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Achtzehntes Kapitel

Montag abends um sechs Uhr kam Conolly von Glasgow zurück. Er sah kein Licht im Fenster, als er den Garten betrat, und Miß McQuench öffnete ihm die Türe, bevor er sie erreichte.

»Wie!« sagte er. »Sie gehen gerade, da ich komme?« Aber dann sah er ihr Gesicht im Schein der Flurlampe und setzte schnell seinen Koffer nieder, indem er sie fragte, was geschehen sei.

»Ich weiß nicht, ob etwas geschehen ist, aber ich bin sehr froh über Ihre Ankunft. Wir wollen in das Gesellschaftszimmer gehen. Ich möchte nicht, daß die Dienstboten uns sprechen hörten.«

»Es brennt gar kein Licht«, sagte er, indem er ihr folgte. »Sie haben doch nicht etwa im Dunkeln gewartet.«

Er steckte ein Wachslicht an und wollte gerade die Lampe anzünden, als sie ungeduldig ausrief: »Oh, das habe ich nicht einmal bemerkt, was liegt daran? Lassen Sie die Lampe in Frieden und hören Sie mich an.« Er gehorchte, sehr belustigt durch ihre Verwirrung. »Wo ist Marian hingegangen?« fragte sie.

»Ist sie nicht hier?« fragte er und wurde plötzlich ernst. »Sie vergessen, daß ich gerade von Glasgow zurückkomme.«

»Ich bin hier seit drei Uhr. Marian schrieb mir, ich sollte Sonntag nicht kommen – sie ginge aus, und Sie wären verreist. Aber hier erfahre ich, daß sie gestern den ganzen Tag zu Hause gewesen ist. Nur zwei Stunden ging sie mit Sholto fort. Dann hat sie abends ihre Koffer gepackt und damit das Haus verlassen. Dem Kutscher sagte sie, er sollte nach Euston Station fahren. Ich weiß nicht, was das alles bedeuten soll, und ich bin halb verrückt geworden, indem ich hier auf Sie wartete. Ich dachte, Sie würden überhaupt nicht kommen. Auf dem Ankleidetisch liegt ein Brief für Sie.«

Er zog die Lippen etwas zusammen und sah sie ruhig an, ohne ein Wort zu sprechen.

»Wollen Sie nicht hingehen und ihn öffnen?« sagte sie ängstlich. »Er muß doch eine Erklärung enthalten.«

»Ich fürchte, die Erklärung ist überflüssig.«

»Sie haben kein Recht, so zu sprechen. Woher wissen Sie das? Wenn Sie den Brief nicht lesen wollen, dann sagen Sie es bitte sofort. Ich bin nicht neugierig, den Inhalt zu erfahren, ich will nur wissen, was mit Marian geschehen ist.«

»Sie sollen ihn auf jeden Fall lesen. Wollen Sie mich solange entschuldigen, während ich ihn hole?«

Sie stampfte ungeduldig mit dem Fuß. Er lächelte und ging den Brief holen, den er nach kurzer Abwesenheit ungeöffnet vor ihr auf den Tisch legte.

»Ich glaube, das ist er. Ich habe ihn im Dunkeln gefunden.«

»Wollen Sie ihn jetzt öffnen?« sagte sie, kaum imstande, sich zurückzuhalten.

»Nein.«

Er sprach mit ruhiger Stimme, aber sie hatte den Eindruck, daß er im Zorn sei. Sein freundlicher Blick und seine ruhige Haltung beruhigten sie im ersten Augenblick, dann aber, als sie weiter dachte, wurde sie gerade dadurch bestürzt gemacht.

»Warum wollen Sie es nicht tun?«

»Ich bin nicht neugierig. Aber Sie interessieren sich dafür, bitte, machen Sie ihn auf.«

»Eher sterbe ich. Wenn er hier liegen soll, bis ich ihn öffne, kann er hier ewig liegen.«

Er öffnete den Umschlag sauber mit einem Papiermesser und reichte ihr die Einlage hin. Sie hielt eigensinnig ihre Hände zurück. Er lächelte etwas und hielt ihn noch immer ausgestreckt. Zuletzt riß sie ihn ihm aus der Hand, gerade so wie sie ihm ein Büschel Haare ausgerissen hätte. Sie las ihn und wurde bleich. Sie blickte so drein, wie sie es als kleines Mädchen getan hatte, wenn sie schlecht behandelt wurde, aber nicht weinen wollte. »Ich hätte mir besser meine beiden Hände abschneiden sollen«, sagte sie leidenschaftlich nach einer Pause.

»Es ist sehr traurig«, sagte Conolly voll Mitgefühl. »Er ist ein gut erzogener Mensch, aber ich glaube nicht, daß viel in ihm steckt.«

»Er ist ein selbstsüchtiger, verlogener, eingebildeter Hund. Erzogen – lächerlich! Und was wollen Sie jetzt tun, wenn ich fragen darf?«

»Zu Abend essen. Ich bin so hungrig wie ein Bär.«

»Ja, das ist, glaube ich, das beste. Guten Abend!«

Er schien es zu wissen, daß sie noch nicht gehen wollte, denn er machte keine Bewegung, um ihr die Türe zu öffnen. Auf ihrem Wege zur Türe drehte sie sich um und ging mit geballten Fäusten auf ihn zu, so daß er einen Augenblick fürchtete, sie würde ihn körperlich mißhandeln.

»Sind Sie ein Tier oder ein Narr, oder sind Sie beides?« sagte sie und ließ ihrer Aufregung freien Lauf. »Wie lange wollen Sie hier stehenbleiben, ohne etwas zu tun?«

»Was kann ich tun, Miß McQuench?« sagte er sanft.

»Sie können ihr folgen und sie zurückbringen, bevor sie sich vollständig kompromittiert hat mit diesem elenden Verbrecher. Haben Sie Angst vor ihm? Sonst gehe ich mit Ihnen, er soll Sie nicht anrühren.«

»Danke sehr«, sagte er belustigt. »Aber Sie sehen doch, sie will nicht mehr mit mir leben.«

»Lieber Gott! Mann, welche Frau, glauben Sie, könnte mit Ihnen leben wollen. Ich denke, Marian wollte mit einem menschlichen Wesen leben und nicht mit einer Rechenmaschine. Sie würden jede Frau davontreiben. Hätten Sie soviel Einsicht gehabt, ihn aus dem Hause zu werfen und sie braun und blau zu schlagen, weil sie ihn ermutigte, dann wären Sie mehr Mann gewesen als so, und sie würde Sie mehr geliebt haben. Sie sind kein Mann, Sie sind ein Stein, der denken kann. Hören Sie mich an, Mister Conolly. Da ist noch eine Aussicht, wenn Sie sich beeilen wollen. Reisen Sie ihnen nach, überholen Sie sie, schlagen Sie ihn halbtot und bringen Sie sie zurück. Bestrafen Sie sie, wie Sie wollen und solange es Ihnen gefällt. Sie können das, wenn Sie sich nur dazu entschließen wollen. Er ist ein Feigling und fürchtet Sie, ich habe es in seinen Augen gelesen. Sie sind fünfzigmal soviel wert wie er – wenn Sie nur nicht so kaltblütig sein wollten – wenn Sie nur gehen wollten – lieber Mister Conolly – Sie sind doch nicht vollständig unempfindlich – Sie wollen doch?«

Das war das erstemal, daß er sie in weichem Tone reden hörte, und es machte ihn neugierig. »Was steht im Brief?« fragte er, noch immer ruhig, aber unerbittlich.

Sie riß ihn wieder auf. »Hier«, sagte sie. »› Unsere Heirat war eine Torheit. Ich gehe mit Douglas an das andere Ende der Welt. Sonst kann ich nichts tun, um die Sache weniger schlimm zu machen. Bitte, vergiß mich.‹ Das ist der Inhalt des Briefes, da Sie sich herablassen, danach zu fragen.«

»Dann ist es zu spät. Sie fühlten das, glaube ich, selber beim Lesen.«

»Ja«, schrie sie und setzte sich in einem Anfall von Schmerz hin, ohne daß sie aber weinen konnte. »Es ist zu spät, und Sie sind an allem schuld. Warum mußten Sie fortgehen? Sie wußten, was im Kommen war. Sie haben es veranlaßt. Sie wollten es haben. Sie sind glücklich, daß es so gekommen ist, und es geschieht Ihnen ganz recht. › Bitte, vergiß mich.‹ O ja, armes Mädchen, darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich erkläre, es gibt nichts Erbärmlicheres, Gemeineres, Feigeres, Selbstsüchtigeres auf der Welt als einen Mann. Oh, hätten wir es doch getan, wie wir es immer wollten – uns von Ihnen ferngehalten!«

»Es wäre ein guter Plan gewesen«, sagte Conolly nachgiebig.

»Wirklich? Aber wie konnten wir, bitte, wissen, daß Sie nicht aus Fleisch und Blut gemacht waren? Jetzt werde ich gehen.« Der Tisch stand zwischen ihnen, aber sie erhob sich und machte eine Bewegung, als ob sie eine ihr dargereichte Hand zurückweisen wollte. »Ich will gar nichts mehr darüber hören. Ich glaube, Sie haben recht, wenn Sie sich um nichts kümmern. Wahrscheinlich aber hat sie ebensosehr recht, fortzugehen. So haben wir alle recht, und alles ist aufs beste eingerichtet. Marian ist natürlich verloren, aber was kümmert Sie das? Sie war Ihnen nur im Wege. Sie trösten sich mit Ihrer –« hier trat Armanda herein, und Elinor wandte sich schnell zum Kamin und blieb dort stehen, damit das Hausmädchen nicht ihr Gesicht sah.

»Ihr Essen, Herr«, sagte Armanda mit einem etwas gesuchten Benehmen, das unter diesen Umständen bezeichnend war. »Im Laboratorium ist es hübsch warm.«

»Danke sehr«, sagte Conolly. »Ich komme gleich, Armanda.«

»Das Essen wird verderben, Herr, wenn Sie zu lange warten. Die gnädige Frau hat mir und der Köchin noch ganz besondere Sorgfalt anbefohlen.« Und Armanda ging mit einer Miene hinaus, als ob sie jede weitere Verantwortung ablehnte.

»Was soll ich ohne Marian anfangen?« sagte Conolly. »Nicht eine Frau unter hundert ist imstande, mit ihren Dienstboten fertig zu werden. Sie ersparte mir allen häuslichen Ärger.«

»Sie fangen an, ihren Verlust zu fühlen«, sagte Elinor und wandte sich wieder zu ihm. »Es ist für eine Frau von ihren Vorzügen eine angenehme Sache, wenn sie dem Mann häuslichen Ärger ersparen darf. Hätten Sie Marians Glück halb so viel Aufmerksamkeit gespendet wie Ihrem Essen, dann wäre Ihnen diese schlimme Lage erspart geblieben.«

»Glauben Sie wirklich, daß es zweimal so leicht ist, eine Frau glücklich, als einen Mann satt zu machen?«

»Oh –! Ja, das glaube ich. Ich sage Ihnen, es ist dreimal so leicht, sechsmal so leicht: die Frauen sind ja solche Närrinnen! Mit einem Wort oder einem Kuß können Sie eine Frau für eine Woche glücklich machen. Wieviel Zeit, glauben Sie, braucht man, um den Speisezettel für eine Woche herzurichten? Sie halten wohl einen Kuß für eine Schwäche?«

»Zweifellos verstehe ich nicht viel vom Küssen.«

»Nein, wahrhaftig nicht. Dann sollten Sie lieber das tun, was Sie wirklich verstehen: Ihr Diner essen.«

»Miß McQuench, haben Sie schon mal ein unglückliches, kleines Kind gesehen, das schlimm gefallen ist und dann von seiner Wärterin statt einer freundlichen Liebkosung eine derbe Tracht Prügel erhält, weil es die Wärterin erschreckt und seine Kleider zerrissen hat?«

»Nun, und wenn?«

»Sie erinnern mich ein wenig an diese Wärterin. Ich habe heute abend so etwas wie einen schlimmen Fall erlitten.«

»Und nun behaupten Sie vermutlich, Sie hätten sich verletzt, damit man Ihnen nicht sagt, es sei Ihre eigene Schuld. Kinder machen es genau so. Ich sage Ihnen offen, ich glaube nicht, daß es Sie überhaupt verletzt hat, obgleich Sie vielleicht gerade im Augenblick auch nicht sehr erfreut sind. Doch ich wollte nicht unhöflich sein. Wenn es Sie wirklich schmerzt, mich schmerzt es wenigstens ebensosehr. Ich habe nicht alles gesagt, was ich denke.«

»Was ist denn noch?«

»Es hat keinen Zweck, das zu sagen. Ich sehe, ich schlage hier nur meine Zeit tot – und zweifellos auch die Ihrige.«

»Nun, jedenfalls haben Sie mir Ihre Ansicht gesagt. Wenn Sie noch nicht ganz zufrieden sind, bitte, sprechen Sie noch zehn Minuten weiter. Ihre gute Absicht entschuldigt die Ausdrücke, die Sie gebrauchen. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie vor einer Woche genau so über mich dachten, und wenn Sie es mir damals gesagt hätten, wäre vielleicht alles das, was geschehen ist, verhindert worden. Daß Sie mir jetzt Ihre Meinung sagen, hat nur insofern Zweck, weil Sie sich dadurch erleichtern. Marian oder mir oder sonst jemand nützt es nichts. Wenn Sie jetzt also Ihr Schlimmstes gesagt haben, können wir wohl nichts Besseres beginnen, als darüber nachdenken, was zunächst geschehen muß.«

Elinor nahm dies anfangs böse auf. Dann lachte sie bitter und sagte: »In einer Beziehung haben Sie recht. Ich verdiene ebensoviel Tadel wie jeder andere. Ich will es nicht leugnen, wenn Sie das irgendwie tröstet. Was aber den nächsten Schritt angeht, so sagten Sie doch selbst, es sei zu spät, irgend etwas zu tun. Und ich finde auch nicht, daß Sie viel tun können.«

»Ganz recht, aber es gibt doch Verschiedenes, was man erwägen muß. Zunächst ist es meine Pflicht, Marian und mich freizumachen.«

»Auf welche Weise?«

»Durch eine Scheidung.«

»Scheidung!« Elinor sah ihn geringschätzig an, aber er blieb unbeirrt. Dann milderte sie langsam ihren Blick und sagte: »Ja, ich glaube, Sie haben ein Recht dazu.«

»Marian ebenfalls.«

»Damit sie ihn heiraten kann – sie glaubt, sie müßte das. Es wird ihr sehr nach Wunsch sein.«

»Bevor sie frei ist, hat sie Zeit genug, herauszufinden, ob sie ihn gern hat oder nicht. Der Skandal wird in der Familie einen großen Lärm verursachen.«

»Machen Sie sich daraus was? Ich nicht.«

»Auf jeden Fall gibt es einen Menschen, der offenbar durch die Geschichte schwer getroffen wird. Sind Sie mit Mistreß Douglas bekannt – mit seiner Mutter?«

Elinor ließ sich ganz verwirrt in einen Sessel hinsinken. »An sie habe ich gar nicht gedacht«, sagte sie. »Ich muß gestehen, ich war selbstsüchtig. Sie hat ihn stets in seinem Eigendünkel bestärkt, aber es wird ein schwerer Schlag für sie sein. Sie hält ihn für durchaus ehrenhaft.«

»Und mich hält sie für einen rohen Arbeiter, der jeder gewalttätigen Rache fähig ist. Sie erfährt die Neuigkeit entweder durch eine Zeitungsnotiz oder durch eine jener Damen, die sich rühmen, so etwas schonend zu erzählen – die nur langsam in solch einer Sache vorgehen, um die Folter solange wie möglich auszudehnen. Es gibt genug Menschen, die so sind, und ich weiß nicht, ob ich es ihr nicht selbst mitteilen soll. Wenigstens träumt sie dann nicht Tag und Nacht davon, wie ich ihn mit einer Spitzhacke kurz und klein schlage. Aber das ist nebensächlich. Marian wird Ihnen vielleicht schreiben. In dem Falle teilen Sie ihr mit, daß ihr fünfhundert Pfund Jahresrente gehören, was sie ganz unabhängig von ihm und von ihr macht. Das ist, glaube ich, alles. Sie brauchen sich jetzt keine Mühe mehr zu geben, das Geschehene zu verheimlichen, die Dienstboten unten wissen es so gut wie wir, und in einer Woche ist es Stadtgespräch. Marian entgeht im Auslande –«

»Still!« sagte Elinor ängstlich. »Draußen ist ein ungewöhnliches Geräusch.«

Die Hausschelle begann heftig zu klingeln, und sie konnten ein verwirrtes Geräusch von Stimmen und Fußtritten draußen hören.

»Kann sie nicht zurückgekommen sein?« fragte Elinor und fuhr auf.

»Unmöglich!« sagte Conolly und sah zum erstenmal verwirrt drein. Einen Augenblick standen sie da, ohne sich anzusehen, und lauschten. Noch einmal wurde die Klingel gezogen, und sie hörten den Ausbruch eines Gelächters, das von einer ermahnenden Stimme unterbrochen wurde. Dann schlug jemand mit einem Stock auf die Haustür los. Conolly rannte schnell hinunter und öffnete sie. Auf den Stufen fand er Marmaduke schwankend in den Armen des Pfarrers George.

»Wie geht's, altes Haus?« sagte Marmaduke und stürzte in den Hausflur hinein. »Hochwürden ist betrunken. Ich fand ihn taumelnd durch die High Street schwanken und habe ihn mitgebracht.«

»Bitte, verzeihen Sie, daß wir hier so einbrechen«, flüsterte der Pfarrer George. »Sie sehen, in welchem Zustand er ist. Er hat mich in der Nähe von Campden Hill angesprochen, und ich konnte mich wirklich in seiner Gesellschaft in der Stadt nicht sehen lassen. Ich wundere mich, daß man ihn nicht arretiert hat.«

»Er ist hübsch angetrunken, aber doch noch nüchtern genug, um sich auf Ihre Kosten zu amüsieren«, sagte Conolly laut. »Kommen Sie hinauf. Miß McQuench ist da.«

»Aber sehen Sie doch seinen Zustand!« bemerkte der Geistliche, »wie er versucht, seinen Hut aufzuhängen. Wie lächerlich – ich möchte lieber sagen, wie beklagenswert! Ich versichere Ihnen, er ist vollständig betrunken. An allen Häusern hat er geklingelt und jedem weiblichen Wesen seine Begleitung angeboten. Es ist besser, Sie warnen Elinor.«

»Unsinn!« sagte Conolly. »Ich habe eine Neuigkeit, die ihn nüchtern macht. Hier ist Miß McQuench. Wollen Sie schon gehen?«

»Ja«, sagte Elinor. »Ich würde meine Geduld verlieren, wenn ich Georges Bemerkungen anhören müßte. Ich bin auch müde. Es ist besser, wenn ich gehe.«

»Noch nicht, Nelly. Willst du nicht – hum, bleiben und mit – hum, Marmaduke reden?«

»Laß mich in Frieden«, sagte Elinor und riß ihre Hand los, die er ergriffen hatte. »Du solltest zu Hause im Bett liegen. Du bist ein Schwein.« Marmaduke brach hierbei in ein lärmendes Gelächter aus. Sie ging vorsichtig an ihm vorbei, verabschiedete sich von Conolly und dem Pfarrer George und verließ das Haus. Die drei Männer stiegen dann die Treppe hinauf, wobei Marmaduke unter dem Einfluß von Conollys Gegenwart seine nur vorgeschobene Trunkenheit verlor.

»Marian ist vermutlich nicht hier«, begann der Geistliche, als sie Platz genommen hatten.

»Nein«, sagte Conolly. »Sie ist mit Douglas davongelaufen.«

Sie starrten ihn an. Dann stieß Marmaduke einen schrillen Pfiff aus, und der Geistliche fuhr blaß empor. »Was meinen Sie, mein Herr?« fragte er.

Conolly gab keine Antwort, und der Geistliche setzte sich langsam wieder hin.

»Nun, es tut mir verdammt leid«, sagte Marmaduke etwas pathetisch. »Es ist ein Schurkenstreich von Douglas bei all seinem Gerede über Ehre.«

Der Pfarrer George bedeckte sein Gesicht mit seinem Taschentuch und schluchzte.

»Hören Sie auf, altes Haus, und machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte Marmaduke. »Was werden Sie jetzt machen, Conolly? Schießen Sie ihm eine Kugel in den Leib, oder verklagen Sie ihn auf Schadenersatz?«

»Ich sehe nicht ein, inwiefern durch eine Kugel die Sache gutgemacht wird. Ihn zu verklagen, habe ich keinen Anlaß, da ich keinen finanziellen Verlust erlitten habe. Ich muß mich einfach von ihr scheiden lassen.«

»Aber gerade, um ihn zu bestrafen, sollten Sie ein paar tausend Pfund aus dem Burschen herausschlagen.«

»Er könnte das leicht aufbringen, und dann will ich ihn auch gar nicht bestrafen.«

»Mein teurer Freund,« rief der Geistliche aus, »Sie dürfen nicht an eine Scheidung denken. Ich beschwöre Sie, geben Sie diese Idee auf. Denken Sie an die Schande, die Sünde! Es würde meinen Vater töten, wenn die Sache in die Öffentlichkeit käme.«

Conolly schüttelte seinen Kopf.

»Die Kirche kennt so etwas wie Scheidung nicht. ›Was Gott vereinigt hat, soll der Mensch nicht trennen‹.«

»Sie hat kein Recht, durchzubrennen«, sagte Marmaduke. »Das ist sicher.«

»Ich bin nicht an einem Altar getraut worden«, sagte Conolly. »Und da die Kirche so etwas wie Ziviltrauung nicht kennt, so existiert unsere Verbindung vom kirchlichen Standpunkt aus überhaupt nicht. Wir sind in Ihrem Sinne gar nicht durch Gott vereinigt worden. Wenn man ihr die Gelegenheit, sich wieder zu verheiraten, entzöge, würde man sie zwingen, nach der Ansicht des Gesetzes als Ehebrecherin zu leben. Außerdem würde ich dadurch der Vater von Douglas' Kindern werden. Ich kann nicht, weil Ihre Familie vor dem Skandal Angst hat, an Marian eine solche Rache nehmen, daß ich ihr die Freiheit verweigere, für die sie soviel geopfert hat. Andererseits ist unsere Ehe kinderlos, und damit fällt der einzige Grund fort, uns jetzt, da unsere Herzen nicht mehr verbunden sind, noch die Hände zu binden. Alles, was ich zugestehen kann, ist folgendes. Freiheit an und für sich hat für mich keinen Wert, und ich würde gerne wieder mit Marian zusammen leben, wenn sie glaubt, daß es keine Qual für sie ist. Wenn sie daher morgen wieder zurückkommt, soll sie mir willkommen sein. Aber sie wird es nicht wollen.«

»Sie soll – sie will sicherlich kommen, wenn man es ihr ausdrücklich vorhält«, sagte der Pfarrer George.

»Täuschen Sie sich doch nicht selbst«, sagte Conolly. »Sie wird es nicht tun. Ich will Ihnen genau erzählen, was geschehen ist.«

»Die Geschichte hat in Sark angefangen«, sagte Marmaduke. »Douglas hing an ihr wie ein Blutegel, und seit seiner Rückkehr ist er oft hier im Haus gewesen. Ich habe mich manchmal gewundert, warum Sie ihn nicht hinausgeworfen haben, aber es war ja natürlich nicht meine Sache, etwas zu sagen. War sie geärgert, weil sie fortging? Haben Sie sich gerade kurz vorher miteinander gezankt?«

»Wir zankten uns niemals.«

»Das war Ihr Fehler, Conolly. Sie sollten es einmal gehört haben, wenn die arme Susanna und ich uns auszankten. Wir schwuren immer am Schluß, wir würden nie wieder miteinander sprechen. Nichts ist langweiliger als ein ruhiges Leben. Hätten Sie Marian Grund gegeben, sich zu beklagen, sie wäre viel zu beschäftigt gewesen, an Douglas zu denken.«

»Aber haben Sie sich überzeugt, wohin sie gegangen sind?« sagte der Geistliche. »Wollen Sie ihnen nicht folgen?«

»Ich weiß nichts von ihren Plänen. Wahrscheinlich sind sie auf der Überfahrt nach Amerika. Ich werde sie keinesfalls verfolgen.«

»Aber sicherlich sollten Sie ihnen folgen«, sagte der Pfarrer George. »Vielleicht ist es jetzt noch Zeit, sie vor etwas zu bewahren, was schlimmer ist als der Tod.«

»Puh!« rief Marmaduke aus. »Hören Sie doch mit dem Unsinn auf, George. Zum Teufel mit ›schlimmer als der Tod‹! Es geschieht übrigens der Familie ganz recht! Sie sind alle so übertrieben tugendhaft, es wird ihnen ganz gut tun, wenn sie einmal bloßgestellt werden.«

»Wenn Sie keine Achtung vor der Überzeugung eines Priesters haben,« sagte der Pfarrer George und brach in Tränen aus, »dann sollten Sie wenigstens wegen der Gegenwart eines schwer getroffenen Bruders und Gatten schweigen.«

»Oh, ich möchte Ihnen oder Conolly gegenüber nicht Mangel an Mitgefühl zeigen«, sagte Marmaduke ärgerlich. »Das wäre roh. Was aber die Gefühle der Familie angeht, so kann ich Ihnen offen sagen, es ist mir vollständig gleichgültig, wenn die ganze Gesellschaft morgen nach Old Bailey gebracht und wegen Bigamie bestraft würde. Dann wären sie wenigstens nicht mehr so eingebildet.«

»Ich weiß nicht, wie ich diese entsetzliche Nachricht meinem Vater mitteilen soll«, sagte Pfarrer George und wandte sich verzweifelt von seinem angetrunkenen Vetter zu Conolly.

»So was kommt öfter vor. Je weniger Lärm Sie darüber machen, desto besser. Sie soll nicht geschmäht werden, und ich werde mich auch nicht über Elend und Schande beklagen. Ihre Familie kann ganz gut meinem Beispiel folgen. Ich weiß, es gibt wenige Menschen, mit denen ich über die Sache sprechen kann, ohne mich Mißverständnissen und Marian ungerechter Beurteilung auszusetzen. Ich sage es deshalb ein für allemal, ich habe ihr nichts vorzuwerfen, und ich glaube, sie kann auch mir nichts vorwerfen. Natürlich kann Ihre Familie es nicht verhindern, daß die Sache durch die Scheidungsklage an die Öffentlichkeit kommt. Wenn man versucht, mir die Schuld zuzuschreiben, so werde ich die Leute reden lassen. Wenn man Marian angreift, dann muß ich sie verteidigen. Für jetzt wollen wir nicht mehr darüber reden.«

Der Geistliche erinnerte sich, wie wenig Eindruck er auf Conolly gemacht hatte, als dieser Marian heiraten wollte, und er fühlte, daß er jetzt, da die Ehe geschieden werden sollte, wohl nicht mehr erreichen werde. Schweigend und niedergedrückt saß er da, ließ sein Taschentuch zwischen den Knien baumeln und lehnte sich, auf die Ellenbogen gestützt, vorwärts nach dem Feuer.

»Sie müssen mich entschuldigen, wenn ich meinen Weg folgerichtig zu Ende denke. Ich weiß, Sie würden sich ihn lieber nach und nach klarmachen«, fügte Conolly hinzu und blickte mit einigem Mitleid auf die zusammengesunkene Gestalt des Geistlichen. »Ich pflege nun einmal so zu denken. – Wann werden Sie sich verheiraten?« fuhr er, zu Marmaduke gewendet, fort.

»Ich weiß nicht. Die Gräfin hat es höchst eilig. Ich nicht. Aber es wird wahrscheinlich im Frühjahr sein.«

»Sie haben sich also endlich entschlossen.«

»Oh, ich hatte niemals im Ernst etwas dagegen, nur ich wollte nicht gedrängt werden. Conny ist ein gutes, kleines Mädchen, und sie wird eine prächtige Frau werden. Ich kann ihre Mutter nicht leiden, aber sie selbst hat mich so gern, und ich habe sie wirklich lange hingehalten. Übrigens, alter Junge, rückt der Graf ein anständiges Geld heraus, und da ich Lust habe, mich auf einem Landgut niederzulassen, kommt mir das wohl zustatten.«

Der Geistliche erhob sich und zog langsam seine wollenen Handschuhe an.

»Wenn Sie gehen, will ich Sie noch ein Stück Weges bringen«, sagte Marmaduke. »Ich werde Sie aufheitern. Sie wissen, daß Sie dem Alten vor morgen früh nichts zu sagen brauchen.«

»Ich werde lieber allein gehen, wenn Sie beabsichtigen, sich so zu benehmen wie vorher.«

»Keine Angst. Ich bin jetzt so nüchtern wie ein Amtsrichter. Kommen Sie mit. Fort mit dem Kummer. Heute über ein Jahr haben Sie Douglas als Schwager.«

Das schien auch dem Geistlichen vorgeschwebt zu haben, denn er reichte seinem Wirt zurückhaltender die Hand, als er es sonst zu tun pflegte. Als sie fort waren, ging Conolly ins Laboratorium und ließ sich das zurückgestellte Essen kommen. Er aß mit allem Appetit eines Menschen, der von der Reise kommt. Vom Tisch ging er sofort an die Orgel und spielte bis kurz vor Mitternacht. Dann legte er sich, nach einem kurzen Spaziergang in freier Luft, zu Bett und war bald fest eingeschlafen.


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