf und las folgendes:

 

Soeben erschienen, neue und billige Ausgabe:

Die Wasser von Marah,
von Elinor McQuench.

»Übertrifft viele von den zahlreichen Erzählungen, die in den Bahnhofsbuchhandlungen so stark gekauft werden.« Athenäum.

»Da ist nichts, was den müßigen Leser ermüden, aber vieles, was ihn erfreuen wird.« Examiner.

»Ein Klang von solidem Metall liegt in den Wassern von Marah.« Daily Mentor.

»Miß McQuench hat einen unzweifelhaften Anspruch erworben, der beste Romanschriftsteller der Gegenwart genannt zu werden.« Midlingtown Mercury.

»Voll von ergreifenden und dramatischen Ereignissen … Leidenschaftliche, fortreißende Triebkraft.« Ladies Gazette.

Tabuteau & Son, Covent Garden.

 

»Das ist sehr schmeichelhaft«, sagte Douglas, als er die Zeitung wieder auf den Tisch legte.

»Das ist es im höchsten Grade«, sagte Elinor. »Coriolanus, der auf dem Forum seine Wunden zur Schau stellte, ist nichts dagegen.« Und sie nahm schnell die Zeitung, faltete sie und warf sie hinter das Sofa. Gerade jetzt wurde Marians Aufmerksamkeit durch eine Nachricht aus der Küche in Anspruch genommen, und Douglas, der sie von ihren Pflichten gegen die Gäste einen Augenblick freimachen wollte, schlenderte auf die kleine Terrasse hinaus, wohin ihm Marmaduke in seiner trüben Stimmung schon vorangegangen war.

»Noch immer nicht aus den Schwierigkeiten, Lind?« fragte er mit seiner oberflächlichen Miene von Teilnahme, indem er sich mit einigem Interesse den Garten ansah.

»Aus den Schwierigkeiten bin ich schon vollständig heraus«, sagte Marmaduke. »Dort ist das Kind zwischen den Johannisbeersträuchern, und die Mutter bin ich los: hoffentlich für immer.«

»Um so besser. Wenn es Ihnen nur nicht zuviel kostet!«

»Keinen Pfennig. Ich traf sie im Museum am Mittwoch, nach unserer Unterhaltung, und sagte ihr, was Sie mir geraten haben: ich wollte das Kind haben, und sie müßte gehen. Sie sagte: gut! und schüttelte mir die Hand. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.«

»Ich gratuliere Ihnen.«

»Ich bin nicht sehr beruhigt über sie.«

»Törichter Mensch! Was hätten Sie Besseres tun können?«

»Das ist gerade, was ich sage. Es war ihr eigener Fehler; ich tat alles, was in meinen Kräften lag. Ich bot ihr für sofort fünfhundert Pfund an. Sie wollte sie natürlich nicht haben, aber was sollte ich sonst machen? Am nächsten Tag, als sie das Mädchen nach ihren Sachen schickte, wurde ich so unruhig, daß ich zu Conolly ging und ihm alles erzählte. Er benahm sich sehr schicklich in der Sache und sagte mir, ich hätte sie ebensogut schon sechs Monate früher verlassen sollen, trotz allem guten Einfluß, den meine Anwesenheit ausgeübt. Er ist sie heute aufsuchen gegangen – sie wohnt irgendwo möbliert in der Nähe des Theaters – und er will es mir auf jeden Fall sagen, wenn sie Geld braucht. Ich möchte gerne wissen, was sie zusammen über mich sprechen. Sie sind ein merkwürdiges Paar.«

»Wir wollen heute abend nicht daran denken und lustig sein. Iß und trink, denn morgen mußt du sterben!« sagte Douglas mit erzwungener guter Laune. »Marian scheint glücklich zu sein, und wir dürfen ihr nicht die Freude verderben!«

»Ja, sie ist immer gut gelaunt, wenn er fort ist.«

»Wirklich?«

»Sie scheinen nicht gut miteinander auszukommen. Ich glaube, sie hat Angst vor ihm.«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß er sie mißhandelt?« sagte Douglas wütend.

»Nein, ich meine nicht, daß er sie prügelt oder dergleichen. Und doch ist er gerade so ein Mensch, bei dem ich mich über gar nichts wundern würde. So im gewöhnlichen Leben scheint er sie ganz gut zu behandeln. Aber ich habe beobachtet, daß sie auffährt und ängstlich wird, wenn er ins Zimmer tritt. Und er tut alles nach seinem Kopf.«

»Ist das alles? Ich glaube, er setzt sie in Verlegenheit durch sein Benehmen, vielleicht hat sie Angst, daß er seine Herkunft zu deutlich zeigt.«

»Nein, das hat sie nicht. Sein Benehmen ist tadellos, übrigens ist er ein Genie und eine Berühmtheit, und die Leute erwarten von ihm gar kein konventionelles Benehmen. Er kann sich, wenn er will, mitten in einer Quadrille auf den Kopf stellen und darf auf allgemeinen Beifall rechnen.«

»Sholto,« sagte Marian, indem sie zu ihnen trat, »haben Sie schon mit der kleinen Lucy gesprochen?«

»Nein.«

»Dann kennen Sie das verzogenste Kind auf der ganzen Welt nicht«, sagte Elinor. »Du brauchst kein Gesicht zu machen, Marmaduke, du hast sie selbst so verwöhnt.«

»Laß sie in Ruhe«, sagte Marmaduke zu Marian, die gerade das Kind rufen wollte. »Kinder hätscheln ist Douglas' Sache nicht. Sie wird ihn nur langweilen.«

»Durchaus nicht«, sagte Douglas.

»Es macht nichts, ob sie ihn langweilt oder nicht«, sagte Marian. »Er muß lernen, sich für Kinder zu interessieren. Lucy, komm her.«

Lucy hörte mit Spielen auf und fragte: »Warum?«

»Weil ich dich bitte, Kind«, sagte Marian sanft.

Das Kind überlegte eine Weile und begann dann wieder zu spielen. Miß McQuench lachte. Marmaduke brummte ungeduldig und ging in den Garten hinunter. Lucy sah ihn erst, als er nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt war. Dann stieß sie einen schrillen Ruf der Überraschung aus und lief an die andere Seite eines Blumenbeets, das zu breit war, als daß er hinüberspringen konnte. Er jagte ihr nach, aber sie wich ihm mit kreischendem Lachen aus, indem sie hin und her lief und stets an der entgegengesetzten Seite blieb. Endlich fühlte er, daß er sich lächerlich machte, indem er so hinter seinem Kind herrannte. Er blieb stehen und bat sie, zu ihm zu kommen, aber sie lachte nur noch mehr. Er rief ihr befehlend, bittend, ermahnend und ungeduldig zu, er schrie sie schließlich drohend an. Sie legte ihren Daumennagel an ihre Nasenspitze, spreizte die Finger und machte sich über ihn lustig. Er rief ihr eine Verwünschung zu und kehrte ärgerlich in das Haus zurück, indem er zwischen den Zähnen sagte:

»Meinetwegen kann sie draußen bleiben, wenn sie so eigensinnig ist.«

»Sie ist heute wirklich zu ungezogen«, sagte Marian. »Ich bin ganz empört über sie.«

»Sie hat ganz recht, wenn sie nicht hereinkommt und sich wie eine Puppe herumreichen läßt«, sagte Elinor.

»Es ist sehr eigensinnig, daß sie nicht kommt, wenn man sie bittet«, sagte Marian.

»Ja, von deinem Standpunkt aus«, sagte Elinor. »Ich liebe eigensinnige Kinder.«

Marmaduke war nach diesem Vorfall eine Zeitlang mürrisch, und Marian war ernsthaft geworden. Beim Essen gewannen sie aber ihre Laune wieder, als Marian Douglas erzählte, wie sie seine Mutter versöhnt hatte. Nachher schlug Marmaduke eine Whistpartie vor.

»O nein, nicht am Sonntag«, sagte Marian. »Whist ist zu sündhaft.«

»Aber was, zum Kuckuck, sollen wir denn tun?« sagte Marmaduke. »Vielleicht spielt Nelly Ecarté mit mir?«

»Gut, aber spielt nicht um Geld. Und setzt euch nicht dicht an das Vorderfenster.«

»Dann komm, Nelly. Ihr zwei könnt Hymnen singen, wenn ihr wollt.«

»Ich wollte, Sie könnten singen, Sholto«, sagte Marian. »Es ist eine Ewigkeit her, seit wir keine Partie Schach mehr gespielt haben. Spielen Sie noch?«

»Ja«, sagte Douglas. »Es ist mir ein großes Vergnügen. Aber leider werden Sie mich jetzt wohl schlagen, da Sie vermutlich viel von Mister Conolly gelernt haben.«

»Ich, mit Ned spielen! Nein, er haßt Schach. Er sagt, es sei ein närrisches Mittel für müßige Leute, sich einzureden, sie täten etwas sehr Vernünftiges, wenn sie nur ihre Zeit vergeuden. Er murrte tatsächlich über den Preis des Schachtisches und der Steine, aber ich bestand darauf, sie zu kaufen, wahrscheinlich in Erinnerung an Sie.«

»Es ist freundlich von Ihnen, das zu sagen, Marian. Wollen Sie Schwarz oder Weiß?«

»Weiß, bitte, wenn Sie nicht wollen, daß ich immer mit Ihren Steinen ziehe.«

»Nun, wollen Sie anfangen?«

»Es ist mir lieber, wenn Sie zuerst ziehen. Erinnern Sie sich an unsere alten Bedingungen? Sie dürfen mich nicht in drei Zügen matt setzen, und Sie dürfen nicht meine Königin schlagen.«

»Ganz recht. Sie können sich darauf verlassen, ich werde mehr an Ihr Spiel als an meines denken. Schach.«

»Oh, Sie haben mich in drei Zügen matt gesetzt. Das ist nicht recht. Ich spiele nicht mehr mit Ihnen, wenn Sie den Zug nicht zurücknehmen.«

»Aber Sie sind bestimmt nicht matt. Dann müßte mein Läufer an der andern Seite stehen. Richtig! Natürlich geht es so.«

»Welch einen Lärm Marmaduke beim Kartenspielen macht! Ich hoffe, die Leute nebenan hören seine Kraftausdrücke nicht.«

»Das geht nicht. Sie dürfen den Läufer nicht ziehen, dann kommt Ihr König in Schach. Wissen Sie, es liegt doch ein eigener Reiz über Ihrem Hause.«

»Wirklich? Ja, es ist ein hübsches Haus.«

»Und diese Abendstunde macht es noch einmal so schön. Übrigens ergreift mich eine unendliche Schwermut, wenn ich Sie sehe, so vollkommen glücklich und vollkommen schön, als Herrin in einem zauberhaften, fremden Heim.«

»Wie meinen Sie das, Sholto?«

»Ich nenne es ein fremdes Heim, obgleich es das Ihrige ist. Ich habe keinen Anteil, kein Recht hier. Denken Sie daran, wir spielen nur die alten Zeiten hier. Aber alles hier, von der Orgel bis zu dem Ring an Ihrem Finger, erinnert mich daran, daß ich hier ein Fremder bin. Es scheint fast ungütig von Ihnen, daß Sie sich nach nichts zurücksehnen, wo ich mich nach allem zurücksehne.«

»Schach«, sagte Marian. »Denken Sie an Ihr Spiel, mein Herr.«

»Sie sind kokett!« rief Douglas ungeduldig aus und zog seinen König. »Ich glaube wirklich, wenn Ihr Gatte in diesem Augenblick auf dem Loden der Themse läge, Sie würden unbekümmert davonfliegen in ein anderes Nest und so gleichgültig wie immer fortfahren, Herzen zu brechen.«

»Ich wollte, Sie erwähnten nicht solche Möglichkeiten, Sholto. Sie machen mich ängstlich. Es könnte wirklich Ned etwas geschehen. Ich wollte, er wäre zurück. Er müßte längst hier sein.«

»Glücklicher Mann. Wenn Sie an ihn denken, können Sie ernsthaft sein. Ich beneide ihn.«

»Was! Sholto Douglas läßt sich herab, einen Sterblichen zu beneiden! Ein Wunder!«

»Ja, soweit ist es mit mir gekommen. Warum sollte ich ihn nicht beneiden? Sein Weg ist immer bergauf gegangen. Er ist ein erfolgreicher Arbeiter in der Welt geworden, in der ich nichts zu tun habe. Als all das Schöne, von dem ich träumte und nach dem ich mich sehnte all mein Leben lang, ihm in den Weg kam, brauchte er es nur aufzunehmen. Ich schätzte es so hoch, daß ich schon in dem Traum, es zu besitzen, der stolzeste aller Menschen war. Nun lieg ich tief im Staube, da man mir alles geraubt hat.«

»Sie reden tatsächlich den größten Unsinn.«

»Ohne Zweifel. Ich bin eben noch verliebt, Marian. Ich kann es Ihnen ja jetzt getrost erzählen.«

»Im Gegenteil, jetzt dürfen Sie es nicht mehr erzählen. Sie sollten sich schämen, Sholto.«

»Ich schäme mich nicht. Ich erzähle Ihnen von meiner Liebe, weil Sie mich jetzt ruhig anhören können. Sie wissen ja, daß ich nichts mehr hoffen und wünschen, daß ich nur noch etwas bedauern kann. Sie sehen, ich spiele nicht den romantisch Verliebten. Das Essen schmeckt mir, ich spiele Schach, ich gehe in Gesellschaft, und Sie werfen mir vor, ich würde dick.«

Marian neigte sich einen Augenblick über das Schachbrett, um ihre Miene zu verbergen. Dann sagte sie mit leiserer Stimme: »Ich habe mich durchaus überzeugt, daß es so was wie Liebe gar nicht auf der Welt gibt.«

»Das heißt, Sie haben sie nie kennengelernt.«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich niemals verliebt war, und daß ich gar nicht daran glaube. Ich meine natürlich die romantische Liebe.«

»Ich glaube es gerne, daß Sie nie verliebt waren. Die Zukunft hat für mich eine Sorge mehr, denn Sie werden es sicher eines Tages sein.«

»Ich fürchte, ich bin dafür zu alt geworden. Wie alt waren Sie, bitte, als Sie der Pfeil ins Herz traf.«

»Als Knabe liebte ich eine Vision. Die glücklichsten Stunden waren die, in denen ich langsam, zitternd zu glauben wagte, daß ich endlich diese Vision in Ihnen verkörpert gefunden. Und dann, all die Träume, die folgten! Welch eine Zukunft lag vor mir! Ich weiß noch, wie Sie mir Vorwürfe machten, weil ich unfreundlich gegen die Frauen und stolz gegen die Männer war. Wie konnte ich wohl anders sein? Ich verglich die Vorzüge aller andern Frauen mit denen meiner Erwählten und die Zukunft aller andern Männer mit meiner eigenen. Kannst du dich wundern, daß ich auf diese Weise stolz wurde? Du mußt bedenken, wie fremd mir alle Mißerfolge waren. Auf der Schule, auf der Universität, in der Gesellschaft beanspruchte ich ohne Bedenken die ersten Plätze und erhielt sie ohne Schwierigkeit. Meinen einzigsten und kostbarsten Wunsch hielt ich längst für gesichert, bevor ich meine Lippen öffnete und ausdrücklich darum bat. Ich glaube, ich ging damals wie ein Schlafwandler durch das Leben. Ich habe seitdem eingesehen, daß ich Selbsttäuschung auf Selbsttäuschung gehäuft habe, bis ich mir aus einem Chaos bedeutungsloser Worte und lächelnder Blicke einen olympischen Liebestempel erbaut hatte. Bei dem ersten Drohen eines Mißerfolgs – eine Sache, die mir so neu und so schrecklich war wie der Tod – floh ich aus dem Lande. Ich brachte nur die Ruinen eines verfallenden Tempels zurück. Sie waren nicht zufrieden, diese Ruinen zu vernichten, der Kampf war zu leicht, um Ihnen rühmlich zu erscheinen. Darum bauten Sie in einer Stunde den ganzen Dom wieder auf und gaben seinen Altären einen helleren Glanz, als sie jemals früher hatten. Dann aber, als sei es nur ein Kartenhaus – was es ja im Grunde auch nur war – gaben Sie ihm einen leichten Stoß und vernichteten ihn bis auf sein Fundament. Ich fürchte, die Altarlampen sind noch nicht ganz ausgelöscht, und sie glimmen noch in den Ruinen.«

»Ich staune, Sholto, wie man Sie in Oxford zum Newdigatedichter machen konnte. Sie häufen Metaphern ganz schrecklich aufeinander. Seien Sie mir nicht böse, ich verstehe, was Sie meinen, und Sie tun mir sehr leid. Ich gebrauche spöttische Ausdrücke nur, weil ich das tun muß. Wie kann man in der Gesellschaft Ernst anders als mit Spott beantworten?«

»Ich bin nicht böse. Ich wollte sogar, Sie verständen mich gar nicht. Je spöttischer Sie sind, desto mehr verhärten Sie mein Herz, und ich möchte so hart sein wie ein Mühlstein. Ihr Mitleid würde mich weich stimmen, und das fürchte ich.«

»Ich glaube, es schadet keinem Mann, wenn er weich gestimmt wird. Sollten Sie das wirklich alles gefühlt haben, was Sie mir beschreiben, so überschätzen Sie mich bedeutend. Was verlieren Sie, wenn Sie etwas weicher werden? Ich denke oft, daß Männer – besonders gute Männer – ihren Weg durch die Welt machen, als müßten sie ihn durch hartes Eisen schneiden – als dürften sie keinen Augenblick ihre härteste Schärfe, ihre alles zerschneidende Heftigkeit milder werden lassen. Sicherlich ist das nicht die richtige Art, des Lebens froh zu werden.«

»Vielleicht nicht. Aber es ist die Art, das Leben zu erobern. Es mag hübsch sein, ein weiches Herz zu haben, aber dann ist jeder sicher, es zu brechen.«

»Ich glaube nicht sehr an gebrochene Herzen. Nicht, als ob ich für extreme Gefühlsseligkeit eintrete – sentimentale junge Männer von zwanzig Jahren sind mir ekelhaft –, aber ein Mann, der bei der geringsten Erwähnung von Gefühl eine Kampfesstellung einnimmt, der die Natur für etwas Unerbittliches hält, und der gerade so unerbittlich wie die Natur sein will, ist der nicht vielleicht ebenso widerlich?«

»Kennen Sie solch einen Mann? Sie müssen mir nicht eine solche Art von Härte zuschreiben.«

»O nein, ich dachte nicht an Sie. Ich dachte wirklich an niemand Besonderes, ich setze nur den Fall. Ich erörtere oft mit Ned diesen Gegenstand. Einer seiner Hauptgrundsätze ist: man soll nicht über Dinge klagen, die nicht zu ändern sind. Ich behaupte immer, daß ein Unglück, dem man nicht abhelfen kann, das einzigste ist, das unser Mitgefühl verdient, und daß er geradesogut sagen könnte, man solle überhaupt über nichts klagen. Dann geht er der Schwierigkeit aus dem Wege und sagt, das sei gerade, was er gemeint habe, und in einem wohlgeregelten Lebensplan gäbe es keinen Platz für irgendein Bedauern. In einem Wortstreit mit Frauen halten die Männer stets hartnäckig an den lächerlichsten Ansichten fest, deren man sie überführt hat, und behaupten dann, es habe keinen Zweck, sich mit Frauen zu zanken. Natürlich; aber nur, weil die Frauen immer recht haben.«

»Ja, weil sie sich durch ihr Herz leiten lassen.«

»Ich sehe, Sie sind ebenso abscheulich wie Ihr ganzes Geschlecht. Wo Sie sich nicht enthalten können, einer Frau recht zu geben, da rechnen Sie es ihrem Herzen an auf Kosten ihres Verstandes.«

»So! Ich mag nicht mehr spielen«, sagte Miß McQuench plötzlich am andern Ende des Zimmers. »Habt ihr eure Schachpartie beendet, Marian?«

»Wir sind beinahe fertig. Bitte, Nelly, klingele für das Licht. Lassen Sie uns zu Ende kommen, Sholto.«

»Wer ist am Zug? verzeihen Sie mir meine Unaufmerksamkeit.«

»Ich bin am Zuge – nein, Sie. Halt! ich muß dran sein. Ich weiß es tatsächlich nicht.«

»Ich auch nicht. Ich habe ganz meine Pläne vergessen.«

»Dann wollen wir aufhören. Wir können ein andermal von neuem spielen.«

Es war mit der Zeit dunkel geworden, und die Lampen wurden hereingebracht, während Douglas die Schachsteine einpackte.

»Jetzt wollen wir etwas Musik machen«, sagte Marian. »Marmaduke, willst du uns ›Onkel Ned‹ vorsingen? Wir haben es eine Ewigkeit nicht mehr von dir gehört.«

»Ich glaube, es sind drei Jahre seit dem verwünschten Konzert in Wandsworth. Und seitdem habe ich dich nicht mehr singen gehört«, sagte Elinor.

»Ich habe all meine Lieder vergessen – habe seit Monaten keins mehr davon gesungen. Aber meinetwegen, habt ihr ein Banjo im Hause?«

»Nein«, sagte Marian. »Ich will die Begleitung für dich spielen.«

»Schön. Also pass' auf. Du brauchst nur diese drei Akkorde zu spielen. Wenn ein Ton falsch ist, dann schlägst du einen andern an. Du lernst es im Augenblick.«

Marmadukes Stimme war nicht mehr so frisch wie in Wandsworth, und es waren nicht mehr dieselben lustigen Einfälle. Aber sie waren nicht so kritisch, um einen Unterschied zu merken, sie lachten wie die Kinder über ihn. Dann sollte Elinor spielen. Aber sie wollte nicht; sie hätte dieser Torheit entsagt, sagte sie. Dann sang Marian auf Douglas' Bitten und zur Erinnerung an Wandsworth die »still blühende Rose«. Als sie das beendet hatte, bat Elinor sie um einige alte Lieder, denn sie wußte, daß sie die am meisten liebte. So begann sie mit »die Eiche und die Esche« und »Robin Adair«. Darauf sang sie, da sie selbst und die andern in eine mehr gehobene Stimmung gekommen waren, »des Amtmanns Tochter in Islington« und »die Ufer von Allan Water«, bis Marmadukes Augen sich mit Tränen füllten und die andern ganz stille dasaßen. Eine Minute hielt sie ein, dann unterbrach sie das Stillschweigen mit »Auld Robin Gray«, das selbst Douglas ergriff. Als sie den letzten Ton sang, hörte man an der Haustür das Klirren des Schlüssels. Sofort erhob sie sich, schloß leise das Klavier und setzte sich etwas entfernt davon. Mit ihr zeigten auch die andern einen Wechsel in ihrem Benehmen. Sie erinnerten sich, daß sie nicht zu Hause waren, und ein unangenehmes Gefühl, daß sie sich zusammennehmen müßten, kam über sie. Elinor war noch am wenigsten verwirrt. Als Conolly hereintrat, war sein erster Blick auf das Klavier, dann suchte er seine Frau.

»Ah!« sagte er erstaunt. »Ich dachte, es hätte jemand gesungen.«

»O Himmel, nein!« sagte Elinor. »Sie müssen sich geirrt haben.«

»Vielleicht«, meinte er lächelnd. »Aber ich habe zehn Minuten lang sorgfältig am Fenster gelauscht, und ich träumte tatsächlich, ich hörte ›Auld Robin Gray‹.«

Marian errötete. Conolly schien durch den Gesang nicht ergriffen zu sein. Er war munter und gesprächig, und bevor er noch seine Begrüßung und Entschuldigung bei Douglas beendet hatte, fühlten sie sich alle sowenig sentimental, wie sie es je im Leben gewesen waren. Marian fragte ihn, ob er schon gegessen habe, und schwieg dann, indem das hübsche, würdevolle Benehmen einer Wirtin, das sie vorher gezeigt hatte, ganz verschwand.

»Haben Sie Neuigkeiten?« fragte Marmaduke schließlich. »Douglas kennt die ganze Geschichte, wir sind hier alle Freunde.«

»Es ist, wie wir erwartet haben«, sagte Conolly. »Die Sache liegt noch genau so wie vorher. Ich besorgte mir heute ihre Adresse –«

»Wie haben Sie die bekommen?« sagte Marmaduke. »Ich habe mich vergeblich darum bemüht.«

»Ich schrieb ihr zum Theater, sie möchte sie mir schicken.«

»Und sie tat das?« fragte Marmaduke.

»Natürlich. Aber sie gab mir keine Ermutigung, sie zu besuchen, und wünschte es offenbar auch nicht. Ihr Aussehen hat sich sehr verschlimmert. Sie leidet an chronischer Trunksucht und weiß es. Ich riet ihr, in Zukunft enthaltsam zu sein. Sie fragte mich in ihrer spöttischen, schwesterlichen Weise, ob ich ihr sonst keinen Rat zu geben hätte. Dann sagte ich ihr, da sie so weiter machen wollte, wäre es am besten, wenn sie sich einen Oxhoft Kognak anschaffte, ihn neben ihr Bett legte und den Prozeß, sich zu töten, der jetzt vielleicht noch einige Jahre dauern könnte, in wenigen Tagen durchführte.«

»O Ned, das hast du nicht wirklich zu ihr gesagt!« rief Marian aus.

»Natürlich. Das Schreckliche an der Geschichte ist nicht, wie du anzunehmen scheinst, daß ich ihr den Rat gab, sondern daß es der beste Rat war, den ich ihr geben konnte.«

»Ich glaube nicht, daß ich so zu ihr gesprochen hätte.«

»Höchstwahrscheinlich nicht«, sagte Conolly mit einem Lächeln. »Du würdest etwas viel Hübscheres gesagt haben. Aber Trunksucht ist keins von den hübschen Dingen des Lebens, und sie kann auch nicht durch gutgemeinte Heuchelei dazu gemacht werden. Wenn Susanna und ich eine Besprechung haben, dann verlieren wir nicht damit unsere Zeit, erst unsere Gefühle zu schonen. Wir würden einen solchen Versuch auch sofort durchschauen und nur ungeduldig darüber sein.«

»Erzählte sie, was sie vorhat?« fragte Marmaduke.

»Sie hat ein Engagement nach Amerika angenommen. Wenn es damit vorbei sei, sagte sie, habe sie Zeit genug, den nächsten Schritt zu überlegen. Aber sie will die Bühne nicht eher verlassen, bis man sie hinauswirft.«

»Hat sie nicht die Absicht, ihre Gewohnheit aufzugeben?« fragte Elinor barsch.

»Ich möchte sagen, sie hat die beste Absicht, aber keine Aussicht, sie durchzuführen. Trunksüchtige wollen sich immer bessern, aber es gelingt ihnen selten. Ist Lucy zu Bett gebracht?«

»Lucy ist in Ungnade«, sagte Elinor. Marian sah sie ängstlich an.

»In Ungnade!« fragte Conolly etwas ernsthafter. »Wieso?«

Elinor beschrieb ihm, was im Garten geschehen war. Als sie erzählte, wie das Kind Marians Bitte mißachtet hatte, lachte Conolly.

»Lucy hat kein Gefühl dafür, wie hübsch sie ausgesehen hätte, wenn sie gehorsam auf den Befehl ihrer Tante hereingetrottet wäre«, sagte er. »Sie ist wie alle Kinder sehr praktisch und will nicht bei der Aufführung kleiner, liebenswürdiger Szenen mithelfen, wenn sie keine besonderen Gründe dazu hat.«

Elinor blickte nach Marian hinüber, und da diese, obgleich Douglas mit leiser Stimme zu ihr sprach, auf ihren Gatten lauschte, sagte sie scharf: »Es ist schade, daß Sie nicht hier waren, um uns zu sagen, was wir tun sollten.«

»Natürlich ist es das«, antwortete Conolly beruhigend.

»Was würdest du denn getan haben?« fragte Marian plötzlich, indem sie Douglas unterbrach.

»Ich denke,« antwortete Conolly und sah erstaunt zu ihr hinüber, »ich würde ihre Frage beantwortet haben, ich hätte ihr erzählt, warum ich sie herhaben wollte. Wenn ich dich um etwas bäte, und du fragtest mich, warum, so würdest du äußerst unwillig werden, wenn ich antwortete, ›weil ich dich frage‹.«

»Ich würde nicht fragen, warum«, sagte Marian. »Ich würde es tun.«

»Das wäre sehr hübsch von dir«, sagte Conolly. »Aber du kannst von einem so selbstsüchtigen, mißtrauischen und neugierigen Tier, wie ein kleines Kind es ist, nicht erwarten, daß es ebenso gütig und vertrauend ist. Lucy ist zu scharfsinnig, um nicht schon seit langem gelernt zu haben, daß die Großen systematisch die Leichtgläubigkeit und Hilflosigkeit der Kinder täuschen.«

»Das ist wahr«, sagte Elinor widerstrebend. Marian wandte sich ab und nahm ruhig ihre Unterhaltung mit Douglas wieder auf. Eine Minute später ging sie mit ihm in den Garten, wo sich Marmaduke schon ein Plätzchen zum Rauchen ausgesucht hatte.

»Haben Sie einen vergnügten Abend gehabt, Miß McQuench?« fragte Conolly, als er mit ihr allein war.

»Ja, wir haben wirklich einen sehr vergnügten Abend gehabt. Wir spielten Schach und Ecarté und versetzten uns wieder in die alten Zeiten. Marmaduke sang vor, und Marian rührte uns fast zu Tränen mit ihren alten Balladen.«

»Und dann kam ich und zerstörte das alles. Nicht?«

»Gewiß nicht, warum sagen Sie das?«

»Nur ein häßlicher Trieb, etwas Häßliches zu sagen. Vielleicht Eifersucht, weil ich nicht früher kam. Sie glauben also, wenn ich dabei gewesen, wäre der Abend ebenso vergnügt und Marian ebenso glücklich in ihrem Singen gewesen?«

»Lieben Sie Marians Gesang nicht?«

»Mußten Sie wirklich diese höchst neugierige Frage stellen?«

»Im Gegenteil, sie kam mir wider Willen. Bitte, antworten Sie nicht darauf.«

»Das würde die Sache noch schlimmer machen. Um die Wahrheit zu sagen, Marian ist zu überkultiviert, um viel aus den alten Gesängen zu machen, und selbst für Balladen ist ihr Pathos zu zart. Mistreß Robin Gray ist in Glacéhandschuhen nicht so pathetisch wie mit ihren nackten Händen, denen man das Spinnen und Melken ansieht. Rein, in Westlondon verschwindet die Natur allmählich unter der fortwährenden Verstellung. Wenn eine Lady natürlich sein will, weiß sie gar nicht, wie sie das anfangen soll. Ha! Ha! Eine musikalisch veranlagte Bäuerin würde Marians Bestes mit Leichtigkeit in Schatten stellen.«

»Sie haben das Recht zu Ihrer Ansicht. Übrigens gibt es kultivierte Musik ebensowohl als ursprüngliche.«

»Was kultivierte Musik angeht, Miß McQuench, so habe ich in meinem Leben davon bessere Darbietungen als die Marians zum Überdruß genossen. Sie glaubt, es stäke etwas Hübsches und Gutes in der Musik, und pflegt sie daher, so gut sie es kann. Ich liebe diese Art Musik nicht, und wenn Marian in ihrer liebenswürdigen Art ihre hübschen Gesangsdarbietungen gibt, die ich hundertmal von wirklichen Sängern gehört habe, die etwas konnten, dann bewundre ich sie zwar auch hier noch, wie ich das immer tun muß, aber meine Bewunderung wächst eher, als daß sie sinkt, wenn sie endlich schweigt. Denn jetzt fühle ich nicht länger einen Mangel, den sogar meine unglückliche Schwester nicht zeigte.«

»Ihr Tadel klingt aufrichtiger als Ihre Bewunderung. Ich bin nicht musikalisch genug, um das zu beurteilen. Ich weiß nur, daß ihr Singen für mich gut genug ist.«

»Ich weiß, es mißfällt Ihnen, daß es nicht gut genug für mich ist. Aber wie kann ich das ändern? Arme Marian –«

»Oh, still!« sagte Elinor. »Hier kommt sie.«

»Ich wollte, du bliebest und äßest nachher noch etwas, Marmaduke«, sagte Marian. »Es kann dir doch gleich sein, ob du früh oder spät nach Hause kommst.«

»Nein«, sagte Marmaduke. »Ich muß nach Hause schreiben. Mein alter Herr ist krank, und meine Mama wird mir eine fünf Bogen lange Predigt schicken, wenn ich heute abend nicht schreibe. Du behältst doch Lucy noch eine Woche hier? Gib ihr Ohrfeigen, wenn sie noch einmal unverschämt ist. Sie hat es nötig, sie ist verdorben worden.«

»Wenn wir nichts Besseres mit ihr tun können, werden wir sie lieber zurückgeben«, sagte Conolly. Dann verabschiedeten sich die Besucher. Marian drückte Douglas sanft die Hand und sah ihm in die Augen, als er ihr adieu sagte. Elinor, die dieses bemerkte und unruhig nach Conolly hinübersah, begegnete unerwartet seinem Blick. Es lag ein Schimmer von spöttischem Verständnis darin, der sie nicht beruhigte. Sie ging bald zu Bett und ließ die beiden allein. Conolly sah seine Frau einen Augenblick mit vergnügtem Ausdruck an, aber sie schloß abweisend ihre Lippen und suchte sich auf dem Tisch ein Buch, das sie mit heraufnehmen wollte. Sie wäre fortgegangen, ohne etwas zu sagen, wenn er sie nicht angeredet hätte.

»Marian, Douglas ist in dich verliebt.«

Sie errötete, überlegte einen Augenblick und sagte ruhig: »Nun gut, ich werde ihn nicht wieder einladen.«

»Warum nicht?«

Sie errötete plötzlich noch stärker und sagte: »Verzeihung, ich glaubte, es wäre dir nicht recht.«

»Liebes Kind,« entgegnete er freundlich, »wenn du jeden ausschließt, der sich in dich verliebt, werden wir bald nur noch Frauen und blinde Männer im Hause haben.«

»Und du hast es gern, wenn sich Männer in mich verlieben?«

»Ja. Es macht ihnen unser Haus angenehm, es macht sie für dich anziehend, und es gibt dir eine große Macht zum Guten. Als ich noch ein romantischer Knabe war, hätte jede gute Frau einen Heiligen aus mir gemacht. Laß sie sich in dich verlieben, soviel sie wollen. Später werden sie sich bessere Frauen suchen, als sie es getan hätten, wenn sie dich nicht gekannt. Aber erwidere ihre Komplimente nicht, sonst wird dein Einfluß ein schlechter.«

»Ned, ich hatte nie vorgehabt, dir das zu sagen, aber jetzt will ich es tun. Sholto Douglas liebt mich nicht nur, sondern er hat es mir sogar heute selbst gesagt.«

»Natürlich. Ein Mann erzählt so was früher oder später stets.«

Marian setzte sich auf das Sofa und sah ihn eine Weile ernst und etwas nachdenklich an. »Ich glaube,« sagte sie, »ich wäre sehr böse auf jede Frau, die dir ein solches Geständnis machte.«

»Eine christliche britische Lady vergibt nicht leicht den Bruch der herkömmlichen Formen, und keine Frau verzeiht einen Einbruch in ihre Rechte, selbst wenn sie für sie eine Bürde geworden sind.«

»Was meinst du damit?« fragte sie, sich erhebend.

»Marian,« sagte er und sah sie offen an, »bist du unzufrieden?«

»Welchen Grund habe ich –«

»Es kommt nicht auf Gründe an. Bist du es?«

»Nein«, sagte sie mit fester Stimme.

Er lächelte nachsichtig, drückte einen Augenblick ihre Hand gegen seine Wange und ging hinaus zu einem kurzen Spaziergang, den er immer machte, bevor er zu Bett ging.


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